Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 B 1219/21
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 22.000,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Die Beschwerde ist unbegründet. Aus dem Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hätte stattgeben müssen.
3Das Verwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (26 K 1272/21) gegen die Zurruhesetzungsverfügung der Antragsgegnerin vom 28. Januar 2021 wiederherzustellen. Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung gehe zu Lasten des Antragstellers aus. Es spreche Vieles dafür, dass die auf § 26 Abs. 1 BeamtStG i. V. m. § 34 LBG NRW gestützte Zurruhesetzungsverfügung einer rechtlichen Überprüfung im Hauptsacheverfahren Stand halten werde. Die Antragsgegnerin sei auf der Grundlage des amtsärztlichen Gutachtens des Fachbereichs Medizinischer Dienst der Stadt M. vom 1. Dezember 2020 in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, der Antragsteller sei - im maßgeblichen Zeitpunkt der (letzten) Verwaltungsentscheidung - dienstunfähig für den mittleren feuerwehrtechnischen Dienst. Das amtsärztliche Gutachten genüge den in der Rechtsprechung geforderten inhaltlichen Anforderungen. Es lasse insbesondere die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen der Amtsärztin erkennen, die neben den Erkenntnissen aus mehrfachen eigenen Untersuchungen des Antragstellers auch auf ein orthopädisches und psychiatrisches Fachgutachten aus April 2019 sowie zahlreiche privatärztliche Dienstunfähigkeitsbescheinigungen habe zurückgreifen können. Vor diesem Hintergrund sei die Amtsärztin, wie diese mit Stellungnahme vom 17. April 2021 noch einmal bestätigt habe, auch ohne erneute Untersuchung des Antragstellers in der Lage gewesen, sich ein vollständiges Bild von dessen Gesundheitszustand nach Aktenlage zu machen. Inhaltlich sei das Gutachten nachvollziehbar und plausibel. Danach leide der Antragsteller an einem komplexen seelischen Krankheitsbild mit Tendenz zur Aggravation und chronischem Verlauf, einer stark einschränkenden Persönlichkeitsstörung sowie starken Defiziten im Bereich sozialer Interaktion. Die Amtsärztin habe weiter festgestellt, dass alle bisherigen bzw. geplanten Behandlungsversuche des Antragstellers gescheitert seien, eine schlechte Compliance mit Unzuverlässigkeit und insgesamt eine fehlende seelische Belastbarkeit vorliege. Es liege nahe, dass die Amtsärztin anlässlich der zahlreichen Termine, bei denen der Antragsteller bei ihr persönlich vorstellig gewesen sei, den aktuellen Krankheitsverlauf und die entsprechenden Therapienotwendigkeiten thematisiert habe. Die Feststellungen der Amtsärztin beruhten danach auf fundierten eigenen Erkenntnissen, wobei sie nicht von den Diagnosen des im April 2019 eingeholten psychiatrischen Fachgutachtens abgewichen sei, sondern die weitere Entwicklung des Krankheitsverlaufs in den Blick genommen habe. Dass sie ihre fachliche Kompetenz überschritten haben könnte, sei nicht ersichtlich. Die Antragsgegnerin habe auch zu Recht nicht gemäß § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG von der Versetzung des Antragstellers in den Ruhestand abgesehen. Denn nach der gutachtlichen Beurteilung der Amtsärztin erstrecke sich die festgestellte langfristige Dienstunfähigkeit des Antragstellers auch auf andere Tätigkeiten (z. B. in der Verwaltung).
4Das hiergegen gerichtete Beschwerdevorbringen greift nicht durch.
5I. Soweit mit der Beschwerde zunächst „die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zur vollumfänglichen Überprüfung in der Beschwerdeinstanz gestellt wird“, genügt dies nicht den Darlegungsanforderungen, da insoweit eine Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung, wie in § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO gefordert, gerade fehlt.
