Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 10 A 668/19
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte unmittelbar vor Inkrafttreten des Bebauungsplans Nr. „W./N.-straße“ verpflichtet war, die Geltungsdauer des Vorbescheids vom 21. April 2015 (63-BV-0123/13) zu verlängern.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Klägerin zu zwei Dritteln und die Beklagte zu einem Drittel.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 von Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 von Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin begehrt die Verlängerung der Geltungsdauer eines ihr für das Grundstück N.-straße 396 in E., Gemarkung N1., Flur 3, Flurstücke 341 und 343 (im Folgenden: Vorhabengrundstück) erteilten bauplanungsrechtlichen Vorbescheids. Eigentümerin des Vorhabengrundstücks, auf dem von der Firma O. ein Lebensmitteldiscountmarkt mit einer Verkaufsfläche von circa 699 qm betrieben wird, ist die Grundbesitz N.‑straße 398 GmbH & Co. KG (im Folgenden: Grundstückseigentümerin). Zugunsten der aus den Gesellschaftern K. T. und U. I. bestehenden E. N.-straße GbR (im Folgenden: Erbbauberechtigte) ist für das Vorhabengrundstück ein Erbbaurecht bis zum Jahr 2054 im Erbbaugrundbuch eingetragen.
3Das Vorhabengrundstück liegt im Geltungsbereich des im Jahre 2020 als Satzung beschlossenen Bebauungsplans Nr. „W./N.-straße“ der Beklagten (im Folgenden: Bebauungsplan), der Gegenstand des von der Erbbauberechtigten anhängig gemachten Normenkontrollverfahrens 10 D 246/21.NE war. Der Senat hat den Normenkontrollantrag mit Urteil vom 15. März 2022 abgelehnt.
4Der Ausschuss für Planung und Stadtentwicklung (im Folgenden: Ausschuss) hatte am 25. März 2015 für den Bereich nördlich/nordöstlich des W. etwa zwischen der P.‑straße, der Kleingartenanlage an der T1.-straße und der N.-straße die Aufstellung des Bebauungsplans beschlossen. Ziel der Planung sei die Steuerung des Einzelhandels und die Ermöglichung einer Wohnnutzung. Vorrangig sei die Verhinderung einer Einzelhandelsnutzung gewollt, die den Zielen des Rahmenplans Einzelhandel entgegenstehe. Unter dem 8. April 2015 ordnete der Oberbürgermeister die Bekanntmachung des Aufstellungsbeschlusses an, die am 18. April 2015 im Amtsblatt erfolgte. Mit Beschluss vom 24. Februar 2016 änderte der Ausschuss den Aufstellungsbeschluss. Er erweiterte das Plangebiet auf einen Bereich westlich des W. und konkretisierte die Planungsziele. Die Bekanntmachung des von der Amtsleiterin des Planungsamtes am 26. Februar 2016 unterzeichneten geänderten Aufstellungsbeschlusses erfolgte am 5. März 2016 im Amtsblatt.
5Am 10. März 2016 beschloss der Rat eine Veränderungssperre für das Plangebiet. Am 21. März 2016 unterzeichnete der Oberbürgermeister die Bekanntmachungsanordnung für den die Veränderungssperre betreffenden Satzungsbeschluss, der am 9. April 2016 im Amtsblatt bekanntgemacht wurde.
6Am 1. Februar 2018 beschloss der Rat, die Geltungsdauer der Veränderungssperre um ein Jahr zu verlängern. Am 28. Februar 2018 unterzeichnete der Oberbürgermeister die Bekanntmachungsanordnung für den Satzungsbeschluss, dessen Bekanntmachung am 10. März 2018 im Amtsblatt erfolgte.
7Bereits im Jahre 2013 hatte die Klägerin einen bauplanungsrechtlichen Vorbescheid für die Erweiterung der Verkaufsfläche des auf dem Vorhabengrundstück betriebenen Lebensmitteldiscountmarktes beantragt. Nachdem die Beklagte die Erteilung eines entsprechenden Vorbescheids zunächst versagt hatte, schlossen die Beteiligten im Klageverfahren 4 K 1164/14 vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf im Jahre 2014 einen Vergleich, mit dem sich die Beklagte zur Erteilung eines Vorbescheids für die Erweiterung der Verkaufsfläche des Lebensmitteldiscountmarktes verpflichtete. Auf der Grundlage dieses Vergleichs erteilte die Beklagte der Klägerin unter dem 21. April 2015 für die „Erweiterung des Lebensmittelmarktes mit PKW-Stellplätzen auf 1.200 qm (reine) Verkaufsfläche“ (im Folgenden: Vorhaben) einen bauplanungsrechtlichen Vorbescheid (im Folgenden: Vorbescheid). Am 17. Februar 2017 beantragte die Klägerin die Verlängerung der Geltungsdauer des Vorbescheids, die die Beklagte mit Bescheid vom 6. April 2017 ablehnte. Die zwischenzeitlich beschlossene Veränderungssperre stehe der gewollten Erweiterung der Verkaufsfläche entgegen. Eine Ausnahme komme nicht in Betracht.
8Mit Bauvoranfrage vom 9. April 2018 beantragte die Klägerin die Erteilung eines weiteren bauplanungsrechtlichen Vorbescheids für die Erweiterung der Verkaufsfläche des Lebensmitteldiscountmarktes auf dem Vorhabengrundstück auf 1.135 qm. Mit Bescheid vom 19. Juni 2018 lehnte die Beklagte auch diesen Antrag unter Verweis auf die Veränderungssperre ab. Der Antrag der Klägerin, die Beklagte zur Erteilung des unter dem 9. April 2018 beantragten Vorbescheids zu verpflichten, ist Gegenstand des Berufungsverfahrens 10 A 669/19.
9Die Klägerin hat am 12. Mai 2017 Klage erhoben und beantragt,
10die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 6. April 2017 (63/23-VL-0035/17) zu verpflichten, die Geltungsdauer des Vorbescheids vom 21. April 2015 (63-BV-0123/13) zu verlängern.
11Die Beklagte hat beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 18. Januar 2019 abgewiesen. Der begehrten Verlängerung des Vorbescheids stehe die Veränderungssperre als öffentlich-rechtliche Vorschrift entgegen.
14Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung trägt die Klägerin vor, dass sowohl der inzwischen als Satzung beschlossene Bebauungsplan als auch der Vorgängerplan unwirksam seien, sodass das Vorhaben, auf das die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO nicht zutreffe und das daher atypisch im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO sei, weil vorhabenbedingte negative Auswirkungen trotz seiner Geschossfläche von mehr als 1.200 qm nicht zu erwarten seien, nach § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 8 BauNVO auf dem Vorhabengrundstück bauplanungsrechtlich zulässig sei. Das im Aufstellungsverfahren von der Beklagten eingeholte Einzelhandelsgutachten habe gezeigt, dass die Umsatzumlenkungen, die mit einer Erweiterung des auf dem Vorhabengrundstück betriebenen Lebensmitteldiscountmarktes hin zu einem großflächigen Einzelhandelsbetrieb verbunden wären, keine städtebauliche Relevanz hätten.
15Der Vorgängerplan sei ebenfalls unwirksam, wie der Senat bereits in der mündlichen Verhandlung im Normenkontrollverfahren 10 D 61/08.NE herausgestellt habe.
