Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 19 B 329/22
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage 8 K 2100/21 VG Düsseldorf gegen die Ordnungsverfügungen der Antragsgegnerin vom 24. Februar 2021 wiederherzustellen, wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
1
Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässig und begründet.
2Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass das Aussetzungsinteresse der Antragsteller das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Ordnungsverfügungen vom 24. Februar 2021 überwiege, weil ernstliche Zweifel an deren Rechtmäßigkeit bestünden. Mit ihnen hat die Antragsgegnerin von Amts wegen nach § 30 Abs. 1 Satz 3 StAG festgestellt, dass die Antragsteller ihre am 27. August 1999 durch Einbürgerung erworbene deutsche Staatsangehörigkeit durch den Wiedererwerb ihrer wenige Tage nach der Einbürgerung zunächst aufgegebenen türkischen Staatsangehörigkeit nach der seit dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung des § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG am 24. November 2000 verloren haben. Es bestünden Zweifel, so das Verwaltungsgericht, ob der in § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG vorgesehene gesetzliche Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit in Fällen, in denen mit diesem Verlust zugleich der Verlust auch der Unionsbürgerschaft verbunden sei, mit Art. 20 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vereinbar sei und den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) entwickelten Anforderungen für den Verlust der Unionsbürgerschaft genüge. Diese Würdigung zieht die Antragsgegnerin mit ihrem fristgerecht vorgebrachten Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zunächst beschränkt ist, durchgreifend in Zweifel (dazu 1.). Die nachfolgende Prüfung führt zu dem Ergebnis, dass der Antrag der Antragsteller auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Ordnungsverfügungen der Antragsgegnerin vom 24. Februar 2021 unbegründet ist (dazu 2.).
31. Die vom Verwaltungsgericht geäußerten Zweifel an der Vereinbarkeit des § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG mit Art. 20 AEUV finden in der angeführten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs keine Grundlage.
4Verliert ein deutscher Staatsangehöriger, der keine weitere Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats besitzt, infolge des Verlustgrunds in § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit, so gilt dasselbe wegen des Akzessorietätsprinzips in Art. 9 Satz 2 EUV, Art. 20 Abs. 1 Satz 2 AEUV auch für die durch sie vermittelte Unionsbürgerschaft.
5BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 ‑ 1 C 1.17 ‑, BVerwGE 162, 17, juris, Rn. 54; VerfGH Berlin, Beschluss vom 15. September 2021 ‑ 107 A/21 ‑, NVwZ-RR 2022, 5, juris, Rn. 16; Hailbronner/Thym, Ruiz Zambrano ‑ Die Entdeckung des Kernbereichs der Unionsbürgerschaft, NJW 2011, 2008 (2011 und Fn. 49); zum Akzessorietätsprinzip nach der Vorgängerbestimmung in Art. 17 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2010 ‑ 5 C 12.10 ‑, StAZ 2011, 281, juris, Rn. 23.
6In einem solchen Fall ist der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zugleich auch am Maßstab des Unionsrechts zu messen.
7EuGH, Beschluss vom 15. März 2022 ‑ C-85/21 ‑ (WY gegen Steiermärkische Landesregierung), juris, Rn. 21, Urteile vom 14. Dezember 2021 ‑ C-490/20 ‑ („Pancharevo“), NJW 2022, 675, juris, Rn. 38, vom 12. März 2019 ‑ C-221/17 ‑ (Tjebbes), NJW 2019, 1587, Rn. 30 (= juris, Rn. 79), und vom 2. März 2010 ‑ C-135/08 ‑ (Rottmann), StAZ 2010, 141, juris, Rn. 39 und 41 m. w. N.; vgl. auch Urteil vom 8. März 2011 ‑ C-34/09 ‑ (Ruiz Zambrano), NJW 2011, 2033, juris, Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 11. November 2010, a. a. O., Rn. 20 f.; OVG NRW, Urteil vom 31. Mai 2016 ‑ 19 A 2381/14 ‑, StAZ 2017, 241, juris, Rn. 119 (Optionsverlust).
8Die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten haben insbesondere zu prüfen, ob der Verlust der mitgliedstaatlichen Staatsangehörigkeit hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen und gegebenenfalls seiner Familienangehörigen den unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt.