6II. Die mit der Beschwerde gegen die Annahmen des Verwaltungsgerichts näher dargelegten Einwände greifen nicht durch.
71. Der Antragsteller macht vergeblich geltend, dass das amtsärztliche Gutachten des Medizinischen Dienstes der Stadt M. den Anforderungen als Tatsachengrundlage für die Prognoseentscheidung des Dienstherrn nicht genüge, weil die in dem Gutachten getroffene schwere Diagnose „komplexes seelisches Krankheitsbild“ im Rahmen einer für den betroffenen Beamten
8- im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung der männlichen und weiblichen Sprachform verzichtet und gilt die männliche Sprachform für alle Geschlechter -
9gravierenden Entscheidung über die Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit nicht durch eine Beurteilung nach Aktenlage erfolgen könne.
10Es ist nicht zu beanstanden, dass das Gutachten, welches die Antragsgegnerin ihrer Entscheidung über die vorzeitige Versetzung des Antragstellers in den Ruhestand zugrunde gelegt hat, nach Aktenlage ergangen ist. Die Amtsärztin hat im Streitfall den Akteninhalt in rechtlich zulässiger Weise als hinreichende Grundlage erachtet, eine psychiatrische Diagnose mit ausreichender Sicherheit zu stellen.
11Vgl. auch ein amtsärztliches Gutachten aufgrund des Akteninhalts kann auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruhen: OVG NRW, Beschluss vom 28. April 2011 - 6 A 463/11 -, juris Rn. 5.
12Gegen die Zulässigkeit der Erstellung eines Gutachtens zur dauernden Dienstunfähigkeit eines Beamten nach Aktenlage spricht insbesondere nicht die Bedeutung, die dem Ergebnis der Beurteilung zukommen kann. Vielmehr ist allein entscheidend, ob der beauftragten Amtsärztin des Medizinischen Dienstes der Stadt M. , N. I. , auch ohne (weitere) Untersuchung des Antragstellers ausreichende Erkenntnisse und Informationen zur Erstellung des Gutachtens zur Verfügung standen. Dies hat das Verwaltungsgericht zu Recht aufgrund der erfolgten zahlreichen Untersuchungen des Antragstellers durch die Amtsärztin sowie die ihr vorliegenden Gutachten und Atteste angenommen. Der Antragsteller ist ausweislich der entsprechenden Vermerke in der vom Medizinischen Dienst der Stadt M. geführten „Krankenakte“ innerhalb der vergangenen zwei Jahre vor Erlass der Zurruhesetzungsverfügung über 20-mal beim Medizinischen Dienst vorstellig geworden. Bereits am 21. Februar 2019 fand eine amtsärztliche Untersuchung zur Feststellung seiner Dienstfähigkeit statt. Im April 2019 wurden in diesem Rahmen ein orthopädisches sowie ein psychiatrisches Zusatzgutachten eingeholt. Zudem war der Antragsteller seit dem 24. Februar 2019 verpflichtet, seine privatärztlichen Dienstunfähigkeitsbescheinigungen amtsärztlich bestätigen zu lassen. Neben den vorgenannten, den Gesundheitszustand engmaschig dokumentierenden Unterlagen konnte die Amtsärztin zudem ihre eigenen in den Untersuchungen des Antragstellers gewonnenen Eindrücke der Beurteilung zugrunde legen. Sie hat den Antragsteller im Jahr 2020 fünfmal (am 17. Februar 2020 zur Erstellung eines Gutachtens über seine Dienstfähigkeit sowie am 25. Mai, 6. Juli, 5. August und 1. Oktober 2020 zur Bestätigung der vorgelegten privatärztlichen Dienstunfähigkeitsbescheinigungen) untersucht. Es ergibt sich auch unmittelbar aus dem Gutachten, in dem Anamnese, Befund, ärztliche Unterlagen und Atteste aufgezählt werden und auf die zahlreich, zuletzt am 1. Oktober 2020, erfolgten Untersuchungen des Antragstellers verwiesen wird, dass diese umfangreichen Erkenntnismittel Grundlage der amtsärztlichen Beurteilung waren.
