Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 B 1857/21.NE
Tenor
Der Vollzug von § 2 Nr. 2 der Ordnungsbehördlichen Verordnung der Antragsgegnerin über die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags vom 25.11.2021 wird im Wege der einstweiligen Anordnung ausgesetzt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
1Der Antrag,
2§ 2 Nr. 2 der Ordnungsbehördlichen Verordnung der Antragsgegnerin über die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags vom 25.11.2021 im Wege einer einstweiligen Anordnung außer Vollzug zu setzen,
3ist begründet.
4Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO liegen vor. Nach dieser Bestimmung kann das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
5Das ist hier der Fall. Schon gemessen an dem für eine normspezifische einstweilige Anordnung allgemein anerkannten besonders strengen Maßstab erweist sich die angegriffene Regelung als offensichtlich rechtswidrig und nichtig (dazu 1. und 2.). Ihre Umsetzung beeinträchtigt die Antragstellerin so konkret, dass eine einstweilige Anordnung deshalb dringend geboten ist.
6Die umstrittene Verordnungsregelung ist von der Ermächtigungsgrundlage des § 6 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 LÖG NRW nicht gedeckt. Sie wird dem in dieser gesetzlichen Regelung konkretisierten verfassungsrechtlichen Schutzauftrag aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV, der ein Mindestniveau des Sonn- und Feiertagsschutzes gewährleistet und für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis statuiert, nicht gerecht.
71. Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV entziehen Sonn- und Feiertage grundsätzlich der werktäglichen Geschäftigkeit.
8Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.6.2020 ‒ 8 CN 1.19 ‒, BVerwGE 168, 338 = juris, Rn. 35, m. w. N.
9Die Institution des Sonn- und Feiertags ist unmittelbar durch die Verfassung garantiert, die Art und das Ausmaß des Schutzes bedürfen aber einer gesetzlichen Ausgestaltung. Verfassungsrechtlich geschützt ist der allgemein wahrnehmbare Charakter eines jeden Sonn- und Feiertags als grundsätzlich für alle verbindlicher Tag der Arbeitsruhe. Eine Freigaberegelung muss nach ständiger gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Wahrung des verfassungsrechtlich geforderten Mindestniveaus des Sonntagsschutzes die Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe zur Regel erheben. Ausnahmen darf er nur aus zureichendem Sachgrund zur Wahrung gleich- oder höherwertiger Rechtsgüter zulassen; das bloß wirtschaftliche Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und das alltägliche Erwerbsinteresse potentieller Kunden genügen dazu nicht. Außerdem muss sichergestellt sein, dass die Ausnahmen als solche für die Öffentlichkeit erkennbar bleiben. Danach genügt es nicht, die Zahl der jährlich zulässigen Sonn- und Feiertagsöffnungen gesetzlich zu beschränken. Darüber hinaus muss der Normgeber nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV sicherstellen, dass entsprechende Ermächtigungen nur Sonntagsöffnungen ermöglichen, die durch einen zureichenden Sachgrund von ausreichendem Gewicht bezogen auf den zeitlichen, räumlichen und gegenständlichen Umfang der jeweiligen Sonntagsöffnung gerechtfertigt und für das Publikum am betreffenden Tag als Ausnahme von der sonntäglichen Arbeitsruhe zu erkennen sind. Eine Sonntagsöffnung darf nicht auf eine weitgehende Gleichstellung mit den Werktagen und ihrer geschäftigen Betriebsamkeit hinauslaufen.
10Vgl. zuletzt BVerwG, Urteile vom 22.6.2020 ‒ 8 CN 3.19 ‒, BVerwGE 168, 356 = juris, Rn. 15 f., und ‒ 8 CN 1.19 ‒, BVerwGE 168, 338 = juris, Rn. 24 und 43, m. w. N.; BVerfG, Urteil vom 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07 u. a. –, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 153 f., 157.
11Bei gebietsweiten und gegenständlich unbeschränkten Sonntagsöffnungen bedarf es besonders gewichtiger Gründe; Sachgründe von geringerem Gewicht können regelmäßig nur räumlich oder gegenständlich eng begrenzte Ladenöffnungen mit geringer prägender Wirkung für den öffentlichen Charakter des Tages rechtfertigen.