9EuGH, Urteile vom 12. März 2019, a. a. O., Rn. 40 (= juris, Rn. 89) (zum Verlust der Staatsangehörigkeit nach langjährigem Auslandsaufenthalt), und vom 2. März 2010, a. a. O., Rn. 55 ff. (zur Rücknahme einer durch Täuschung erschlichenen Einbürgerung); BVerwG, Urteile vom 19. April 2018, a. a. O., Rn. 61 f., und vom 11. November 2010 ‑ 5 C 12.10 ‑, a. a. O., Rn. 21.
10Bei einem Verlust der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes liegt ein Verstoß gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit insbesondere vor, wenn die relevanten innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu keinem Zeitpunkt eine Einzelfallprüfung der Folgen dieses Verlusts für die Situation der Betroffenen aus unionsrechtlicher Sicht erlauben.
11EuGH, Urteil vom 12. März 2019, a. a. O., Rn. 41 (= juris, Rn. 90).
12Nach diesen Maßstäben ist der Verlustgrund des Antragserwerbs einer ausländischen Staatsangehörigkeit nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG mit Unionsrecht vereinbar, weil - wie die Antragsgegnerin mit Recht einwendet - ein deutscher Staatsangehöriger, der einen solchen Erwerb anstrebt, eine Beibehaltungsgenehmigung nach § 25 Abs. 2 Satz 1 StAG beantragen kann, in deren Rahmen eine Einzelfallprüfung der Folgen des Verlusts für die Situation des Betroffenen ausdrücklich vorgeschrieben ist. Danach verliert die Staatsangehörigkeit nicht, wer vor dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit auf seinen Antrag die schriftliche Genehmigung der zuständigen Behörde zur Beibehaltung seiner Staatsangehörigkeit erhalten hat. § 25 Abs. 2 Satz 3 StAG in der am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl. I S. 1618) sieht eine Abwägung zwischen öffentlichen und privaten Belangen ausdrücklich vor. Sie ermöglicht eine umfassende Prüfung der subjektiven Rechtsstellung des Betroffenen.
13OVG NRW, Urteil vom 18. August 2010 ‑ 19 A 2607/07 ‑, NVwZ-RR 2011, 80, juris, Rn. 26 ff.; VG Köln, Urteile vom 10. Juli 2019 ‑ 10 K 8913/17 ‑, juris, Rn. 26, und vom 21. August 2017 ‑ 10 K 8836/16 ‑, juris, Rn. 20 ff.
14Die im vorliegenden Verfahren vom Verwaltungsgericht geäußerten Zweifel beruhen letztlich auf einem fehlerhaften Verständnis des genannten Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 12. März 2019 ‑ C-221/17 ‑ (U. ). Das Verwaltungsgericht meint, der Randnummer 42 (= juris, Rn. 91) dieses Urteils die weitere allgemeingültige Anforderung entnehmen zu können, dass die zuständigen nationalen Behörden und Gerichte in der Lage sein müssen, bei der Beantragung eines Reisedokuments oder eines anderen Dokuments zur Bescheinigung der Staatsangehörigkeit durch eine betroffene Person inzident die Folgen dieses Verlusts der Staatsangehörigkeit zu prüfen und gegebenenfalls die Staatsangehörigkeit der betroffenen Person rückwirkend wiederherzustellen. Diese Aussage des Europäischen Gerichtshofs beinhaltet jedoch keinen allgemeinen unionsrechtlichen Maßstab, der unabhängig von der Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Regelungen zu beachten wäre, sondern bezieht sich auf die Anwendung des in Randnummer 41 (= juris, Rn. 90) genannten Maßstabs auf die konkreten Fallgestaltungen in den Ausgangsverfahren („in Situationen wie den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden“).