16Selbst wenn der Bebauungsplan wirksam wäre, sei die Klage gleichwohl begründet, denn der Vorbescheid verhalte sich ausdrücklich nur zur Art der baulichen Nutzung. Als ein im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO atypischer Einzelhandelsbetrieb sei das Vorhaben im Plangebiet bauplanungsrechtlich zulässig. Jedenfalls unmittelbar vor Inkrafttreten des Bebauungsplans am 4. April 2020 habe der geltend gemachte Anspruch auf Verlängerung der Geltungsdauer des Vorbescheids bestanden. Die Veränderungssperre hätte damals einer solchen Verlängerung nicht entgegengestanden, da ihre Geltungsdauer mangels besonderer Umstände im Sinne von § 17 Abs. 2 BauGB nicht auf ein viertes Jahr hätte verlängert werden dürfen. Der Rat habe annähernd fünf Jahre gebraucht, um überhaupt einen Planentwurf für eine öffentliche Auslegung zu erstellen. Sie, die Klägerin, wolle Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend machen, weil ihr wegen der rechtswidrigen Versagung der beantragten Verlängerung der Geltungsdauer des Vorbescheids erhebliche Mieteinnahmen entgangen seien.
17Wäre die Geltungsdauer des Vorbescheids antragsgemäß verlängert worden, hätte sie einen entsprechenden Bauantrag gestellt und das Vorhaben umgesetzt. In den Jahren 2016 und 2017 habe die Erbbauberechtigte mit der Firma O. einen Mietvertrag verhandelt, der einen indexierten Mietzins von 12,83 Euro/qm für eine Gesamtfläche von 1.403 qm bei einer Verkaufsfläche von 1.200 qm vorgesehen habe. Nachdem die Beklagte eine Verlängerung der Geltungsdauer des Vorbescheids abgelehnt habe, hätten die Gesellschafter der Erbbauberechtigten vereinbart, dass die weitere Besorgung des Baurechts durch sie, die Klägerin, und auf ihren Namen betrieben werden solle. Für den Fall, dass die Geltungsdauer des Vorbescheids verlängert werden sollte, hätten die Gesellschafter vereinbart, dass sie ihr die Erweiterung beziehungsweise den Neubau des auf dem Vorhabengrundstück aufstehenden Gebäudes auf eigene Kosten und den Abschluss eines neuen Mietvertrages mit der Firma O. gestatten würden. Der Erbbauberechtigten sollte sie im Gegenzug den Restwert des Gebäudes und der Außenanlage zum Buchwert erstatten und die Zahlung des Erbbauzinses sowie aller Abgaben in Verbindung mit der Liegenschaft übernehmen. Die Gesellschafter der Erbbauberechtigten hätten schon im Zeitpunkt der besagten Vereinbarung einer Neubelastung des Erbbaubuches mit gegebenenfalls erforderlichen Grundschulden im Zusammenhang mit den notwendigen Investitionen und einer möglichen Verlängerung des Erbbaurechts zugestimmt. Die Firma O. habe gegenüber ihr, der Klägerin, jüngst noch einmal bestätigt, dass sie bereit gewesen wäre, einen neuen Mietvertrag mit dem vorstehenden Inhalt abzuschließen, und hierzu auch weiterhin bereit sei. Sie, die Klägerin, hätte die notwendigen Investitionen für die Umsetzung des Vorhabens gegebenenfalls mit eigenen Mitteln finanziert, was den durch die Versagung der Verlängerung der Geltungsdauer des Vorbescheids verursachten Schaden angesichts des Gewinns, den sie in einem solchen Fall hätte erwarten dürfen, erhöhen würde. Als Mindestschaden sei jedenfalls anzunehmen, dass die Umsetzung des Vorhabens durch einen Bankkredit finanziert worden wäre. Dann hätte sich bei Abzug der Einstandskosten, der Kreditkosten, des Erbbauzinses und der Abschreibung der Baukosten unter Berücksichtigung einer realistischen Indexentwicklung bei fünfzehn Jahren Laufzeit nach Abzug von Steuern ein Gewinn von 515.100 Euro ergeben. Rechne man die Wertsteigerung der Immobilie hinzu, wäre nach Abzug von Steuern mit einem Gewinn von 887.100 Euro in fünfzehn Jahren zu rechnen gewesen.
18Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
19das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 6. April 2017 (63/23-VL-0035/17) zu verpflichten, die Geltungsdauer des Vorbescheids vom 21. April 2015 (63-BV-0123/13) zu verlängern,
20hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte im Zeitpunkt unmittelbar vor Inkrafttreten des Bebauungsplans Nr. „W./N.-straße“ verpflichtet war, die Geltungsdauer des Vorbescheids vom 21. April 2015 (63-BV-0123/13) zu verlängern.
21Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
22die Berufung zurückzuweisen.
23Sie hält das Vorhaben für bauplanungsrechtlich unzulässig. Der Bebauungsplan sei wirksam. Die Klägerin habe nicht hinreichend nachgewiesen, dass das Vorhaben atypisch im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO sei. Bei zwei Lebensmitteldiscountmärkten und einem türkischen Supermarkt im Plangebiet gebe es keine sortimentsbezogene Unterversorgung in dem zentralen Versorgungsbereich, in dem das Vorhabengrundstück liege.
24Auch wenn der Bebauungsplan unwirksam sein sollte, sei das Vorhaben in der Gemengelage, in die das Vorhabengrundstück eingebettet sei, als großflächiger Einzelhandelsbetrieb mangels eines Vorbildes unzulässig. Die Nutzung auf dem Grundstück W. 55 durch die Firma J. (Nutzfahrzeugniederlassung; Werkstatt; Ausstellungsflächen) sei kein solches Vorbild. Die Ausstellungsflächen der Firma bestünden größtenteils aus befestigten Freiflächen, auf denen vor allem gebrauchte Nutzfahrzeuge ausgestellt würden. Bei diesen Ausstellungsflächen handele es sich mithin nur um Nebenanlagen von untergeordneter Bedeutung, aus denen im Hinblick auf die Großflächigkeit keine Vorbildwirkung für das Vorhaben hergeleitet werden könne. Auch wichen die betrieblichen Begleiterscheinungen der beiden in Rede stehenden Nutzungen, insbesondere der betriebsbedingte Verkehr, wesentlich voneinander ab. Das Vorhaben hätte sich daher seiner Art nach auch dann nicht in die Eigenart der näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks eingefügt, wenn die zweite Verlängerung der Veränderungssperre unwirksam gewesen sein sollte. Überdies hätten dem Vorhaben damals möglicherweise auch die Vorgaben des § 34 Abs. 3 BauGB entgegengestanden.