13In Anbetracht der damit vorhandenen, einen nicht unerheblichen Zeitraum erfassenden amtsärztlichen Dokumentation des gesundheitlichen Zustandes des Antragstellers sowie der wenige Monate vor der Erstellung des Gutachtens und vor Erlass der Zurruhesetzungsverfügung durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung ist weder dargelegt noch ersichtlich, in welcher Hinsicht die Erkenntnisgrundlage der Amtsärztin defizitär gewesen sein soll bzw. welche weiteren Informationen sie durch eine nochmalige Untersuchung hätte erlangen können.
142. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Amtsärztin bei der Erstellung des Gutachtens zur Dienstfähigkeit des Antragstellers die im Rahmen der Bestätigung der privatärztlichen Dienstunfähigkeitsbescheinigungen getroffenen Feststellungen berücksichtigt hat. Dem steht insbesondere nicht, wie die Beschwerde geltend macht, entgegen, dass die Termine zur Bestätigung der privatärztlichen Dienstunfähigkeitsbescheinigungen in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Problematisierung der vollständigen Dienstunfähigkeit gestanden hätten. Die Beschwerde lässt es hier schon an jeder Erläuterung ihrer entsprechenden Auffassung fehlen und genügt damit nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Nur angemerkt sei deshalb, dass sich aus dem gerügten Umstand kein Verwertungsverbot der insoweit gewonnenen Erkenntnisse für die Beurteilung der dauernden Dienstunfähigkeit ergibt. Ein solches folgt insbesondere nicht aus den einschlägigen beamtenrechtlichen Vorschriften. § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG sowie § 33 Abs. 1 LBG NRW liegt gerade der Gedanke zugrunde, dass die wiederholte Vorlage von Dienstunfähigkeitsbescheinigungen bzw. einer Krankschreibung von drei Monaten innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten zum Anlass genommen werden kann, eine amtsärztliche Untersuchung anzuordnen. Daraus folgt, dass der Beamte gerade nicht darauf vertrauen kann, den von ihm eingereichten Dienstunfähigkeitsbescheinigungen würde keine über die aktuelle Krankschreibung hinausgehende Bedeutung beigemessen. Dies musste dem Antragsteller, dessen dauernde Dienstunfähigkeit bereits mehrfach Gegenstand entsprechender Begutachtungen war, im Besonderen bekannt sein. Dies zugrunde gelegt ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund der Amtsärztin eine Verwertung der ihr vorliegenden privatärztlichen Atteste und der im Rahmen deren Bestätigung getroffenen Feststellungen bei der Beurteilung der dauernden Dienstunfähigkeit verwehrt sein sollte, zumal eine ordnungsgemäße Begutachtung - worauf der Antragsteller zutreffend hinweist - eine hinreichende medizinische Sachverhaltsaufklärung voraussetzt.
15Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. September 2013 ‑ 6 A 2781/12 -, juris Rn. 7, 10; Schrapper/Günther, LBG NRW, 3. Auflage 2021, § 34 Rn. 1.
163. Die Beschwerde greift auch nicht damit durch, dass es der Einholung eines Fachgutachtens mit hinreichend langem Anamnesegespräch durch einen entsprechend ausgebildeten und fachkundigen Mediziner bedurft habe und die Begutachtung bei einem nicht medizinisch spezialisierten Amtsarzt für die Ermittlung eines psychischen Krankheitsbildes nicht ausreiche.