15Dies ergibt sich nicht nur aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Umstände der Ausgangsverfahren, sondern vor allem aus der Begründungsstruktur des Urteils. Dass der Europäische Gerichtshof nicht begründet, warum die gebotene Einzelfallprüfung „bei der Beantragung eines Reisedokuments oder eines anderen Dokuments zur Bescheinigung der Staatsangehörigkeit“ erfolgen und eine rückwirkende Wiederherstellung der Staatsangehörigkeit ermöglichen muss, stellt nicht etwa ein Versehen oder einen Begründungsmangel dar, sondern beruht darauf, dass - wie in den Randnummern 9 ff. (= juris, Rn. 36 ff.) des Urteils bereits ausgeführt - in den Ausgangsverfahren nach dem anzuwendenden niederländischen Recht eine Einzelfallprüfung vor Verlust der Staatsangehörigkeit nicht vorgesehen war und der Verlust der Staatsangehörigkeit erstmalig bei der Beantragung der Ausweisdokumente überprüft wurde. Als allgemeiner Maßstab stünde die Aussage in Randnummer 42 auch in Widerspruch zu der Formulierung in Randnummer 41, nach der ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorliegt, wenn die relevanten innerstaatlichen Rechtsvorschriften „zu keinem Zeitpunkt“ eine Einzelfallprüfung erlauben.
16Mit dieser Formulierung macht der Europäische Gerichtshof deutlich, dass es der Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten überlassen bleibt, den Zeitpunkt und die genauen Modalitäten der Einzelfallprüfung zu bestimmen. Das entspricht seiner ständigen Rechtsprechung, dass „die Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust ihrer Staatsangehörigkeit nach dem Völkerrecht in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten fällt.“
17EuGH, Urteile vom 14. Dezember 2021, a. a. O., Rn. 38, vom 12. März 2019, a. a. O., Rn. 30, und vom 2. März 2010, a. a. O., Rn. 39 und 41 m. w. N.; vgl. auch Urteil vom 8. März 2011, a. a. O., Rn. 40; ebenso Neier, Der Kernbestandsschutz der Unionsbürgerschaft, Zürich 2019, S. 53 ff. m. w. N.
18Einen sachlichen Grund dafür, eine Einzelfallprüfung vor Verlust der Staatsangehörigkeit unionsrechtlich anders zu bewerten als eine Einzelfallprüfung nach Verlust der Staatsangehörigkeit, ist nicht erkennbar. Die Möglichkeit, den Verlust der Unionsbürgerschaft durch die Beantragung einer Beibehaltungsgenehmigung von vornherein zu vermeiden, ist für die Betroffenen vielmehr deutlich weniger belastend als die rückwirkende Wiederherstellung der Staatsangehörigkeit, nachdem der Verlust bereits eingetreten ist. Eine inhaltliche Begründung, warum eine vorherige Prüfung der mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit verbundenen Auswirkungen unverhältnismäßig sein sollte, nennt auch das Verwaltungsgericht nicht. Soweit das Verwaltungsgericht den Fall in den Blick nimmt, dass der Antrag auf Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung „gleich aus welchen Gründen“ erst nach dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit gestellt oder beschieden wird, übersieht es, dass im Hinblick auf den konkreten Verlustgrund des § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG, der voraussetzt, dass der Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit auf einem freiwilligen Antrag beruht, es stets möglich und zumutbar ist, vor dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit zunächst eine Beibehaltungsgenehmigung nach § 25 Abs. 2 Satz 1 StAG zu beantragen und deren Erteilung abzuwarten. Auch insoweit lassen sich die Aussagen des Europäischen Gerichtshofs zum niederländischen Recht nicht auf die deutsche Rechtslage übertragen.
192. Der Antrag der Antragsteller auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Negativfeststellungen in den Ordnungsverfügungen vom 24. Februar 2021 ist unbegründet.
20a) Die Anordnungen der sofortigen Vollziehung in den Ordnungsverfügungen genügen den formalen Begründungserfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Das mit dieser Vorschrift normierte Erfordernis einer schriftlichen Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts soll neben der Information des Betroffenen und des mit einem eventuellen Aussetzungsantrag befassten Gerichts vor allem die Behörde selbst mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG anhalten, sich des Ausnahmecharakters der Vollziehungsanordnung bewusst zu werden und die Frage des Sofortvollzugs besonders sorgfältig zu prüfen. Die Anforderungen an den erforderlichen Inhalt einer solchen Begründung dürfen hierbei nicht überspannt werden. Diese muss allein einen bestimmten Mindestinhalt aufweisen. Dazu gehört es insbesondere, dass sie sich ‑ in aller Regel ‑ nicht lediglich auf eine Wiederholung der den Verwaltungsakt tragenden Gründe, auf eine bloße Wiedergabe des Textes des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO oder auf lediglich formelhafte, abstrakte und letztlich inhaltsleere Wendungen, namentlich solche ohne erkennbaren Bezug zu dem konkreten Fall, beschränken darf. Demgegenüber verlangt § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht, dass die für das besondere Vollziehungsinteresse angeführten Gründe auch materiell überzeugen, also auch inhaltlich die getroffene Maßnahme rechtfertigen.
21OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2016 ‑ 1 B 1375/15 ‑, NVwZ-RR 2016, 747, juris, Rn. 5, m. w. N.
22Gemessen daran sind die Begründungen der Vollziehungsanordnungen hier nicht zu beanstanden. Darin verweist die Antragsgegnerin jeweils auf die tatsächlichen und rechtlichen Vorteile, welche die Antragsteller bis zur Bestandskraft der Ordnungsverfügungen als vermeintliche deutsche Staatsangehörige in Anspruch nehmen könnten, z. B. die Möglichkeit der Beantragung von deutschen Ausweisdokumenten, die Reise-, Niederlassungs- und Berufsfreiheit in der Europäischen Union und den Zugang zu Sozialleistungen, obwohl ihnen diese Rechte ohne die deutsche Staatsangehörigkeit nicht oder nicht in gleichem Umfang zustünden.
23b) Die im Rahmen der Abwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage der Antragsteller streitet für ein Überwiegen des Vollziehungsinteresses der Antragsgegnerin. Ihre Ordnungsverfügungen vom 24. Februar 2021 sind nach Aktenlage offensichtlich rechtmäßig. Sie finden ihre Rechtsgrundlage in § 30 Abs. 1 Satz 3 StAG. Nach dieser Vorschrift kann die nach Satz 1 von der Staatsangehörigkeitsbehörde zu treffende Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses auch von Amts wegen erfolgen. Hier hat die Antragsgegnerin zu Recht ein öffentliches Interesse daran angenommen, von Amts wegen das Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit der Antragsteller festzustellen.
24aa) Die im August 1999 eingebürgerten Antragsteller haben ihre deutsche Staatsangehörigkeit nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG verloren, weil sie am 24. November 2000 auf ihren Antrag hin die türkische Staatsangehörigkeit wiedererworben haben. Das hat der Antragsteller zu 2. unter dem 1. September 2005 gegenüber der Antragsgegnerin in Bezug auf sich und die Antragstellerin zu 1. schriftlich selbst erklärt. Zudem haben die Antragsteller den damit einhergehenden Verlust ihrer deutschen Staatsangehörigkeit in den Jahren zwischen 2005 und 2016 jedenfalls für den in diesen Jahren jeweils aktuellen Zeitpunkt akzeptiert, indem sie, ohne im Besitz deutscher Ausweisdokumente zu sein, ab November 2005 erneut ihre Einbürgerung betrieben haben. Mit den dann anwaltlich vorgelegten beiden türkischen Personenstandsregisterauszügen vom 26. Oktober 2016 und vom 16. Januar 2017, die nunmehr als Wiedererwerbsdatum jeweils einen ohne Beschlussnummer angegebenen Beschluss des türkischen Ministerrats vom 1. November 1999 ausweisen, haben die Antragsteller keinen Wiedererwerb vor dem maßgeblichen Stichtag der Streichung der Inlandsklausel aus § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG zum 1. Januar 2000 glaubhaft gemacht. Insbesondere teilt der Senat die Würdigung der Antragsgegnerin in ihren beiden Ordnungsverfügungen, dass den beiden genannten Personenstandsregisterauszügen „kein über den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit hinausgehender Beweiswert zukommen kann“, also insbesondere kein Beweiswert in Bezug auf den Zeitpunkt dieses Wiedererwerbs. Diese Würdigung entspricht derjenigen des Senats in vergleichbaren Fällen der Vorlage manipulierter türkischer Personenstandsregisterauszüge im Zusammenhang mit einem Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit in den Jahren nach dem 1. Januar 2000.
25OVG NRW, Beschlüsse vom 8. August 2018 ‑ 19 A 1539/17 ‑, juris, Rn. 6 ff., und vom 31. Juli 2018 ‑ 19 A 166/17 ‑, juris, Rn. 4 ff.; vgl. auch Bay. VGH, Beschluss vom 21. August 2019 ‑ 5 ZB 18.1226 ‑, juris, Rn. 17 ff.