25Der Hilfsantrag sei unbegründet. Die zweite Verlängerung der Veränderungssperre sei wirksam gewesen, denn damals hätten besondere Umstände vorgelegen, die die Planung außergewöhnlich schwierig gemacht hätten und weder von der Verwaltung noch vom Rat zu verantworten gewesen seien. Vom Sommer 2016 bis zum März 2017 sei ein Gutachterverfahren in Form eines Wettbewerbs durchgeführt worden, um ein innovatives Nutzungskonzept, nämlich die verträgliche Verbindung von Wohnnutzungen mit den im künftigen Plangebiet vorhandenen Gewerbebetrieben, zu entwickeln. Am 13. Mai 2017 sei die Baunutzungsverordnung durch Einführung des Urbanen Gebiets mit § 6a BauNVO geändert worden. Dieser neue Baugebietstyp habe den mit dem Aufstellungsbeschluss verfolgten Planungszielen mehr entsprochen als etwa ein Mischgebiet. Die Planung sei daher im Aufstellungsverfahren dahingehend konkretisiert worden. Dass der neue Baugebietstyp erst nach mehr als einem Jahr nach dem Beschluss über die Veränderungssperre eingeführt worden sei, müsse bei der Zulässigkeit der zweiten Verlängerung der Veränderungssperre berücksichtigt werden. Von Mai bis November 2017 sei das Ergebnis des angesprochenen Wettbewerbs überarbeitet worden und der Rat habe beschlossen, das ursprünglich vorgesehene Plangebiet zu verkleinern. In der Zeit von Dezember 2017 bis Oktober 2018 habe die Verwaltung intensive Abstimmungsgespräche mit allen Eigentümern von Grundstücken im künftigen Plangebiet geführt, deren Ergebnisse mehrfache Anpassungen des Planentwurfs erforderlich gemacht hätten.
26Das mit dem Aufstellungsbeschluss verfolgte Ziel der Einzelhandelssteuerung hätte eine darauf bezogene Untersuchung erfordert, die ein Bedürfnis für eine Änderung des Rahmenplans Einzelhandel gezeigt habe. Wegen der gewerblichen Vorprägung des künftigen Plangebiets hätte es auch der Prüfung und Berücksichtigung diverser umweltrechtlicher Belange, insbesondere hinsichtlich des Lärms, bedurft.
27Davon abgesehen, sei nicht mit hinreichender Sicherheit zu erwarten, dass die Klägerin zivilrechtlich Schadensersatzansprüche gegen sie, die Beklagte, geltend machen werde. Die Klägerin habe keine hinreichend substanziierten Angaben zu der Art des ihr angeblich entstandenen Schadens und zu dessen ungefährer Höhe gemacht. Sie trage vor, dass ihr durch die Versagung der Verlängerung der Geltungsdauer des Vorbescheids erhebliche Mieteinnahmen entgangen seien. An einem das Gebäude auf dem Vorhabengrundstück betreffenden Mietverhältnis, aus dem sie solche Mieteinnahmen hätte erwarten dürfen, sei sie aber nicht beteiligt. Sie behaupte nur, dass die Erbbauberechtigte in den Jahren 2016 und 2017 Verhandlungen mit der Firma O. unter anderem auch über den Abschluss eines neuen Mietvertrags geführt habe. Auf den notwendigen Mindestinhalt eines künftigen Mietvertrags hätten sich die künftigen Vertragspartner nach dem Vortrag der Klägerin damals nicht geeinigt. Danach seien die Gesellschafter der Erbbauberechtigten über die Höhe des Mietzinses, den die Firma O. hätte zahlen sollen, uneins gewesen. Die angeblichen Verhandlungen zwischen der Erbbauberechtigten und der Firma O. sowie die angeblichen Vereinbarungen der Gesellschafter der Erbbauberechtigten unter anderem zur künftigen Rolle der Klägerin habe diese erstmals in ihrem Schriftsatz vom 10. März 2022 erwähnt. Sie, die Beklagte, bestreite, dass es diese angeblichen Verhandlungen und Vereinbarungen in den Jahren 2016 und 2017 überhaupt gegeben habe. Zudem hätte die von der Klägerin behauptete vorgesehene Neubelastung des für das Vorhabengrundstück eingetragenen Erbbaurechts die Zustimmung der Grundstückseigentümerin erfordert. In einem Vergleich vom 4. Juni 2012 habe sich die Grundstückseigentümerin verpflichtet, keine Anträge zu stellen, die auf die bauaufsichtliche Genehmigung „weiterer, den planungsrechtlichen Zielvorstellungen der Stadt im Bebauungsplan Nr. widersprechenden Einzelhandelsvorhaben“ auf den Grundstücken Gemarkung N1., Flur 3, Flurstücke 341, 342 und 343, (N.-straße 398) sowie Flur 3, Flurstück 344 (W. 33) gerichtet seien, beziehungsweise keine solchen Anträge durch Dritte stellen zu lassen. Ebenso habe sie sich verpflichtet, keine weiteren Einzelhandelsvorhaben auf diesen Grundstücken zu betreiben oder durch Dritte betreiben zu lassen. Vor diesem Hintergrund sei die Klägerin gar nicht berechtigt, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Schließlich sei ernsthaft zu bezweifeln, dass der Vorbescheid im Falle der Verlängerung seiner Geltungsdauer überhaupt ausgenutzt worden wäre, denn die in der Vergangenheit immer wieder eröffneten Möglichkeiten zur Erweiterung der Verkaufsfläche des auf dem Vorhabengrundstück betriebenen Lebensmitteldiscountmarktes seien niemals ins Werk gesetzt worden.
28Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten 10 D 246/21.NE, 10 A 668/19 und 10 A 669/19 sowie der beigezogenen Aufstellungsvorgänge (Beiakten Hefte 1 bis 11 des Verfahrens 10 D 246/21.NE) und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakten Heft 1 bis 24) Bezug genommen.
29Entscheidungsgründe:
30Der Vorsitzende entscheidet im Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senats ohne mündliche Verhandlung (§§ 87a Abs. 2, 101 Abs. 2 VwGO).
31Die Berufung hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
32Die Klage ist mit dem Hauptantrag unbegründet.
33Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Verlängerung der Geltungsdauer des Vorbescheids.
34Sie hatte in ihrem undatierten, der Bauvoranfrage beigefügten Schreiben unter „Erläuterung und genaue Fragestellung“ formuliert:
35„Ist auf dem Baugrundstück entsprechend dem beiliegenden Lageplan eine Erweiterung des bestehenden Lebensmittel-Discounters auf ca. 1.200m² Verkaufsfläche nach der Art der baulichen Nutzung bauplanungsrechtlich zulässig?“
36Der Klägerin fehlt für diese Bauvoranfrage das Sachbescheidungsinteresse, das, wenn die Verlängerung der Geltungsdauer eines vormals erteilten Vorbescheids begehrt wird, erneut zu prüfen ist.
37Die Baugenehmigungsbehörde darf einen Bauantrag mangels Sachbescheidungsinteresses ablehnen, wenn die beantragte Baugenehmigung für den Bauherrn ersichtlich nutzlos ist. Das ist dann der Fall, wenn feststeht, dass dieser aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen an einer Verwertung der Baugenehmigung gehindert ist. Voraussetzung für die Ablehnung des Bauantrags ist in solchen Fällen ein schlechthin nicht ausräumbares Hindernis.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Januar 1980 – 4 C 3.78 –, juris, Rn. 16; Bay. VGH, Urteil vom 25. November 2014 – 9 B 13.1401 –, juris, Rn. 25.
39Nichts anderes gilt, wenn der Bauherr lediglich einen baurechtlichen Vorbescheid – oder wie hier – die Verlängerung der Geltungsdauer eines solchen Vorbescheids beantragt.
40Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. November 2020
41– 10 A 1230/19 –, juris, Rn. 17.
42Nach diesen Grundsätzen fehlt der Klägerin nach Inkrafttreten des Bebauungsplans das Sachbescheidungsinteresse für die begehrte Verlängerung der Geltungsdauer des Vorbescheids.
43Das Vorhaben, das Gegenstand der Bauvoranfrage und damit des Antrags auf Verlängerung der Geltungsdauer des aufgrund der Bauvoranfrage erteilten Vorbescheids ist, widerspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans, sodass der Vorbescheid für die Klägerin nutzlos wäre, weil ihr eine entsprechende Baugenehmigung nicht erteilt werden könnte.
44Die Bauvoranfrage bezieht sich auf die Erweiterung der Verkaufsfläche des auf dem Vorhabengrundstück betriebenen Lebensmitteldiscountmarktes. In dem darin ausdrücklich in Bezug genommenen Lageplan hat die Klägerin das vorhandene Betriebsgebäude des Marktes und die mit der beabsichtigten Erweiterung erforderlich werdenden baulichen Veränderungen dieses Gebäudes eingetragen.
45Gegenstand der bauplanungsrechtlichen Beurteilung eines Bauvorhabens ist, wenn es dabei um die Änderung einer baulichen Anlage geht, grundsätzlich die gesamte Anlage in ihrer geänderten Gestalt, das heißt, das vom Bauherrn angestrebte Ergebnis der Baumaßnahme muss den maßgeblichen bauplanungsrechtlichen Vorschriften entsprechen. Nur wenn die in Form einer Erweiterung vorgesehene Änderung des Bestandes als die Errichtung einer weiteren eigenständigen baulichen Anlage zu verstehen ist, weil sie sich selbstständig nutzen und von dem Bestand abtrennen lässt, kann es geboten sein, die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Erweiterung isoliert zu betrachten. Hier fehlt es an der Abtrennbarkeit der gewollten Erweiterung der Verkaufsfläche, sodass im Baugenehmigungsverfahren mit der geplanten Erweiterung auch der bereits vorhandene Teil des Lebensmitteldiscountmarktes zur Disposition steht, der in der neuen Gesamtanlage aufgehen soll. Immer dann, wenn eine Erweiterung zugleich den Bestand baulich oder in seiner Qualität verändert oder sich die mit der Erweiterung einhergehende Nutzung nicht nur unwesentlich auf die Immissionslage in der Umgebung auswirkt, ist eine isolierte Beurteilung der Erweiterung nicht möglich. Ebenso wie bei einer Nutzungsänderung, bei der die bauliche Anlage in ihrer geänderten Funktion als Einheit zu prüfen ist, muss bei der Erweiterung einer baulichen Anlage diese in ihrer durch die Erweiterung geänderten Gestalt geprüft werden.
46Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1993 – 4 C 17.91 –, juris, Rn. 16; OVG NRW, Urteil vom 15. März 2018
47– 10 A 3042/15 –; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11. Februar 2016 – 5 S 1389/14 –, juris, Rn. 53.
48Der Lebensmitteldiscountmarkt auf dem Vorhabengrundstück und damit auch die Erweiterung seiner Verkaufsfläche widersprechen jedenfalls der textlichen Festsetzung Nr. 2 des Bebauungsplans, wonach Garagen und Stellplätze mit Ausnahme von Stellplätzen für Fahrräder ausschließlich in Gebäuden zulässig sind. Der Lebensmitteldiscountmarkt auf dem Vorhabengrundstück und die Erweiterung seiner Verkaufsfläche sind somit heute bauplanungsrechtlich unzulässig. Dies entspricht auch den Vorstellungen des Rates im Aufstellungsverfahren und dem Vortrag der Antragstellerin in dem gegen den Bebauungsplan angestrengten Normenkontrollverfahren, wonach der Lebensmitteldiscountmarkt mit den Festsetzungen des Bebauungsplans auf den Bestand gesetzt worden sei. Vor diesem Hintergrund spielt es letztlich keine Rolle, dass die Bauvoranfrage auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens seiner Art nach beschränkt war.
49Die Festsetzungen des Bebauungsplans sind auch wirksam, wie sich aus dem auch der Klägerin bekannten Urteil des Senats vom 15. März 2022 im Verfahren 10 D 246/21.NE ergibt, auf dessen Begründung insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird.
50Die Klage hat jedoch mit dem Hilfsantrag Erfolg.
51Sie ist insoweit zulässig.
52Bei einer Fortsetzungsfeststellungklage, die der Vorbereitung einer zivilrechtlichen Klage auf Schadensersatz oder Entschädigung dienen soll, ist das Feststellungsinteresse zu bejahen, wenn ein solcher Prozess bereits anhängig, mit Sicherheit zu erwarten oder ernsthaft beabsichtigt ist, die begehrte Feststellung in diesem Verfahren erheblich und die Rechtsverfolgung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Insoweit bedarf es hinreichender Darlegungen seitens des die Feststellung begehrenden Klägers. Hierzu gehört insbesondere, dass er die Behauptung eines eingetretenen Schadens durch Angaben zur Art des Schadens und zur annähernden Schadenshöhe substanziiert.
53Vgl. etwa OVG NRW, Urteile vom 25. März 2014 – 2 A 2679/12 –, juris, Rn 42, und vom 19. April 2013 – 10 A 2596/11 –, juris, Rn. 53, jeweils mit weiteren Nachweisen.
54Diese Anforderungen sind hier erfüllt. Die Klägerin trägt insoweit vor, ihr Fortsetzungsfeststellungsinteresse bestehe, weil sie beabsichtige, einen Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Diese habe die Geltungsdauer des ihr erteilten Vorbescheids in dem Zeitraum zwischen dem Auslaufen der Veränderungssperre und dem Inkrafttreten des Bebauungsplans rechtswidrig nicht verlängert. Hätte die Beklagte die Geltungsdauer des Vorbescheids antragsgemäß verlängert, hätte sie, die Klägerin, zeitnah eine Baugenehmigung für die dem Vorbescheid entsprechende Erweiterung der Verkaufsfläche des auf dem Vorhabengrundstück betriebenen Lebensmitteldiscountmarktes beantragt und die Erweiterung der Verkaufsfläche nach Erteilung der Baugenehmigung auch umgesetzt.
55In den Jahren 2016 und 2017 hätten die Gesellschafter der Erbbauberechtigten vereinbart, dass die weitere Besorgung des Baurechts durch sie, die Klägerin, und auf ihren Namen betrieben werden solle. Die Firma O. sei damals einverstanden gewesen, einen neuen Mietvertrag zu einen indexierten Mietzins von 12,83 Euro/qm für ein neues oder ein erweitertes Gebäude mit einer Gesamtfläche von 1.403 qm einschließlich einer Verkaufsfläche von 1.200 qm abzuschließen. Dazu sei die Firma O. auch heute noch bereit. Die Gesellschafter hätten außerdem vereinbart, dass sie ihr, der Klägerin, die Erweiterung beziehungsweise den Neubau des auf dem Vorhabengrundstück aufstehenden Gebäudes auf eigene Kosten und den Abschluss eines neuen Mietvertrages mit der Firma O. gestatten würden. Hätte sie die Umsetzung des Vorhabens durch einen Bankkredit finanziert, hätte sich bei Abzug der Einstandskosten, der Kreditkosten, des Erbbauzinses und der Abschreibung der Baukosten unter Berücksichtigung einer realistischen Indexentwicklung bei fünfzehn Jahren Laufzeit nach Abzug von Steuern ein Gewinn von 515.100 Euro ergeben. Rechne man die Wertsteigerung der Immobilie hinzu, hätte sie nach Abzug von Steuern einen Gewinn von 887.100 Euro in fünfzehn Jahren erwarten können. Diesen entgangenen Gewinn wolle sie als den ihr entstandenen Schaden geltend machen.
