Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 10 D 246/21.NE
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 von Hundert des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 von Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Antragstellerin wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. 06/014 „W. Weg/N.------straße “ der Antragsgegnerin (im Folgenden: Bebauungsplan). Auf ihrem im Plangebiet gelegenen Grundstück N.------straße … in E. (Gemarkung N. , Flur …, Flurstücke … und …) wird ein Lebensmitteldiscountmarkt (Netto) mit einer Verkaufsfläche von 699 qm betrieben. Das Grundstück ist mit einem Erbbaurecht zu Gunsten der Dipl.-Ing. T. Immobilien GmbH bis zum 31. Dezember 2054 belastet.
3Aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs erteilte die Antragsgegnerin der Dipl.-Ing. T. Immobilien GmbH unter dem 21. April 2015 einen bauplanungsrechtlichen Vorbescheid für die Erweiterung der Verkaufsfläche des besagten Lebensmitteldiscountmarktes auf 1.200 qm. Die Verlängerung des Vorbescheids ist Gegenstand des Berufungsverfahrens 10 A 668/19. Im Berufungsverfahren 10 A 669/19 begehrt die Dipl.-Ing. T. Immobilien GmbH die Erteilung eines bauplanungsrechtlichen Vorbescheids für die Erweiterung der Verkaufsfläche des Lebensmitteldiscountmarktes auf 1.135 qm.
4Am 25. März 2015 hatte der Ausschuss für Planung und Stadtentwicklung (im Folgenden: Ausschuss) für den Bereich nördlich/nordöstlich des W. Wegs etwa zwischen der P.----straße , der Kleingartenanlage an der T.---------straße und der N.------straße die Aufstellung des Bebauungsplans beschlossen. Ziel der Planung sei die Steuerung des Einzelhandels und die Ermöglichung einer Wohnnutzung im Plangebiet. Vorrangig solle dort eine Einzelhandelsnutzung, die den Zielen des Rahmenplans Einzelhandel entgegenstehe, verhindert werden.
5Die Bekanntmachung des Aufstellungsbeschlusses erfolgte am 18. April 2015 im Amtsblatt. Mit Beschluss vom 24. Februar 2016 änderte der Ausschuss den Aufstellungsbeschluss, indem er das Plangebiet um einen Bereich westlich des W. Wegs erweiterte und die Planungsziele konkretisierte. Der geänderte Aufstellungsbeschluss wurde am 5. März 2016 im Amtsblatt bekanntgemacht.
6Am 10. März 2016 beschloss der Rat für das Plangebiet eine am 9. April 2016 im Amtsblatt bekanntgemachte Veränderungssperre. Deren Geltungsdauer wurde mit Beschluss vom 1. Februar 2018 um ein Jahr verlängert. Die Bekanntmachung dieses Beschlusses erfolgte am 10. März 2018 im Amtsblatt.
7Am 7. März 2019 beschloss der Rat, im Amtsblatt bekanntgemacht am 30. März 2019, die Geltungsdauer der Veränderungssperre um ein weiteres Jahr bis zum 9. April 2020 zu verlängern.
8Im Zeitraum vom 21. Februar bis zum 27. März 2019 fand im Rahmen des Verfahrens zur Aufstellung des Bebauungsplans die frühzeitige Beteiligung der Behörden und in der Zeit vom 5. März 2019 bis zum 1. April 2019 die frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit statt. Die Behörden wurden in der Zeit vom 23. August bis zum 27. September 2019 erneut beteiligt.
9Die öffentliche Auslegung des Planentwurfs erfolgte in der Zeit vom 7. Januar bis zum 7. Februar 2020 und wurde in der Zeit vom 11. Februar bis zum 12. März 2020 wiederholt.
