Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 B 1756/21
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 7.513,61 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Dabei kann offen bleiben, ob dem Antragsteller nach § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO zur Begründung der Beschwerde zu gewähren ist. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.
3Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers, auf dessen Prüfung der Senat im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt nicht, die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern und dem Antrag des Antragstellers stattzugeben,
4die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Entlassungsverfügung der Antragsgegnerin vom 3. Mai 2021 – 23 K 4118/21 – in Gestalt des Beschwerdebescheides vom 2. Juli 2021 anzuordnen.
5Das Verwaltungsgericht hat seine ablehnende Entscheidung wie folgt begründet: Die Interessenabwägung falle zum Nachteil des Antragstellers aus, weil Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung spreche. Rechtsgrundlage sei § 55 Abs. 5 SG. Die formell bedenkenfreie Verfügung sei auch materiell rechtmäßig. Zunächst habe sich der Antragsteller, ein Soldat auf Zeit, im Zeitpunkt der Aushändigung der Entlassungsverfügung am 6. Mai 2021 im vierten Dienstjahr befunden. Er sei zum 1. Juli 2017 in die Bundeswehr eingetreten. Der Antragsteller habe ferner auch seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt. Entgegen dessen Auffassung sei die Antragsgegnerin von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Dies betreffe zunächst den Umstand, dass auf dem Mobiltelefon des Antragstellers eine Vielzahl von rechtsradikalen und rassistischen Dateien gefunden worden sei. Es bedürfe keiner vertieften Begründung, dass die aufgefundenen Bilddateien wie etwa ein „Eisernes Kreuz“ mit Hakenkreuz, verschiedene Darstellungen von Adolf Hitler – unter anderem mit der Bildunterschrift „Neger? Die nehm ich als Brennholz“ (Nr. 39 des Extraktionsberichts) – oder Texte wie „Habe heute unter der Dusche gefurzt und bin fast erstickt … Noch nie habe ich mich so Jüdisch gefühlt“ (Nr. 33 des Extraktionsberichts) und „Die drei Hakenkreuze“ (Nr. 44 des Extraktionsberichts) rechtsradikale und rassistische Inhalte hätten. Das Vorbringen des Antragstellers, er habe nicht gewusst, dass diese Dateien auf seinem Mobiltelefon gespeichert gewesen seien, offenbar seien ihm diese ohne seine Kenntnis in Chats zugesandt worden, überzeuge in keiner Weise. Ausweislich der von der Staatsanwaltschaft Köln durchgeführten Auswertung des Mobiltelefons des Antragstellers seien 45 derartige Dateien gefunden worden. Schon aufgrund der Anzahl der Dateien sei es bei lebensnaher Betrachtung ausgeschlossen, dass der Antragsteller diese nicht erkannt habe. Ebenso sei es lebensnah, dass er sie letztlich auch gebilligt habe, da er sie nicht gelöscht habe. Die Speicherung dieser Dateien stelle einen erheblichen Verstoß gegen die Pflicht zum Eintreten für die demokratische Grundordnung (§ 8 SG) sowie gegen die allgemeinen Verhaltenspflichten aus § 17 SG dar. Ferner habe die Antragsgegnerin zu Recht auf die dem Antragsteller vorgeworfenen Betrugs- und Urkundsdelikte abgestellt. Sie habe nicht den Abschluss des gerichtlichen Strafverfahrens auf Grundlage der Anklageschrift vom 16. März 2021 abwarten müssen. Der Antragsteller sei am 11. Oktober 2019 in der „C. Apotheke“ in C. H. angetroffen worden, als er ein auf eine angebliche Person namens K. E. ausgestelltes – unechtes – Rezept habe einlösen wollen. Darüber hinaus seien nach der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Köln auf weiteren für diese Person ausgestellten Rezepten Fingerabdrücke des Antragstellers gefunden worden. Unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung dieses Sachverhalts könne und müsse die Antragsgegnerin das tatsächliche Geschehen, das der Antragsteller bislang nicht in Abrede gestellt habe, im Entlassungsverfahren berücksichtigen. Auch dieses Verhalten stelle eine schwerwiegende Verletzung der allgemeinen Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 SG dar. Zwar verletze außerdienstliches Fehlverhalten ohne zusätzlichen Bezug zur Dienstausübung § 17 Abs. 2 Satz 1 SG regelmäßig nur dann, wenn das Strafrecht