Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 B 1084/21
Tenor
Die Beschwerde wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat weder mit ihrem Hauptantrag (dazu I.) noch mit dem Hilfsantrag (dazu II.) Erfolg.
3I. Die gegen den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts fristgerecht vorgebrachten Gründe, auf deren Überprüfung das Beschwerdegericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen es nicht, diesen zu ändern und den in erster Instanz erfolgreichen Antrag des Antragstellers abzulehnen,
4die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 23. Februar 2021 gegen die Versetzungsverfügung der Antragsgegnerin vom 26. Januar 2021 anzuordnen.
5Die insoweit gebotene, auf der Grundlage des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt auch in Ansehung des Beschwerdevorbringens zu Lasten der Antragsgegnerin aus. Es ist dem Antragsteller im Ergebnis nicht zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten und die angefochtene Versetzungsverfügung (vorläufig) gegen sich gelten zu lassen.
6Das Verwaltungsgericht hat seine stattgebende Entscheidung im Kern wie folgt begründet: Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiege das öffentliche Vollzugsinteresse, weil sich die angefochtene, auf der Grundlage der §§ 2 Abs. 2 Satz 2 PostPersRG, 28 Abs. 2 BBG ergangene Versetzungsverfügung in einem Hauptsacheverfahren mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig erweisen werde. Die Antragsgegnerin habe, wie eine summarische Überprüfung ergebe, das ihr insoweit eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt, nämlich die sie gegenüber dem Antragsteller treffende Fürsorgepflicht nicht hinreichend beachtet. Dem Antragsteller sei die Tätigkeit am neuen Dienstort C. aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar. Nach der von der Antragsgegnerin veranlassten und dieser vorliegenden ärztlichen Stellungnahme der B. A. D. GmbH vom 2. Juli 2020 könne der Antragsteller aufgrund weiterhin bestehender, voraussichtlich dauernder gesundheitlicher Einschränkungen täglich nur Fahrtzeiten von maximal 90 Minuten pro Strecke zurücklegen, nicht umziehen und auch nicht auf ein wöchentliches Pendeln bei auswärtiger Übernachtung verwiesen werden. Es könne offen bleiben, ob die – allein streitige – Frage der Unmöglichkeit eines Umzugs schon auf der Grundlage dieser eindeutigen medizinischen Schlussfolgerungen bejaht werden könne oder dem Vortrag der Antragsgegnerin zu folgen sei, die Stellungnahme besitze insoweit mangels Substantiierung der angenommenen Gesundheitsstörungen keine hinreichende Aussagekraft und sei daher nicht prüfbar. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien nämlich jedenfalls in der ärztlichen Zusatzbescheinigung durch Angabe der Diagnosen und der daraus abgeleiteten Leistungseinschränkungen im Einzelnen aufgeführt und erläutert. Diese Zusatzbescheinigung, der die Antragsgegnerin inhaltlich nichts entgegengehalten habe, sei im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigen, weil der Widerspruch des Antragstellers noch nicht beschieden sei. Unerheblich sei insoweit, dass der Antragsteller die Zusatzbescheinigung trotz entsprechender Aufforderung nicht schon im Verwaltungsverfahren, sondern erst im Zuge des gerichtlichen Verfahrens vorgelegt habe. Für die Erwägung der Antragsgegnerin, aufgrund der verspäteten Vorlage der Zusatzbescheinigung sei dem Antragsteller ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens zumutbar, sei angesichts der in Rede stehenden schwerwiegenden Gesundheitsgefahren kein Raum.
