Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 13 B 235/21.NE
Tenor
Die Anträge werden abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Die Antragstellerin betreibt ein sog. EMS-Studio. Ihre sinngemäßen Anträge,
3im Wege der einstweiligen Anordnung den Vollzug von § 9 Abs. 1 der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 5. März 2021 (GV. NRW. 2021 S. 216), in der zuletzt durch Art. 1 der Verordnung vom 6. April 2021 (GV. NRW. 2021 S. 352) geänderten Fassung (CoronaSchVO) vorläufig auszusetzen, soweit darin der Betrieb von EMS-Studios untersagt wird,
4hilfsweise,
5im Wege der einstweiligen Anordnung den Vollzug von § 9 Abs. 1 CoronaSchVO vorläufig auszusetzen, soweit darin der Betrieb von EMS-Studios auch unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen untersagt wird,
6haben keinen Erfolg.
7I. Der gemäß § 47 Abs. 6, Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 109a JustG NRW statthafte und auch im Übrigen zulässige Hauptantrag ist unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO liegen nicht vor. Nach dieser Bestimmung kann das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
8Die von der Antragstellerin begehrte einstweilige Anordnung ist nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Der Senat hat mit Beschluss vom 15. Dezember 2020 ‑ 13 B 1731/20.NE ‑, juris, Rn. 21 ff., u. a. in Bezug auf das Verbot des Freizeitsport- und Amateursports in sog. EMS-Studios in § 9 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 30. November 2020 (GV. NRW. 2020 S. 1060a), geändert durch Art. 1 der Änderungsverordnung vom 8. Dezember 2020 (GV. NRW. 2020 S. 1116a) Folgendes ausgeführt:
9„ist der Erlass einer normbezogenen einstweiligen Anordnung nicht dringend geboten, weil der in der Hauptsache gestellte Normenkontrollantrag nach im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht offensichtlich begründet ist (1.) und die deswegen anzustellende Folgenabwägung zu Lasten der Antragstellerinnen ausfällt (2.).
101. Die mit dem in der Hauptsache gestellten Normenkontrollantrag angegriffene Regelung ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragstellerinnen nicht offensichtlich rechtswidrig.
11a) Es bestehen keine offensichtlich durchgreifenden Bedenken dagegen, dass die maßgeblichen Vorschriften in §§ 32 Satz 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, 28a Abs. 1 Nr. 8, 14 IfSG eine hinreichende, dem Parlamentsvorbehalt genügende Ermächtigungsgrundlage für die Untersagung des Freizeit- und Amateursportbetriebs in Fitnessstudios, die mittelbar erneut und andauernd in die Berufsfreiheit der Antragstellerinnen aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreift, darstellen.
12Vgl. für in der Neunten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 30. November 2020 geregelte Kontaktbeschränkungen und Gastronomieschließungen im Ergebnis ebenso: Bay. VGH, Beschluss vom 8. Dezember 2020 ‑ 20 NE 20.2461 ‑, abrufbar unter https://www.vgh.bayern.de/ bayvgh/oeffentl/pm/.
13Nachdem die Maßnahmen aus den inzwischen außer Kraft getretenen Coronaschutzverordnungen im Wesentlichen allein auf die Generalklausel des § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützt wurden und einige daran bestehende verfassungsrechtliche Bedenken mit Fortdauer der Pandemielage und Wiederholung der verordneten Verbote zunehmend Gewicht gewonnen hatten,
14vgl. zuletzt z. B. OVG NRW, Beschluss vom 30. November 2020 ‑ 13 B 1675/20.NE ‑, juris, Rn. 20 ff.,
15stützt sich die derzeit geltende Coronaschutzverordnung vom 30. November 2020 auf § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 und dem vom Gesetzgeber in Art. 1 Nr. 17 des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) neu geschaffenen § 28a IfSG.
16Nach § 32 Satz 1 IfSG können die Landesregierungen unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten erlassen. Sie können gemäß § 32 Satz 2 IfSG die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen nach Satz 1 der Vorschrift durch Rechtsverordnung – oder wie hier nach § 10 IfSBG-NRW durch verordnungsvertretendes Gesetz (Art. 80 Abs. 4 GG) – auf andere Stellen übertragen. Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28a Abs. 1 und in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.
17Der neu geschaffene § 28a Abs. 1 Satz 1 IfSG listet in 17 Nummern auf, um welche Maßnahmen es sich dabei insbesondere handeln kann. Hierzu gehören gemäß Nr. 8 auch die Untersagung oder Beschränkung von Sportveranstaltungen und der Sportausübung und gemäß Nr. 14 Betriebsschließungen. § 28a IfSG begrenzt ferner die Möglichkeit solcher Schutzmaßnahmen grundsätzlich (vgl. § 28a Abs. 7 IfSG) auf die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag.
18§ 28a Abs. 2 Satz 1 IfSG sieht für in Nr. 1 bis 3 dieser Vorschrift aufgelistete besondere Maßnahmen (u. a. für Verbote von Versammlungen i. S. v. Art. 8 GG oder weltanschaulichen Zusammenkünften, Ausgangsbeschränkungen sowie Betretungsverbote hinsichtlich bestimmter Einrichtungen wie z. B. Altenheime oder Krankenhäuser) die zusätzliche Voraussetzung vor, dass ohne diese unter Berücksichtigung aller bisher getroffener anderer Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 erheblich gefährdet wäre. § 28a Abs. 3 IfSG stellt – abhängig von der Anzahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen – ein Stufensystem hinsichtlich der erforderlichen Intensität und Breite der zu treffenden Maßnahmen auf. Hier wird differenziert nach umfassenden Schutzmaßnahmen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen (> 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in Landkreis, Bezirk oder kreisfreier Stadt), breit angelegten Schutzmaßnahmen, die eine schnelle Abschwächung des Infektionsgeschehens erwarten lassen (> 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in Landkreis, Bezirk oder kreisfreier Stadt) und Schutzmaßnahmen, die eine Kontrolle des Infektionsgeschehens unterstützen (< 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in Landkreis, Bezirk oder kreisfreier Stadt). Ferner sind nach der Vorschrift, wenn die Inzidenz von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen landes- bzw. bundesweit überschritten wird, landes- bzw. bundesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben.
19§ 28a Abs. 6 IfSG bestimmt zum einen, dass verschiedene Schutzmaßnahmen auch kumulativ angeordnet werden können, soweit und solange es für eine wirksame Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist (Satz 1). Zum anderen sind nach dieser Vorschrift bei Entscheidungen über Schutzmaßnahmen soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit einzubeziehen und zu berücksichtigen, soweit dies mit dem Ziel einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 vereinbar ist (Satz 2). Dabei können einzelne soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bereiche, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, von den Schutzmaßnamen ausgenommen werden, soweit ihre Einbeziehung zur Verhinderung oder Verbreitung von COVID-19 nicht zwingend erforderlich ist (Satz 3).
