Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 15 A 3203/20
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Die mit dem Zulassungsbegehren vorgebrachten, für die Prüfung maßgeblichen Einwände (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) begründen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (dazu 1.) noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (dazu 2.).
41. Ernstliche Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.
5Das ist unter Berücksichtigung der mit der Zulassungsschrift vorgebrachten Rügen nicht der Fall.
6Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Antrag,
7festzustellen, dass die Umschließung und Abschirmung der Kläger von der Öffentlichkeit durch Polizeibeamte des Beklagten am 00. Dezember 2017 zwischen 14 und 16 Uhr auf dem C. Platz in L. rechtswidrig war und die Kläger in ihren Rechten verletzt,
8im Wesentlichen mit folgender Begründung abgewiesen: Der damit verbundene Eingriff in die Versammlungs- und Meinungsfreiheit der Kläger sei auf Grundlage von § 15 Abs. 3 und Abs. 1 VersG rechtmäßig erfolgt. Eine Auflösung der angemeldeten Gegendemonstration wäre unverhältnismäßig gewesen; die Bildung der Polizeiketten zwischen den widerstreitenden Versammlungen sowie später in nördlicher Richtung der Versammlung der Kläger sei ein milderes Mittel zur Gefahrenabwehr gewesen, um störenden oder gewalttätigen Personen den Weg zum Kundgebungsort der Kläger zu versperren. Abgesehen von einem Vorfall zu Beginn der Versammlungen, der zu einer Verurteilung eines B. -Mitglieds wegen vorsätzlicher Körperverletzung geführt habe, seien Gefahren für die öffentliche Sicherheit lediglich von den 100 bis 200 Gegendemonstranten und -demonstrantinnen ausgegangen, die sich der nur von wenigen Menschen besuchten Versammlung der Kläger so angenähert hätten, dass eine weitere, möglicherweise gewalttätige Eskalation zu erwarten gewesen sei. Die Polizei habe bei ihrer Gefahrenprognose zu Recht zugrunde gelegt, dass die beiden parallel stattfindenden Versammlungen ein gewisses Gewaltpotential aufgewiesen hätten. Im Vorfeld sei angenommen worden, dass eine räumliche Trennung der Versammlungen nebst Einsatz eines Zuges der Polizeihundertschaft ausreichend sei. Nachdem mutmaßliche Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Versammlung des Bündnisses gegen Rechts aus nördlicher Richtung kommend auf den Versammlungsplatz der Kläger zugegangen seien, sodann gegen 14:25 Uhr etwa 25 Personen aus dem linken Spektrum aus Richtung F. kommend auf die Versammlung zugelaufen seien und sich schließlich etwa 100 Personen der Gegenversammlung aus nördlicher und südlicher Richtung der Kundgebung der Kläger genähert hätten, habe die Polizei zu Recht angenommen, dass gewalttätige Auseinandersetzungen drohten. Angesichts dessen sei die Versammlung der Kläger durch die Bildung der Polizeiketten, die sich nicht gegen diese gerichtet, sondern deren Schutz gedient habe, nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt worden. Ein Zugang zu dieser sei jederzeit möglich gewesen.
9Die dagegen gerichteten Einwände der Zulassungsbegründung führen nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils. Der Beklagte konnte die ergriffenen Maßnahmen auf § 15 Abs. 3 i. V. m. § 15 Abs. 1 VersG stützen. Danach kann die zuständige Behörde sich zur Abwehr der von einer Versammlung oder von einem Aufzug ausgehenden unmittelbaren Gefahren auch nach Beginn der Versammlung aller ihr nach geltendem Recht zur Abwehr unmittelbarer Gefahren zustehenden polizeilichen Befugnisse bedienen und hat im konkreten Fall das Mittel einzusetzen, das sich angesichts der konkreten Gefahrenlage als zur Beseitigung der Gefahr geeignet, erforderlich und verhältnismäßig erweist.
10Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 1981 - I C 88.77 -, juris Rn. 36 f., Beschluss vom 23. August 1991 - 1 B 77.91 -, juris Rn. 4.
11Sind Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstranten und -demonstrantinnen - zu befürchten, während die Versammlung selbst friedlich ist, so sind behördliche Maßnahmen primär gegen die Störenden zu richten. Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen, eng auszulegenden Voraussetzungen des polizeilichen Notstands eingeschritten werden.
12Vgl. etwa OVG NRW, Urteil vom 24. September 2019 - 15 A 3186/17 -, juris Rn. 109 f. m. w. N.
13Ausgehend davon zeigt die Berufungsbegründung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bildung der streitgegenständlichen Polizeiketten auf. Im Hinblick auf die von der Polizei angenommene Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch Störungen der Versammlung der Kläger sowie gewalttätige Auseinandersetzungen rügt sie die Annahme des Beklagten und des Verwaltungsgerichts, dass die 25 Personen, die sich aus Richtung F. der Versammlung genähert hatten, dem linken Spektrum zuzuordnen gewesen seien. Die von den Klägern in den Raum gestellte Möglichkeit, es habe sich um an den Versammlungsinhalten der Kläger interessierte Bürgerinnen und Bürger gehandelt, ist schon deshalb fernliegend, weil die Personen ausweislich des Einsatzberichtes des Hundertschaftsführers vom 9. August 2018 auf die Veranstaltung zu rannten. Jedenfalls in Anbetracht dieses Umstands war aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht eine konkrete Gefahr für die klägerische Versammlung gegeben. Selbst wenn diese Einschätzung falsch gewesen sein sollte, ändert dies im Übrigen nichts daran, dass zumindest ein konkreter, belegbarer Anschein einer unmittelbaren Gefahrenlage vorgelegen hätte. Auch eine Anscheinsgefahr ist eine echte Gefahr im versammlungsrechtlichen Sinn.