56Dieser Vortrag reicht für eine Substanziierung des behaupteten Schadens nach Art und Höhe aus.
57Aus dem diesbezüglichen Vortrag der Beklagten ergibt sich nichts Gegenteiliges. Soweit sie bestreitet, dass es die von der Klägerin behaupteten Verhandlungen mit der Firma O. und die Vereinbarungen der Gesellschafter der Erbbauberechtigten überhaupt gegeben habe, schlussfolgert sie dies allein daraus, dass die Klägerin diese Verhandlungen und Vereinbarungen erstmals in ihrem Schriftsatz vom 10. März 2022 erwähnt habe. Die Klägerin hatte jedoch bis zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durch den Vorsitzenden in dem Erörterungstermin am 28. Januar 2022 keine gesteigerte Veranlassung, die besagten Interna offenzulegen, weil sie bis dahin in erster Linie die begehrte Verlängerung der Geltungsdauer des Vorbescheids erstreiten wollte. Überdies hatte die Klägerin den Vorbescheid tatsächlich beantragt und erhalten, sodass ihr Vortrag, die Gesellschafter der Erbbauberechtigten hätten ihr die weitere Besorgung des Baurechts auf eigene Kosten überlassen, durchaus plausibel ist. Dass sowohl die Erbbauberechtigte als auch die Firma O. grundsätzlich mit einer Erweiterung der Verkaufsfläche des auf dem Vorhabengrundstück betriebenen Lebensmitteldiscountmarktes zu bestimmten Konditionen einverstanden gewesen sind, darf in diesem Zusammenhang unterstellt werden, weil ansonsten der von der Klägerin jahrelang betriebene Aufwand keinen Sinn gemacht hätte. Inwieweit es für die erfolgreiche Geltendmachung eines entgangenen Gewinns erforderlich ist, dass bereits in den Jahren 2016 und 2017 die wesentlichen Inhalte eines künftigen Mietvertrages mit der Firma O. verbindlich festgelegt worden sind, mag in dem von der Klägerin beabsichtigten Schadensersatzprozess geklärt werden. Nichts anderes gilt für die Beantwortung der Frage, ob es für die Umsetzung des Vorhabens zwingend der Zustimmung der Grundstückeigentümerin bedurft hätte und ob diese durch den Vergleich vom 4. Juni 2012 rechtlich gehindert wäre, eine solche Zustimmung zu erteilen. Insoweit weist der Senat nochmals darauf hin, dass die Beklagte der Klägerin den Vorbescheid in Ansehung dieses Vergleichs erteilt hat. Im Übrigen wäre nach dem Vortrag der Klägerin eine Neubelastung des Erbbaurechts nicht unbedingt notwendig gewesen. Dass der Vorbescheid während seiner regulären Geltungsdauer nicht ausgenutzt worden ist, sagt nichts darüber aus, dass seine Ausnutzung auch nach der Verlängerung seiner Geltungsdauer nicht beabsichtigt gewesen wäre.
58Die Klage ist mit dem Hilfsantrag begründet. Die Beklagte war unmittelbar vor Inkrafttreten des Bebauungsplans verpflichtet, die Geltungsdauer des Vorbescheids, wie von der Klägerin beantragt, zu verlängern.
59Zu dem im Antrag genannten Zeitpunkt unmittelbar vor Inkrafttreten des Bebauungsplans am 4. April 2020, nämlich der Bekanntmachung des Dringlichkeitsbeschlusses, hatte die Klägerin einen Anspruch auf die Verlängerung der Geltungsdauer des Vorbescheids.
60Die Veränderungssperre stand dem Vorhaben, das Gegenstand des Vorbescheids war, nicht entgegen.
61Die Veränderungssperre war ausgelaufen. Deren zweite Verlängerung war unwirksam.
62Die nochmalige Verlängerung einer Veränderungssperre nach § 17 Abs. 2 BauGB setzt voraus, dass besondere Umstände diese erfordern. Solche besonderen Umstände liegen vor, wenn sich das Aufstellungsverfahren wegen seines Umfangs, wegen besonderer Schwierigkeiten bei der Planung oder wegen gewichtiger Probleme im Verfahrensablauf als atypisch erweist.
63Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 1992 – 4 NB 44.92 –, juris, Rn. 13.
64Die zweite Verlängerung einer Veränderungssperre kommt also nur in Betracht, wenn sich das Aufstellungsverfahren, ohne dass die planende Gemeinde dies zu vertreten hat, von der üblichen städtebaulichen Planungstätigkeit wesentlich abhebt. Notwendig ist überdies ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Besonderheiten des Aufstellungsverfahrens und dessen ungewöhnlich langer Dauer. Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass das Aufstellungsverfahren für einen Bebauungsplan innerhalb von drei Jahren, für die das Gesetz eine Veränderungssperre als Sicherungsinstrument regelmäßig zur Verfügung stellt, abgeschlossen sein kann, muss die Gemeinde, will sie ihre Planung über diesen Zeitraum hinaus durch eine weitere Verlängerung der Veränderungssperre sichern, darlegen, dass objektive Gründe einen Abschluss des Aufstellungsverfahrens bis dahin verhindert haben. Es muss also erkennbar sein, dass sich die Gemeinde nach Kräften bemüht hat, das Aufstellungsverfahren voranzutreiben, um es innerhalb der drei Jahre abzuschließen, und die Überschreitung dieser Frist nicht etwa auf einer bloßen Entscheidungsschwäche bei der politischen Willensbildung oder auf einer Einstufung der Planung als gegenüber anderen Aufgaben nachrangig beruht.
65Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 24. Februar 2021
66– 1 MN 174/20 –, juris, Rn. 17.
