Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 15 A 149/20
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 1.442,52 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die mit dem Zulassungsbegehren vorgebrachten, für die Prüfung maßgeblichen Einwände (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) begründen weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (dazu unter 1.) noch besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (dazu unter 2.).
31. Ernstliche Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt. Das ist unter Berücksichtigung der mit der Zulassungsschrift vorgebrachten Rügen nicht der Fall.
4Die Klägerin wendet gegen das erstinstanzliche Urteil ein, der streitgegenständlichen Grünanlage fehle es an der städtebaulichen Notwendigkeit im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 4 BauGB [dazu a)]; darüber hinaus diene sie nicht der Erschließung ihres Grundstücks [dazu b)]. Außerdem sei der Beitragsanspruch im Zeitpunkt seiner Erhebung bereits verjährt gewesen [dazu c)]. Diese Einwände greifen nicht durch.
5a) Gemäß § 127 Abs. 2 Nr. 4 BauGB sind Grünanlagen u. a. beitragsfähig, soweit sie nach städtebaulichen Grundsätzen innerhalb der Baugebiete zu deren Erschließung notwendig sind. Damit ist indes nicht gemeint, dass die Anlage unerlässlich sein muss. Der Gesetzgeber geht vielmehr davon aus, dass die Anlegung ausreichender Grünanlagen zur Aufrechterhaltung der Gesundheit der Einwohnerinnen und Einwohner einer Gemeinde notwendig ist. Grünanlagen dienen nicht nur oder gar in erster Linie der Auflockerung eines Baugebiets in optischer Hinsicht, sondern vornehmlich der physischen und psychischen Erholung der Menschen durch Luftverbesserung, Lärmschutz und Aufenthalt im Freien. Grünanlagen gehören daher nach heutigem Verständnis zu einer ordnungsgemäßen Erschließung.
6Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Oktober 1970 - IV C 72.69 -, juris Rn. 11, und vom 10. Mai 1985 - 8 C 17-20.84 -, juris Rn. 15.
7Die Notwendigkeit von Grünanlagen beurteilt sich danach, ob die Herstellung dieser Anlagen für die ihnen jeweils zuzurechnenden Baugebiete als nach städtebaulichen Grundsätzen angemessene Lösung erscheint.
8Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 1988 - 8 C 71.87 -, juris Rn. 13.
9Demnach kommt einer Grünanlage grundsätzlich die Eigenschaft der Notwendigkeit für die Erschließung in einem Baugebiet zu, es sei denn, dass besondere Umstände vorliegen, die den Sondervorteil für die von ihr erschlossenen Grundstücke, der mit der Beitragserhebung abgegolten werden soll, wieder entfallen lassen.
10Vgl. etwa Bad.-Württ. VGH, Urteil vom 13. Oktober 1994 - 2 S 2142/93 -, juris Rn. 16.
11Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend ausgeführt, dass ein solcher, den Sondervorteil beseitigender Sachverhalt nicht deshalb vorliegt, weil innerhalb bzw. in der Nähe des Baugebiets anderweitige Flächen vorhanden sind, denen eine ausreichende Erholungsfunktion für die Anwohnerinnen und Anwohner zukommt. Die Notwendigkeit einer Grünanlage nach § 127 Abs. 2 Nr. 4 BauGB entfällt wegen solcher anderweitiger Flächen - aufgrund ihrer spezifischen Funktion - nur dann, wenn bereits genügend andere Grünanlagen in erreichbarer Nähe vorhanden sind oder wenn sich in dem von ihr erschlossenen Gebiet nur Einfamilienhäuser mit Gärten befinden, die eine ausreichende Erholung garantieren. Die Notwendigkeit einer Grünanlage ist dagegen in einem Gebiet mit offener Bauweise und Gärten anzuerkennen, wenn dort auch Mieterinnen und Mieter wohnen, für welche die Benutzung der vorhandenen Gärten nicht sichergestellt ist.
12Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 1975 - IV C37.73 -, juris Rn. 7.
