Anerkenntnisurteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 3217/20.A
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens zu je 1/2; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1
G r ü n d e
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen des allein geltend gemachten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zuzulassen.
3Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der Rechts- bzw. Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.
4Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2020– 1 A 1854/19.A –, juris, Rn. 3 f., m. w. N.
5Eine Grundsatzrüge, die sich auf tatsächliche Verhältnisse stützt, erfordert überdies die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.
6Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2020– 1 A 1854/19.A –, juris, Rn. 5.
7Es ist nicht Aufgabe des Senats, (neue) Erkenntnisse einzuholen, um die für den Kläger günstigen Gesichtspunkte zusammenzutragen.
8Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Dezember 2020– 1 A 1008/20.A –, juris, Rn. 4 und 11, m. w. N.
9Gemessen hieran rechtfertigen die von den Klägerinnen für grundsätzlich bedeutsam erachteten sinngemäßen Fragen,
10ob alleinstehenden unverheirateten Frauen, die entgegen der Familienpolitik Chinas ein außereheliches Kind geboren haben, zu einer sozialen Gruppe gehören und bei der Rückkehr nach China politische Verfolgung zu befürchten haben
11und
12ob außerehelich geborene Kinder durch die Erschwerung der Hukou-Registrierung rechtlos gestellt sind,
13nicht die Zulassung der Berufung. Beide Fragen betreffen die tatsächlichen Verhältnisse (hierzu 1.). Die Klägerinnen haben es versäumt, diese Fragen durch die Vorlage geeigneter Erkenntnisquellen zu substantiieren (hierzu 2.).
141. Beide Fragen stützen sich zunächst auf tatsächliche Verhältnisse. Zwar zielt die erste Frage ihrer Formulierung nach auf eine (rechtliche) Auslegung der Begriffe „soziale Gruppe“ und „politische Verfolgung“. In der Sache stützt sich die Frage jedoch auf die tatsächliche Frage, ob alleinstehenden, unverheirateten Frauen, die ein uneheliches Kind geboren haben, bei der Rückkehr nach China asylrelevante Maßnahmen (Zwangssterilisation, Bußgeldzahlungen, zwangsweise Trennung von Mutter und Kind, Zwangsadoption) drohen.
152. Die Klägerinnen haben nicht unter Benennung entsprechender Erkenntnisquellen dargelegt, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass entgegen der durch Erkenntnisse belegten Einschätzung des Verwaltungsgerichts die gegenteiligen Bewertungen der Klägerinnen zutreffend sein könnten.
16a) In Bezug auf die erste Frage beschränken sie sich im Wesentlichen auf die– schon erstinstanzlich vorgebrachte – Behauptung, die Klägerin zu 1. müsse bei ihrer Rückkehr nach China mit den o. a. Repressionen rechnen, weil sie gegen familienpolitische Bestimmungen verstoßen habe, indem sie die Klägerin zu 2. ohne Erlaubnis der chinesischen Regierung und ohne die chinesische Botschaft zu informieren auf die Welt gebracht habe.
17Das Verwaltungsgericht ist insoweit unter Heranziehung des Berichts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik China des Auswärtigen Amtes vom 22. Dezember 2019 sowie des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation China des Österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16. Dezember 2019 zu der Einschätzung gelangt, dass keinerlei Anhaltspunkte für eine Zwangssterilisation unverheirateter Frauen in China bestünden. Dass ausgerechnet in der Heimatprovinz der Klägerin zu 1., T. , gegen Eltern unehelich geborener Kinder ein Bußgeld verhängt würde, sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Zudem sei zu berücksichtigen, dass viele lokale Vorschriften für Rückkehrer Erleichterungen von den familienplanungsrechtlichen Vorgaben vorsähen (Urteilsabdruck, S. 7). Auch eine zwangsweise Freigabe der Klägerin zu 2. zur Adoption drohe nicht. Eine staatlich gelenkte Entziehung von Kindern, die wie die Klägerin zu 2. im Ausland entgegen den familienplanungsrechtlichen Vorschriften gezeugt worden seien, sei nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln weder gesetzlich vorgesehen noch tatsächlich feststellbar (Urteilsabdruck, S. 8).
