Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 19 B 56/22
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
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Die Beschwerde der Antragsteller ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässig, aber unbegründet. Der Senat prüft nach § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO nur die fristgerecht dargelegten Gründe. Diese rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorläufig zu verpflichten, die Antragstellerin zu 1. im Wege eines Schulwechsels aus der von ihr gegenwärtig besuchten Klasse 10 der Städtischen B. -G. -Gesamtschule S. in N. in die Klasse 9, hilfsweise in die Klasse 10 der I. -S1. -Gesamtschule in N. , hilfsweise in die Klasse 9, hilfsweise in die Klasse 10 der Städtischen H. -T. -Gesamtschule in N. aufzunehmen.
2Mit ihrer Beschwerdebegründung machen die Antragsteller erfolglos geltend, zu Unrecht habe das Verwaltungsgericht für den hier beantragten Schulwechsel während des Schuljahres aus § 46 Abs. 1 Satz 3 SchulG NRW das Erfordernis eines „wichtigen Grundes“ abgeleitet (1.). Auch pädagogische Gründe sowie eine Kapazitätsausschöpfung an den beiden gewünschten Gesamtschulen könnten ihrem Wechselbegehren nicht entgegengehalten werden (2.).
31. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht das Tatbestandsmerkmal „in der Regel“ in § 46 Abs. 1 Satz 3 SchulG NRW dahin ausgelegt, dass ein Schulwechsel während des Schuljahres nur aus wichtigem Grund zulässig ist (juris, Rn. 15 ff.). Für diese Auslegung sprechen neben dem Wortlaut und dem vom Verwaltungsgericht aus der Begründung des Gesetzentwurfs abgeleiteten Willen des Gesetzgebers auch Sinn und Zweck der Vorschrift sowie der systematische Zusammenhang mit § 26 Abs. 5 Satz 2 SchulG NRW. Nach dieser Vorschrift ist der Wechsel in eine Schule einer anderen Schulart während des Schuljahres nur aus wichtigem Grund zulässig. Während also § 46 Abs. 1 Satz 3 SchulG NRW allgemein den Zeitpunkt der Schulaufnahme bestimmt, insbesondere unabhängig davon, ob die die Aufnahme begehrende Schülerin damit zugleich im Sinn des § 46 Abs. 8 Satz 1 SchulG NRW die Schule wechselt oder sogar im Sinn des § 46 Abs. 8 Satz 2, Abs. 9 SchulG NRW die Schulform wechselt, regelt § 26 Abs. 5 Satz 2 SchulG NRW diesen Zeitpunkt speziell für den Fall, dass sie mit der Aufnahme die Schulart wechselt, also die Aufnahme in eine Schule anderer religiös-weltanschaulicher Ausrichtung begehrt. In jeder dieser Konstellationen ist zur Sicherung effizienten Lernens und Lehrens in der Schule sowohl aus unterrichts- als auch aus schulorganisatorischen Gründen geboten, Schulwechsel während des Schuljahres auf besonders begründete Einzelfälle zu begrenzen. Stünde ein Schulwechsel zu jeder Zeit im voraussetzungslosen Belieben von Eltern und Schülern, wären Wechselbewegungen innerhalb des Schulträgerbezirks während des Schuljahres in einem Ausmaß möglich, welches sowohl die geordnete Unterrichts- und Personalplanung als auch die äußere Schulorganisation konterkarieren kann.
4Die Einwände der Antragsteller gegen diese Auslegung des Verwaltungsgerichts bleiben erfolglos. Entgegen ihrer Auffassung ist unerheblich, „ob die aus dem Jahr 1978 stammende ASchO, bei der es sich um eine Landesrechtsverordnung handelte, für historische Auslegungen taugt“ und ob sie mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar war. Denn das Verwaltungsgericht hat zutreffend den gesetzgeberischen Willen ermittelt, der § 46 Abs. 1 Satz 3 SchulG NRW zugrunde liegt, nicht hingegen eine Auslegung der ASchO vorgenommen. Unerheblich ist deshalb auch, ob deren Vorschriften, soweit sie den Zeitpunkt der Schulaufnahme bestimmten, mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar waren. Ebenso wenig kann das so verstandene Tatbestandsmerkmal „in der Regel“ in § 46 Abs. 1 Satz 3 SchulG NRW „ganz klar den Umstand konterkarieren und unterminieren, dass Eltern und Schülerinnen und Schüler ein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht auf freie Schulwahl haben“ (S. 3 der Beschwerdebegründung). Denn die von den Antragstellern hierfür zitierten landes- und bundesverfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechte sind durch den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 8 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 LV NRW, Art. 7 Abs. 1 GG von vornherein begrenzt. Dieser Auftrag ist dem elterlichen Erziehungsrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet. Soweit Kinder Schulen besuchen, ist ihre Erziehung die gemeinsame Aufgabe von Eltern und Schule. Diese ist in einem sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken zu erfüllen. Die organisatorische Gliederung der Schule und die strukturellen Festlegungen des Ausbildungssystems, das inhaltliche und didaktische Programm der Lernvorgänge, das Setzen der Lernziele sowie die Bestimmung der Voraussetzungen für den Zugang zur Schule, den Übergang von einem Bildungsweg zum anderen und die Versetzung innerhalb eines Bildungsgangs gehören zu dem der elterlichen Bestimmung grundsätzlich entzogenen staatlichen Gestaltungsbereich gemäß Art. 7 Abs. 1 GG.