67Auf besondere Umstände im Sinne des § 17 Abs. 2 BauGB konnte sich der Rat bei dem Beschluss über die zweite Verlängerung der Veränderungssperre danach nicht berufen. Soweit die Beklagte als vermeintlich besonderen Umstand die Dauer eines vom Sommer 2016 bis zum März 2017 durchgeführten Gutachterverfahrens anführt, mit dem im Zuge eines Wettbewerbs Vorschläge zur Entwicklung eines innovativen Nutzungskonzeptes in Form einer verträglichen Verbindung von künftigen Wohnnutzungen mit den im Plangebiet vorhandenen Gewerbebetrieben erarbeitet werden sollten, fällt die damit verbundene Verzögerung des Aufstellungsverfahrens in ihren eigenen Verantwortungsbereich. Sie muss sich fragen lassen, weshalb sie das Gutachterverfahren erst nach mehr als einem Jahr nach dem Aufstellungsbeschluss in die Wege geleitet hat, als die Veränderungssperre bereits zu laufen begonnen hatte. Die daraus folgende Verzögerung des Aufstellungsverfahrens ist der Beklagten erst recht deshalb vorzuhalten, weil – wie es in der Begründung der zweiten Verlängerung der Veränderungssperre heißt – mögliche Investoren und die örtliche Politik schon seit einigen Jahren das Ziel verfolgt hätten, am W. neue Wohnbauflächen zu schaffen. Soweit die Beklagte ihren Vortrag so verstanden wissen will, dass die Fortführung des Aufstellungsverfahrens erst nach dem Abschluss des Gutachterverfahrens Sinn gemacht hätte, wären wesentliche Schritte im Aufstellungsverfahren tatsächlich erst zwei Jahre nach dem Aufstellungsbeschluss ausgeführt worden. Auch wenn es der Beklagten als der für das Aufstellungsverfahren Verantwortlichen unbenommen war, ein Gutachterverfahren erst geraume Zeit nach dessen Einleitung durchzuführen statt damit zügig nach dem Aufstellungsbeschluss zu beginnen, bedingt diese Verfahrensführung keine von dem Üblichen abweichende Atypik des Aufstellungsverfahrens, auf die sich die Beklagte berufen könnte, um eine nochmalige Verlängerung der Veränderungssperre zu rechtfertigen. Dies umso weniger, als es in der Begründung der zweiten Verlängerung der Veränderungssperre nur heißt, dass nach dem Ergebnis des Gutachterverfahrens insbesondere an der Herausbildung der städtebaulichen Kanten sowie an der vorgeschlagenen mäandrierenden Gebäudestruktur gearbeitet worden sei.
68Wenn die Beklagte zudem vorträgt, dass die Planung nach Einführung des Urbanen Gebiets in § 6a BauNVO am 13. Mai 2017 konkretisiert worden sei, zeigt sie weder auf noch ist sonst ersichtlich, welche wesentliche zeitliche Verzögerung des Aufstellungsverfahrens mit der Umstellung der Planung von dem ursprünglich geplanten Mischgebiet auf ein Urbanes Gebiet verbunden gewesen ist.
69Soweit die Beklagte nach dem Abschluss des Gutachterverfahrens intensive Abstimmungsgespräche mit allen Eigentümern von Grundstücken im künftigen Plangebiet geführt hat und infolge dieser Gespräche mehrfache Anpassungen des Planentwurfs erforderlich geworden sind, lassen sich solche Gespräche und die daraus folgenden Anpassungen ebenfalls nicht als außergewöhnliche Umstände begreifen, die eine nochmalige Verlängerung der Veränderungssperre erfordert hätten, zumal nach der Begründung der zweiten Verlängerung der Veränderungssperre bereits vor der Einleitung des Gutachterverfahrens Gespräche mit den Grundstückseigentümern geführt worden waren, um die mögliche Verfügbarkeit von Flächen und die Bereitschaft der Eigentümer zur Realisierung der planerischen Ziele abschätzen zu können.
70Die mit dem Bebauungsplan beabsichtigte Steuerung des Einzelhandels und die dazu erforderliche Änderung des Rahmenplans Einzelhandel beschäftigen die Beklagte seit Jahrzehnten. Außergewöhnliche Umstände, mit denen die Dauer eines Aufstellungsverfahrens für einen Bebauungsplan über die dafür regelmäßig vorgesehenen drei Jahre hinaus zu erklären wäre, stellen die Untersuchungen, Überlegungen und Abstimmungen zu der gewollten Einzelhandelssteuerung nicht dar. Auch die Prüfung und die Berücksichtigung diverser umweltrechtlicher Auswirkungen der Planung auf öffentliche und private Belange sind Teil der gewöhnlichen Planungstätigkeit und lassen hier weder für sich genommen noch im Zusammenspiel mit den sonst genannten Aspekten, die das Aufstellungsverfahren mit bestimmt haben, auf einen von der Beklagten in zeitlicher Hinsicht nicht zu beeinflussenden atypischen Verfahrensablauf schließen.
71Dem Vorhaben standen auch nicht die Festsetzungen des Vorgängerplans – Bebauungsplan Nr. - Nördlich W. – entgegen. Unabhängig davon, ob nach der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an den Ausführungen des Senats in der mündlichen Verhandlung im Verfahren 10 D 61/08.NE zur Unwirksamkeit der Festsetzungen des Vorgängerplans zum Einzelhandelsausschluss festzuhalten ist, folgt die Unwirksamkeit des Vorgängerplans jedenfalls daraus, dass die Bekanntmachung der öffentlichen Auslegung des Planentwurfs hinsichtlich der Angaben zu den verfügbaren Arten umweltbezogener Informationen nicht den Anforderungen des § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BauGB genügt hat.
72Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verlangt § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BauGB die Angabe der Arten der Informationen, nicht die der Informationen selbst. Die Gemeinde muss die in den vorhandenen Stellungnahmen und Unterlagen behandelten Umweltthemen grundsätzlich nach Themenblöcken zusammenfassen und diese in der ortsüblichen Bekanntmachung der öffentlichen Auslegung des Planentwurfs schlagwortartig charakterisieren. Dem Ziel der Vorschrift entsprechend muss bei der Angabe als strukturierendes Merkmal der jeweilige Inhalt der Informationen gewählt werden, denn die Bekanntmachung nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BauGB soll eine Anstoßwirkung haben, indem sie den interessierten Bürger dazu ermuntert, sich über die konkreten Planungsabsichten der Gemeinde zu informieren und gegebenenfalls mit Anregungen und Bedenken zu der jeweiligen Planung beizutragen.
73Die Gemeinde darf nicht zwischen den von ihr für wesentlich oder für unwesentlich gehaltenen Informationen unterscheiden. Bei der Wahl der Schlagwörter kann sie sich im Grundsatz an der Bezeichnung orientieren, die der jeweilige Ersteller einer Information selbst für zutreffend gehalten hat. Eine nähere Beschreibung der verfügbaren Arten umweltbezogener Informationen etwa als Sachverständigengutachten, als Stellungnahme einer Behörde oder eines sonstigen Trägers öffentlicher Belange oder als Einwendung eines privaten Dritten schreibt § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BauGB nicht vor.
74Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2019 – 4 CN 7.18 –, juris, Rn. 12 ff.; OVG NRW, Urteil vom 16. November 2020 – 10 D 8/18.NE –, juris, Rn. 55 ff.
75Diesen Grundsätzen entsprach die Bekanntmachung der öffentlichen Auslegung des Entwurfs des Vorgängerplans, in der allein auf die Stellungnahme des Staatlichen Umweltamtes hingewiesen worden war, nicht.
76Die Anstoßfunktion ist zwar auch dann gewahrt, wenn bei einer relativ geringen Anzahl von Stellungnahmen diese lediglich aufgelistet und im Ergebnis sämtliche behandelten Umweltthemen benannt werden, ohne dass diese nach Themenblöcken geordnet worden sind, solange der Adressat den gemachten Angaben mühelos entnehmen kann, zu welchen konkreten Umweltthemen Unterlagen vorhanden sind.
77Vgl. OVG NRW Urteil vom 16. November 2020 – 10 D 8/18.NE –, juris, Rn. 63.