20Gemäß § 28a Abs. 5 IfSG sind Rechtsverordnungen, die nach § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 und § 28a Abs. 1 erlassen werden, mit einer allgemeinen Begründung zu versehen und zeitlich zu befristen (Satz 1). Die Geltungsdauer beträgt grundsätzlich vier Wochen; sie kann verlängert werden (Satz 2).
21Es bestehen keine offensichtlich durchgreifenden Einwände dagegen, dass diese Regelungen dem Vorbehalt des Gesetzes genügen. Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt im Hinblick auf Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot, dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat und nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen darf. Dabei betrifft die Normierungspflicht nicht nur die Frage, ob ein bestimmter Gegenstand überhaupt gesetzlich geregelt sein muss, sondern auch, wie weit diese Regelungen im Einzelnen zu gehen haben (sog. Wesentlichkeitsdoktrin). Inwieweit es einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, hängt vom jeweiligen Sachbereich und der Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstands ab.
22Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. November 1990 ‑ 1 BvR 402/87 ‑, juris, Rn. 39, und Urteil vom 24. September 2003 ‑ 2 BvR 1436/02 ‑, juris, Rn. 67 f., jeweils m. w. N.
23Auch Gesetze, die zu Rechtsverordnungen und Satzungen ermächtigen, können den Voraussetzungen des Gesetzesvorbehalts genügen, die wesentlichen Entscheidungen müssen aber durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst erfolgen. Das Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage bei Delegation einer Entscheidung auf den Verordnungsgeber aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden müssen, stellt insoweit eine notwendige Ergänzung und Konkretisierung des Gesetzesvorbehalts und des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dar. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG führt als eine Ausprägung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts den staatlichen Eingriff durch die Exekutive nachvollziehbar auf eine parlamentarische Willensäußerung zurück. Eine Ermächtigung darf daher nicht so unbestimmt sein, dass nicht mehr vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können.
24Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 2015 ‑ 2 BvR 1322/12 u. a. ‑, juris, Rn. 54 f., und Urteil vom 19. September 2018 ‑ 2 BvF 1/15 u. a. ‑, juris, Rn. 198 ff.
25Die Ermächtigungsnorm muss in ihrem Wortlaut nicht so genau wie irgend möglich gefasst sein; sie hat von Verfassungs wegen nur hinreichend bestimmt zu sein. Dazu genügt es, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Entstehungsgeschichte der Norm. Welche Anforderungen an das Maß der erforderlichen Bestimmtheit im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich daher nicht allgemein festlegen. Zum einen kommt es auf die Intensität der Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen an. Je schwerwiegender die grundrechtsrelevanten Auswirkungen für die von einer Rechtsverordnung potentiell Betroffenen sind, desto strengere Anforderungen gelten für das Maß der Bestimmtheit sowie für Inhalt und Zweck der erteilten Ermächtigung.
26Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18. Juli 2005 ‑ 2 BvF 2/01 ‑, juris, Rn. 276, und vom 21. September 2016 ‑ 2 BvL 1/15 ‑, juris, Rn. 55 f., jeweils m. w. N.
27Zum anderen hängen die Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Determinierung von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab, insbesondere davon, in welchem Umfang der zu regelnde Sachbereich einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist. Ist dies nicht der Fall, so kann es geboten sein, die nähere Ausgestaltung des zu regelnden Sachbereichs dem Verordnungsgeber zu überlassen, der die Regelungen rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermag als der Gesetzgeber. Bei vielgestaltigen, komplexen Lebenssachverhalten oder absehbaren Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse sind etwa geringere Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen als bei einfach gelagerten und klar vorhersehbaren Lebenssachverhalten. Dies ermöglicht sachgerechte, situationsbezogene Lösungen bei der Abgrenzung von Befugnissen des Gesetzgebers und der Exekutive.
28Vgl. BVerfG, Urteil vom 19. September 2018 ‑ 2 BvF 1/15 ‑, juris, Rn. 204, m. w. N.
29Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass die Rolle des Gesetzgebers durch Einfügen des § 28a IfSG im Vergleich zur alten Rechtslage in signifikantem Umfang gestärkt worden ist.
30Vgl. in diesem Sinne auch die Stellungnahmen der im Gesetzgebungsverfahren angehörten Sachverständigen Wollenschläger, S. 4, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/805844/09aa6cdba9932ca18a4a560e817817b1/19_14_0246-20-_ESV-Prof-Dr-Ferdinand-Wollenschlaeger-3-BevSchG-data.pdf, und Brenner, S. 3 ff., abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/805842/730992d71899fd11e76ee168d0c7fd0f/19_14_0246-19-_ESV-Dr-Michael-Brenner-3-BevSchG-data.pdf.
31So setzen sämtliche in § 28a IfSG genannte Maßnahmen voraus, dass der Deutsche Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 feststellt, deren Voraussetzungen in § 5 Abs. 1 Satz 4 normiert sind. Mit der Feststellung einer solchen Lage gehen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 5 IfSG Berichtspflichten der Bundesregierung an den Bundestag einher. Ferner ist der Auflistung möglicher Schutzmaßnahmen in § 28a Abs. 1 IfSG zu entnehmen, dass der Bundestag diese jedenfalls im Grundsatz als zulässige Maßnahmen billigt. Damit ist die potentielle inhaltliche Reichweite der zur Verfügung stehenden Maßnahmen und Instrumente durch den Gesetzgeber selbst abgesteckt und mit unmittelbarer demokratischer Legitimation durch das Parlament versehen. Auch hat der Gesetzgeber in § 28a Abs. 2 IfSG deutlich gemacht, welche Maßnahmen er als besonders eingriffsintensiv erachtet und deswegen an die strengere Voraussetzung knüpft, dass ohne diese Maßnahmen auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 erheblich gefährdet würde. Ferner ordnet er in § 28a Abs. 6 IfSG an, welche Belange bei der Entscheidung über Schutzmaßnahmen Berücksichtigung finden müssen, und räumt dem Verordnungsgeber die Möglichkeit ein, dass einzelne soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bereiche, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, von den Schutzmaßnahmen ausgenommen werden können, soweit ihre Einbeziehung zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nicht zwingend erforderlich ist.
32Zwar verbleibt dem Verordnungsgeber bei der Entscheidung über den Erlass von Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung auch weiterhin ein weiter Gestaltungsspielraum. Insbesondere sind die möglichen Maßnahmen – mit Ausnahme der in § 28a Abs. 2 IfSG genannten – außer an die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG nicht an weitere besondere oder nach ihrer Eingriffsintensität differenzierende Tatbestandsvoraussetzungen geknüpft. Die Auflistung in § 28a Abs. 1 IfSG lässt keine Bewertung oder ein Stufenverhältnis der möglichen Maßnahmen zueinander erkennen. Auch das Stufenmodell aus § 28a Abs. 3 IfSG gibt dem Verordnungsgeber keine konkreten Vorgaben hinsichtlich der Auswahl der Maßnahmen. Denn die in § 28a Abs. 1 IfSG gelisteten Maßnahmen lassen sich der nur abstrakt beschriebenen, vom Verordnungsgeber auszuwählenden Breite und Intensität der Maßnahmen (umfassende Schutzmaßnahmen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen, breit angelegte Schutzmaßnahmen, die eine schnelle Abschwächung des Infektionsgeschehens erwarten lassen, oder Schutzmaßnahmen, die eine Kontrolle des Infektionsgeschehens unterstützen) nicht klar zuordnen. Es ist aber auch in Rechnung zu stellen, dass es dem Bundesgesetzgeber angesichts der Dynamik des Infektionsgeschehens, das sich zudem je nach Örtlichkeit wesentlich unterscheiden kann, kaum möglich sein wird, mit einer abstrakt-generellen und auf Dauer angelegten Regelung vorausschauend alle Konstellationen und Entwicklungen zu regeln.