hierfür eine mittelschwere Strafe (Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren) androhe. Dies sei der Fall. Sowohl für den hier in Betracht kommenden Betrug als auch für eine etwaige Urkundenfälschung betrage die Strafandrohung in §§ 265, 267 StGB jeweils bis zu fünf Jahre. Im Übrigen bestehe auch ein dienstlicher Bezug. Der Antragsteller habe in der Apotheke nämlich ein Rezept aus Bundeswehrbeständen mit einer angeblichen Verordnung durch das Sanitätsversorgungszentrum J. vorgelegt. Mit Blick auf die vorstehenden Dienstpflichtverletzungen, die schon jeweils für sich genommen den Tatbestand des § 55 Abs. 5 SG erfüllten, komme es nicht mehr darauf an, dass im Rahmen der Durchsuchung der Wohnung und des Pkws des Antragstellers am 18. Dezember 2019 Drogen, verschreibungspflichtigen Medikamente sowie dem Waffengesetz unterfallenden Waffen und Munition gefunden worden seien, die angeblich einer anderen Person zuzuordnen seien. Der Verbleib des Antragstellers im Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit gefährde auch die militärische Ordnung. Die Antragsgegnerin habe nachvollziehbar dargelegt, dass, selbst wenn man das Verhalten des Antragstellers trotz des Verstoßes gegen dienstliche Vorschriften nicht dem militärischen Kernbereich zuordnete, dieses jedenfalls deshalb die militärische Ordnung verletze, weil ihm eine Nachahmungs- und eine Wiederholungsgefahr innewohne. Bei einem Verbleiben des Antragstellers im Dienst könne in der Truppe der Eindruck entstehen, dass der Besitz von Dateien mit rechtsradikalem und rassistischem Gedankengut ohne Folgen für das Dienstverhältnis bleibe und somit vom Dienstherrn als Kavaliersdelikt angesehen und geduldet werde. Das Verhalten des Antragstellers sei somit geeignet, andere Soldaten zur Nachahmung zu verleiten und damit einer allgemeinen Disziplinlosigkeit und somit einer Gefährdung der militärischen Ordnung Vorschub zu leisten. Gleiches gelte hinsichtlich der Verwendungeines dienstlichen Rezeptblocks zu privaten und betrügerischen Zwecken. Diese Prognose der Antragsgegnerin sei rechtlich tragfähig. Gerade ein sich in der Bundeswehr unkontrolliert verbreitendes verfassungsfeindliches Gedankengut sei geeignet, eine Gefährdung der militärischen Ordnung mit dem gesetzlich geforderten Gefährdungsgrad herbeizuführen. Die Bundeswehr sei gerade dem Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegen Gefahren und Feinde von außen verpflichtet. Den Besitz vorbeschriebener Dateien zu dulden, leistete auch deren unkontrollierter Verbreitung Vorschub. Schon der Besitz derartiger Dateien reiche deshalb aus, um als Teilstück einer allgemeinen und überdies schwer zu bekämpfenden Erscheinung disziplinlosen Verhaltens – etwa vor dem Hintergrund eines zu erwartenden Nachahmungseffekts – die militärische Ordnung zu gefährden. Zudem gehe mit dem Verhalten des Antragstellers ein Ansehensverlust der Bundeswehr einher. Die Antragstellerin mache insoweit nachvollziehbar geltend, es bestehe in der Bevölkerung eine berechtigte Erwartung an die Integrität der Bundeswehr, die ausschließe, dass Berufswaffenträger rechtsradikales Gedankengut verbreiteten und sich mithilfe entwendeter dienstlicher Gegenstände (Rezeptblock) private Vorteile verschafften. Nur durch die klare Reaktion der Bundeswehr auf derartiges Verhalten könne von vornherein der Gefahr begegnet werden, dass andere Soldaten sich an einem schlechten Beispiel orientierten. Verbliebe der Antragsteller als Soldat auf Zeit inseinem Dienstverhältnis, könne der Eindruck entstehen, dass die dienstrechtlichen Pflichten nur als auf dem Papier stehend betrachtet würden und eine Ahndung nur halbherzig erfolge. Die Entlassung des Antragstellers sei auch nicht unverhältnismäßig. Die Antragsgegnerin habe nachvollziehbar dargelegt, dass sie auch hinsichtlich politischen Extremismus eine Null-Toleranz-Politik verfolge. Dies sei – wie oben dargelegt – zur Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung und zur Bekämpfung einer Nachahmung geboten. Insoweit erfahre der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit seine Ausprägung bereits durch das Merkmal der „ernstlichen Gefährdung“. Die Antragsgegnerin sei folglich nicht gehalten, zunächst disziplinarisch gegen den Antragsteller vorzugehen.