12Vgl. BVerwG, Urteile vom 22.6.2020 ‒ 8 CN 1.19 ‒, BVerwGE 168, 338 = juris, Rn. 18, und vom 11.11.2015 – 8 CN 2.14 –, BVerwGE 153, 183 = juris, Rn. 22; BVerfG, Urteil vom 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07 u. a. –, BVerfGE 125, 39 = juris, Rn. 158, 187.
13Umgekehrt kommt dem Sonntagsschutz und den durch ihn verstärkten Grundrechten aller von einer Sonntagsöffnung Betroffenen (Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 1 und Art. 8 und 9 GG) im Verhältnis zu Erwerbsinteressen des Handels und der Kunden nach Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG umso größeres Gewicht zu, je weitergehend die werktägliche Ladenöffnung freigegeben ist, wie dies in Nordrhein-Westfalen der Fall ist.
14Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28.8.2020 ‒ 4 B 1261/20.NE ‒, NVwZ-RR 2021, 25 = juris, Rn. 19 ff., m. w. N.
15a) Die angegriffene Verordnungsbestimmung aus der Ordnungsbehördlichen Verordnung vom 25.11.2021 betreffend die streitgegenständliche Ladenöffnungsfreigabe am 12.12.2021 ist ausweislich der vom Rat der Antragsgegnerin am 25.11.2021 beschlossenen Tischvorlage Nr. 232/2021 gestützt auf § 6 Abs. 4, Abs. 1 LÖG NRW. Hiernach ist die zuständige örtliche Ordnungsbehörde ermächtigt, die Tage nach § 6 Abs. 1 LÖG NRW durch Verordnung freizugeben. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 LÖG NRW dürfen Verkaufsstellen an jährlich höchstens acht, nicht unmittelbar aufeinanderfolgenden Sonn- oder Feiertagen im öffentlichen Interesse ab 13 Uhr bis zur Dauer von fünf Stunden geöffnet sein. § 6 Abs. 1 Satz 2 LÖG NRW regelt vom Gesetzgeber identifizierte, nicht abschließende Ziele, die im öffentlichen Interesse liegen und somit einzeln oder in Kombination mit anderen gewichtige Sachgründe für eine ausnahmsweise Verkaufsstellenöffnung an Sonn- und Feiertagen darstellen. Gemäß Satz 2 Nr. 1 der Vorschrift liegt ein öffentliches Interesse unter anderem insbesondere vor, wenn die Öffnung im Zusammenhang mit örtlichen Festen, Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen erfolgt. Nach § 6 Abs. 1 Satz 3 LÖG NRW wird das Vorliegen eines solchen Zusammenhangs vermutet, wenn die Ladenöffnung in räumlicher Nähe zur örtlichen Veranstaltung sowie am selben Tag erfolgt. Daneben enthält § 6 Abs. 1 Satz 2 LÖG NRW weitere Fallgestaltungen, in denen ein öffentliches Interesse vorliegt.
16b) Bei Ladenöffnungen im Zusammenhang mit örtlichen Veranstaltungen nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LÖG NRW muss nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gewährleistet sein, dass die Veranstaltung ‒ und nicht die Ladenöffnung ‒ das öffentliche Bild des betreffenden Sonntags prägt. Um das verfassungsrechtlich geforderte Regel-Ausnahme-Verhältnis zu wahren, muss die im Zusammenhang mit der Ladenöffnung stehende Veranstaltung selbst einen beträchtlichen Besucherstrom auslösen. Ferner müssen Sonntagsöffnungen wegen einer Veranstaltung in der Regel auf deren räumliches Umfeld beschränkt werden, nämlich auf den Bereich, der von der Ausstrahlungswirkung der jeweiligen Veranstaltung erfasst wird und in dem die Veranstaltung das öffentliche Bild des betreffenden Sonntags prägt. Die prägende Wirkung muss dabei von der Veranstaltung selbst ausgehen. Die damit verbundene Ladenöffnung entfaltet nur dann eine lediglich geringe prägende Wirkung, wenn sie nach den gesamten Umständen als bloßer Annex zur anlassgebenden Veranstaltung erscheint. Das kann für den Fall angenommen werden, dass die Ladenöffnung innerhalb der zeitlichen Grenzen der Veranstaltung ‒ also während eines gleichen oder innerhalb dieser Grenzen gelegenen kürzeren Zeitraums ‒ stattfindet und sich räumlich auf das