33Vgl. bereits OVG NRW, Beschluss vom 23. Juni 2020 ‑ 13 B 695/20.NE ‑, juris, Rn. 46.
34Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der dem Verordnungsgeber verbleibende Gestaltungsspielraum schnellere exekutive Reaktionsmöglichkeiten auf aktuelle Entwicklungen erlaubt, als dies in einem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren aufgrund der dort gebotenen Einhaltung nötiger Verfahrensschritte möglich wäre. Eine abschließende Klärung der sich hieraus ergebenden Fragestellungen ist im Rahmen eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund der bestehenden Eilbedürftigkeit nicht möglich und muss einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Entsprechendes gilt, soweit im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 durch die dort angehörten Sachverständigen teils weitere Einwände gegen die Neuregelung geltend gemacht worden sind.
35b) Die angegriffene Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO dürfte – auch soweit sie Fitnessstudios wie die der Antragstellerinnen erfasst, die (ausschließlich) EMS und Personal Training anbieten – von der Verordnungsermächtigung gedeckt sein . Der Deutsche Bundestag hat am 25. März 2020 aufgrund der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus in Deutschland eine epidemische Lage von nationaler Tragweite von unbestimmter Dauer festgestellt (vgl. Plenarprotokoll 19/154, S. 19169C), deren Fortbestehen er am 18. November 2020 bestätigt hat (vgl. Plenarprotokoll 19/191, S. 24109C). Das angegriffene Verbot des Freizeit- und Amateursportbetriebs in Fitnessstudios hält sich bei summarischer Prüfung auch im Übrigen an die gesetzlichen Vorgaben aus § 28a IfSG und verstößt voraussichtlich weder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (aa) noch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (bb).
36aa) Das Verbot des Freizeit- und Amateursportbetriebs in Fitnessstudios dient dem Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems (vgl. 28a Abs. 3 Satz 1 IfSG). Der Verordnungsgeber darf davon ausgehen, dass die Corona-Pandemie in der gegenwärtigen Situation eine ernstzunehmende Gefahrensituation begründet, die staatliches Einschreiten aus den genannten Zwecken nicht nur rechtfertigt, sondern mit Blick auf die Schutzpflicht des Staates für Leib und Gesundheit der Bevölkerung auch gebietet.
37Vgl. zu dieser Schutzpflicht BVerfG, Urteil vom 28. Januar 1992 - 1 BvR 1025/82 u.a. -, juris, Rn. 69, m. w. N.
38Zum Zeitpunkt des Erlasses der von den Antragstellerinnen zunächst angegangenen Coronaschutzverordnung vom 30. Oktober 2020 stiegen die Infektionszahlen exponentiell. Die 7-Tage-Inzidenz lag mit Stand vom 30. Oktober 2020 für ganz Deutschland bei einem Wert von 104,9, für Nordrhein-Westfalen noch darüber bei einem Wert von 140. Die berichteten R-Werte lagen seit Anfang Oktober stabil deutlich über 1. Die Erkrankungen älterer Menschen nahmen wieder zu, womit die Zahl an schweren Fällen und Todesfällen stieg. Allein innerhalb der letzten beiden Oktoberwochen hatte sich die Zahl der Intensivpatienten auf 1.839 verdoppelt.
39Vgl. Täglicher Lagebericht des Robert-Koch-Instituts zur Coronavirus-2019-Krankheit vom 30. Oktober 2020, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Okt_2020/2020-10-30-de.pdf?__blob=publicationFile.
40Die Krankenhäuser rechneten vor dem Hintergrund dieser Entwicklung schon bald mit einer Rekordzahl an Intensiv-Patienten. Nicht nur die Anzahl der zur Verfügung stehenden Intensivbetten (auch für nicht COVID-19-Patienten), sondern vor allem auch der Personal- bzw. Fachkräftemangel bereiteten erhebliche Sorgen.
41Vgl. https://www.ruhr24.de/nrw/corona-nrw-intensivstationen-krankenhaus-covid-19-patienten-intensivbetten-alarm-aerzte-90080033.html, Stand: 29. Oktober 2020, zuletzt abgerufen am 10. Dezember 2020.
42Angesichts dessen ist der Verordnungsgeber in rechtlich nicht zu beanstandender Weise von einem dringenden Handlungsbedarf ausgegangen. Dieser Handlungsbedarf ist in der Folgezeit in Übereinstimmung mit den Vorgaben in § 28a Abs. 3 IfSG auch nicht entfallen. Nach der Einschätzung des Robert-Koch-Instituts, der nach dem in den einschlägigen Regelungen im Infektionsschutzgesetz zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers im Bereich des Infektionsschutzes besonderes Gewicht zukommt,
43vgl. dazu Bay. VerfGH, Entscheidung vom 26. März 2020 - Vf. 6-VII-20-, juris, Rn. 16,
44ist die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland durch Sars-CoV-2 derzeit weiterhin sehr hoch. Die Infektionszahlen in Deutschland konnten nach einem sehr starken Anstieg im Oktober durch den sog. Teil-Lockdown ab dem 1. November 2020 zwar zunächst in ein Plateau überführt werden. Die Anzahl neuer Fälle blieb aber auf sehr hohem Niveau und steigt seit Anfang Dezember wieder stärker an. Ebenfalls stark angestiegen ist die Zahl der auf den Intensivstationen behandelten Personen und der Todesfälle. Das Infektionsgeschehen ist zurzeit diffus, in vielen Fällen kann das Infektionsumfeld nicht ermittelt werden.
45Vgl. Robert Koch-Institut, Risikobewertung zu COVID-19 vom 11. Dezember 2020, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html.
46Die Krankenhäuser warnen vor diesem Hintergrund vor Kapazitätsengpässen bzw. ‑überschreitungen. Erste Engpässe in einigen Kliniken wurden bereits Anfang November gemeldet.
47Vgl. https://www.ruhr24.de/nrw/intensivbetten-nrw-auslastung-aktuell-corona-krankenhaus-rki-divi-patienten-covid-19-klinikum-90090859.html, Stand 25. November 2020.