10Der Bebauungsplan setzt ein urbanes Gebiet als MU 1 oder als MU 2 fest. Für das MU 1 bestimmt die textliche Festsetzung Nr. 1, dass dort Einzelhandelsbetriebe mit Ausnahme zugehöriger Nebenanlagen nur im Erdgeschoss zulässig sein sollen. Im MU 2 sind Einzelhandelsbetriebe nur mit nicht zentrenrelevanten Sortimenten gemäß der Nrn. 3 bis 7 der Düsseldorfer Sortimentsliste zulässig.
11Zum Ziel der Planung heißt es in der Planbegründung, dass unter Berücksichtigung der Sicherung bestehender gewerblicher Nutzungen eine behutsame Integration von Wohnnutzung ermöglicht werden solle. Angestrebt werde die Entwicklung eines lebendigen Stadtquartiers, das von Wohnen sowie von gewerblichen, Einzelhandels- und Dienstleistungsnutzungen geprägt sei.
12Wegen der Beschränkungen zur Eindämmung der Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 fanden ab Mitte März 2020 keine Sitzungen des Rates und der Ausschüsse mehr statt. Dementsprechend entfiel auch die für den 26. März 2020 geplante Ratssitzung, in der der Bebauungsplan mit Blick auf die am 9. April 2020 auslaufende Veränderungssperre als Satzung beschlossen werden sollte. Geeignete Räume für eine Versammlung des Rates, die den aktuellen Anforderungen an den Schutz vor Ansteckungen genügt hätten, standen damals nach der Darstellung der Antragsgegnerin kurzfristig nicht zur Verfügung.
13Am 23. März 2020 beschlossen der damalige Oberbürgermeister sowie ein Mitglied des Ausschusses den Bebauungsplan im Wege einer Dringlichkeitsentscheidung als Satzung. Der Satzungsbeschluss wurde am 4. April 2020 im Amtsblatt bekanntgemacht.
14In seiner Sitzung am 14. Mai 2020 genehmigte der Rat die Dringlichkeitsentscheidung vom 23. März 2020 und beschloss zudem den Bebauungsplan als Satzung. In der Beschlussvorlage heißt es dazu, es sei vorsorglich sowohl die Genehmigung des Dringlichkeitsbeschlusses als auch ein „(originär vom Rat gefasster)“ Satzungsbeschluss vorgesehen. Hiermit sei die Erwartung verbunden, dass jedenfalls einer der beiden Beschlüsse einer gerichtlichen Überprüfung standhalten werde. Die Genehmigung der Dringlichkeitsentscheidung und der neuerliche Satzungsbeschluss wurden am 13. Juni 2020 im Amtsblatt bekanntgemacht.
15Am 23. März 2020 hatten der damalige Oberbürgermeister sowie das besagte Mitglied des Ausschusses auch die 2. Änderung des Rahmenplans Einzelhandel im Wege der Dringlichkeitsentscheidung beschlossen, was der Rat am 14. Mai 2020 genehmigt hatte. Gegenstand war die Änderung des Zentrenkonzeptes betreffend das Zentrum N.------straße /W. Weg und damit die Aktualisierung des Rahmenplans Einzelhandel 2016 in diesem Bereich. Zur Begründung hieß es, dass der Bebauungsplan Anlass für die Änderung sei, weil er darauf abziele, das Plangebiet von einem Gewerbegebiet zu einem nutzungsgemischten urbanen Gebiet zu entwickeln und den dortigen Nahversorgungsstandort zu stärken. Die städtebauliche Neuordnung steigere die Attraktivität dieses Standortes und vergrößere die zugehörige Mantelbevölkerung. Die bestehenden Lebensmitteldiscountmärkte gewännen planungsrechtlich neue Entwicklungsperspektiven, was sie stärke und ihre Erhaltung begünstige. Die Wiederansiedlung eines Lebensmittelmarktes mit Vollsortiment sei wünschenswert und werde planungsrechtlich ermöglicht.