13Ausgehend davon wird mit der Zulassungsschrift nicht ernstlich in Zweifel gezogen, dass der streitgegenständlichen Grünanlage eine hinreichende „Gartenersatzfunktion“ zukommt. Das Verwaltungsgericht hat bezüglich der verschiedenen Naturflächen der Umgebung (Wald, Felder mit Spazierwegen, im Naturschutzgebiet gelegene Flächen etc.) im Einzelnen dargelegt, warum diese die der Grünanlage zukommende Funktion nicht in gleicher Weise erfüllen. Konkrete Einwendungen dagegen hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Im Übrigen geht auch das Sächsische Oberverwaltungsgericht in der von ihr in diesem Zusammenhang herangezogenen Entscheidung vom 24. Juli 2012 - 5 A 137/10 - davon aus, dass in dem entschiedenen Fall den vorhandenen Außenbereichsflächen nur eine eingeschränkte Erholungsfunktion zukomme, und diese deshalb die Notwendigkeit einer Grünanlage nicht entfallen ließen.
14Siehe Sächs. OVG, Beschluss vom 24. Juli 2012- 5 A 137/10 -, juris Rn. 9.
15Ferner wird die Notwendigkeit der abgerechneten Grünanlage auch nicht durch die Bebauungsweise des erschlossenen Gebiets infrage gestellt. Dort befinden sich nach den - von der Zulassungsschrift nicht in Zweifel gezogenen - Feststellungen des Verwaltungsgerichts auch Mehrfamilienhäuser, bei denen nicht von einer rechtlich gesicherten Gartennutzungsmöglichkeit aller Mieterinnen und Mieter - insbesondere der in den oberen Geschossen wohnenden - ausgegangen werden könne.
16Darüber hinaus gewährleisten Gärten auf kleinen, sog. Handtuchgrundstücken bei Reihenhäusern in der Regel keine Anlegung von privaten Grünflächen, die mit Blick auf ihre Erholungsfunktion mit einer öffentlichen Grünanlage vergleichbar sind.
17Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 5. November 2008 - 6 B 06.1147 -, juris Rn. 31.
18Solche sehr kleinen Grundstücke sind die für die physische und psychische Erholung nur bedingt geeignet. Denn diese setzt grundsätzlich eine großzügigere Bewegungsfreiheit sowie die Möglichkeit eines Naturgenusses voraus, die ihrerseits mit einer gewissen Weiträumigkeit der Grünfläche verbunden ist.
19Vgl. - in Bezug auf ein Kleingartengelände - BVerwG, Urteil vom 13. August 1993 - 8 C 47.91 -, juris Rn. 15.
20Auch eine solche Reihenhausbebauung mit nur kleinen verbleibenden Handtuchgrundstücken ist im erschlossenen Gebiet in relevantem Ausmaß vorhanden, etwa auf den Flurstücken 000 bis 000, 000 bis 000 und 000 bis 000.
21Ausgehend von den dargelegten Maßstäben entfällt die Notwendigkeit der Grünanlage entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht deshalb, weil sie ausweislich der Begründung des Bebauungsplans Nr. 416 für die Erschließung der im Plangebiet belegenen Grundstücke bestimmt ist. Die Notwendigkeit im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 4 BauGB ist für das betreffende Baugebiet zu beurteilen, das nicht identisch mit dem Plangebiet sein muss, in dem die Grünanlage belegen ist. Dementsprechend ist nicht zwischen den einzelnen Beitragspflichtigen danach zu differenzieren, ob deren Grundstücke im räumlichen Geltungsbereich eines bestimmten Bebauungsplans liegen oder über einen eigenen Garten verfügen.
22b) Die Richtigkeit des angefochtenen Urteils unterliegt auch nicht insoweit ernstlichen Richtigkeitszweifeln, als darin angenommen wird, das Grundstück der Klägerin werde durch die Grünanlage erschlossen.