48Gegenwärtig befinden sich 40% mehr Covid-19-Intensivpatienten auf den Stationen als noch während der ersten Welle. In einzelnen Ländern wie z. B. Sachsen ist die Zahl der Intensivpatienten sogar fünfmal so hoch wie im April. Kliniken dort geraten an ihre Kapazitätsgrenzen oder haben diese bereits überschritten. Insbesondere der Personal- bzw. Fachkräftemangel bereitet erhebliche Sorgen.
49Vgl. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/119092/Mehr-COVID-19-Patienten-auf-Intensivstation (Stand 7. Dezember 2020); vgl. auch zur Auslastung der Intensivkapazitäten: Tagesreport DIVI Intensivregister, abrufbar unter https://diviexchange.blob.core.windows.net/%24web/DIVI_Intensivregister_Report.pdf.
50Auch für die nordrhein-westfälischen Krankenhäuser befürchtet die Krankenhausgesellschaft NRW inzwischen angesichts einer stark steigenden Auslastung mit schwer erkrankten COVID-19-Patienten eine Überlastung der Intensivstationen, wenn die Infektionszahlen nicht wieder deutlich sinken.
51Vgl. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/119212/Krankenhausgesellschaft-NRW-warnt-vor-Engpass-in-Kliniken, Stand 9. Dezember 2020.
52Ziel der Maßnahmen des Verordnungsgeber ist es, in dieser Situation durch eine allgemeine Reduzierung von Kontakten – nach der derzeitigen Rechtslage noch vor allem im Privaten und im Freizeit- und Unterhaltungsbereich bei gleichzeitiger Offenhaltung von Schulen und Kitas und weitgehender Schonung der Wirtschaft im Übrigen – das Infektionsgeschehen flächendeckend bis auf eine wieder nachverfolgbare Größe zu senken, um eine Überforderung des Gesundheitssystems zu vermeiden.
53Vgl. Begründung zur Coronaschutzverordnung vom 30. November 2020, abrufbar unter https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/document/2020-12-07_begruendung_coronaschvo_vom_30.11.2020.pdf, zuletzt abgerufen am 14. Dezember 2020.
54Zur Erreichung dieses Ziels dürfte die angefochtene Maßnahme geeignet (aaa), erforderlich (bbb) und angemessen sein (ccc). Ebenso wie für die Eignung einer Maßnahme kommt dem Gesetz- bzw. im Rahmen der Ermächtigung dem Verordnungsgeber für ihre Erforderlichkeit ein Beurteilungs- und Prognosespielraum zu.
55Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. September 2010 - 1 BvR 1789/10 -, juris, Rn. 21; BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 8 C 6.15 -, juris, Rn. 49.
56Diesen hat der Verordnungsgeber nicht erkennbar überschritten.
57aaa) Dass Maßnahmen zur Reduzierung von Kontakten im Privaten und im Freizeitbereich grundsätzlich geeignet sind, Infektionsrisiken zu reduzieren, ist angesichts des Hauptübertragungswegs, der respiratorischen Aufnahme virushaltiger Partikel, die beim Atmen, Husten, Sprechen, Singen oder Niesen entstehen, nicht zweifelhaft. Das Verbot von Freizeit- und Amateursport in Fitnessstudios – auch solchen, in denen ausschließlich Personal Training oder EMS-Training angeboten wird – trägt zur Kontaktreduzierung bei. Fitnessstudios sind Freizeiteinrichtungen in geschlossenen Räumlichkeiten, in denen Menschen zusammenkommen, um Sport zu treiben. Auch wenn bei einem Personal Training oder EMS-Training keine größere Anzahl wechselnder Personen gleichzeitig in geschlossenen Räumlichkeiten zusammentrifft, ändert dies nichts daran, dass es zu infektionsbegünstigenden Kontakten kommt.
58Vgl. bereits OVG NRW, Beschluss vom 24. April 2020 - 13 B 520/20.NE -, juris, Rn. 48 und 52.
59Wenn die Kunden bei ihren Übungen von Fachpersonal angeleitet werden, kommt es notwendigerweise zu einem sich häufig auch über einen längeren Zeitraum erstreckenden Kontakt zwischen diesen Personen. Dieser kann sich – z. B. bei einer Geräteeinweisung oder korrigierenden Hilfestellungen – auch im Nahbereich abspielen. Ferner ist davon auszugehen, dass das Fachpersonal über den Arbeitstag verteilt eine Vielzahl solcher Kontakte mit entsprechenden Ansteckungsrisiken hat. Hinzu kommt, dass aktive sportliche Betätigung grundsätzlich mit einer intensiveren Atmung einhergeht und deswegen vermehrt potentiell virushaltige Tröpfchen in die Luft abgegeben werden und sich dort ansammeln können. Das grundsätzliche Verbot des Freizeit- und Amateursports in geschlossenen Räumlichkeiten verhindert eine Übertragung des Coronavirus in diesen Lokalitäten. Auf diese Weise beugt es auch einem Eintrag der Infektion in das weitere berufliche und private Umfeld von Kunden und Personal vor.
60Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Betriebs ist zudem zu berücksichtigen, dass bereits die Öffnung von Sport- und Freizeiteinrichtungen für den Publikumsverkehr zwangsläufig zu weiteren Sozialkontakten führt, indem Menschen sich, um zu den entsprechenden Einrichtungen zu gelangen, in der Öffentlichkeit bewegen und dort etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln aufeinandertreffen. Nicht zuletzt auch dieser Effekt soll nach dem Willen des Verordnungsgebers mit den insgesamt ergriffenen Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung aus den oben beschriebenen Gründen deutlich reduziert werden.
61Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. November 2020 ‑ 13 B 1657/20.NE ‑, juris, Rn. 36.
62Soweit nach heutigem Stand absehbar ist, dass es weiterer Beschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens bedarf, um das Infektionsgeschehen nicht nur zu bremsen, sondern auf ein durch die Gesundheitsämter wieder kontrollierbares Maß zu senken, stellt dies nicht die Eignung der bereits ergriffenen Maßnahmen in Frage.
63bbb) Das Verbot dürfte auch erforderlich sein. Dem Verordnungsgeber wird voraussichtlich nicht vorgehalten werden können, sich nicht für ein anderes, die Berufsfreiheit der Antragstellerinnen weniger beeinträchtigendes Regelungsmodell entschieden zu haben. Die von ihr aufgeführten Infektionsschutzmaßnahmen (Hygienemaßnahmen, Kontrollen des Gesundheitszustands, Auskunftspflichten) stellen zwar mildere Mittel dar, die jedoch nicht ebenso wirksam sind wie das (zeitweise) Verbot. Verbleibende Infektionsrisiken durch das Aufeinandertreffen von Menschen beim Aufsuchen, dem Aufenthalt in den und dem Verlassen der Fitnessstudios werden durch diese Maßnahmen jedenfalls nicht verhindert.
64Vgl. OVG Bln.-Bbg., Beschluss vom 22. Mai 2020 ‑ OVG 11 S 41/20 -, juris, Rn. 32, m. w. N.