16Mit einem – vorab per Telefax übersandten – Schreiben vom 10. Juni 2021 haben die Antragstellerin und die Dipl.-Ing. T. Immobilien GmbH Mängel des Bebauungsplans gegenüber der Antragsgegnerin gerügt. Entsprechende Rügen enthielten bereits die Schriftsätze vom 27. April 2020 in den Berufungsverfahren 10 A 668/19 und 10 A 669/19.
17Bereits am 31. März 2021 hatte die Dipl.-Ing. T. Immobilien GmbH einen Normenkontrollantrag – 10 D 78/21.NE – gegen den Bebauungsplan gestellt. Diesen Antrag nahm sie am 21. Juni 2021 zurück.
18Eine 1. Änderung des Bebauungsplans wurde am 16. Dezember 2021 vom Rat beschlossen und der Satzungsbeschluss am 30. Dezember 2021 bekanntgemacht. Die Änderung betrifft ausschließlich die Festsetzungen zu den maximal zulässigen Traufhöhen. Wegen des geänderten Begriffs des Vollgeschosses in der Bauordnung NRW hatte der Rat hinsichtlich der damit etwaig eingeräumten Möglichkeit, zwischen Vollgeschossen Geschosse zu errichten, die nicht Vollgeschosse sind, Handlungsbedarf gesehen, um einer Bebauung des Plangebiets über die ursprünglich beabsichtigte Höhe hinaus entgegenzuwirken.
19Am 10. Juni 2021 hat die Antragstellerin den Normenkontrollantrag gestellt.
20Der Bebauungsplan habe nicht im Wege der Dringlichkeitsentscheidung beschlossen werden dürfen. Die dem Satzungsbeschluss zugrunde liegende Aufstellung des Bebauungsplans und die abschließende Abwägung der berührten Belange sei durch ein besonderes Verfahren nach den Vorschriften der §§ 1 ff. BauGB gekennzeichnet. Der Abschluss dieses Verfahrens sei nicht mit der Beschlussfassung über eine gewöhnliche Satzung gleichzustellen. Da der Gesetzgeber die Optionen der Gemeinden für eilige Beschlussfassungen erst zu einem späteren Zeitpunkt im Verlauf der Corona-Pandemie erweitert habe, könne offen bleiben, ob diese Regelungen auch für die Abwägung und den Satzungsbeschluss über einen Bebauungsplan angewendet werden dürften.
21Der Normenkontrollantrag sei rechtzeitig gestellt worden, denn die Bekanntmachung im Amtsblatt vom 4. April 2020 sei mangelhaft und habe die Antragsfrist nicht in Gang gesetzt. Darin heiße es, dass der Bebauungsplan samt Begründung und zusammenfassender Erklärung zur Einsichtnahme ausliege, sobald die durch das Corona-Virus hervorgerufene Pandemie es zulasse. Dies genüge nicht den Anforderungen des § 10 Abs. 3 BauGB. Auch die angesichts der Pandemie erlassenen Sondervorschriften könnten hieran nichts ändern. So sei bereits zweifelhaft, ob die Sonderregelungen des § 3 PlanSiG auf Bekanntmachungen im Sinne von § 10 Abs. 3 BauGB Anwendung fänden. Das PlanSiG sei ohnehin erst am 20. Mai 2020 und damit nach der fehlerhaften Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses im Amtsblatt vom 4. April 2020 verkündet worden.
22Darüber hinaus habe der Rat in seiner Sitzung vom 14. Mai 2020 nicht nur die Dringlichkeitsentscheidung genehmigt, sondern ausdrücklich auch die berührten Belange abgewogen und den Bebauungsplan als Satzung beschlossen. Der Satzungsbeschluss sei im Amtsblatt vom 13. Juni 2020 bekanntgemacht worden, sodass die Antragsfrist erneut zu laufen begonnen habe.
23Die Antragstellerin beantragt,
24den Bebauungsplan Nr. 06/014 „W. Weg/N.------straße “ für unwirksam zu erklären.