18Das Zulassungsvorbringen setzt dem zunächst lediglich ohne nähere Auseinandersetzungen mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts entgegen, selbst der Lagebericht des Auswärtigen Amtes gehe davon aus, dass Zwangssterilisierungen nach wie vor, wenn auch vereinzelt stattfinden. Dies stellt die abweichende Annahme des Verwaltungsgerichts nicht in Frage. Weder der vom Verwaltungsgericht herangezogene Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik China vom 22. Dezember 2019 (Stand: November 2019) noch der aktuelle Bericht vom 11. Oktober 2021 (Stand: Juli 2021) enthält die Aussage, dass Zwangssterilisierungen noch immer vereinzelt vorkommen.
19Auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg vom 14. September 2016 – A 11 S 1125/16 – mit dem Verweis auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16. Juli 2015 – A 6 K 786/14 – gibt für die behaupteten Gefahren nichts her. Das Verwaltungsgericht hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Entscheidung einen in wesentlicher Hinsicht anderen Sachverhalt betrifft, nämlich die Folgen der Geburt weiterer Kinder und nicht die Folgen der Geburt eines ersten, allerdings unehelichen Kindes. Das ebenfalls zitierte Urteil des VG Stuttgart – A 11 K 2707/16 – betraf zwar eine Mutter unehelich geborener Kinder, jedoch waren es in dem dortigen Fall drei Kinder. Das Verwaltungsgericht Stuttgart ist daher von einer sozialen Gruppe schwangerer unverheirateter Mütter mit drei (oder mehr) Kindern ausgegangen.
20Vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 21. September 2017– A 11 K 2707/16 –, juris, Rn. 59.
21Das Zulassungsvorbringen legt nicht dar, aus welchem Grund die dortigen Ausführungen auf den hiesigen Fall übertragbar sein sollen.
22Insbesondere mit Blick auf die von den Klägerinnen aufgeworfene Frage einer Zwangssterilisation führt das VG Stuttgart unter Verweis auf die damalige Auskunftslage aus, zu solchen komme es, sofern Eltern bereits zwei Kinder hätten, was im Fall der Klägerin zu 1. gerade nicht der Fall ist.
23Vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 21. September 2017– A 11 K 2707/16 –, juris, Rn. 59.
24b) Auch hinsichtlich der zweiten Frage beschränken sich die Klägerinnen auf die Behauptung, die Klägerin zu 2. werde als nicht eheliches Kind keinen Zugang zur Hukou-Registrierung erhalten. Die Klägerinnen nennen auch insoweit keine konkreten Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstige Erkenntnisquellen, aus denen sich dieser Umstand herleiten ließe und die die – unter Verweis auf die entsprechenden Ausführungen im Lagebericht des Auswärtigen Amtes erfolgte – Annahme des Verwaltungsgerichts in Frage stellen würde, nicht ehelich geborene Kinder folgten in aller Regel der Hukou‑Registrierung der Mutter, wobei ein Abstammungsnachweis vorgelegt werden müsse. Es sei nicht bekannt, dass Müttern nicht ehelich geborener Kinder die Hukou-Registrierung tatsächlich verweigert würde (Urteilsabdruck, S. 7). Auch insoweit ist das von den Klägerinnen herangezogene Urteil des VGH Baden-Württemberg unergiebig, da es nicht den Fall eines im Ausland geborenen unehelichen (Einzel-)Kindes betraf.
25Im Ergebnis machen die Klägerinnen mit ihrem Zulassungsvorbringen allein (ernstliche) Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend. Hierbei handelt es sich aber von vornherein nicht um einen Zulassungsgrund im Sinne des § 78 Abs. 3 AsylG.
26Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens ergibt sich aus § 83b AsylG.
27Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
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