6Das hiergegen erhobene Beschwerdevorbringen greift nicht durch.
7Dies gilt zunächst für die Rüge des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe aus dem Extraktionsbericht, der selbst nicht angezweifelt werden solle, die falschen Schlüsse gezogen. Bei den auf seinem Mobiltelefon gefundenen Bildern handele es sich lediglich um “Thumbnails“ oder „Cache“-Dateien, die vom Mobiltelefon beiEmpfang der Bilder in Gruppenchats automatisch erstellt worden seien. Diese Dateien seien Kopien, die etwa als Bildvorschau für die Galerie-Ansicht genutzt würden. Diese Dateien blieben in der Regel auch nach Löschung der in Gruppenchats empfangenen und durch die Messenger-Programme automatisch gespeicherten Bilder erhalten. Dieser Umstand sei dem durchschnittlichen Nutzer unbekannt. Im Gegenteil spreche der Umstand, dass lediglich die Thumbnail-Bilder und nicht etwa die verwendeten Originale gefunden und extrahiert worden seien, dafür, dass der Antragsteller die Originalbilder stets gelöscht habe.
8Selbst wenn der Antragsteller die aus Chat-Nachrichten stammenden Originalbilder stets gelöscht haben sollte und die auf seinem Mobiltelefon verbliebenen, im Ermittlungsverfahren extrahierten Dateien automatisch generiert gewesen sein sollten, ändert dies nichts daran, dass der Antragsteller seine Dienstpflichten verletzt hat. Die aufgefundenen Dateien belegen zunächst, dass der Antragsteller an mindestens zwei Gruppenchats teilgenommen hat, in denen (auch) ihn immer wieder rechtsextreme, rassistische und antisemitische Bilder mit oder ohne Text erreicht haben. Dies folgt schon aus dem Umstand, dass die Bilder ausweislich der Dateipfade zum einen von "WhatsApp" und zum anderen von "Telegram" herrühren. Beispielsweise sind das unter Nr. 39 des Extraktionsberichts aufgeführte Bild und das unter Nr. 44 gelistete Bild von "WhatsApp" angelegt worden, während das die Opfer des Holocaust verächtlich machende Bild Nr. 23 von "Telegram" stammt. Der Antragsteller hat mit seinem Beschwerdevortrag auch nicht in Abrede gestellt, diese Bilder jeweils zur Kenntnis genommen zu haben. Im Gegenteil setzt seine Behauptung, die Originalbilder stets gelöscht zu haben, gerade eine vorherige Kenntnisnahme der sichtbaren, zu löschenden Datei voraus. Die Vielzahl der auf seinem Mobiltelefon gefundenen Dateien und vor allem deren Erstellungs- und Zugriffsdaten, die schon bei den Dateien mit NS-Bezug vom 3. Mai 2019 (Bild Nr. 24) bis zum 17. September 2019 (Bilder Nr. 39, 43 und 44) reichen, belegen ferner, dass der Antragsteller diesen Gruppenchats nicht nur vorübergehend, sondern über einen längeren Zeitraum hinweg gefolgt ist. Es ist auch weder behauptet noch sonst erkennbar, dass der Antragsteller den wiederholt transportierten rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Inhalten im Rahmen der Chats in irgendeiner Weise entgegengetreten wäre. Aus der Gesamtheit dieser Umstände kann nur abgeleitet werden, dass der Antragsteller diese Inhalte gebilligt hat. Hieraus wiederum folgt, dass er nicht – wie von § 8 SG gefordert – durch sein gesamtes Verhalten für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt und dass die Annahme, der Antragsteller habe erheblich gegen § 8 SG verstoßen, daher nicht zu beanstanden ist.