25Die Antragsgegnerin beantragt,
26den Antrag abzulehnen.
27Der Normenkontrollantrag sei unzulässig.
28Er sei erst am 10. Juni 2021 und damit nach Ablauf der Antragsfrist gestellt worden.
29Der damalige Oberbürgermeister und das Mitglied des Ausschusses hätten in Vertretung des Rates die erforderlichen Abwägungsentscheidungen im Sinne des § 1 Abs. 7 BauGB getroffen. Die im Rahmen der Beteiligungen erhobenen Einwendungen seien in den Anlagen zur Beschlussvorlage APS/018/2020 dokumentiert, fachlich beurteilt und ausreichend gewürdigt worden.
30Der Rat habe den Bebauungsplan nur für den Fall als Satzung beschlossen, dass die Dringlichkeitsentscheidung nicht wirksam sei. Letztere habe die Qualität eines regulären Ratsbeschlusses, sodass ihre öffentliche Bekanntmachung am 4. April 2020 für den Beginn der Antragsfrist maßgeblich sei. Die Genehmigung durch den Rat sei für die Wirksamkeit der Dringlichkeitsentscheidung nicht konstitutiv und bedürfe daher nicht der Form einer Satzung.
31Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten 10 D 246/21.NE, 10 A 668/19 und 10 A 669/19 sowie der beigezogenen Aufstellungsvorgänge (Beiakten Hefte 1 bis 11).
32Entscheidungsgründe
33Der Vorsitzende entscheidet im Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senats ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§§ 87a Abs. 2, 101 Abs. 2 VwGO).
34Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
35Die Antragstellerin hat den am 10. Juni 2020 eingegangen Normenkontrollantrag fristgerecht innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung des Bebauungsplans (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) gestellt. Maßgeblich für den Fristbeginn ist insoweit die Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses des Rates vom 14. Mai 2020 am 13. Juni 2020.
36Indem § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf die Bekanntmachung abstellt, knüpft er den Beginn der Antragsfrist an den Zeitpunkt, an dem der Bebauungsplan mit formellem Geltungsanspruch veröffentlicht worden ist und ab dem nach dem Willen des Plangebers der Bebauungsplan als Satzung verbindlich sein soll. Ob die Bekanntmachung ordnungsgemäß ist, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang. Ausreichend ist, dass der Plangeber den potenziell antragsbefugten Dritten die Möglichkeit verschafft, von dem Geltungsanspruch des Bebauungsplans Kenntnis zu nehmen.
37Erkennt der Plangeber oder geht er irrtümlich davon aus, dass die Bekanntmachung eines Bebauungsplans nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht oder der Bebauungsplan andere formelle Fehler hat, darf er den Geltungsanspruch des Bebauungsplans nach einer Behebung der (vermeintlichen) Fehler durch eine weitere Bekanntmachung des inhaltlich unverändert gebliebenen Bebauungsplans erneuern, um so den tatsächlich oder vermeintlich unwirksamen Bebauungsplan durch einen wirksamen Bebauungsplan zu ersetzen.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. August 2015 – 4 CN 10.14 –, juris, Rn. 6 ff.
39In einem solchen Fall beginnt die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO mit der weiteren Bekanntmachung von vorn.
40Danach wurde hier die Antragsfrist mit der Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses des Rates vom 14. Mai 2020 neu in Gang gesetzt. Der Rat hat den Bebauungsplan ausdrücklich erneut als Satzung beschlossen, weil er Zweifel an der Wirksamkeit der Dringlichkeitsentscheidung hatte, sodass der Satzungsbeschluss und seine Bekanntmachung mit Geltungsanspruch erfolgen sollte.
41Der Bebauungsplan hat keine formellen Fehler, die nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtlich sind und zu seiner Unwirksamkeit führen.