17Der Amtsärztin fehlte nicht die Befähigung, psychische Erkrankungen festzustellen zumal sie sich insoweit auf eine Reihe ihr vorliegender (fach-)ärztlicher Berichte stützen konnte. Darunter insbesondere auf das fachpsychiatrische Zusatzgutachten vom 19. April 2019, in welchem unter anderem ausgeführt wird, dass der Antragsteller an einer leichten bis mittelschweren Depression leide, bereits 2005 in eine seelische Lebenskrise geraten sei und die in den darauffolgenden Jahren begonnenen (drei) Therapien abgebrochen habe. Zudem könnten - so der Zusatzgutachter - die von einem ehemaligen Therapeuten des Antragstellers gestellten Diagnosen einer hyperkinetischen Störung mit Störung des Sozialverhaltens und einer Anpassungsstörung nachvollzogen werden. Ob komorbid ein ADHS-Syndrom oder eine Persönlichkeitsakzentuierung oder -störung vorliege, habe in der Untersuchung nicht abschließend geklärt werden können. Die im Nachgang von dem Antragsteller vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen sowie die von der Amtsärztin in den Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse knüpfen an diese Feststellungen in dem Zusatzgutachten an. Denn auch die Dienstunfähigkeitsbescheinigungen der Praxisgemeinschaft Dr. L. und Partner, Fachärzte für Innere Medizin, vom 8. Juni, 2. Juli und 29. Oktober 2020 enthalten die - ein seelisches Leiden darstellende - Diagnose einer depressiven Episode bzw. Erschöpfung und teilen die Einschätzung des fachpsychiatrischen Zusatzgutachters zur Notwendigkeit einer psychotherapeutischen Behandlung. Im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchungen - etwa am 21. Februar 2019 sowie am 17. Februar 2020 - schilderte der Antragsteller ferner die bereits fachärztlich begutachteten psychischen Beschwerden sowie den Abbruch einer Therapie und die Suche nach einem neuen Psychotherapeuten, sodass die Amtsärztin schon in ihrem Gutachten vom 9. März 2020 ein komplexes Krankheitsbild mit orthopädischen und seelischen Beeinträchtigungen bei dem Antragsteller feststellte. Aufgrund dieser und der sich aus den Untersuchungen vom 25. Mai, 6. Juli, 5. August und 1. Oktober 2020 ergebenden Kenntnisse der Amtsärztin über den weiteren Verlauf der bekannten psychischen Erkrankungen des Antragstellers sowie den - in den Untersuchungen wiederholt thematisierten - Behandlungsstand, ist nicht zu beanstanden, dass die Amtsärztin vor Abfassung des Gutachtens von der Einholung eines (weiteren) fachpsychiatrischen Zusatzgutachtens abgesehen hat.
18Der Antragsteller hat insoweit auch keine substantiierten Einwände gegen die medizinischen Feststellungen der Amtsärztin erhoben oder die Diagnosen bestritten.
194. Nach dem Vorstehenden ist - abgesehen davon, dass dies außerhalb der Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO vorgetragen worden ist - auch nicht von Bedeutung, ob die Amtsärztin vor Erstellung des Gutachtens mit einem der behandelnden Ärzte des Antragstellers Rücksprache gehalten hat, da eine ausreichende Tatsachengrundlage und Expertise für ihre Beurteilung auch ohne entsprechende Unterredung vorlagen.
205. Zudem erweist sich angesichts der vier dokumentierten Untersuchungen nach Eintritt der pandemischen Lage die Behauptung des Antragstellers, die Amtsärztin habe ihn seit der Corona-Pandemie nur ein einziges Mal für 10 Minuten persönlich gesehen, als ersichtlich unzutreffend. Die Untersuchungsdokumentationen, aus denen sich, wie bereits dargestellt, insbesondere die wiederholte Thematisierung von Therapieversuchen und -abbrüchen des Antragstellers ergeben, entziehen damit auch seinem weiteren Einwand, die Amtsärztin habe ohne entsprechende Rücksprachen die Feststellungen einer schlechten Compliance mit Unzuverlässigkeit und des Scheiterns von bisherigen und geplanten Behandlungsversuchen nicht treffen können, die Grundlage.
21Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 40, 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 und 3 GKG.
22Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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