14Die polizeilichen Maßnahmen richteten sich auch gegen die (störenden) Teilnehmenden der Gegendemonstration und damit gegen die richtigen Adressaten. Sie dienten dazu, diesen den Zugang zur bzw. die weitere Annäherung an die Versammlung der Kläger zu verwehren. Diese subjektive Zielrichtung war anhand der äußerlichen Gestaltung der Polizeiketten auch objektiv erkennbar, insbesondere dadurch, dass die Polizeikräfte sich in nördlicher Richtung etwa 25m entfernt von der Versammlung und in südlicher Richtung ebenfalls mit Entfernung zur klägerischen, aber unmittelbar vor der Gegenversammlung positionierten und ein Zugang zur Kundgebung der Kläger durchgehend möglich war. Neben der Gewährung des Durchlasses im Einzelfall durch die Polizeikräfte bestand jedenfalls über den Zebrastreifen nord-östlich der U-Bahn-Haltestelle „C. Platz“ auch durchgehend eine freie Zugangsmöglichkeit. Dass die Maßnahme - gewissermaßen reflexhaft - gleichwohl nicht unerhebliche negative Auswirkungen auf die Versammlung der Kläger hatte, ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen, ändert aber nichts an ihrer richtigen Adressierung.
15Dem Verwaltungsgericht ist schließlich darin zu folgen, dass die Entscheidung des Beklagten für die Bildung der Polizeiketten südlich und nördlich der klägerischen Versammlung ermessensfehlerfrei, insbesondere verhältnismäßig war. Die von der Zulassungsbegründung als milderes Mittel angesehene Variante der Verlagerung der Gegendemonstration zum südöstlichen Ende des C. Platzes hin nebst Bildung einer Polizeikette in unmittelbarer Nähe dieser Versammlung wäre nach nicht zu beanstandender Einschätzung des Beklagten nicht in gleicher Weise zur Gefahrenabwehr geeignet gewesen. Die Personen, die sich der Versammlung der Kläger mit der mutmaßlichen Absicht zu stören genähert hatten, waren nicht nur aus der Richtung der Gegendemonstration gekommen, sondern auch aus der entgegengesetzten Richtung; auch im späteren Verlauf hatten sich an beiden „offenen“ Seiten der Versammlung der Kläger Personen positioniert, die der Gegenveranstaltung zuzurechnen waren bzw. mit dieser sympathisierten. Ein effektiver Schutz der klägerischen Versammlung vor Störungen und vor einer Eskalation der Lage ließ sich deshalb nur durch die Verhinderung des Zugangs dieser Personen zur B. -Kundgebung von allen Seiten gewährleisten. Dass damit auch eine gewisse Abschirmung der Versammlung vor der Öffentlichkeit einherging, ist zutreffend, war aber in der konkreten Situation die einzige Möglichkeit, den bestehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit - und insbesondere die Versammlungsfreiheit der Kläger - wirksam zu begegnen. Angesichts des Umstands, dass - wie dargestellt - der Zugang zur Versammlung durchgehend gewährleistet war und der obere Teil der U-Bahn-Haltestelle die optische Wahrnehmbarkeit aus dieser Richtung nicht verhinderte, war die Maßnahme insgesamt angemessen. Dies gilt unabhängig davon, wie viele Passanten und Passantinnen den C. Platz am fraglichen Tag frequentierten.
16Soweit die Zulassungsbegründung im Übrigen Einwände gegen den Versammlungsort erhebt und in diesem Zusammenhang auf das Prioritätsprinzip verweist, geht dies angesichts des mit der Klage verfolgten Antrags, der ausschließlich die Bildung der Polizeiketten betrifft, an der Sache vorbei. Eine Unverhältnismäßigkeit der hier in Streit stehenden Maßnahmen könnte sich im Hinblick auf die Versammlungsorte der klägerischen Kundgebung und der Gegendemonstration allenfalls dann ergeben, wenn bereits im Vorfeld konkrete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bildung der Polizeiketten vorhanden gewesen wären. Dies wird mit der Zulassungsbegründung aber nicht geltend gemacht.
172. Die mit dem Zulassungsbegehren vorgebrachten Einwände führen auch nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
18Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrunds die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie klärungsbedürftig und entscheidungserheblich ist und aus welchen Gründen sie Bedeutung über den Einzelfall hinaus hat.
19Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Es fehlt bereits an der Formulierung einer konkreten Fragestellung. Eine solche lässt sich aus dem Zulassungsvorbringen auch nicht sinngemäß ableiten; die Rechtmäßigkeit der in Streit stehenden Gefahrenabwehrmaßnahme lässt sich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles beurteilen.
20Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
21Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.
22Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
23Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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Referenzen
- 15 A 3186/17 1x (nicht zugeordnet)