unmittelbare Umfeld der Veranstaltung beschränkt. Von einem Annexcharakter kann nur die Rede sein, wenn die für die Prägekraft entscheidende öffentliche Wirkung der Veranstaltung größer ist als die der Ladenöffnung. Die öffentliche Wirkung hängt wiederum maßgeblich von der jeweiligen Anziehungskraft ab. Die jeweils angezogenen Besucherströme bestimmen den Umfang und die öffentliche Wahrnehmbarkeit der Veranstaltung einerseits und der durch die Ladenöffnung ausgelösten werktäglichen Geschäftigkeit andererseits. Daher lässt sich der Annexcharakter einer Ladenöffnung kaum anders als durch einen prognostischen Besucherzahlenvergleich beurteilen. Erforderlich ist dabei, dass die dem zuständigen Organ bei der Entscheidung über die Sonntagsöffnung vorliegenden Informationen und die ihm sonst bekannten Umstände die schlüssige und nachvollziehbare Prognose erlauben, die Zahl der von der Veranstaltung selbst angezogenen Besucher werde größer sein als die Zahl derjenigen, die allein wegen einer Ladenöffnung am selben Tag ‒ ohne die Veranstaltung ‒ kämen. § 6 Abs. 1 Satz 3 LÖG NRW entbindet von einer auf die jeweiligen Besucherzahlen bezogenen Prognose im Einklang mit Verfassungsrecht nur dann, wenn gewährleistet ist, dass atypische Sachverhaltsgestaltungen nicht in die Nachweiserleichterung einbezogen werden.
17Vgl. BVerwG, Urteile vom 11.11.2015 – 8 CN 2.14 –, BVerwGE 153, 183 = juris, Rn. 24 f., und vom 22.6.2020 – 8 CN 3.19 –, BVerwGE 168, 356 = juris, Rn. 15 ff., 17 ff., 21, 23, 25 f., letzteres bezogen auf die Auslegung des aktuellen Landesrechts durch OVG NRW, Urteil vom 17.7.2019 – 4 D 36/19.NE –, GewArch 2019, 396 = juris, Rn. 61 ff.
18Das verfassungsrechtlich gebotene Mindestniveau des Sonntagsschutzes ist damit bei anlassbezogenen Sonntagsöffnungen durch hinreichend genaue und gerichtlich überprüfbare Anforderungen definiert. Dazu zählen mithin das Regel-Ausnahme-Verhältnis, die Prägung des öffentlichen Charakters des Sonntags durch die Anlassveranstaltung, das Kriterium des Annexcharakters der Ladenöffnung sowie schließlich dessen Konkretisierung durch das Erfordernis des prognostischen Überwiegens der von der Veranstaltung selbst angezogenen Besucherzahl.
19Vgl. BVerwG, Urteil vom 12.12.2018 – 8 CN 1.17 –, BVerwGE 164, 64 = juris, Rn. 26.
20c) Bezogen auf die – von der Antragsgegnerin zumindest sinngemäß angeführten – Ziele nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 5 LÖG NRW ist bereits letztinstanzlich für das Landesrecht und mit Bundesrecht in Einklang stehend geklärt, dass sie in der Regel allenfalls dann das verfassungsrechtlich erforderliche Gewicht aufweisen können, wenn aus anderen Gründen ohnehin mit einem besonderen Besucherinteresse zu rechnen ist und über den davon erfassten Bereich hinaus zum Ausgleich besonderer örtlicher Problemlagen oder struktureller Standortnachteile der Freigabebereich auf hiervon betroffene Bereiche erweitert werden soll.
21Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17.7.2019 – 4 D 36/19.NE –, GewArch 2019, 396 = juris, Rn. 40, 91 ff. 106 ff., m. w. N., ausdrücklich als nicht zu restriktiv interpretiert bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 22.6.2020 ‒ 8 CN 3.19 ‒, BVerwGE 168, 356 = juris, Rn. 33.
22Denn mit diesen neuen Sachgründen hat sich der Gesetzgeber im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums zur Ausgestaltung des Sonntagsschutzes gerade nicht auf gesetzliche Tatbestände beschränkt, die Festlegungen von Ausnahmefallgestaltungen für Arbeiten „trotz“ des Sonntags oder „für“ den Sonntag treffen oder zur Wahrung der grundsätzlichen Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen zumindest gleichrangiger Schutzgüter dienen.
23Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17.7.2019 – 4 D 36/19.NE –, GewArch 2019, 396 = juris, Rn. 91 ff., m. w. N., und Beschlüsse vom 28.8.2020 ‒ 4 B 1261/20.NE ‒, juris, Rn. 26, und vom 6.10.2020 – 4 B 1443/20.NE, juris, Rn. 18 ff.
242. Nach diesen Maßstäben trägt die angegriffene Regelung in der Ordnungsbehördlichen Verordnung der Antragsgegnerin dem verfassungsrechtlich geforderten Regel-Ausnahme-Verhältnis für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen nicht ausreichend Rechnung.
25a) Die in Rede stehende Sonntagsöffnung am 12.12.2021 im allein angegriffenen „weiteren Bereich“ nach § 2 Nr. 2 der Ordnungsbehördlichen Verordnung vom 25.11.2021 ist schon deshalb unwirksam, weil sich die darin bestimmte Ausweitung der Ladenöffnungsfläche bis hin zur U.--straße mit einem von der Antragsgegnerin angegebenen Abstand von 950 m zum Weihnachtsmarkt in der Innenstadt von T. räumlich nicht mehr auf das unmittelbare Umfeld der Veranstaltung beschränkt und es an einer schlüssigen und nachvollziehbaren Prognose fehlt, die Zahl der allein vom T1. Weihnachtsmarkt selbst angezogenen Besucher werde auch in diesem Freigabebereich größer sein als die Zahl derjenigen, die allein ‒ ohne die Veranstaltung ‒ wegen der Ladenöffnung kämen. Zwar kann ein Weihnachtsmarkt durchaus ein rechtfertigender Anlass für eine ausnahmsweise zulässige Ladenöffnung sein, zumal Weihnachtsmärkte regelmäßig auch ohne begleitende Ladenöffnung stattfinden und viele Besucher anziehen.
26Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1.12.2017 – 4 B 1505/17 –, juris, Rn. 23.
27Hieraus ergibt sich aber nicht die Schlüssigkeit der Besucherprognose bezogen auch auf den in § 2 Nr. 2 der Verordnung genannten Bereich und erst recht nicht die offensichtliche Ergebnisrichtigkeit dieser Bestimmung. Der Annahme der Antragsgegnerin, der Weihnachtmarkt in der Innenstadt von T. finde seit 2001 jeweils an einem Adventswochenende im Jahr statt und habe einen entsprechenden Bekanntheitsgrad erlangt, so dass allein am Sonntag aufgrund der überregionalen Anziehungskraft mit 8.000 zu erwartenden Besuchern zu rechnen sei, während der verkaufsoffene Sonntag nur Beiwerk sei, lässt sich nicht schlüssig und vertretbar die Erwartung entnehmen, die Zahl der von der Veranstaltung selbst angezogenen Besucher überwiege auch für den streitgegenständlichen Freigabebereich jenseits des Bahnhofs die Zahl der von den dortigen Verkaufsstellen angezogenen Besucher. Dies ergibt sich auch nicht aus der Feststellung, dem Weihnachtsmarkt mit voraussichtlich rund 25 Ständen und Hütten, der sich über weite Teile der Innenstadt unter anderem im Bereich der Fußgängerzone (I.----straße ), des Bürgerplatzes sowie der L.----straße erstrecke, komme nicht bloß räumlich, sondern auch im Hinblick auf den Veranstaltungscharakter ein eigenständiges Gewicht als gesellige Kulturveranstaltung zu und es dürfe aufgrund der Pandemie-Situation unterstellt werden, dass er auf großes Interesse stoßen werde. Die auf Erfahrung beruhende Annahme, insbesondere auswärtige Besucher des Weihnachtsmarkts würden, auch angesichts eingeschränkter Parkmöglichkeiten in der Innenstadt, die Parkplätze im Freigabebereich außerhalb der Innenstadt an der U.