9Nicht zum Erfolg führt auch das gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts gerichtete Beschwerdevorbringen des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe zu Recht auf die ihm (insbesondere) vorgeworfenen Straftaten nach §§ 263, 267 StGB abgestellt und hieraus eine schwerwiegende Verletzung der allgemeinen Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 SG hergeleitet. Diesbezüglich führt er aus: Das Verwaltungsgericht und die Antragsgegnerin blieben eine Erklärung dafür schuldig, warum der Abschluss des gerichtlichen Strafverfahrens nicht habe abgewartet werden müssen. Dies werde lediglich behauptet. Bis zu einer Verurteilung gelte die Unschuldsvermutung. Es sei nicht klar, inwiefern dieser verfassungsmäßige Grundsatz für das Amt für Personalmanagement der Bundeswehr nicht gelten solle.
10Die Antragsgegnerin ist – anders als der Antragsteller meint – nicht gehindert, aus Sachverhalten, die zugleich Gegenstand von laufenden Strafverfahren sind, eigene Rückschlüsse für ein paralleles Verwaltungsverfahren zu ziehen, das auf die Entlassung des betreffenden Soldaten gerichtet ist. Dies folgt schon daraus, dass das Strafverfahren und das soldatenrechtliche Entlassungsverfahren unterschiedlichen Zwecken dienen. Während das Strafverfahren allein die Sanktionierung begangenen Unrechts bezweckt, dient § 55 Abs. 5 SG ausschließlich dem Schutz der Bundeswehr vor künftigem Schaden. Die Entlassung stellt sich daher nicht als Sanktion gegen den betroffenen Soldaten auf Zeit dar, sondern als Mittel zur Abwendung einer drohenden ernstlichen Gefahr für die Bundeswehr.
11Vgl. Lucks, in Scherer/Alff/Poretschkin/Lucks, SG, 10. Aufl. 2018, § 55 Rn. 18.
12Gegen eine Pflicht der Antragsgegnerin, zunächst den Ausgang des Strafverfahrens abzuwarten, spricht zudem, dass die Rechtsordnung an anderer Stelle ausdrücklich eine Pflicht zur Aussetzung von Verfahren bis zum Abschluss eines parallelen Strafverfahrens vorsieht. So normieren beispielsweise § 22 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW und § 22 Abs. 1 Satz 1 BDG eine Verpflichtung zur Aussetzung von Disziplinarverfahren. Für Entlassungsverfahren nach § 55 SG existiert eine solche Regelung hingegen nicht.
13Der Berücksichtigung von Sachverhalten, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Strafverfahrens sind, steht hier auch die in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerte Unschuldsvermutung nicht entgegen. Deren Anwendungsbereich ist, soweit es um das Entlassungsverfahren geht, schon nicht eröffnet. Sie bezieht sich nämlich nur auf Strafverfahren i. S. v. Art. 6 EMRK, also auf (materiell) strafrechtliche Angelegenheiten, bei denen ein Verhalten gerichtlich mit einer bestrafenden und abschreckenden Sanktion belegt werden soll,
14vgl. Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017 EMRK Art 6 Rn. 5, 23 ff. (insb. Rn. 27) und 211 ff., sowie Grabenwarter/Pabel, in: Grabenwarter/Pabel, EMRK, 7. Aufl. 2021, EMRK Art. 6 Rn. 4, 19 ff. und 139 ff.,
15und bindet dabei unmittelbar nur den Richter, der über die Begründetheit der Anklage zu entscheiden hat.
16Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 28. November 2018 – 6 C 18.2347 –, juris, Rn. 14.
17Nicht erfasst ist damit das soldatenrechtliche Entlassungsverfahren, das – wie ausgeführt – keinen sanktionierenden Charakter hat, sondern nur präventive Zwecke verfolgt.