65Angesichts der Diffusität des Infektionsgeschehens und des Umstands, dass sich Infektionsketten größtenteils nicht mehr zurückverfolgen lassen,
66vgl. Täglicher Lagebericht des Robert-Koch-Instituts zur Coronavirus-2019-Krankheit vom 30. Oktober 2020, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Okt_2020/2020-10-30-de.pdf?__blob=publicationFile, sowie vom 14. Dezember 2020, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Dez_2020/2020-12-14-de.pdf?__blob=publicationFile,
67verfängt schließlich auch der Einwand, eine Schließung sei nicht erforderlich, weil sich Fitnessstudios nicht als Infektionstreiber erwiesen hätten, nicht. Im Übrigen zielt das vom Verordnungsgeber verfolgte Schutzkonzept auch nicht (vorrangig) auf die Schließung von in infektionsschutzrechtlicher Hinsicht konkret gefährlichen Bereichen, sondern auf die Reduzierung nicht zwingend erforderlicher persönlicher (Freizeit-)Kontakte. In diese Grundentscheidung fügt sich die streitige Regelung schlüssig ein.
68Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. November 2020 ‑ 13 B 1675/20.NE ‑, juris, Rn. 46.
69ccc) Das Verbot dürfte sich auch als angemessen erweisen. Angemessen, d. h. verhältnismäßig im engeren Sinne, ist eine freiheitseinschränkende Regelung, wenn das Maß der Belastung des Einzelnen noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen steht. Hierbei ist eine Abwägung zwischen den Gemeinwohlbelangen, deren Wahrnehmung der Eingriff in Grundrechte dient, und den Auswirkungen auf die Rechtsgüter der davon Betroffenen notwendig. Die Interessen des Gemeinwohls müssen umso gewichtiger sein, je empfindlicher der Einzelne in seiner Freiheit beeinträchtigt wird. Zugleich wird der Gemeinschaftsschutz umso dringlicher, je größer die Nachteile und Gefahren sind, die aus gänzlich freier Grundrechtsausübung erwachsen können.
70St. Rspr., vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 ‑ 2 BvR 2347/15 u. a. ‑, juris, Rn. 265, m. w. N.
71Davon ausgehend ist die fragliche Regelung bei vorläufiger Bewertung nicht zu beanstanden, weil die Schwere der damit erneut verbundenen Grundrechtseingriffe voraussichtlich noch nicht außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Verordnungszweck steht. Das Verbot von Freizeit- und Amateursport in Fitnessstudios greift in ganz erheblicher Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und gegebenenfalls auch das von der Eigentumsgarantie erfasste Recht des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs (Art. 14 Abs. 1 GG) der davon betroffenen Betreiber ein. Infolge der im Frühjahr verordneten Schließung und der nachfolgend angeordneten Infektionsschutzmaßnahmen dürften – trotz der staatlichen Unterstützungsmaßnahmen – viele Betriebe mit ganz erheblichen wirtschaftlichen Einbußen konfrontiert sein. Die Umsatzausfälle im November und Dezember sollen jedoch durch staatliche Unterstützungsmaßnahmen abgefedert werden. Gewährt wird eine (anteilige) Kostenpauschale in Höhe von bis zu 75 Prozent des Umsatzes von November bzw. Dezember 2019. Bei jungen Unternehmen, die nach November 2019 gegründet wurden, gelten die Umsätze von Oktober 2020 als Maßstab. Solo-Selbständige haben das Wahlrecht, als Bezugsrahmen für den Umsatz auch den durchschnittlichen Vorjahresumsatz 2019 zugrunde zu legen. Die Förderhöchstgrenzen ergeben sich aus den beihilferechtlichen Rahmenbedingungen. Anderweitige Hilfen für den Zeitraum wie beispielsweise Kurzarbeitergeld oder Überbrückungshilfe werden vom Erstattungsbetrag abgezogen.
72Vgl. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2020/11/20201127-stark-durch-die-Krise-dezemberhilfe-kommt.html, Stand 27. November 2020.
73Hinzu treten die Überbrückungshilfen II und III des Bundes. Die Überbrückungshilfe II ist ein branchenübergreifendes Zuschussprogramm mit einer Laufzeit von vier Monaten (September bis Dezember 2020), welches zum Ziel hat, Umsatzrückgänge während der Corona-Krise abzumildern. Die Förderung schließt nahtlos an die 1. Phase der Überbrückungshilfe mit dem Förderzeitraum Juni bis August 2020 an. Dabei werden die Zugangsbedingungen abgesenkt und die Förderung ausgeweitet. Das Hilfsprogramm unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen sowie Solo-Selbstständige und Freiberufler, die von den Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung besonders stark betroffen sind, mit nicht-rückzahlbaren Zuschüssen zu den betrieblichen Fixkosten. Je nach Höhe der betrieblichen Fixkosten können Unternehmen für die vier Monate bis zu 200.000 Euro an Förderung erhalten. Die Überbrückungshilfe II wird durch die Überbrückungshilfe III bis Juni 2021 verlängert.
74Vgl. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/M-O/massnahmenpaket-fuer-unternehmen-gegen-die-folgen-des-coronavirus.pdf?__blob=publicationFile&v=70; sowie zur Verlängerung als Überbrückungshilfe III: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Schlaglichter/Corona-Schutzschild/2020-10-29-neue-corona-hilfen.html.
75Von Seiten des Landes Nordrhein-Westfalen wurde das Bundesprogramm durch die NRW Überbrückungshilfe Plus ergänzt (1. Phase in den Fördermonaten Juni bis August 2020). Diese stellt zusätzliche Hilfen für Solo-Selbstständige, Freiberufler und im Unternehmen tätige Inhaber von Einzelunternehmen und Personengesellschaften mit höchstens 50 Mitarbeitern in Nordrhein-Westfalen bereit. Berechtigte erhielten danach eine einmalige Zahlung in Höhe von 1.000 Euro pro Monat für maximal drei Monate. Das Programm wird für eine Laufzeit von weiteren vier Monaten (September bis Dezember 2020) fortgesetzt.
76Vgl. Übersicht des Wirtschaftsministeriums über Überbrückungshilfe (2. Phase),
77https://www.wirtschaft.nrw/ueberbrueckungshilfe2.
78Auch angesichts dieser umfangreichen Hilfsmaßnahmen, die die Schwere der Eingriffe abmildern, dürften die mit der angefochtenen Regelung verbundenen Grundrechtseingriffe noch in einem vernünftigen Verhältnis zu dem mit der Regelung verfolgten Zweck stehen, ganz erhebliche Gefahren für Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen im Falle einer unkontrollierten Infektionsausbreitung zu verhindern.
79bb) Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dürfte ebenfalls nicht vorliegen. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln.
80Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 1 BvL 14/07 -, juris, Rn. 40.
81Er verwehrt ihm allerdings nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind.
82Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris, Rn. 64.