--straße nutzen, ist gleichfalls keine schlüssige Prognosegrundlage. Eine prägende Wirkung, die auch hier vom Weihnachtsmarkt selbst ausgeht, ist damit selbst dann nicht nachvollziehbar bezeichnet, wenn es sich bei den Großparkplätzen von Möbel- und Baumarkt zugleich um „Kernparkplätze“ für alle Großveranstaltungen in T. handeln sollte. Dass die Prägung des dort selbst gar nicht mehr wahrnehmbaren Weihnachtsmarkts die sofort erkennbare Funktion als Kundenparkplätze großer Einzelhandelsgeschäfte mit einer – im Gegensatz zu den meisten sonstigen Geschäften in T. – hohen überörtlichen Einzelhandelszentralität (vgl. Fortschreibung des Einzelhandelskonzepts für die Stadt T. , Januar 2018, S. 50 f.) hier noch überwiegen könnte, ist nicht ansatzweise ersichtlich. Es fehlt selbst eine grobe Abschätzung, wie viele Besucher allein durch den dort ansässigen Einzelhandel angezogen würden. Die Sitzungsunterlagen sind insoweit unergiebig. Diesen lässt sich vielmehr entnehmen, dass der Verordnungsgeber nach Anhörung der Antragstellerin selbst Zweifel daran hatte, ob die Ausweitung der Öffnungsfläche bis hin zur U.--straße noch als unmittelbares Umfeld der Veranstaltung anzusehen sei, ob der insgesamt zu erwartende Besucherstrom zum Weihnachtsmarkt auch hier den Besucherstrom zu den geöffneten Läden deutlich überwiegen werde und ob es ausreiche, wenn die Werbegemeinschaft T. e. V. statt einem ausführlichen prognostischen Besucherzahlenvergleich eine prozentuale Schätzung abgebe. Aus diesem Grund hat der Verordnungsgeber den räumlichen Freigabebereich in einen – hier nicht angegriffenen – „sehr engen Innenstadtbereich“ (§ 2 Nr. 1 der Ordnungsbehördlichen Verordnung) und einen „weiteren Bereich“ (§ 2 Nr. 2 der Ordnungsbehördlichen Verordnung) aufgeteilt, um zumindest für jene Geschäfte größtmögliche Rechtssicherheit zu schaffen, die sich mehr oder weniger in Sichtweite des Weihnachtsmarktes befinden. Ausweislich der der Verordnung beigefügten Karte soll der Weihnachtsmarkt nur im Innenstadtbereich stattfinden, während sich der erweiterte Bereich nördlich über den Bahnhofsbereich bis zur U.--straße erstreckt, vom Kirchplatz bzw. dem Bürgerplatz im Zentrum von T. etwa 1 km Luftlinie entfernt ist und einen großen Baumarkt mit ca. 10.800 m² Verkaufsfläche (P. ) sowie das größte Möbelhaus der Stadt (S. ) umfasst.
28Vgl. Fortschreibung des Einzelhandelskonzeptes für die Stadt T. , Januar 2018, S. 35, 39-41.
29Auch wenn der Verordnungsgeber trotz der genannten Zweifel der Prognose der Werbegemeinschaft T. e. V. gefolgt sein bzw. sich diese zu eigen gemacht haben dürfte, lässt sich hieraus jedenfalls für den allein angegriffenen „weiteren Bereich“ im Sinne von § 2 Nr. 2 der Ordnungsbehördlichen Verordnung vom 25.11.2021 nicht die nötige schlüssige und vertretbare Prognose entnehmen. Für die pauschale Schätzung der Werbegemeinschaft T. e. V. in ihrem Antrag vom 3.9.2021, erfahrungsgemäß nutzten ca. 10-15 % von den ca. 8.000 Besuchern des Weihnachtsmarkts die Möglichkeit, die geöffneten Geschäfte zu besuchen, ist jedenfalls für den streitgegenständlichen Bereich schon keine nachvollziehbare Grundlage erkennbar. Weder dem Antrag selbst noch den übrigen dem Gericht vorgelegten Unterlagen lässt sich auch nur im Ansatz die Größenordnung der erwarteten Kundenzahl in diesem ohnehin von der oben bereits erwähnten hohen Einzelhandelszentralität geprägten Freigabebereich entnehmen, um die genannte prozentuale Schätzung hierfür nachvollziehen zu können.