78In der Bekanntmachung der öffentlichen Auslegung des Entwurfs des Vorgängerplans waren jedoch gar keine Umweltthemen genannt. Diesen Mangel hat die Antragstellerin in dem Verfahren 10 D 61/08.NE damals auch rechtzeitig gegenüber der Beklagten gerügt.
79Dem Vorhaben stand auch die Festsetzung „E1-Mittelgewerbegebiet“ in den Durchführungsplänen 5580/06 und 5580/07, selbst wenn es sich bei diesen Durchführungsplänen um nach § 173 Abs. 3 BBauG 1960 übergeleitete Bebauungspläne gehandelt hätte, nicht entgegen.
80Es kann offen bleiben, ob die Festsetzung des Mittelgewerbegebiets überhaupt wirksam gewesen ist. Nicht abschließend geklärt ist insoweit, ob der Plangeber bei der Darstellung der Nutzungsart der Baufläche an die Baugebietstypen des § 7 I B 3 der Bauordnung für den Regierungsbezirk E. vom 1. April 1939 (Baupolizeiverordnung – BPVO), zu denen das Mittelgewerbegebiet nicht zählte, gebunden war.
81Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. März 2002 – 10 B 201/02 –, juris, Rn. 23; Ernst-Friede, Kommentar zum Aufbaugesetz von Nordrhein-Westfalen, 4. Auflage 1958, § 10 Anm. 1, Seite 120.
82Nach den textlichen Festsetzungen der Durchführungspläne waren in dem zeichnerisch festgesetzten Mittelgewerbegebiet alle Anlagen zulässig, die in § 7 I B 3 e) BPVO genannt sind mit Ausnahme derjenigen Betriebe, die unter § 16 der Gewerbeordnung a.F. fielen. § 7 I B 3 e) BPVO betraf Großgewerbegebiete, in denen nur gewerbliche Anlagen und Gebäude für die industrielle Nutzung (Abs. 1 Satz 1) zulässig waren. Gestattet waren dort alle für den Betrieb erforderlichen Nebenanlagen, wie Arbeiteraufenthaltsräume, Büros, Lagerräume, Verkehrsgebäude und Wohnungen für das zur Bewachung erforderliche Aufsichtspersonal.
83Nach § 7 I B Nr. 2 BPVO durften in den Baugebieten mit Ausnahme des Großgewerbegebiets keine Anlagen errichtet oder genutzt werden, die bei ihrem Betrieb erhebliche Nachteile oder Belästigungen für die Bewohner oder die Allgemeinheit zur Folge haben konnten.
84Auch waren Einzelhandelsbetriebe keine gewerblich beziehungsweise industriell genutzte Anlagen im Sinne des § 7 B I 3 e) BPVO. Die Begriffspaare der gewerblichen Anlagen und gewerblichen Betriebe wurden in den baurechtlichen Vorschriften, die vor Inkrafttreten der Baunutzungsverordnung galten, eng verstanden. So unterschied § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Regelung der Bebauung vom 15. Februar 1936 (Bauregelungsverordnung, RGBl. I S. 104), die in der Einleitung zur Baupolizeiverordnung, auf die die Durchführungspläne ausdrücklich verweisen, genannt ist, zwischen Gewerbe- und Geschäftsgebieten. Nur in letzteren sollten Einzelhandelsgeschäfte und Einzelhandelsbetriebe zulässig sein. In Geschäftsgebieten waren „gewerbliche Anlagen“ nur eingeschränkt zugelassen, in Gewerbegebieten waren Einzelhandelsbetriebe weder in Form von Waren- oder Kaufhäusern noch in Form von Läden zulässig. Diese Differenzierung in der Bauregelungsverordnung hat auch die Baupolizeiverordnung aufgegriffen, indem sie in § 7 B I 3 c) Geschäftsgebiete vorsah, in denen vorzugsweise Geschäftshäuser und Läden zulässig waren. Dies verdeutlicht, dass es dem damaligen städtebaulichen Grundverständnis widersprach, Waren-, Geschäfts- oder Kaufhäuser in Gewerbegebieten zuzulassen.
85Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 9. Oktober 2008 – 9 K 2185/05 –, juris, Rn. 72.
86Dies zugrunde gelegt, war die Festsetzung des Mittelgewerbegebiets im Sinne eines eingeschränkten Großgewerbegebiets jedenfalls funktionslos geworden.
87Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Festsetzung eines Bebauungsplans nur dann funktionslos, wenn die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in ihrer tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der die Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt, und dies in einem Grad erkennbar ist, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt.
88Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 1977 – IV C 39.75 –, juris, Rn. 35; OVG NRW, Urteil vom 29. April 2019
89– 10 D 8/17.NE –, juris, Rn. 52 ff.
90Bloße Zweifel an der Verwirklichungsfähigkeit einer Festsetzung reichen dafür nicht aus. Sie tritt wegen nachträglicher Funktionslosigkeit nur dann außer Kraft, wenn offenkundig ist, dass sie als Instrument für die Steuerung der städtebaulichen Entwicklung nicht mehr taugt.
91Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 1997 – 4 B 16.97 –, juris, Rn. 4.
92Hier hatte sich der tatsächliche Zustand im Bereich des in den Durchführungsplänen festgesetzten Mittelgewerbegebiets dahin entwickelt, dass eine Verwirklichung der dort allein zulässigen gewerblicher Nutzung in dem oben dargelegten Sinne auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen erschien. Wie sich unter anderem aus der Begründung des Bebauungsplans ergibt, sind die in Rede stehenden Flächen durch Wohnnutzungen entlang der N.-straße, durch Einzelhandelsnutzungen und durch sonstige gewerbliche Nutzungen geprägt. Anhaltspunkte dafür oder gar Erwartungen, dass sich diese Flächen künftig zu einem ausschließlich gewerblich genutzten Bereich ohne Wohn- und Einzelhandelsnutzungen hätten entwickeln können, bestanden zum Zeitpunkt unmittelbar vor Inkrafttreten des Bebauungsplans offenkundig nicht, sodass die Durchführungspläne ihre Steuerungsfähigkeit jedenfalls im Hinblick auf die Art der Nutzungen, die sich in ihrem Geltungsbereich etabliert hatten und deren weitere Entwicklung erkennbar verloren hatten.
93Sind die für das Vorhabengrundstück geltenden Festsetzungen der Durchführungspläne zur Art der baulichen Nutzung mithin funktionslos geworden, war der dort betriebene Lebensmitteldiscountmarkt mit einer entsprechend dem dafür erteilten Vorbescheid erweiterten Verkaufsfläche unmittelbar vor Inkrafttreten des Bebauungsplans seiner Art nach bauplanungsrechtlich zulässig und hatte die Klägerin einen Anspruch auf Verlängerung der Geltungsdauer des Vorbescheids.
94Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit war damals nach § 34 BauGB zu beurteilen. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Bauvorhaben nach der Art der baulichen Nutzung zulässig, wenn es sich insoweit in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.
95Der Lebensmitteldiscountmarkt mit der erweiterten Verkaufsfläche erfüllte diese Voraussetzungen.