71. Die Antragsgegnerin wendet hiergegen zunächst ein: Das Gutachten des B. A. D. durch die Ärztin N. sei inhaltlich nicht verwertbar. Die Ärztliche Zusatzbescheinigung enthalte in dem Punkt „Relevante Diagnosen bzw. Erkrankungen“ keinerlei Erkrankungen oder Diagnosen, die einem Umzug entgegenstehen könnte. Auch handele es sich bei den Feststellungen „Depressive Stimmungslage“ und „Schlafstörungen“ allenfalls um Symptome. Es sei kein plausibler Grund für den schlicht angekreuzten Ausschluss einer Umzugsfähigkeit enthalten. Das Gutachten dürfe sich nicht auf die bloße Mitteilung einer Diagnose und eines Entscheidungsvorschlages beschränken, sondern müsse die für die Meinungsbildung des Arztes wesentlichen Entscheidungsgrundlagen erkennen lassen. Das Verwaltungsgericht habe auch nicht ausreichend erwogen und einbezogen, dass eine Gefahr für die Gesundheit von jedem unfreiwilligen Wohnort- oder Dienstortwechsel und einer Anpassung an die geänderten Umstände ausgehe. Fehlerhaft sei nicht gewürdigt worden, dass das Attest eine Abgrenzung und bewusste Unterscheidung zu den Grenzen des hinnehmbaren allgemeinen Lebensrisikos nicht vornehme. Die Feststellung, dass die „Leistungsfähigkeit für Umzug bzw. wöchentliches Pendeln deutlich reduziert“ sei, belege weder eine Gesundheitsgefahr noch eine medizinische Einschränkung, die gegen einen dienstlich veranlassten Umzug sprechen würde. Das Attest lasse bei bereits eine Unterscheidung zwischen Korrelation oder gar bloßer Koinzidenz auf der einen und einer Kausalität der Umstände und eines Umzugs auf der anderen Seite für die Gefahr der Destabilisierung vermissen. Das Verwaltungsgericht habe auch nicht berücksichtigt, dass als weitere Alternative ein Umzug in die zumutbare Pendelgrenze von 90 Minuten erfolgen könne. Ferner erwäge das Verwaltungsgericht nicht, dass alle Einschränkungen, die sich aus dem Attest ergeben sollen, durch ein „wöchentliches Pendeln“ vermieden werden könnten.
8a) Dieses Vorbringen greift insgesamt nicht durch.
9aa) Unzutreffend ist zunächst die Ansicht, das Attest benenne als Diagnose allein körperliche Einschränkungen und führe psychische Beschwerden nur in einem Seitenaspekt mit der Formulierung „Depressive Stimmungslage“ und „Schlafstörungen“ an, wobei es sich nicht um Diagnosen oder Erkrankungen, sondern allenfalls um Symptome handele.
10In der „Ärztlichen Zusatzbescheinigung für Beamtin/Beamte“ vom 2. Juli 2020 benennt die Ärztin der B. A. D. GmbH auf der Grundlage einer eigenen Begutachtung und unter Heranziehung der angeführten fachärztlichen Fremdbefunde folgendeDiagnosen und Erkrankungen als relevant:
11„Depressive Stimmungslage Schlafstörungen Z. n. rezidiv Bandscheibenvorfall mit Schmerzsyndrom, Osteoporose; Bluthochdruck; Arthrose; Beinverkürzung; Z. n. Burnout Sdr.“.
12Bei dem Krankheitsbild „Schlafstörungen“, die nach Nr. 2 der Zusatzbescheinigung auf eine chronische Stresssituation zurückzuführen sind, handelt es sich nicht nur um ein Symptom, sondern um eine Diagnose. „Schlafstörungen“ sind nach der Klassifizierung in ICD-10-GM Version 2021 nämlich unter F51.- als (diagnostizierbare) psychische Störung kodiert und anerkannt. Etwas anderes gilt auch nicht für die von der Antragsgegnerin kritisierte Formulierung „depressive Stimmungslage“. Damit wird ersichtlich auf eine der unter F32.- oder F33.- kodierten Diagnosen im Zusammenhang mit Depressionen verwiesen. Dies wird insbesondere auch in den weiter ergänzenden Erläuterungen zu Punkt 2 des Gutachtens bestätigt, in denen ausdrücklich von einer „Depression“ die Rede ist.
13bb) Die festgestellten Einschränkungen der Pendel- und Umzugsfähigkeit sind entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin auch medizinisch begründet.
14Unter Punkt 2 der „Ärztlichen Zusatzbescheinigung“ heißt es:
15„Aufgrund der orthopädischen Erkrankungen (Bandscheibenvorfall, Z. n. Fraktur bei Osteoporose, Beinverkürzung) ist die Leistungsfähigkeit für längere Arbeitswege (PKW oder ÖPV) und für ständige, sitzende Tätigkeit eingeschränkt oder nicht vorhanden.“
16Dies wird auf einem gesonderten Blatt wie folgt ergänzt:
17„Pkt. 2. Aufgrund der psychischen Einschränkungen durch Depression, Burnout Sdr., Schlafstörungen, die auf eine chronische Streßsituation zurückzuführen sind, wird die Leistungsfähigkeit für Umzug bzw. wöchentliches Pendeln deutlich reduziert.“
18Diese Erläuterung benennt eindeutig den Kausalzusammenhang zwischen den – auf eine chronische Stresssituation zurückgeführten – gesundheitlichen Einschränkungen psychischer Art als Ursache und der deutlich reduzierten Umzugsfähigkeit bzw. Fähigkeit zu einem Umzug mit wöchentlichem Pendeln als Wirkung. Die hierauf basierende, in dem Ergebnis des Gutachtens zum Ausdruck gekommene Schlussfolgerung der Gutachterin, dass dem Antragsteller wegen dieser dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen ein Umzug mit den damit verbundenen, zusätzlichen psychischen Belastungen nicht zuzumuten ist, ist entgegen dem Beschwerdevortrag ohne weiteres plausibel und auch nachvollziehbar.