23Erschlossen werden von Grünanlagen solche Grundstücke, die von der Grünanlage bis zu etwa 200 Meter Luftlinie entfernt liegen.
24Vgl. BVerwG Urteile vom 10. Mai 1985 - 8 C 17- 20.84 -, juris Rn. 19, und vom 9. Dezember 1994- 8 C 6.93 -, juris Rn. 14.
25Die auf dieser Grundlage gebildete Grenze des Abrechnungsgebiets kann (nur) bei Vorliegen besonderer Gründe [z. B. einheitlicher Baukomplex, verkehrsreiche Straße, besondere topographische Verhältnisse, einleuchtende („abgerundete“) Abgrenzung des Abrechnungsgebiets] in gewissem Umfang über- oder unterschritten werden.
26Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Mai 1985 - 8 C17-20.84 -, juris, Rn. 19.
27Das von der Klägerin auch in diesem Zusammenhang angeführte Vorhandensein eines eigenen Gartens ist für das Erschlossensein des einzelnen Grundstücks danach unerheblich. Grundlage der Erschließung nach § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Anlage. Diese ist sowohl unabhängig von der tatsächlichen Nutzung als auch von der Belegenheit des klägerischen Grundstücks im Geltungsbereich des Bebauungsplans, dessen Aufstellung Anlass für die Errichtung der Grünanlage war. Im Übrigen ist das Vorhandensein eines eigenen Hausgartens jedenfalls nicht anders zu beurteilen als die Mehrfacherschließung eines Grundstücks durch zwei selbständige Grünanlagen. Für diesen Fall ist höchstrichterlich entschieden, dass das Grundstück an dem Kostenaufwand für beide Grünanlagen zu beteiligen ist.
28Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1994 - 8 C 28.92 -, juris Rn. 26 f.
29Soweit die Klägerin darüber hinaus die Belegenheit ihres Grundstücks außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans Nr. 416 anführt, ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Frage der Erschließung des einzelnen Grundstücks allgemein anhand der von der Rechtsprechung zu § 131 Abs. 1 BauGB entwickelten Kriterien und unabhängig von Zielen, Festlegungen und Begründung des Bebauungsplans zu beurteilen sei. Damit setzt sich die Zulassungsbegründung nicht auseinander.
30c) Ernstliche Richtigkeitszweifel hat die Klägerin schließlich nicht dargelegt, soweit das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, der erhobene Beitragsanspruch sei noch nicht verjährt gewesen. Das angegriffene Urteil legt ausführlich und unter Bezugnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung dar, dass die endgültige Herstellung der Anlage erst mit der im Jahr 2013 abgeschlossenen Erweiterung des Spielplatzes „X. “ erfolgt sei. Zwar sei die Fertigstellung nach dem ursprünglichen Bauprogramm noch im Jahr 2012 erfolgt. Das Bauprogramm könne aber solange geändert werden, wie die Anlage insgesamt noch nicht dem für sie aufgestellten Bauprogramm entspreche. Die Entscheidung für die Erweiterung des Spielplatzes und die damit bewirkte Änderung des Bauprogramms sei am 15. Oktober 2012 erfolgt; die Errichtung in Entsprechung zum ursprünglichen Bauprogramm sei erst später, am 12. November 2012, abgeschlossen gewesen. Mit diesen umfassenden Darlegungen setzt sich die Zulassungsbegründung nicht auseinander.
312. Die Berufung ist auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Angriffe der Klägerin gegen die Tatsachenfeststellungen oder die rechtlichen Würdigungen, auf denen das angefochtene Urteil beruht, begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gäben, die sich nicht ohne Weiteres im Zulassungsverfahren klären ließen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern würden. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Dass der Ausgang des Rechtsstreits in dem vorgenannten Sinn offen ist, lässt sich auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens aus den unter 1. genannten Gründen nicht feststellen.
32Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
33Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
34Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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Referenzen
- 2 S 2142/93 1x (nicht zugeordnet)
- 5 A 137/10 2x (nicht zugeordnet)