42Die Antragstellerin rügt, dass die öffentliche Auslegung des Planentwurfs gemäß § 3 Abs. 2 BauGB im Zeitraum vom 11. Februar 2020 bis zum 12. März 2020 fehlerhaft erfolgt sei. Sie bezieht sich auf eine in den Aufstellungsvorgängen befindliche E-Mail eines Einwenders, Bl. 1.211 f. der Aufstellungsvorgänge, der am Morgen des 18. Februar 2020 Einsicht in die Planunterlagen habe nehmen wollen. Nach dessen Angaben hätten an jenem Morgen die Gutachten beziehungsweise Umweltinformationen und die für die Festsetzungen des Bebauungsplans relevanten DIN-Vorschriften nicht zur Einsicht bereitgelegen. Dieser Darstellung des Einwenders ist die Antragsgegnerin im Einzelnen überzeugend entgegengetreten, Bl. 1.982 f. der Aufstellungsvorgänge, sodass keine durchgreifenden Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der öffentlichen Auslegung des Planentwurfs bestehen. Entsprechendes gilt auch für die Behauptung der Antragstellerin, der ausgelegte Planentwurf habe nicht dem im Internet veröffentlichten Planentwurf entsprochen. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich oder vorgetragen worden, die Zweifel an der Sachverhaltsdarstellung der Antragsgegnerin begründen könnten.
43Der Bebauungsplan lässt auch keine materiellen Mängel erkennen.
44Er ist nach seiner Grundkonzeption im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB städtebaulich gerechtfertigt.
45Was nach § 1 Abs. 3 BauGB städtebaulich erforderlich ist, bestimmt sich maßgeblich nach der jeweiligen Konzeption der Gemeinde. Welche städtebaulichen Ziele die Gemeinde sich setzt, liegt in ihrem planerischen Ermessen. Der Gesetzgeber ermächtigt sie, die Städtebaupolitik zu betreiben, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht.
46Nicht erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB sind demgegenüber in aller Regel nur solche Bauleitpläne, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuchs nicht bestimmt sind. Davon ist etwa auszugehen, wenn eine planerische Festsetzung lediglich dazu dient, private Interessen zu befriedigen, oder eine positive Zielsetzung nur vorgeschoben wird, um eine in Wahrheit auf bloße Verhinderung gerichtete Planung zu verdecken. Dies kann auch der Fall sein, wenn das objektiv Festgesetzte (bewusst) nicht das planerisch (eigentlich) Gewollte abbildet.
47Erforderlich ist eine bauleitplanerische Regelung zudem nicht nur dann, wenn sie dazu dient, Entwicklungen, die bereits im Gange sind, in geordnete Bahnen zu lenken, sondern auch dann, wenn die Gemeinde die planerischen Voraussetzungen schafft, die es ermöglichen, einer Bedarfslage gerecht zu werden, die sich erst für die Zukunft abzeichnet. Die Gemeinde soll gerade bewusst Städtebaupolitik betreiben. Eine konkrete Bedarfsanalyse erfordert dies nicht. Unzulässig ist ein Bebauungsplan in diesem Zusammenhang nur dann, wenn er aus zwingenden rechtlichen Gründen vollzugsunfähig ist oder er auf unabsehbare Zeit keine Aussicht auf Verwirklichung bietet.
48Vgl. hierzu insgesamt: BVerwG, Urteil vom 5. Mai 2015 – 4 CN 4.14 –, juris, Rn. 10; OVG NRW, Urteil vom 16. Dezember 2020 – 10 D 103/18.NE –, juris, Rn. 61 ff., mit weiteren Nachweisen.
49Die Antragstellerin macht geltend, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans nicht den in der Planbegründung verlautbarten Planungszielen entsprächen. Der Rat strebe danach die Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe im Plangebiet an, die das MU 1 letztlich prägen würden. Er schaffe hierfür aber nicht die notwendigen Voraussetzungen. Außerdem seien die Festsetzungen auf absehbare Zeit aus tatsächlichen Gründen nicht umsetzbar.