83Sachgründe können sich im vorliegenden Regelungszusammenhang aus dem infektionsrechtlichen Gefahrengrad der Tätigkeit, aber voraussichtlich auch aus ihrer Relevanz für das öffentliche Leben (etwa Schulen, Kitas, Bildungseinrichtungen, ÖPNV sowie die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen) ergeben.
84Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 14. Mai 2020 ‑ 13 MN 156/20 -, juris, Rn. 36.
85In Anwendung dieses Maßstabs drängt sich ein Gleichheitsverstoß des Verordnungsgebers nicht auf. Dieser durfte im Rahmen des von ihm verfolgten Regelungskonzepts voraussichtlich jedenfalls zunächst das gesellschaftliche Bedürfnis nach bestimmten, weiter zulässigen (Dienst-)Leistungen und der Öffnung des Einzelhandels ebenso wie die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der in Betracht kommenden Maßnahmen in seine Entscheidung einfließen lassen, weite Teile des öffentlichen Lebens, in denen ebenfalls Menschen in geschlossenen Räumlichkeiten zusammentreffen, nicht zu schließen. Ferner war er nicht gehalten, Fitnessstudios, in denen aufgrund der Art ihrer Trainingsangebote nur wenig Publikumsverkehr stattfindet, anders zu behandeln als "normale" Fitnessstudios. Denn auch der Betrieb dieser Studios begründet – wie oben dargelegt – Infektionsrisiken.
862. Die angesichts der offenen Erfolgsaussichten anzustellende Folgenabwägung ergibt, dass die von den Antragstellerinnen dargelegten wirtschaftlichen Einbußen unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit des angefochtenen Verbots hinter dem Schutz von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen zurücktreten müssen. Angesichts der steigenden Zahl der Neuinfektionen und der vor diesem Hintergrund konkret zu befürchtenden Überlastung der (intensiv)medizinischen Behandlungskapazitäten fallen die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm schwerer ins Gewicht als die durch die vorbeschriebenen Hilfsprogramme abgemilderten wirtschaftlichen Folgen ihres einstweilig weiteren Vollzugs.
87Vgl. zu dieser Abwägung auch VerfGH NRW, Beschluss vom 23. November 2020 ‑ VerfGH 179/20.VB-1 ‑, juris, Rn. 41 ff. “
88An diesen Erwägungen hält der Senat für die entsprechende Vorschrift in der aktuell geltenden Coronaschutzverordnung nach nochmaliger Prüfung unter Berücksichtigung der derzeitigen Infektionslage und des Vorbringens der Antragstellerin fest.
89Entgegen der Auffassung der Antragstellerin bestehen – wie bereits in der oben zitierten Entscheidung dargelegt – keine offensichtlich durchgreifenden Bedenken dagegen, dass die in Bezug genommene Verordnungsermächtigung den Vorgaben der Wesentlichkeitsdoktrin und den aus Art. 80 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Bestimmtheitsanforderungen genügt. Das Antragsvorbringen rechtfertigt insoweit keine andere Einschätzung. Dies gilt auch für den Einwand, die Regelungen in § 28a Abs. 3 Satz 2 und 9 IfSG stellten einen verfassungswidrigen Eingriff in die Vollzugskompetenz der Länder dar, zumal nicht erkennbar ist, was daraus für die Frage der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verordnung folgen sollte.
90Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass § 28a IfSG – wie die Antragstellerin meint – gegen das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt, weil in dieser Vorschrift die Grundrechte der Freiheit der Person, der Freizügigkeit, der Versammlungsfreiheit und der Unverletzlichkeit der Wohnung nicht genannt sind. § 28 Abs. 1 IfSG bestimmt, dass notwendige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten zu treffen sind. Dieser verweist in § 28 Abs. 1 Satz 3 IfSG darauf, dass die von der Antragstellerin genannten Grundrechte insoweit eingeschränkt werden. § 28a Abs. 1 IfSG konkretisiert durch die Auflistung möglicher Schutzmaßnahmen nach der Art von Regelbeispielen insoweit lediglich § 28 IfSG.
91Der Vortrag der Antragstellerin lässt auch nicht den Schluss darauf zu, dass die streitgegenständliche Regelung kein geeignetes Mittel zur Pandemiebekämpfung darstellt. Für die Geeignetheit der Beschränkungen der Sportausübung auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen (mit bestimmten Ausnahmen für solche unter freiem Himmel) zur Eindämmung der Pandemie zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht erforderlich, dass es sich bei diesen Aktivitäten um „Treiber der Pandemie“ handelt. Denn der Verordnungsgeber ist in seinen Maßnahmen nicht darauf beschränkt, nur Aktivitäten zu untersagen, die in der Vergangenheit bereits als typische „Treiber der Pandemie“ identifiziert wurden.
92Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2021 ‑ 13 B 252/21.NE ‑, juris, Rn. 40 ff., m. w. N.
93Das Infektionsgeschehen ist im Moment dadurch gekennzeichnet, dass es nicht nur durch solche besonderen „Treiber der Pandemie“ aufrechterhalten bzw. verstärkt wird, sondern es findet eine diffuse Ausbreitung von Infektionen in der Bevölkerung statt, ohne dass Infektionsketten eindeutig nachvollziehbar sind (sog. community transmission).
94Vgl. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Stand 11. April 2021, S. 1 und 2, abrufbar unter
95https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Apr_2021/2021-04-11-de.pdf?__blob=publicationFile.
96Im Hinblick darauf ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass der Verordnungsgeber nach wie vor bezweckt, die Pandemie durch eine allgemeine Reduzierung von Kontakten einzudämmen.
97Vgl. Konsolidierte Begründung zur Coronaschutzverordnung vom 5. März 2021, S. 2 f., abrufbar unter https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/document/210327_begruendung_coronaschvo_konsolidierte_fassung_stand_23.03.2021.pdf.
98Dass Fitnessstudios vom Infektionsgeschehen indes ausgenommen sind, ergibt sich aus der von der Antragstellerin zitierten Studie der Universidad Rey Juan Carlos und der Sheffield Hallam University nicht. Etwas anderes kann die Antragstellerin auch nicht durch den Verweis darauf belegen, dass die Infektionszahlen ungeachtet des Anfang November 2020 erlassenen Verbots des Freizeit- und Amateursports in Fitnessstudios weiter angestiegen sind. Denn durch den sog. Teil-Lockdown Anfang November 2020 konnte das exponentielle Wachstum zunächst gestoppt werden und die Zahlen stabilisierten sich auf hohem Niveau, Anfang Dezember kam es dann wieder zu einem deutlichen Anstieg.
99Vgl. dazu z. B. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 14. Dezember 2021, S. 2, abrufbar unter
100https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Dez_2020/2020-12-14-de.pdf?__blob=publicationFile.