30Die Schätzung dürfte zudem deswegen fragwürdig sein, weil nicht erkennbar ist, auf welcher Grundlage die Werbegemeinschaft T. e. V. bei 10.000 Besuchern des Trödelmarkts im Oktober 2021 ca. 8.000 bis 10.000 Besucher der Verkaufsstellen erwartet, beim Weihnachtsmarkt hingegen nur mit 10-15 % der 8.000 Besucher als Kaufkundschaft gerechnet hat. Dabei ist erkennbar unberücksichtigt geblieben, dass gerade die Weihnachtszeit durch besonders hohe Umsätze im stationären Einzelhandel und eine Präsenz von Kunden an den Wochenenden geprägt ist. Vor diesem Hintergrund sind die Angaben der Werbegemeinschaft T. e. V. nicht aus sich heraus plausibel und hätten von der Antragsgegnerin nicht ungeprüft übernommen werden dürfen.
31Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.6.2017 – 4 B 715/17 –, juris, Rn. 5.
32Hierfür bestand umso mehr Anlass, nachdem schon die ursprüngliche pauschale Angabe der Werbegemeinschaft von 30.000 bis 40.000 erwarteten Besuchern für den Trödelmarkt gleichfalls als vollkommen überhöht auf 10.000 Besucher korrigiert worden war, ohne dass die Grundlagen für die eine oder die andere Angabe benannt worden waren.
33Allein die Behauptung der Antragsgegnerin, die von § 2 Nr. 2 umfassten Parkflächen des Baumarktes und des Möbelhauses in der U.--straße stellten die Kernparkplätze der Veranstaltung dar und seien von der Ausstrahlwirkung der eigentlichen Veranstaltung umfasst, weil sie im engen Zusammenhang mit der Veranstaltung des Weihnachtsmarktes stünden, führt zu keiner anderen Einschätzung.
34Anlassbezogene Sonntagsöffnungen müssen in der Regel auf das räumliche Umfeld der Anlassveranstaltung beschränkt werden. Zu erkennen ist der Bezug zum Veranstaltungsgeschehen in dem räumlichen Bereich, der von der Ausstrahlungswirkung der Veranstaltung erfasst wird. Das ist der Bereich, in dem die Veranstaltung das öffentliche Bild des betreffenden Sonntags prägt. Die prägende Wirkung muss dabei von der Veranstaltung selbst und nicht nur von dem durch sie ausgelösten Ziel- und Quellverkehr ausgehen. Die Ausstrahlungswirkung erstreckt sich also nicht auf den gesamten Einzugsbereich der Veranstaltung und auch nicht auf alle vom Ziel- und Quellverkehr genutzten Verkehrswege und Parkflächen.
35Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.6.2020 – 8 CN 1.19 –, BVerwGE 168, 338 = juris, Rn. 24 f.; OVG NRW, Beschluss vom 24.9.2021 – 4 B 1549/21.NE –, juris, Rn. 32 f.
36Vor dem Hintergrund der genannten Entfernung zur Anlassveranstaltung und der hohen Einzelhandelszentralität gerade der großen Geschäfte im Bereich der U.--straße ist für eine danach im Einzelfall zulässige Einbeziehung gerade dieser Parkflächen, wie ausgeführt, nichts ersichtlich.
37Die frühere Annahme des Senats, die Ausstrahlungswirkung einer Veranstaltung könne sich durchaus auf Bereiche erstrecken, die eine große Anzahl von Veranstaltungsbesuchern als Weg zum Veranstaltungsort nutzten,
38vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.3.2019 – 4 B 398/19 –, juris, Rn. 16 f., m. w. N.,
39kann nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls nicht mehr ohne eine schlüssige Prognose, die eine entsprechende Ausstrahlungswirkung der Veranstaltung selbst belegt, herangezogen werden.
40Die Ziele nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 5 LÖG NRW rechtfertigen es gleichfalls nicht, über den von einer maßgeblichen Prägung durch den Weihnachtsmarkt unmittelbar erfassten Bereich hinaus in der erfolgten Weise zu erweitern. Abgesehen davon, dass auch die in diesen Bestimmungen genannten Gesichtspunkte eine Prognose der Besucherströme nicht verzichtbar machen, kann aus diesen Gründen der Freigabebereich allenfalls auf Bereiche erweitert werden, die von besonderen örtlichen Problemlagen oder strukturellen Standortnachteilen betroffen sind. Um solche geht es hier ausweislich des Einzelhandelskonzepts gerade nicht.
41Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
42Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
43Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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