26Zudem sind die Antragsteller dieser Würdigung der Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren nicht entgegengetreten.
27bb) Es bestehen auch keine vernünftigen Zweifel an der Vereinbarkeit des § 25 StAG mit assoziationsrechtlichen Bestimmungen.
28§ 25 StAG verstößt insbesondere nicht gegen das Verschlechterungsverbot in Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 (ARB 1/80), auf welches das Verwaltungsgericht in seiner Eingangsverfügung im Klageverfahren hingewiesen hat. Nach dieser Bestimmung dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Zum einen ist die Frage der Staatsangehörigkeit von diesen Regelungen nicht betroffen.
29Nds. OVG, Beschluss vom 18. August 2014 - 13 LA 50/14 -, juris, Rn. 14.
30Zum anderen hat der Gesetzgeber durch die Änderungen des § 25 Abs. 1 StAG auch nicht mittelbar neue Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger zum Arbeitsmarkt eingeführt.
31Die am 1. Januar 2000 in Kraft getretene Streichung der Inlandsklausel in § 25 Abs. 1 StAG („, der im Inland weder seinen Wohnsitz noch seinen dauernden Aufenthalt hat,“) hat bewirkt, dass ein deutscher Staatsangehöriger seitdem bei einem Antragserwerb der türkischen Staatsangehörigkeit auch dann seine deutsche Staatsangehörigkeit verliert, wenn er seinen Wohnsitz im Inland hat. Auf den Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit und die damit verbundene assoziationsrechtliche Rechtsstellung wirkt sich diese Änderung nicht aus. Vielmehr bewirkt der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit keine Verbesserung der assoziationsrechtlichen Rechtsstellung und kann ihr Verlust daher ebenso wenig eine Verschlechterung bewirken.
32Die mit Wirkung vom 28. August 2007 eingeführte Ausnahme im heutigen § 25 Abs. 1 Satz 2 StAG für den Antragserwerb einer Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats ist ebenfalls keine „neue Beschränkung“ im Sinn des Art. 13 ARB 1/80 für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige. Sie lässt deren staatsangehörigkeits-, aufenthalts- und arbeitsrechtliche Rechtsstellung vielmehr von vornherein unberührt. Die darin liegende Verbesserung der staatsangehörigkeitsrechtlichen Rechtsstellung von deutschen Staatsangehörigen, denen beim Antragserwerb der Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats kein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG mehr droht, bedeutet insbesondere nicht zugleich eine entsprechende Verschlechterung der Rechtsstellung von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Für sie gilt das deutsche Prinzip der Vermeidung doppelter und mehrfacher Staatsangehörigkeit nach dem 28. August 2007 ebenso wie es vorher für sie galt.
33cc) Das öffentliche Interesse an der Negativfeststellung von Amts wegen nach § 30 Abs. 1 Satz 3 StAG hat die Antragsgegnerin zu Recht bejaht. Es ergibt sich daraus, dass sie den Antragstellern im Anschluss an die Vorlage der beiden manipulierten türkischen Personenstandsregisterauszüge im Dezember 2016 erneut deutsche Ausweisdokumente in der irrigen Annahme ausgestellt hat, der Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit zum 1. November 1999 habe ihre durch Einbürgerung erworbene deutsche Staatsangehörigkeit unberührt gelassen.
34c) Auch im Übrigen überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Feststellungsbescheide das private Interesse der Antragsteller, vorläufig weiter wie deutsche Staatsangehörige behandelt zu werden. Das hat die Antragsgegnerin in der Begründung ihrer Anordnung der sofortigen Vollziehung jeweils zutreffend ausgeführt.
35Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
36Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Die Bedeutung der Negativfeststellung der deutschen Staatsangehörigkeit von Amts wegen für die Antragsteller, auf die es nach diesen Vorschriften für die Streitwertfestsetzung ankommt, bemisst der Senat in Anlehnung an Nr. 42.2 des Streitwertkatalogs 2013 (NWVBl. 2014, Heft 1, Sonderbeilage, S. 11) im Hauptsacheverfahren mit dem doppelten Auffangwert nach § 52 Abs. 2 GKG für jede betroffene Person. Dieser Wert ist im Eilverfahren im Anschluss an Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkataloges 2013 zu halbieren.
37Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).
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