101Dies zeigt, dass die zunächst ergriffenen Maßnahmen durchaus Wirkung gezeigt haben, nur für sich genommen nicht ausreichten, um das Infektionsgeschehen zu kontrollieren. Auch mit ihrem Hinweis, dass nach dem sog. Lockdown im Frühjahr 2020, als Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland die Fitnessstudios im Mai geöffnet hat, binnen eines Monats lediglich eine leichte Erhöhung der Infiziertenzahlen zu bemerken war, kann die Antragstellerin nicht belegen, dass der Betrieb von Fitnessstudios keinen Einfluss auf das Infektionsgeschehen hat. Denn durch den vorhergehenden sog. Lockdown zirkulierte das Virus nicht in einem Maße wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Die Antragstellerin hat auch nicht aufgezeigt, dass die streitgegenständliche Maßnahme ungeeignet ist, Angehörige von vulnerablen Gruppe vor Infektionen zu schützen. Es kommt dabei nicht darauf an, ob diese potentiell Fitnessstudios besuchen. Denn wenn Infektionsschutzmaßnahmen die Viruszirkulation insgesamt eindämmen, sinkt auch das Risiko von Angehörigen vulnerabler Gruppen, sich mit dem SARS-CoV-2-Virus anzustecken.
102Vgl. näher dazu, dass ein gezielter Schutz von Risikogruppen Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens nicht ersetzen kann: OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2021 - 13 B 252/21.NE -, juris, Rn. 57 f.
103Soweit die Antragstellerin kritisiert, der Antragsgegner habe es versäumt, rechtzeitig alternative Maßnahmen zu ergreifen wie z. B. ausreichend Impfstoff und Schnelltests zu beschaffen und eine entsprechende Infrastruktur auszubauen, zeigt sie ebenfalls nicht auf, dass die streitgegenständliche Maßnahme nicht erforderlich ist. Zum einen können etwaige Versäumnisse in der Vergangenheit den Verordnungsgeber nicht dazu zwingen, auf aktuell gebotene Maßnahmen zu verzichten.
104Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2021 - 13 B 252/21.NE -, juris, Rn. 53 f., m. w. N.
105Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass z. B. eine frühere Verfügbarkeit von Schnelltests andere Maßnahmen entbehrlich gemacht hätte. Die von der Antragstellerin angeführte Situation in Tübingen, wo frühzeitig Schnelltests in der Breite angeboten wurden, kann dies nicht belegen. Derzeit (Stand 11. April 2021) liegt die 7-Tages-Inzidenz im Landkreis Tübingen bei 118,1.
106Vgl. https://www.kreis-tuebingen.de/17094149.html.
107Die von der Antragstellerin aufgezeigten milderen Mittel (Anordnung von Höchstbelegungen, Verbot von Gruppentraining, Schließung nur einzelner Bereiche, Einsatz von Luftfiltern, Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit durch Check-in Systeme) sind sämtlich zur Pandemiebekämpfung nicht gleichermaßen effektiv wie die Untersagung von Freizeit- und Amateursport in Fitnessstudios. Verbleibende Infektionsrisiken insbesondere beim längeren gemeinsamen Aufenthalt von Trainer und Kunde im Trainingsbereich werden durch diese Maßnahmen jedenfalls nicht verhindert.
108Auch wenn Fitnessstudios seit nunmehr mehr als fünf Monaten ihren Betrieb einstellen mussten, ist das Verbot des Freizeit- und Amateursports in Fitnessstudios voraussichtlich noch angemessen. Denn aufgrund einer wieder stark ausgeprägten Viruszirkulation – auch der Virusvariante B.1.1.7 – ist ein exponentieller Anstieg von Infektionen mit entsprechenden Gefahren für Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen zu befürchten. Derzeit liegt die 7-Tages-Inzidenz in Nordrhein-Westfalen bei 125. Diese war seit Mitte Februar wieder stark angestiegen, wobei sich der Anstieg seit Mitte März beschleunigt hatte.
109Vgl. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019, Stand 11. April 2021, S. 2 und 4, abrufbar unter
110https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Apr_2021/2021-04-11-de.pdf?__blob=publicationFile.
111Diese stellt nach dem Willen des Gesetzgebers – wie § 28a Abs. 3 IfSG klarstellt – eine wesentliche Grundlage zur Einschätzung der Risikolage dar. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass die Zahl der Infektionen maßgeblich auf der Grundlage sog. PCR-Tests ermittelt wird, die nicht zwingend auch eine Aussage über die aktuelle Infektiosität des Getesteten im Zeitpunkt der Testung erlauben. Denn die Ergebnisse von PCR-Tests lassen unabhängig von dieser Frage auch so Rückschlüsse darauf zu, wie weit sich das SARS-CoV-2-Virus verbreitet hat und in welchem Umfang Neuinfektionen drohen.
112Vgl. Bay. VerfGH, Entscheidung vom 30. Dezember 2020 - Vf. 96-VII-20 -, juris, Rn. 28.
113Dem steht weder entgegen, dass naturgemäß mittels PCR-Tests nicht alle erfolgten Infektionen ermittelt werden können, sondern es eine Dunkelziffer von nicht ermittelten infizierten Personen gibt, noch, dass aktuell private Testungen ausgeweitet werden.
114Auch die Fallzahlen auf den Intensivstationen steigen seit Mitte März bundesweit wieder deutlich.
115Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Stand 11. April 2021, S. 2 und 4, abrufbar unter
116https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Apr_2021/2021-04-11-de.pdf?__blob=publicationFile.
117Diese Entwicklung zeigt sich auch in Nordrhein-Westfalen.
118Vgl. zu der Anzahl gemeldeter intensivmedizinisch behandelter COVID-19 Fälle in Nordrhein-Westfalen: DIVI-Intensivregister, abrufbar unter
119https://www.intensivregister.de/#/aktuelle-lage/zeitreihen.
120Intensivmediziner haben bereits Anfang März in einem Simulationsmodell vor Öffnungsschritten vor Anfang April, die zu einem R-Wert von über 1 führen, gewarnt und rechnen in einem solchen Fall mit einer erneuten Spitzenauslastung der Intensivkapazitäten.
121Vgl. DIVI Prognosemodell (Stand 3. März 2021), abrufbar unter
122https://www.divi.de/register/divi-prognosemodell.
123Diese Warnung haben sie in einer aktuellen Meldung (Stand 9. April 2021) nochmals bekräftigt. Sie gehen davon aus, dass in zwei Wochen mehr Patienten intensivmedizinisch behandelt werden müssen als auf der Spitze der zweiten Welle Ende Dezember/Anfang Januar. Insbesondere rund um Großstädte und Ballungsräume seien kaum noch Betten verfügbar, in Köln und Düsseldorf seien z. B. nur noch unter zehn Prozent der Intensivbetten frei.
124Vgl. „Mehr Patienten und weniger Betten. Die Zeit drängt. “, abrufbar unter
125https://www.divi.de/aktuelle-meldungen-intensivmedizin.
126Die Situation birgt dabei insgesamt größere Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung als bei einer Influenzawelle.
127Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 2021 ‑ 13 B 1782/20.NE -, juris, Rn. 64 ff.