50Auch wenn die nach den Festsetzungen des Bebauungsplans möglichen und im Aufstellungsverfahren für sinnvoll erachteten Einzelhandelsnutzungen einen großen Teil der im MU 1 vorgesehenen baulichen Nutzungen ausmachen mögen, lässt sich nicht feststellen, dass diese Festsetzungen nicht das planerisch Gewollte abbilden. Insbesondere ist die Annahme der Antragstellerin unzutreffend, dass der Rat zur Umsetzung seiner Vorstellungen statt des MU 1 ein Sondergebiet für großflächige Einzelhandelsnutzungen hätte festsetzen müssen. Die Festsetzung eines solchen Sondergebiets hätte gerade nicht dem Ziel des Rates entsprochen, im Plangebiet ein verträgliches Nebeneinander von Wohnen und gewerblichen Nutzungen zu ermöglichen.
51Der Rat konnte zudem auf der Grundlage der Ermittlungen im Aufstellungsverfahren und unter Berücksichtigung des eingeholten Einzelhandelsgutachtens davon ausgehen, dass sich die von ihm gewollten großflächigen Einzelhandelsnutzungen in dem festgesetzten MU 1 im Einklang mit den einschlägigen rechtlichen Vorgaben der Baunutzungsverordnung tatsächlich verwirklichen lassen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts soll die Vermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO im Hinblick auf einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb, der außerhalb eines Kerngebiets oder eines dafür festgesetzten Sondergebiets errichtet werden soll, regelmäßig widerlegt sein, wenn der für ihn vorgesehene Standort in einem zentralen Versorgungsbereich liegt und er allgemein dessen Stärkung oder der Beseitigung einer Unterversorgung dieses Versorgungsbereichs mit nahversorgungsrelevanten Sortimenten dient. Gleiches soll gelten, wenn der betreffende zentrale Versorgungsbereich für die jeweilige Stadt eine wesentliche Aufgabe hat und deswegen erhalten und weiterentwickelt werden soll, was etwa durch seine Aufnahme in ein vorhandenes Einzelhandelskonzept (§ 1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB) zum Ausdruck kommen kann.
52Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Mai 2021 – 4 B 44.20 –, juris, Rn. 8.
53Auch der Auffassung der Antragstellerin, es handele sich um eine unzulässige Vorratsplanung, folgt der Senat nicht, weil der Bedarf für die durch den Bebauungsplan ermöglichten Nutzungen außer Frage steht.
54Soweit die Antragstellerin weiter ausführt, die im Plangebiet vorhandenen Lebensmitteldiscountmärkte würden mit den Festsetzungen des Bebauungsplans weggeplant beziehungsweise im Falle einer Verwirklichung dieser Festsetzungen auf den sie umgebenden Grundstücken quasi eingemauert, handelt es sich um die typischen Folgen der Überplanung eines bereits weitgehend bebauten Bereichs nach den Vorstellungen des jeweiligen Plangebers. Nichts anderes gilt für die Klage der Antragstellerin, ihr baulich genutztes Grundstück werde durch die in dem Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen regelrecht zerschnitten. Ob insoweit die Interessen der Antragstellerin und die der sonst betroffenen Grundstückseigentümer hinreichend beachtet worden sind, ist möglicherweise ein Problem der Abwägung, stellt aber die städtebauliche Erforderlichkeit des Bebauungsplans und die seiner Festsetzungen nicht in Frage. Dass die Antragstellerin für ihr Grundstück einen langfristigen Erbpachtvertrag mit der Dipl.-Ing. T. Immobilien GmbH und mit der Betreiberin des dort errichteten Lebensmitteldiscountmarktes einen langfristigen Mietvertrag abgeschlossen hat, steht einer Umsetzung der Planung in absehbarer Zeit nicht zwingend entgegen. Mit Blick auf die derzeitige Größe der Verkaufsfläche dieses Lebensmitteldiscountmarktes, die von den Betreibern vergleichbarer Märkte oftmals als nicht mehr zeitgemäß beziehungsweise als nicht überlebensfähig beklagt wird, erscheint keineswegs ausgeschlossen, dass die betroffenen Grundstückseigentümer beziehungsweise Nutzungsberechtigten die ihnen mit den Festsetzungen des Bebauungsplans eröffneten Angebote, einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb – gegebenenfalls im Verbund mit einer lukrativen Wohnbebauung – im Plangebiet zu realisieren, annehmen und umsetzen werden.
