Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 2607/21.A
Tenor
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt E. aus S. wird abgelehnt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1
G r ü n d e
2I. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
3II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zuzulassen.
4Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der Rechts- bzw. Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.
5Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2020– 1 A 1854/19.A –, juris, Rn. 3 f. m. w. N.
6Als grundsätzlich bedeutsam erachtet der Kläger die Frage,
7„wie § 3e AsylG (interner Schutz) auszulegen ist, insbesondere wie § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG auszulegen [ist], ob das Merkmal sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann auch den Teil umfasst, in dem ein Flüchtling sich aus einem Landesteil seines Heimatlandes, in dem er verfolgt wird, zunächst nach Europa flieht und dann in den anderen Landesteil, der ihm eventuell Schutz gewähren könnte, abgeschoben wird“,
8und bringt weiter vor: Es scheitere für die Frage der Erreichbarkeit eines Ortes des internen Schutzes schon am Wortlaut des Gesetzes und auch daran, dass der Kläger eben nicht legal in einen anderen Landesteil reisen könne, wenn er sich zuvor ohne Visum, also illegal, nach Europa begebe und von dort aus, weil er über keinen Pass verfüge, abgeschoben werde. Dies stelle keine legale Reise dar. Sinn und Zweck des § 3e AsyIG sei, dass Flüchtlinge, auch wenn sie eine inländische Fluchtalternative hätten, in ihrem Heimatland verblieben und sich von dort aus in den sicheren Landesteil bewegten und nicht über Frankfurt, New York oder Santiago de Chile.
9Das rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht. Die von dem Kläger aufgeworfene Frage lässt sich bereits eindeutig beantworten und ist damit – ungeachtet der weiteren zu erfüllenden Darlegungsanforderungen – jedenfalls nicht klärungsbedürftig. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Voraussetzungen, wann ein Ort des internen Schutzes i. S. v. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG für einen Asylsuchenden tatsächlich sicher und legal erreichbar ist, in seiner aktuellen Rechtsprechung (Urteil vom 18. Februar 2021 – 1 C 4.20 –) klar herausgestellt:
10Tatsächliche Erreichbarkeit setzt voraus, dass es nutzbare Verkehrsverbindungen vom Ort eines eigenen Aufenthalts (Herkunftsregion; Ort des externen Schutzgesuches) zum Ort des internen Schutzes gibt, die ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten und auch zu Kosten, die aufzubringen dem Ausländer nicht unmöglich oder unzumutbar sind, genutzt werden können. „Legal" erreichbar ist ein Ort des internen Schutzes, wenn er unter Nutzung legal nutzbarer Verkehrsverbindungen erreicht werden kann. Dem Ausländer wird kein illegales Verhalten abverlangt, um zum Ort des internen Schutzes zu gelangen. Er muss aber die Transportmittel oder die Reiseroute selbst nicht rechtlich völlig frei wählen und nutzen können; Anmeldungs- oder Genehmigungsvorbehalte sind jedenfalls dann unschädlich, wenn sie aus legitimen Gründen (etwa Sicherheitszwecken) aufgestellt sind und der Ausländer eine tatsächliche, reale Möglichkeit hat, die entsprechenden Genehmigungen auch zu erhalten. Unschädlich sind Straßenkontrollen auf dem Reiseweg oder sonstige administrative Reisebeschränkungen, die die Fortbewegung als solche nicht (nachhaltig) beeinträchtigen. Der Zugang in die Gebiete des internen Schutzes mit dem Ziel des Zuzuges darf schließlich nicht rechtlich entweder vollständig untersagt oder nur unter sachlich nicht gerechtfertigten Voraussetzungen (z. B. Genehmigungen) möglich sein, die der Ausländer tatsächlich nicht oder nur unter für ihn unzumutbaren Bedingungen erfüllen kann. „Sicher" ist ein Ort des internen Schutzes erreichbar, wenn Transportmittel oder eine Reiseroute zur Verfügung stehen, bei deren Nutzung der Ausländer sich nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr aussetzen muss, dem Zugriff von verfolgungsmächtigen Akteuren ausgesetzt zu werden oder einen ernsthaften Schaden zu erleiden.
11Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 2021 – 1 C 4.20 –, juris, Rn. 17 ff.
12Die von dem Kläger formulierte Frage ist nach Maßgabe dieser Rechtsprechung eindeutig dahingehend zu beantworten, dass das Tatbestandsmerkmal „legal in diesen Landesteil reisen kann“ jeweils von dem aktuellen Aufenthaltsort des Asylsuchenden – im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) – ausgehend zu prüfen ist. Unerheblich ist demnach ersichtlich die vorherige (illegale) Reise des Asylsuchenden zum Ort seines externen Schutzgesuchs, also etwa nach Europa oder in die Bundesrepublik Deutschland. Es erschließt sich ebenso von selbst, dass eine (etwaige) Abschiebung in Abstimmung mit dem Herkunftsstaat einem Ausländer kein illegales Verhalten abverlangt. Im Übrigen wäre die vom Kläger begehrte Auslegung des § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG auch systemwidrig. Träfe nämlich die Auffassung des Klägers zu, Sinn und Zweck des § 3e AsyIG sei, dass Flüchtlinge, auch wenn sie eine inländische Fluchtalternative hätten, in ihrem Heimatland verblieben und sich von dort aus in den sicheren Landesteil bewegten, so käme eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft von vornherein nicht in Betracht. § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG setzt nämlich hierfür umgekehrt voraus, dass sich der Ausländer außerhalb seines Herkunftslandes befindet.
13Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
14Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
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Referenzen
- 1 A 1854/19 1x (nicht zugeordnet)