18Die Bewertung, dass die Entlassungsbehörde nicht durch Art. 6 Abs. 2 EMRK gehindert ist, aus Sachverhalten, die zugleich Gegenstand von noch laufenden Strafverfahren sind, eigene Rückschlüsse für ein paralleles Verwaltungsverfahren zu ziehen, führt auch nicht etwa dazu, dass "jede haltlose Unterstellung bereits zu einer fristlosen Entlassung führen" könne. Der Entlassungsbehörde obliegt es in solchen Fällen selbstverständlich, den jeweiligen entscheidungserheblichen Sachverhalt eigenständig und ordnungsgemäß zu ermitteln (vgl. §§ 24, 26 VwVfG) und Entlassungsverfügungen auf eine tragfähige, nachprüfbare Tatsachengrundlage zu stützen. Im Übrigen liegen im Fall des Antragstellers, soweit es um die Betrugstaten und die Verstöße gegen § 267 StGB geht, ganz sicher keine haltlosen Unterstellungen vor. Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Antragsteller bei einer seiner Taten, zu denen er schweigt, auf frischer Tat angetroffen worden (in der Anklageschrift vom 16. März 2021: Tat vom 11. Oktober 2019 = 8. Tat), und aufeinem vergleichbaren, am 30. September 2019 und bei einer anderen Apotheke erfolgreich eingereichten Rezept (5. Tat) fand sich eine von dem Antragsteller stammende daktyloskopische Spur.
19Auch greift die Rüge des Antragstellers nicht durch, der vom Verwaltungsgericht angenommene dienstliche Bezug des vorgeworfenen Verhaltens sei "arg konstruiert". Der Rezeptblock und die Verordnung hätten keinerlei dienstlichen Bezug zum Dienstverhältnis des Antragstellers, da dieser weder im Sanitätsversorgungszentrum J. eingesetzt gewesen sei noch dienstlich mit Bundeswehrrezepten zu tun habe. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung nicht tragend („im Übrigen“, BA S. 4, dritter Absatz) auf einen dienstlichen Bezug der Verwendung der gefälschten Rezepte gestützt. Vielmehr hat es ausdrücklich den Maßstab für außerdienstliches Fehlverhalten herangezogen und festgestellt, dass das Strafrecht für das Verhalten des Antragstellers eine mittelschwere Strafe androhe.
20Auch der Vortrag des Antragstellers zur Durchsuchung seiner Wohnung und zu den dabei vorgefundenen Gegenständen ist unerheblich. Auf diesen Komplex hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung ebenfalls ausdrücklich nicht gestützt, sondern ausgeführt, dass schon der Besitz der rechtsradikalen und rassistischen Dateien und die Verwendung unechter dienstlicher Rezepte Dienstpflichtverletzungen darstellten, die jeweils für sich genommen den Tatbestand des § 55 Abs. 5 SG erfüllten (BA S. 4, letzter Absatz).
21Zu Unrecht rügt der Antragsteller ferner die Annahme des Verwaltungsgerichts, das Verbleiben des Antragstellers in seinem Dienstverhältnis gefährde die militärische Ordnung der Bundeswehr ernstlich. Insoweit führt Antragsteller aus, selbst wenn man die Vorwürfe der Antragsgegnerin als wahr unterstelle, fehle es an einer ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung. Die Schwere der Dienstpflichtverletzung sei nicht entscheidend. Bezüglich der ihm angeblich gehörenden Medikamente und Drogen sei nicht klar, wie der Besitz solcher Substanzen außerhalb der Diensträume der Bundeswehr überhaupt die innerbetriebliche Funktionsfähigkeit der Streitkräfte beeinträchtigen könne. Zwar könne möglicherweise der Konsum von Medikamenten oder Drogen die personelle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr beeinträchtigen. Für einen Konsum durch den Antragsteller gebe es vorliegend jedoch keine Anhaltspunkte. Ähnliches gelte für die aufgefundenen Waffen und die Munition. Zwar möge deren Besitz strafbar sein; er beeinträchtige aber nicht die materielle oder personelle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Auch sei unklar, inwieweit der reine Besitz der auf dem Mobiltelefon des Antragstellers gefundenen Dateien zur Nachahmung verleiten könne. Eine Verbreitung oder Zurschaustellung dieser Bilder werde von Seiten der Antragsgegnerin nicht einmal behauptet. Einer Nachahmung im Hinblick auf die Verwendung des Rezeptblocks könne schon durch eine bessere Verwahrung und Protokollierung der Entnahme von Rezepten begegnet werden.