55Der Bebauungsplan beruht auch nicht auf beachtlichen Fehlern bei der nach § 1 Abs. 7 BauGB gebotenen Abwägung.
56Gemäß § 1 Abs. 7 BauGB sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Das Abwägungsgebot umfasst als Verfahrensnorm das Gebot zur Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials (§ 2 Abs. 3 BauGB) und stellt inhaltlich Anforderungen an den Abwägungsvorgang und an das Abwägungsergebnis. Es ist verletzt, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung Belange nicht eingestellt werden, die nach Lage der Dinge hätten eingestellt werden müssen, wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist dem Abwägungserfordernis genügt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde im Widerstreit verschiedener Belange für die Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise für die Zurückstellung des anderen Belangs entscheidet.
57Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. September 2015 – 10 D 82/13.NE –, juris, Rn. 30.
58Nach diesen Grundsätzen ergibt sich kein Abwägungsfehler daraus, dass, wie die Antragstellerin zutreffend erkannt hat, die Betreiber der im Plangebiet vorhandenen Lebensmitteldiscountmärkte oder die Eigentümer der Grundstücke, auf denen diese betrieben werden, durch die Festsetzungen des Bebauungsplans gleichsam „gezwungen“ werden, die im Bebauungsplan vorgegebene Blockbebauung zu realisieren, wenn sie im Plangebiet einen Lebensmitteldiscountmarkt betreiben wollen, der über die Variationsbreite der für die bisher betriebenen Märkte jeweils erteilte Baugenehmigung hinausgeht. Auch musste der Rat für die bestehenden Lebensmitteldiscountmärkte insoweit keine bestandssichernden Festsetzungen nach § 1 Abs. 10 BauNVO erwägen.
59Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats kann eine Gemeinde durch ihre Bauleitplanung die bauliche Nutzbarkeit von Grundstücken verändern und dabei auch die privaten Nutzungsmöglichkeiten einschränken oder gar aufheben. Einen Planungsgrundsatz, nach dem die vorhandene Bebauung eines Gebiets nach Art, Maß und überbauter Grundstücksfläche auch bei dessen Überplanung weiterhin zugelassen werden muss, gibt es nicht. Allerdings setzt eine wirksame städtebauliche Planung voraus, dass hinreichend gewichtige städtebaulich beachtliche Allgemeinbelange für sie sprechen. Diese städtebaulich beachtlichen Allgemeinbelange müssen umso gewichtiger sein, je stärker die Festsetzungen eines Bebauungsplans die Befugnisse des jeweiligen Grundeigentümers einschränken, denn das durch Art. 14 GG gewährleistete Eigentumsrecht gehört in hervorgehobener Weise zu den von der Bauleitplanung zu berücksichtigenden Belangen. Es umfasst neben der Substanz des Eigentums auch die Beachtung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks muss daher vom Plangeber als ein wichtiger Belang privater Eigentümerinteressen bei der nach § 1 Abs. 7 BauGB gebotenen Abwägung der öffentlichen und der privaten Belange beachtet werden. Im Rahmen der Abwägungsentscheidung hat er die Nachteile der Planung für die Planunterworfenen zu berücksichtigen.
60Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Mai 2013 – 4 BN 1.13 –, juris, Rn. 17.