19Die insoweit erhobenen Einwände der Antragsgegnerin greifen nicht durch. Zwar stellt eine gegebene „Versorgung vor Ort“ grundsätzlich keine Rechtsposition dar, die ein Bundesbeamter einer einen Umzug erfordernden Versetzung mit Erfolg entgegensetzen kann, und muss ein Bundesbeamter grundsätzlich auch hinnehmen, dass mit einer solchen Versetzung auch ein (abhängig von den Lebensumständen teilweiser oder vollständiger) Verlust des bisherigen sozialen Umfelds verbunden ist. Dies kann aber dann nicht gelten, wenn diese regelmäßigen Folgen eines Umzugs aufgrund einer bestehenden psychischen Erkrankung mit einer erheblichen Gefahr für die psychische Gesundheit des Beamten einhergehen.
20Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. April 2021 – 1 B 1120/20 –, juris, Rn. 13.
21Im Übrigen stellt die Ärztin in ihrer Einschätzung nicht auf den Aspekt einer erforderlichen Versorgung des Antragstellers vor Ort ab.
22Nicht gefolgt werden kann auch dem weiteren Vortrag der Antragsgegnerin, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass das Gutachten nicht zwischen einer Kausalität eines Umzugs für die Gefahr einer psychischen Destabilisierung und einer bloßen Korrelation oder Koinzidenz dieser Umstände abgrenze bzw. aus einer bloßen Korrelation oder Koinzidenz fehlerhaft auf eine Kausalität schließe („cum hoc ergo propter hoc“). Angesichts der attestierten psychischen Erkrankungen des Antragstellers, die nach den Ausführungen der Betriebsärztin auf eine chronische Stresssituation zurückzuführen sind, und seiner daraus resultierenden psychischen Vulnerabilität liegt es nämlich auf der Hand, dass die Betriebsärztin die Belastung durch einen Umzug als Ursache einer Verschlechterung der Erkrankung des Antragstellers angesehen hat.
23cc) Der Einwand der Antragsgegnerin, es hätte bereits ein Umzug in die zumutbare „Pendelgrenze“ von 90 Minuten erfolgen können, greift offensichtlich nicht durch. Wenn nach den Feststellungen der arbeitsmedizinischen Untersuchung ein Umzug generell ausgeschlossen wird, gilt dies ersichtlich auch für einen solchen in die zumutbare Pendelgrenze.
24dd) Nicht zum Erfolg führt ferner der Einwand der Antragsgegnerin, alle Einschränkungen, die das Verwaltungsgericht dem Gutachten fehlerhaft entnommen habe, könnten entgegen der nicht begründeten Einschätzung der Betriebsärztin durch ein „wöchentliches Pendeln“ vermieden werden, zumal sogar Tagesreisen und mehrtägige Reisen medizinisch möglich seien. Nach der Eignungsuntersuchung ist auch ein wöchentliches Pendeln mit auswärtiger Übernachtung ausgeschlossen. Die Betriebsärztin hält Geschäftsreisen in Form von Tagesreisen oder mehrtägigen Reisen mit auswärtiger Übernachtung nur bis zu einer Dauer von maximal zwei- bis dreitägigen Reisen für möglich. Diese Einschränkung verdeutlicht, dass dem Antragsteller eine längere Abwesenheit nicht zugemutet werden kann. Die hauptsächlich wegen der orthopädischen Erkrankungen bestehenden gesundheitlichen Gründe würden im Übrigen auch einem "wöchentlichen Pendeln" entgegenstehen. Zudem ist nach der Einschätzung der Ärztin die Leistungsfähigkeit für wöchentliches Pendeln auch aufgrund der psychischen Einschränkungen des Antragstellers deutlich reduziert.
25b) Selbst wenn man mit der Antragsgegnerin annehmen wollte, die Einschätzung der Betriebsärztin reiche als Beurteilungsgrundlage nicht aus, da diese lediglich eine deutliche Reduktion der „Leistungsfähigkeit für Umzug bzw. wöchentliches Pendeln" feststelle, ohne den daran anknüpfenden Ausschluss der Umzugsfähigkeit näher zu erläutern, würde dies nicht zu einem Erfolg der Beschwerde führen.