22Dies greift nicht durch. Das Vorbringen ist unerheblich, soweit sich der Antragsteller auf die im Rahmen der Hausdurchsuchung gefundenen Medikamente, Drogen, Waffen und die Munition bezieht. Das Verwaltungsgericht hat die ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung der Bundeswehr nicht aus diesen Umständen, sondern allein aus dem Besitz der auf dem Mobiltelefon des Antragstellers gefundenen Dateien sowie der Verwendung der gefälschten Rezepte hergeleitet. Die damit insoweit allein tragende Annahme des Verwaltungsgerichts, mit Blick auf den Besitz der vorgenannten Dateien und die Verwendung der gefälschten Rezepte bestehe eine Nachahmungsgefahr und damit eine Gefährdung der militärischen Ordnung der Bundeswehr, begegnet keinen Bedenken. Es liegt auf der Hand, dass eine Weiterverwendung des Antragstellers unter diesen Umständen der Truppe signalisieren würde, das Fehlverhalten des Antragstellers sei nicht so gravierend. Hierdurch könnte bei anderen Soldaten die Hemmschwelle, sich an antisemitischen und rassistischen Chat-Gruppen zu beteiligen oder zum dienstlichen Gebrauch vorgesehene Gegenstände widerrechtlich zu privaten Zwecken einzusetzen, gesenkt werden. Gerade mit Blick auf die Bedeutung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung können solche Gefahren nicht hingenommen werden. Darauf, dass keine Verbreitung oder Zurschaustellung dieser Bilder in Rede steht, kommt es insoweit nicht an.
23Unerheblich ist ferner, dass das Verhalten des Antragstellers nach dessen Darstellung bislang niemandem, insbesondere keinen außenstehenden Personen, bekannt geworden ist. § 55 Abs. 5 SG verlangt lediglich eine Gefährdung der militärischen Ordnung oder des Ansehens der Bundeswehr, nicht aber einen bereits eingetretenen Schaden. Eine solche Gefahr liegt hier vor. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Vorwürfe wie die dem Antragsteller gegenüber erhobenen im Laufe der Zeit weiter erzählt werden.
24Soweit der Antragsteller ausführt, einer Nachahmung könne bereits durch eine bessere Verwahrung der Rezeptblöcke und Protokollierung der Rezeptentnahme wirksam begegnet werden, erscheint bereits fraglich, ob die Rezeptblöcke im dienstlichen Alltag stets in einer Weise gesichert werden können, die jeglichen kriminellen Zugriff sicher ausschließt. Im Übrigen besteht die erhebliche Gefahr, dass andere Soldaten eine Weiterverwendung des Antragstellers im Dienst als generelles Signal missverstehen, die unbefugte Verwendung dienstlicher Gegenstände zu privaten, sogar illegalen Zwecken bleibe folgenlos.
25Vergebens rügt der Antragsteller in der Sache auch die Annahme einer ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung. Hierzu führt er aus, möglicherweise vorgefallene Disziplinlosigkeiten könnten auch mit anderen (einfachen) Disziplinarmaßnahmen geahndet und somit eine Nachahmung oder Wiederholung unterbunden werden. Dies greift nicht durch.
26Mit dem Erfordernis, dass die Gefährdung der militärischen Ordnung ernstlich sein muss, entscheidet das Gesetz selbst die Frage der Angemessenheit der fristlosen Entlassung im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck und konkretisiert so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar können Dienstpflichtverletzungen auch dann eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung herbeiführen, wenn es sich um ein leichteres Fehlverhalten handelt oder mildernde Umstände hinzutreten. Jedoch ist im Rahmen der Gefährdungsprüfung zu berücksichtigen, ob die Gefahr für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch eine Disziplinarmaßnahme abgewendet werden kann.
27BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2011 – 2 C 28.10 –, juris, Rn. 11 m. w. N.