61Eine sachgerechte Abwägungsentscheidung, die – wie hier – dazu führt, dass legal bestehende Betriebe auf den Bestand gesetzt werden, setzt im Regelfall voraus, dass sich der Plangeber mit der Frage auseinandersetzt, ob und in welchem Umfang der Bebauungsplan mit Festsetzungen nach § 1 Abs. 10 BauNVO der herausgehobenen Stellung privaten Eigentums in Form eines erweiterten Bestandsschutzes Rechnung tragen kann und soll. Dass eine Absicherung vorhandener, künftig unzulässiger Nutzungen über den Bestandsschutz hinaus auf diese Weise grundsätzlich möglich ist, bedeutet aber nicht, dass eine solche Absicherung auch regelmäßig erfolgen muss. Eine Gemeinde kann im Grundsatz eine bestimmte vorhandene Nutzung auf den Bestand „festschreiben“, um die mit möglichen Erweiterungen dieser Nutzung und die mit ihrer daraus folgenden Verfestigung verbundenen städtebaulich unerwünschten negativen Auswirkungen – etwa auf zentrale Versorgungsbereiche – zu verhindern. Die Frage, ob eine Festsetzung, die den Bestand im obigen Sinne festschreibt, fehlerfrei abgewogen und dabei insbesondere der Schutz des Eigentums seiner Bedeutung entsprechend gewichtet worden ist, lässt sich nicht generell beantworten. Maßgeblich ist, ob im konkreten Fall gewichtige städtebauliche Gründe vorliegen, die die Zurücksetzung der privaten Belange des betroffenen Grundeigentümers oder Nutzungsberechtigten rechtfertigen.
62Vgl. OVG NRW, Urteile vom 22. November 2010 – 7 D 1/09.NE –, juris, Rn. 136 ff., vom 24. September 2010 – 2 D 74/08.NE –, juris, Rn. 77, und vom 18. Mai 2010 – 10 D 92/08.NE –, juris, Rn. 53 und 57, jeweils mit weiteren Nachweisen auch zur Rechtsprechung des BVerwG.
63Nach alledem ist insoweit ein Abwägungsfehler nicht erkennbar. Wie bereits ausgeführt, war sich der Rat bewusst, dass er die bestehenden Lebensmitteldiscountmärkte im Plangebiet durch die Festsetzungen des Bebauungsplans auf den Bestand setzt und die aktenkundig begehrten Erweiterungen der Betriebe damit ausschließt. Zu weiteren Ausführungen in der Planbegründung bestand insoweit keine Veranlassung, weil die Interessen der betroffenen Grundeigentümer an einer möglichst wirtschaftlichen Nutzung ihrer im Plangebiet gelegenen Grundstücke und die Interessen der Nutzungsberechtigten durch die Festsetzungen nicht unangemessen beeinträchtigt werden. Der Bebauungsplan lässt Einzelhandelsbetriebe mit nahversorgungs- und zentrenrelevanten Sortimenten im MU 1, in dem die vorhandenen Lebensmitteldiscountmärkte stehen, ausdrücklich zu, wobei der Rat nach seinen Verlautbarungen im Aufstellungsverfahren wesentlich größere Märkte als die vorhandenen für zulässig und überdies zur Versorgung der Bevölkerung für wünschenswert hält. Damit verbleibt den betroffenen Grundstückseigentümern und Nutzungsberechtigten nicht nur eine hinreichende Bandbreite möglicher Nutzungen, sondern gegebenenfalls sogar die Möglichkeit, auf ihren Grundstücken wesentlich mehr Einzelhandelsnutzungen zu realisieren.
64Dass für die Umsetzung der Festsetzungen des Bebauungsplans durch die Planbetroffenen eine Abstimmung untereinander und unter Umständen auch eine Änderung der Grundstückszuschnitte erforderlich werden könnte, ist die zwangsläufige Folge der nicht grundstücksbezogenen Bauleitplanung.
65Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
66Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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