5BVerfG, Beschlüsse vom 19. November 2021 - 1 BvR 971/21 -, NJW 2022, 167, juris, Rn. 47 f., 54 m. w. N. (Bundesnotbremse II ‑ Schulschließungen), und vom 19. August 2015 ‑ 1 BvR 2388/11 ‑, NVwZ-RR 2016, 281, juris, Rn. 17 f. (G9-Gymnasium Föhr); OVG NRW, Beschluss vom 28. Februar 2022 ‑ 19 B 1973/21 ‑, juris, Rn. 13 ff.
6Diese Begrenzung ihrer Grundrechte blenden die Antragsteller in ihrer Beschwerdebegründung vollständig aus. Sie setzen sich nicht mit der Frage auseinander, inwiefern die vorstehende Auslegung des Tatbestandsmerkmals „in der Regel“ in § 46 Abs. 1 Satz 3 SchulG NRW durch den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 8 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 LV NRW, Art. 7 Abs. 1 GG gedeckt ist.
72. Danach sind die von den Antragstellern in der Beschwerdebegründung aufgeworfenen weiteren Fragen unerheblich, ob das Verwaltungsgericht ihrem Wechselbegehren pädagogische Gründe sowie eine Kapazitätsausschöpfung an den beiden gewünschten Gesamtschulen entgegenhalten durfte. Diese Fragen stellten sich nur, wenn der von § 46 Abs. 1 Satz 3 SchulG NRW vorausgesetzte wichtige Grund vorläge, was das Verwaltungsgericht verneint hat (Rn. 21 ff.). Gegen diese Verneinung machen die Antragsteller erfolglos geltend, an einer rechtzeitigen Rüge ihres pauschalen Vorwurfs eines „Mobbing durch Lehrkräfte“ der Städtischen B. -G. -Gesamtschule S. durch die Schließung der Schule während der Sommerferien gehindert gewesen zu sein. Dieser Einwand geht an den tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts offenkundig vorbei.
8Unter diesen Umständen musste das Verwaltungsgericht weder den Schulträger beiladen und dessen Organisationsentscheidungen betreffend die Bildung der Eingangsklassen an den beiden gewünschten Gesamtschulen überprüfen noch hat es aus diesem Grund gegen den Amtsermittlungsgrundsatz aus § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen.
9Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
10Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Die Bedeutung der Schulaufnahme im Wege des Schulwechsels für die Antragsteller, auf die es nach § 47, § 52 Abs. 1 GKG für die Streitwertfestsetzung ankommt, bemisst der Senat in ständiger Ermessenspraxis in Anlehnung an Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 38.4 des Streitwertkatalogs 2013 (NWVBl. 2014, Sonderbeilage Januar, S. 11) im vorläufigen Rechtsschutzverfahren mit der Hälfte des Auffangwerts nach § 52 Abs. 2 GKG.
11Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Februar 2022 ‑ 19 B 2004/21 ‑, juris, Rn. 11, vom 27. Mai 2021 ‑ 19 E 428/21 ‑, juris, Rn. 5, und vom 30. November 2016 ‑ 19 B 1066/16 -, NWVBl. 2017, 122, juris, Rn. 47.
12Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).
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Referenzen
- 1 BvR 971/21 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 2388/11 1x (nicht zugeordnet)
- 19 B 1973/21 1x (nicht zugeordnet)
- 19 B 2004/21 1x (nicht zugeordnet)
- 19 E 428/21 1x (nicht zugeordnet)
- 19 B 1066/16 1x (nicht zugeordnet)