26Ergeben sich aus dem substantiierten Vortrag des Betroffenen zumindest hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass einem mit einer Personalmaßnahme verbundenen Umzug schwerwiegende gesundheitliche Bedenken entgegenstehen, obliegt dem Dienstherrn nämlich die weitere Abklärung und ist die Annahme, die Personalmaßnahme sei ihrem Adressaten offensichtlich zumutbar, vor einer solchen Abklärung ausgeschlossen.
27Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2014– 1 B 751/14 –, juris, Rn. 11 (für eine Zuweisung).
28Die Pflicht, derartige Belange zu „berücksichtigen“, kann nämlich jedenfalls dann, wenn für deren Betroffenheit aufgrund von offenkundigen Tatsachen oder nach belegten Angaben des Beamten ein objektiver Anhalt besteht, auch die Verpflichtung des Dienstherrn umfassen, den zugrunde liegenden Sachverhalt noch weiter oder genauer zu ermitteln. Das gilt namentlich dann, wenn es solcher Ermittlungen bedarf, um die im Rahmen der Ermessensausübung für die Zuweisungsverfügung gebotene Abwägung zwischen den dienstlichen Bedürfnissen und ggf. in besonderer Weise betroffenen schützenswerten privaten Belangen aus dem Gewährungsleistungsbereich der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht gestützt auf eine möglichst vollständige Tatsachen- und Erkenntnisgrundlage überhaupt erst ordnungsgemäß vornehmen zu können. Setzte die hier in Rede stehende Berücksichtigungspflicht nicht zugleich eine solche (begleitende Mitwirkungspflichten des betroffenen Beamten dabei freilich in Rechnung stellende) Ermittlungspflicht des Dienstherrn voraus, drohte sie selbst leerzulaufen.
29Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2014– 1 B 751/14 –, juris, Rn. 13.
30Vorliegend hat die Gutachterin im Rahmen der Arbeitsmedizinischen Eignungsuntersuchung vom 20. Mai 2020 festgestellt, dass ein Umzug aus medizinischer Sicht nicht möglich sei, und aus der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Zusatzbescheinigung ergeben sich die – oben schon im Einzelnen angeführten – Gründe dieser Einschätzung.
31Mit Blick hierauf durfte die Antragsgegnerin nicht ohne weitere geeignete Ermittlungen oder eine Nachfrage zu dieser Einschätzung in dem in ihrem Auftrag erstellten Gutachten hinweggehen. Hiervon geht im Übrigen auch die Antragsgegnerin selbst aus, wenn sie vorträgt, sie habe die notwendige Nachuntersuchung erst im Lauf des Gerichtsverfahrens veranlassen können.
322. Die Rüge der Antragsgegnerin, die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts sei selbst dann fehlerhaft, wenn man davon ausgehen könnte, dass die gesundheitliche Zumutbarkeit der Versetzung noch weiter aufzuklären wäre oder der Versetzung sogar gesundheitliche Gründe entgegenstünden, greift ebenfalls nicht durch.
33Das Verwaltungsgericht hätte nach Ansicht der Antragsgegnerin zu Lasten des Antragstellers bewerten müssen, dass dieser die Vorlage der ärztlichen Zusatzbescheinigung der B. A. D. GmbH dem Dienstherrn wiederholt und hartnäckig verweigert habe. Das Verwaltungsgericht übersehe, dass durch die späte Vorlage erst im gerichtlichen Eilverfahren jede Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers verschoben sein müsse. Wenn ein solches "destruktives Verhalten" zugelassen würde, würde dies für einen arbeitsunwilligen Beamten fortan das Mittel der Wahl darstellen, um eine Tätigkeit selbst bei nur leicht unklarer medizinischer Gutachtenlage möglichst lange abzuwenden. Zudem würde die Ermessensausübung des Dienstherrn abgeschnitten und im Ergebnis auf die Gerichte übertragen. Hier hätte die notwendige Nachuntersuchung erst im Laufe des Gerichtsverfahrens veranlasst werden könne. Wie zu erwarten habe dies nicht innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist erfolgen können. Auf diese Weise sei der Antragsgegnerin allein durch das rechtsmissbräuchliche und pflichtvergessene Verhalten des Antragstellers nicht nur eine Würdigung im Verwaltungsverfahren und vor dem Verwaltungsgericht, sondern auch im Beschwerdeverfahren abgeschnitten worden.