28Die Durchführung eines Disziplinarverfahrens genügt ungeachtet dessen, dass Disziplinarverfahren und Entlassungsverfahren unterschiedlichen Zwecken dienen dürften, jedoch vorliegend nicht, um der Gefahr für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr hinreichend zu begegnen. Für die dem Kläger vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen beruft sich dieser nicht auf mildernde Umstände. Solche sind auch sonst nicht ersichtlich. Auch stellen die Dienstpflichtverletzungen kein leichteres Fehlverhalten im vorgenannten Sinne dar, hinsichtlich dessen eine Nachahmungsgefahr durch eine Disziplinarmaßnahme beseitigt werden könnte. Für die Verwendung der gefälschten Rezepte folgt dies bereits aus der Strafandrohung (Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren) der nach der Anklageschrift vom 16. März 2021 einschlägigen §§ 263 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 1, 267 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 StGB. Darüber hinaus stellen diese Taten offensichtlich auch kein Augenblicksversagen dar. Vielmehr zeigt der Umstand, dass jedenfalls auf einem weiteren der gefälschten Rezepten die Fingerabdrücke des Antragstellers gefunden wurden und dieser in drei Fällen von Mitarbeitern der Apotheken im Rahmen von Wahllichtbildvorlagen wiedererkannt wurde, dass der Antragsteller wiederholt gefälschte Rezepte in Apotheken vorgelegt hat. Auch der Besitz der rassistischen, antisemitischen und rechtsextremistischen Bilder, der nach Angaben des Antragstellers aus der Teilnahme an einschlägigen Chats resultiert, stellt kein leichtes Fehlverhalten dar. Gerade mit Blick auf die deutsche Geschichte von 1933 bis 1945 setzt die Einsatzfähigkeit eines Soldaten voraus, dass er die Gewähr bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Eine solche Annahme scheidet angesichts des Verhaltens des Antragstellers aus. Bei rassistischen, antisemitischen und rechtsextremen Aktivitäten von Soldaten handelt es sich zudem um ein – von dem jeweiligen Einzelfall losgelöstes – allgemeines Problem, welches, um eine ansonsten drohende Festsetzung dieses Problems in den Streitkräften zu verhindern, schon im Anfangsstadium mit der gebotenen Härte bekämpft werden muss.
29Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. März 2006 – 1 B 1843/05 –, juris, Rn. 23.
30Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin im Rahmen einer Null-Toleranz-Politik der Truppe signalisieren möchte, schon der (billigende) Besitz von Dateien des hier in Rede stehenden Inhalts, die auf eine nicht nur vorübergehende Teilnahme an einschlägigen Chat-Gruppen zurückzuführen sind, werde nicht toleriert.
31Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
32Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG sowie § 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 (Dienstverhältnis auf Zeit), Satz 2 und 3 GKG. Auszugehen ist nach § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 GKG von dem Jahresbetrag der Bezüge, die dem jeweiligen Antragsteller nach Maßgabe des im Zeitpunkt der Einleitung der jeweiligen Instanz (hier: Beschwerdeerhebung am 9. November 2021) bekanntgemachten, für Soldatinnen und Soldaten des Bundes geltenden Besoldungsrechts unter Zugrundelegung der jeweiligen Erfahrungsstufe fiktiv für das innegehabte Amt im Kalenderjahr der Einleitung der Instanz zu zahlen sind. Nicht zu berücksichtigen sind dabei die nach § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 und Satz 3 GKG ausgenommenen Besoldungsbestandteile. Der nach diesen Maßgaben zu bestimmende Jahresbetrag ist, da ein Dienstverhältnis auf Zeit in Rede steht, zunächst gemäß § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG um die Hälfte zu reduzieren und sodann, da nur eine vorläufige Regelung begehrt wird, die die Hauptsache nicht vorwegnimmt, noch einmal zu halbieren.
33Zu Letzterem vgl. den Senatsbeschluss vom 13. Januar 2020 – 1 B 1640/19 –, juris, Rn. 22 f., m. w. N.
34Der nach den vorstehenden Grundsätzen zu ermittelnde Jahresbetrag beläuft sich hier angesichts des von dem Antragsteller zuletzt innegehabten Amtes nach A 4 Z BBesO bei Zugrundelegung der Erfahrungsstufe 3 für das maßgebliche Jahr 2021 auf 30.054,42 Euro (für Januar, Februar und März 2021 jeweils noch 2.482,20 Euro, für die übrigen Monate jeweils schon 2.511,98 Euro). Ein Viertel dieses Betrages beläuft sich auf (aufgerundet) 7.513,61 Euro.
35Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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