Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 B 1955/21
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 17.12.2021 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
1Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.
2Das Verwaltungsgericht hat den sinngemäßen Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 19 K 4367/21 (VG Gelsenkirchen) gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 27.10.2021 hinsichtlich Ziffer I. und II. wiederherzustellen und hinsichtlich Ziffer IV. anzuordnen,
4mit der Begründung abgelehnt, die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung gehe zu Lasten der Antragstellerin aus. Das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiege das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 27.10.2021, mit der der Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die weitere selbständige Ausübung des Betriebes von Trinkhallen (ohne Alkoholausschank) mit Imbissschalterverkauf mit Wirkung zum 29.11.2021 (Ziffer I.) sowie zugleich die Ausübung aller weiteren selbständigen Gewerbe (Ziffer II.) untersagt und für den Fall der Nichtbeachtung der in der Anordnung zu I. enthaltenen Schließungsverfügung das Zwangsmittel des unmittelbaren Zwangs durch Versiegelung der Betriebsräume angedroht (Ziffer IV.) worden sei, erweise sich aus den Gründen der streitbetroffenen Ordnungsverfügung als offensichtlich rechtmäßig. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit der Antragstellerin werde zudem dadurch erhärtet, dass sie im Schuldnerverzeichnis mit der Bemerkung „Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen“ eingetragen sei, was ihre fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit belege.
5Diese Einschätzung des Verwaltungsgerichts wird durch das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, nicht durchgreifend in Frage gestellt.
6Der Einwand der Antragstellerin, sie habe nach Einleitung des Gewerbeuntersagungsverfahrens ihre Steuerschulden deutlich reduziert, steht der Annahme ihrer gewerblichen Unzuverlässigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO nicht entgegen.
7Unzuverlässig ist ein Gewerbetreibender, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreibt. Dabei rechtfertigen Zahlungsrückstände gegenüber Sozialversicherungsträgern und Steuerbehörden die Annahme einer gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit, wenn sie sowohl nach ihrer absoluten Höhe als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind; zudem ist die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen öffentlich-rechtlichen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt, insoweit von Bedeutung.
8Vgl. BVerwG, Urteil vom 2.2.1982 – 1 C 146.80 –, BVerwGE 65, 1 = juris, Rn. 13, und Beschluss vom 9.4.1997 – 1 B 81.97 –, juris, Rn. 5, m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 25.8.2020 – 4 A 2461/19 –,juris, Rn. 7 f.
9Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet.
10Vgl. BVerwG, Urteile vom 15.4.2015 – 8 C 6.14 –, BVerwGE 152, 39 = juris, Rn. 14, und vom 2.2.1982 – 1 C 146.80 –, BVerwGE 65, 1 = juris, Rn. 15.
11Ein derartiges Sanierungskonzept liegt nach anerkannter Rechtsprechung etwa dann vor, wenn ein verbindlicher und von den Gläubigern akzeptierter Tilgungsplan existiert, dem konkrete Ratenzahlungen und insbesondere das Ende der Rückführung der (gesamten) Rückstände zu entnehmen sind, der Schuldner vereinbarten Ratenzahlungen nachkommt und währenddessen keine Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet werden (können).
12Vgl. OVG NRW, Urteil vom 8.12.2011 – 4 A 1115/10 –, juris, Rn. 52 f.; Beschluss vom 30.4.2020 – 4 B 21/20 –, juris, Rn. 10 f., m. w. N.
13Für die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit kommt es nicht darauf an, aus welchem Grund der Gewerbetreibende nicht in der Lage war, seine öffentlich-rechtlichen Zahlungspflichten zu erfüllen. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit kein subjektiv vorwerfbares Verhalten voraussetzt, sondern lediglich an objektive Tatsachen anknüpft, die hinsichtlich der zukünftigen Tätigkeit des Gewerbetreibenden eine ungünstige Prognose rechtfertigen. Auf den Grund der Entstehung von Schulden und für die Unfähigkeit zur Erfüllung der Zahlungspflicht kommt es nicht an.
14Vgl. BVerwG, Beschluss vom 2.12.2014 – 8 PKH 7.14 –, juris, Rn. 4, m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 9.4.2019 – 4 B 321/19 u. a. –, juris, Rn. 9 f.
15In dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Ordnungsverfügung,
16vgl. BVerwG, Urteil vom 15.4.2015 – 8 C 6.14 –, BVerwGE 152, 39 = juris, Rn. 15,
17im Oktober 2021 wies das Gewerbesteuerkonto der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin nach Aktenlage Rückstände einschließlich Nachforderungszinsen in Höhe von insgesamt ca. 21.400,00 Euro auf. Daneben bestanden zusätzlich Nebenforderungen (Mahngebühren, Säumniszuschläge und Pfändungsgebühren) in Höhe von ca. 5.430,00 Euro (Stand: 22.10.2021). Das Finanzamt F. -T. hatte ferner zuvor Umsatzsteuerschulden in Höhe von 969,00 Euro und Einkommenssteuerschulden in Höhe von 9.269,00 Euro (Stand: 1.7.2021) mitgeteilt.
18Die materielle Rechtmäßigkeit der gegen die Antragstellerin festgesetzten Steuerforderungen ‒ auch soweit diese Forderungen nur auf Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen beruhen ‒ ist für die Beurteilung, ob der Antragstellerin die gewerberechtliche Zuverlässigkeit fehlt, unerheblich. Die Berechtigung der Steuerforderungen hatten weder die Antragsgegnerin im Verwaltungsverfahren noch das Verwaltungsgericht zu prüfen. Maßgeblich ist allein, in welcher Höhe die Antragstellerin Steuern nicht gezahlt hat, die sie bereits deshalb von Rechts wegen hätte zahlen müssen, weil die ergangenen Steuerbescheide vollziehbar waren. Ausgehend davon, dass Steuerbescheide grundsätzlich vollziehbar sind, sofern die Vollziehung nicht ausnahmsweise ausgesetzt worden ist (§§ 220, 361 AO sowie § 69 FGO), bestand keine Veranlassung, die Höhe der vollstreckbaren Forderungen anzuzweifeln.
19Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.3.1997 ‒ 1 B 72.97 ‒, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 6.10.2021– 4 B 1401/21 –, juris, Rn. 10 f.
20Anhaltspunkte für eine zukünftige Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Antragstellerin waren nicht ersichtlich. Mit Blick auf die Umsatz- und Einkommenssteuerschulden hatte sich der Gesamtbetrag der Zahlungsrückstände zwar seit der erstmaligen Anhörung zu einer möglichen Gewerbeuntersagung im Februar 2020 von insgesamt fast 64.500,00 Euro (Stand: 18.2.2020) auf 10.238,00 Euro reduziert (Stand: 1.7.2021). Daneben bestanden aber weiterhin Gewerbesteuerrückstände in beträchtlicher Höhe. Das Tilgungsverhalten der Antragstellerin beruhte zudem nicht auf einem sinnvollen und erfolgversprechenden Tilgungskonzept. Ihren Ratenzahlungsantrag über monatlich 100,00 Euro hat das Finanzamt F. -T. im Mai 2021 mit der Begründung abgelehnt, es sei nicht zu erwarten, dass die Steuerrückstände innerhalb kurzer Zeit getilgt würden. Die für eine außergerichtliche Schuldenbereinigung einzureichenden Unterlagen hat die Antragstellerin trotz mehrfacher Gelegenheit hierzu nicht beim Finanzamt eingereicht. Damit fehlte es auch später an einer Grundlage für einen verbindlichen und von den Gläubigern akzeptierten Tilgungsplan. Die anhaltende fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit war schließlich dadurch belegt, dass im Schuldnerverzeichnis seit dem 10.12.2020 zur Antragstellerin vermerkt war, eine Gläubigerbefriedigung sei ausgeschlossen.
21Ausgehend von der Höhe der Steuerrückstände sowie der langjährigen und trotz zwischenzeitlicher teilweiser Rückführung ihrer Schuld doch beharrlichen Säumigkeit der Antragstellerin in ihrem Zahlungsverhalten und bei der Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen war die Annahme der Antragsgegnerin gerechtfertigt, dass die Antragstellerin auch zukünftig nicht rechtzeitig ihren öffentlich-rechtlichen Erklärungs- und Zahlungspflichten nachkommen werde.
22Das Beschwerdevorbringen setzt auch der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, es bestehe ein besonderes Vollzugsinteresse, nichts Durchgreifendes entgegen. Es sind keine Umstände dargetan, die die begründete Besorgnis entfallen lassen könnten, dass sich die mit der Gewerbeuntersagung bekämpfte Gefahr schon in der Zeit bis zur abschließenden Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagung realisieren kann.
23Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.5.2020– 4 B 402/20 –, juris, Rn. 13 f.
24Zwar hat die Antragstellerin immer wieder Tilgungszahlungen geleistet. Eine dauerhafte Besserung ihrer öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten ist damit aber nicht einhergegangen. Im Gegenteil haben sich die Gewerbesteuerrückstände während des laufenden gerichtlichen Verfahrens nach unbestrittenen Angaben der Antragsgegnerin bis Anfang Februar 2022 erneut auf über 23.000,00 Euro erhöht, obwohl die Antragsgegnerin erst im November 2021 die Gewerbesteuerveranlagung für das Jahr 2019 und die Gewerbesteuervorauszahlungen für das Jahr 2020 neu festgesetzt und sich hierdurch die diesbezügliche Zahlungsverpflichtung der Antragsgegnerin um insgesamt mehr als 4.400,00 Euro reduziert hatte. Darüber hinaus sind belastbare Anhaltspunkte dafür, dass der Antragstellerin die Begleichung der laufenden öffentlichen Verbindlichkeiten alsbald möglich sein wird, nicht vorgetragen. Die pauschale Ankündigung, sie wolle das Klageverfahren nutzen, um eine Zahlungsvereinbarung mit der Antragsgegnerin und dem Finanzamt F. -T. zu treffen, ist nach den vergangenen vergleichbar substanzlos vorgebrachten Ansinnen während der Dauer des Verwaltungsverfahrens gänzlich unzureichend.
25Dass das Gewerbe zur Sicherung des Lebensunterhalts der Antragstellerin und ihrer Familie erforderlich sei, führt auch nicht zur Unverhältnismäßigkeit einer sofortigen Vollziehung der Gewerbeuntersagung. Ist – wie hier – ein Gewerbetreibender unzuverlässig im Sinne von § 35 GewO, so ist die nicht im Ermessen der Behörde stehende Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich und verhältnismäßig. Dem Schutzweck der Vorschrift ist dann Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an der Erhaltung seiner Existenzgrundlage zu geben.
26Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.5.2020– 4 B 402/20 –, juris, Rn. 16 f., m. w. N.
27Sofern es der Antragstellerin künftig doch noch gelingen sollte, die Gründe, die die Unzuverlässigkeit begründen, wegfallen zu lassen, kommt eine Wiedergestattung gerade unter Berücksichtigung der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit nach § 35 Abs. 6 Satz 2 GewO auf Antrag in einem gesonderten Wiederaufnahmeverfahren in Betracht.
28Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.5.2020– 4 B 402/20 –, juris, Rn. 18 f., m. w. N.
29Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
30Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 und 52 Abs. 1 GKG.
31Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO und §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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