34Auch dieses Beschwerdevorbringen greift nicht durch. Für die Erwägung der Antragsgegnerin, die verspätete Vorlage der "Ärztlichen Zusatzbescheinigung" durch den Antragsteller müsse aus den von ihr angeführten Gründen durch eine (allgemeine) Interessenabwägung zulasten des Antragstellers gleichsam sanktioniert werden, ist vorliegend schon grundsätzlich kein Raum. Bei der hier gebotenen summarischen Prüfung wird sich die in Rede stehende Versetzungsverfügung in Ansehung des Vorstehenden nach dem derzeitigen Erkenntnisstand, der gerade auch von der "Ärztlichen Zusatzbescheinigung" geprägt wird, in einem Hauptsacheverfahren voraussichtlich als ermessensfehlerhaft und damit als rechtswidrig erweisen. Bei einem solchen Stand des Verfahrens hat die von § 80 Abs. 5 Satz 1 Fall 1 VwGO verlangte Interessenabwägung auch in einem – hier nach §§ 2 Abs. 2 Satz 2 PostPersRG, 126 Abs. 4 BBG gegebenen – Fall der Anordnung der sofortigen Vollziehung durch das Gesetz (unter entsprechender Anwendung des Maßstabs nach § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO) grundsätzlich immer zugunsten des Suspensivinteresses auszufallen, weil an dem Vollzug rechtswidriger Verwaltungsakte schon aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit kein öffentliches Interesse bestehen kann.
35Vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 146 ff., insb. Rn. 146 und 148, Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Juli 2020, § 80 Rn. 384, und 386, und Külpmann, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 967, jeweils m. w. N.
36Unabhängig davon hat die Antragsgegnerin auch bereits nicht dargelegt, aus welchen Gründen sie nicht in der Lage gewesen sein soll, sich die Zusatzbescheinigung durch Anforderung derselben bei der von ihr selbst beauftragten Betriebsärztin zu verschaffen. Sollte dies tatsächlich (rechtlich) unmöglich gewesen sein, hatte sie angesichts der (kaum erklärlichen) "Verweigerungshaltung" des Antragstellers, wie sie selbst in ihrem an den Antragsteller gerichteten Anforderungsschreiben vom 11. August 2020 ausführt, die Möglichkeit, die Bewertung der persönlichen Belange des Antragstellers nur auf der Grundlage der ihr vorliegenden Erkenntnisse bzw. Unterlagen zu treffen. Sie hätte daher die ihr vorliegende, nur das Ergebnis der betriebsärztlichen Untersuchung, aber keine Gründe festhaltende "Ärztliche Bescheinigung" vom 2. Juli 2020 als nicht nachvollziehbar bewerten und ohne langes Zuwarten die – kraft Gesetzes sofort vollziehbare und daher unverzüglich zu befolgende – Versetzung verfügen können. Es war dann Sache des Antragstellers, einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu stellen und diesem im eigenen Interesse die "Ärztliche Zusatzbescheinigung" beizufügen. Diese wurde hier schließlich am 12. Mai 2021 auch vorgelegt. In dieser Situation hätte es der Antragsgegnerin mangels erfolgter Widerspruchsentscheidung freigestanden, ihr – keineswegs "abgeschnittenes" – Ermessen im Lichte der Zusatzbescheinigung zu betätigen und die Versetzungsverfügung ggf. aufzuheben. Im Falle einer solchermaßen herbeigeführten Erledigung hätte das Gericht im Rahmen der nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu treffenden Kostenentscheidung den Umstand berücksichtigen können, dass die Erledigung auf eine mangelhafte Mitwirkung des Antragsstellers vor Erlass der Versetzungsverfügung zurückzuführen war. Es war der Antragsgegnerin bei sorgfältiger Prozessführung auch nicht unmöglich, vor einer erneuten Ermessensentscheidung zunächst Nachfragen an die Betriebsärztin zu richten und deren Ergebnis in das Verfahren einzubringen. Zugleich hätte sie das Gericht bitten können, den von ihr beabsichtigten ergänzenden Vortrag abzuwarten.
37Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. April 2021 – 1 B 1120/20 –, juris, Rn. 18.
38II. Der Hilfsantrag, mit dem die Antragsgegnerin die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht begehrt, bleibt mit Blick auf das Vorstehende ebenfalls ohne Erfolg.
39Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG. Dabei geht der Senat davon aus, dass der Hilfsantrag denselben Gegenstand wie der Hauptantrag betrifft, aber wertmäßig hinter diesem zurückbleibt (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG).
40Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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Referenzen
- VwGO § 80 1x
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