96Die nähere Umgebung ist für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB genannten Merkmale gesondert zu ermitteln, weil diese jeweils eine Prägung mit ganz unterschiedlicher Reichweite und Gewichtung entfalten können. Für das hier in Rede stehenden Merkmal der Art der baulichen Nutzung ist die nähere Umgebung im Regelfall weiter zu bemessen als beispielsweise hinsichtlich des Merkmals der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, und der Bauweise. Sie erstreckt sich so weit, wie sie den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst und sich die Ausführung des Bauvorhabens auf sie auswirken kann.
97Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 – 4 C 9.77 –, BRS 33 Nr. 36; OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2000 – 10 A 5152/97 –.
98Bei der Eingrenzung der näheren Umgebung kann die Rechtsprechung zur Abgrenzung des Innenbereichs vom Außenbereich sinngemäß angewendet werden.
99Nach den vorgelegten Verwaltungsvorgängen, dem verfügbaren Kartenmaterial und den verfügbaren Luftbildern gehört zur näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks jedenfalls das Plangebiet des Vorgängerplans.
100Die in dieser Umgebung vorhandene Bebauung lässt sich nach der Art der baulichen Nutzung keinem faktischen Baugebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit den §§ 2 bis 9 BauNVO zuordnen, sodass die Umgebung als eine sogenannte Gemengelage zu betrachten ist.
101Der Annahme eines faktischen Mischgebiets (§ 6 BauNVO) steht entgegen, dass die fragliche Umgebung keine hinreichende Durchmischung der beiden Hauptnutzungsarten Wohnen und Gewerbe aufweist. Vielmehr findet sich Wohnnutzung allein entlang der N.-straße, während sich die gewerblich genutzten Grundstücke und Gebäude ganz überwiegend nördlich beziehungsweise nordwestlich davon befinden. Wegen der besagten Wohnnutzung ist die Umgebung auch nicht als ein faktisches Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO) zu betrachten.
102Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung hier also keinem der in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Baugebiete und war die Zulässigkeit der Errichtung oder Änderung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebs deshalb nach § 34 Abs. 1 und 3 BauGB zu beurteilen, galt die Vermutungsregel des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO weder unmittelbar noch kraft gesetzlicher Verweisung.
103Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO sind großflächige Einzelhandelsbetriebe, die sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken können, außer in Kerngebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig. Diese Vorschrift gilt unmittelbar – ebenso wie die sie ergänzende Vermutungsregel des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO – nur im Geltungsbereich eines Bebauungsplans. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Baugebiete, bestimmt § 34 Abs. 2 BauGB, dass sich die Zulässigkeit eines Vorhabens nach seiner Art allein danach richtet, ob es in einem solchen Baugebiet nach der Baunutzungsverordnung allgemein zulässig ist. Auch in den Fällen des § 34 Abs. 2 BauGB ist die Zulässigkeit großflächiger Einzelhandelsbetriebe mithin nach § 11 Abs. 3 BauNVO zu beurteilen, im Übrigen jedoch nicht.
104Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Februar 2009 – 4 B 3.09 –, juris, Rn. 9.
105Der Lebensmitteldiscountmarkt auf dem Vorhabengrundstück hätte sich mit der entsprechend dem Vorbescheid erweiterten Verkaufsfläche als großflächiger Einzelhandelsbetrieb nach der Art seiner Nutzung in die als Gemengelage zu qualifizierende nähere Umgebung eingefügt. Er hätte innerhalb des durch die vorhandene Bebauung und Nutzung vorgegebenen Rahmens gelegen.
106Als Vorbild für eine derartige Nutzung hätte die im Plangebiet des Vorgängerplans ansässige J. Niederlassung am W. 55 gedient. Der Betrieb ist als Nutzfahrzeugniederlassung mit Werkstatt und Ausstellungsflächen genehmigt. Nach den Angaben der Firma J. auf ihrer Website ist die J. Nutzfahrzeuge GmbH der größte deutsche Vertragshändler der J. N. AG mit acht Vertriebs- und Servicestandorten. Die weiteren Angaben auf der Website und auch die verfügbaren Luftbilder belegen, dass auf dem Grundstück am W. 55 großflächiger Einzelhandel betrieben wird. Auf den Freiflächen des Betriebs werden zahlreiche Fahrzeuge zum Verkauf angeboten. Laut Auskunft der Firma J. werden auf dem Außengelände ihres Betriebsgrundstück Gebraucht- und Neufahrzeuge auf etwa 2.000 qm ausgestellt.
107Freiflächen gehören zwar in der Regel nicht zur Verkaufsfläche eines Einzelhandelsbetriebs, doch gilt insbesondere dann etwas anderes, wenn – wie im Falle der Firma J. – solche Flächen in erheblichem zeitlichen Umfang unmittelbar dem Verkauf dienen, also auf ihnen Waren angeboten oder präsentiert werden. In diesen Fällen wiegt die eindeutige Einbeziehung der Fläche in den Verkaufsvorgang schwerer als die fehlende räumlichen Zuordnung zu der Verkaufsfläche im Inneren des Betriebsgebäudes.
108Vgl. Külpmann, jurisPR-BVerwG 9/2017 Anm. 1.
109Dies gilt erst recht, wenn es – wie hier – neben diesen Verkaufsflächen unter freiem Himmel gar keine oder nur kleine Verkaufsflächen innerhalb von Gebäuden gibt.
110Um Nebenanlagen untergeordneter Natur, die die Umgebung nicht im Sinne einer bestimmten Nutzungsart prägen können, handelt es sich bei den beschriebenen Ausstellungsflächen – anders als die Beklagte meint – folglich nicht.
111Angesichts der Größe des J. -Vertriebs steht zudem außer Frage, dass er zur Prägung des baulichen Charakters der näheren Umgebung, zu der er gehört, wesentlich beiträgt. Aus demselben Grund ist auszuschließen, dass er als Solitär die Eigenart seiner Umgebung nicht beeinflusst, zumal er durch den mit dem Verkauf und durch den mit dem Betrieb der Werkstatt verbundenen Verkehr von zum Teil großen Nutzfahrzeugen deutlich nach außen in Erscheinung tritt. Auf die Unterschiede bei den betrieblichen Begleiterscheinungen, namentlich auf die Unterschiede bei dem betriebsbedingten Verkehr zwischen dem Betrieb der Firma J. und dem Vorhaben, kommt es – wenn es wie hier allein um die Einordnung der Art eines Einzelhandelsbetriebs als großflächiger Einzelhandelsbetrieb geht – nicht an, denn für die Großflächigkeit ist allein die Größe der Verkaufsfläche maßgeblich.
112Wegen der Beschränkung der Bauvoranfrage auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens seiner Art nach ist es hier ohne Belang, ob von ihm schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche zu erwarten sind.
113Vgl. OVG NRW, Urteile vom 29. Juni 2016 – 10 A 1574/14 –, juris, Rn. 96 und vom 31. Oktober 2012
114– 10 A 912/11 –, juris, Rn. 55.
115Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 VwGO. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Streitwertanteil des erfolglosen Verpflichtungsantrags, hinsichtlich dessen die Klägerin die Kosten trägt, doppelt so hoch anzusetzen ist wie der Streitwertanteil des Fortsetzungsfeststellungsantrags, hinsichtlich dessen die Beklagte die Kosten trägt (vgl. Nr. 15 des Streitwertkatalogs der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Januar 2019, BauR 2019, 619).
116Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.
117Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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