128Da die Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung damit kein fernliegen-des Risiko, sondern konkret und alltäglich sind, müssen die Rechte der Betreiber von sog. EMS-Fitnessstudios bei einer Abwägung im Ergebnis hinter den Gesundheitsschutz der Bevölkerung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) derzeit zurücktreten. Dabei fällt auch nicht ausschlaggebend ins Gewicht, dass sportliche Betätigung selbst einen Wert für die physische und psychische Gesundheit hat. Das hier angegriffene Verbot schließt nicht jede sportliche Betätigung aus. Insbesondere Sport im Freien ist in vielerlei Ausprägung möglich.
129Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme setzt im Übrigen voraussichtlich jedenfalls nicht offensichtlich voraus, dass sämtliche oder ein weit überwiegender Teil der von Betreibern erlittenen finanziellen Einbußen durch staatliche Leistungen kompensiert werden.
130Vgl. zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2021 ‑ 13 B 252/21.NE ‑, juris, Rn. 80 f., m. w. N.
131Gewisse Leistungen dürfte die Antragstellerin voraussichtlich auch erhalten können. Im Rahmen der Überbrückungshilfe III werden z. B. bei Umsatzeinbußen pro Monat von mindestens 30% Zuschüsse zu Fixkosten geleistet.
132Vgl. https://www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de/UBH/Redaktion/DE/Artikel/ueberbrueckungshilfe-iii.html.
133Auch besteht die Möglichkeit Personalkosten durch eine Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld zu reduzieren.
134Die Antragstellerin hat auch einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht mit dem Verweis darauf aufgezeigt, dass sowohl Friseure als auch andere Anbieter körpernaher Dienstleistungen (u. a. Kosmetik, Fußpflege, Tätowierungen, Massage) ihre Leistungen derzeit unter den Maßgaben des § 12 Abs. 2 CoronaSchVO wieder anbieten dürfen. Die besonderen Umstände bei der Bekämpfung der SARS-CoV-2-Pandemie sprechen dafür, den Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers bei der Entscheidung über Infektionsschutzmaßnahmen auch unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht zu sehr zu begrenzen. Der Verordnungsgeber befindet sich in einer komplexen Entscheidungssituation, in der eine Vielzahl von Belangen infektionsschutzrechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art zu berücksichtigen und abzuwägen ist und in der er zwangsläufig nur mit Prognosen dazu arbeiten kann, welchen Einfluss Infektionsschutzmaßnahmen oder die Lockerung solcher Maßnahmen auf die genannten Bereiche haben werden. Bei der Entscheidung über Lockerungen nach einem sog. Lockdown gebietet es ferner der dem Verordnungsgeber überantwortete Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems, den durch den Lockdown erzielten Erfolg bei der Eindämmung der Pandemie nicht dadurch zunichte zu machen, dass sämtliche Infektionsschutzmaßnahmen zum gleichen Zeitpunkt aufgehoben werden und das Infektionsgeschehen mit den damit verbundenen Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung wieder uneingeschränkt Fahrt aufnehmen kann. Jedenfalls in einer Situation mit einem nach wie vor ausgeprägten Infektionsgeschehen dürfte der Verordnungsgeber seinem Schutzauftrag voraussichtlich nur gerecht werden, wenn Lockerungen schrittweise unter genauer Beobachtung ihrer Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen erfolgen. Vor diesem Hintergrund dürfte es sich im Ergebnis verbieten, die vom Verordnungsgeber vorgenommenen Differenzierungen an einem engen Verhältnismäßigkeitsmaßstab zu messen. Hier bestünde die Gefahr, dass der Verordnungsgeber auf das Infektionsgeschehen nicht in adäquater Weise reagieren kann, weil bestimmte Lockerungen aus Gleichheitsgesichtspunkten zwangsläufig weitere umfassende Lockerungen nach sich zögen, die in ihrer Gesamtheit eine Kontrolle des Infektionsgeschehens unmöglich machten oder jedenfalls wesentlich erschwerten. Umgekehrt heißt dies jedoch nicht, dass der Verordnungsgeber bei der Entscheidung der Reihenfolge der Lockerungen völlig frei ist. Auch bei der Pandemiebekämpfung endet der Spielraum des Normgebers jedenfalls dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt. Dieser einleuchtende Grund muss jedoch nicht zwingend infektionsschutzrechtlicher Art sein.
135Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2021 - 13 B 252/21.NE -, juris, Rn. 85 ff.
136In Anwendung dessen drängt sich ein Gleichheitsverstoß des Verordnungsgebers nicht auf. Der Verordnungsgeber dürfte aus Rechtsgründen voraussichtlich nicht gehalten gewesen sein, die Einschränkungen bei der Ausübung von Sport in Fitnessstudios bereits zum gleichen Zeitpunkt zu lockern wie im Bereich der körpernahen Dienstleistungen. Es spricht Überwiegendes dafür, dass er neben infektionsschutzrechtlichen Implikationen entsprechender Öffnungen auch das Bedürfnis nach bestimmten, nunmehr wieder zulässigen (Dienst-)Leistungen in seine Entscheidung einfließen lassen durfte,
137vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Dezember 2020 - 13 B 1787/20.NE -, juris, Rn. 124, und vom 30. November 2020 - 13 B 1675/20.NE -, juris, Rn. 68,
138und im Sportbereich die Lockerungen zulässigerweise zunächst nur für sportliche Aktivitäten im Freien vorsehen darf. Erfolglos bleibt schließlich auch der Hinweis der Antragstellerin darauf, in Niedersachsen sei der Betrieb von sog. EMS-Studios erlaubt. Unterschiedliche Regelungen im Verhältnis der Länder untereinander verletzen den Gleichheitssatz grundsätzlich nicht, da Art. 3 Abs. 1 GG nur die Gleichbehandlung im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Gesetz- bzw. Verordnungsgebers fordert.
139Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 26. März 2021 ‑ 13 B 127/21.NE -, juris, Rn. 69 f., und vom 30. November 2020 - 13 B 1675/20.NE -, juris, Rn. 68 f., m. w. N.
140Auch die ergänzend vorzunehmende Folgenabwägung geht zu Lasten der Antragstellerin aus. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass die für die Antragstellerin mit dem weiteren Vollzug der Vorschrift verbundenen finanziellen Einbußen schwerwiegend sind. Angesichts der deutlich steigenden Zahl der Neuinfektionen und der steigenden Belastung der Intensivkapazitäten fallen die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm dennoch schwerer ins Gewicht als die Folgen ihres einstweiligen weiteren Vollzugs für die Antragstellerin.
141II. Schon aus den vorstehenden Gründen kommt schließlich auch die hilfsweise begehrte vorläufige Aussetzung des Vollzugs von § 9 Abs. 1 CoronaSchVO, soweit darin der Betrieb von EMS-Studios auch unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen für untersagt wird, nicht in Betracht.
142Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Der Antrag zielt inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, sodass eine Reduzierung des Auffangstreitwerts für das Eilverfahren nicht veranlasst ist.
143Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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