Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 1427/20
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 9.867,12 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3I. Das Verwaltungsgericht hat die auf Neufestsetzung der Versorgungsbezüge auf der Grundlage eines Ruhegehaltsatzes von 54,58 v. H., hilfsweise auf Gewährung entsprechenden Schadensersatzes gerichtete Klage der Klägerin abgewiesen und in den Gründen im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin könne weder höhere Versorgungsbezüge beanspruchen noch entsprechenden Schadensersatz verlangen. Der beamtenrechtliche Schadensersatzanspruch begründe einen unmittelbar gegen den Dienstherrn gerichteten Ersatzanspruch für Schäden, die aus einer Verletzung der aus dem Beamtenverhältnis folgenden Pflichten entstehe. Als im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis wurzelndes und insofern "quasi-vertragliches" Institut gewährleiste der beamtenrechtliche Schadensersatzanspruch Sekundärrechtsschutz für Pflichtverletzungen aus dem Beamtenverhältnis, wie dies § 280 Abs. 1 BGB für vertragliche Schuldverhältnisse vorsehe. Voraussetzung des Anspruchs sei, dass der Dienstherr eine ihm seinem Beamten gegenüber obliegende Pflicht schuldhaft verletzt habe, diese Pflichtverletzung kausal für einem dem Beamten entstandenen Schaden gewesen sei und dieser es nicht schuldhaft unterlassen habe, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Die Beklagte habe durch die Erteilung der fehlerhaften Auskunft vom 2. Mai 2017 zwar die ihr nach § 78 BBG gegenüber der Klägerin obliegende Fürsorgepflicht schuldhaft verletzt, indem sie aktive Dienstzeiten für einen Zeitraum berücksichtigt, der Ruhestand habe sein sollen, und hierdurch den Ruhegehaltsatz mit 54,58 v. H. überhöht angesetzt habe. Die Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn durch die Erteilung der falschen Versorgungsauskunft sei jedoch nicht adäquat kausal für die Entstehung des Schadens gewesen. Die Klägerin sei wegen amtsärztlich festgestellter Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden und nicht – wie in der Rechtsprechung gefordert – auf eigenen Antrag. Soweit die Klägerin geltend mache, bei einer ordnungsgemäßen Versorgungsauskunft hätte sie die Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit erfolgreich mit Rechtsbehelfen angegriffen, konstruiere sie weitere hypothetische Kausalverläufe, die außerhalb dessen liegen, was bei der Frage der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden zu prüfen sei. Der Klägerin sei zudem ein erhebliches Mitverschulden zur Last zu legen, das einem Schadensersatzanspruch entgegenstehe. Die Versorgungsauskunft sei offensichtlich fehlerhaft gewesen und der Klägerin habe sich aufdrängen müssen, dass ein Ruhegehaltssatz von knapp 55 v. H. bei einem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2017 gegenüber einem Satz von 50,05 v. H. bei einem Ruhestandsbeginn im Jahr 2028 (wenn auch bei Teildienstfähigkeit) nicht zutreffend sein könne. Auf eine solche Auskunft habe sich die Klägerin nicht verlassen dürfen, zumal bereits durch einfaches Lesen von Blatt 4 der Berechnung zum vorzeitigen Ruhestand zum 1. September 2017 die Widersprüchlichkeit der dortigen Angabe einer weiteren Beamtendienstzeit bis zum Jahr 2028 nach dem Ruhestandsbeginn erkennbar gewesen wäre. Offen bleiben könne, ob dem Schadensersatzanspruch auch eine Verletzung der Schadensabwendungspflicht entgegenstehe.
4II. Die Berufung hiergegen ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. „Darlegen“ i. S. v. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO bedeutet, unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil fallbezogen zu erläutern, weshalb die Voraussetzungen des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes im Streitfall vorliegen sollen. Die Zulassungsbegründung soll es dem Oberverwaltungsgericht ermöglichen, die Zulassungsfrage allein auf ihrer Grundlage zu beurteilen, also ohne weitere aufwändige Ermittlungen.
5Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Oktober 2013– 1 A 106/12 –, juris, Rn. 2 f., m. w. N.; ferner etwa Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 186, 194, m. w. N.
6Gemessen hieran rechtfertigt das fristgerechte Zulassungsvorbringen der Klägerin in dem Schriftsatz vom 9. Juni 2021 sowie dem ergänzenden Schriftsatz vom 27. Juli 2020 nicht die Zulassung der Berufung wegen des allein geltend gemachten Zulassungsgrundes des § 124 Abs. Nr. 1 VwGO.
71. Die Klägerin trägt zur Begründung des Zulassungsantrags vor, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts sei die schuldhafte Verletzung der Fürsorgepflicht durch die Erteilung der falschen Versorgungsauskunft adäquat kausal für ihren Schaden gewesen. Sie habe im Vertrauen auf die Richtigkeit der Versorgungsauskunft keine Rechtsbehelfe gegen ihre Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit erhoben, obwohl ein solcher Rechtsbehelf erkennbar erfolgreich gewesen wäre. Dieser Fall könne nicht anders behandelt werden als der eines Beamten, der im Vertrauen auf die Richtigkeit einer Versorgungsauskunft aktiv die Versetzung in den Ruhestand beantragt. Ihr sei auch kein erhebliches Mitverschulden zur Last zu legen. In der Versorgungsauskunft würden unterschiedliche Fachbegriffe verwendet, mit denen sie nicht vertraut gewesen sei. Die Berechnung des Ruhegehalts sei für einen Laien auch nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Die Fehlerhaftigkeit sei für die Klägerin nicht erkennbar gewesen. Nicht ohne Grund überlasse man es nicht dem Beamten selbst, seine Versorgungsbezüge zu berechnen, sondern räume ihm einen gesetzlichen Auskunftsanspruch ein. Der mitgeteilte Ruhegehaltssatz könne nur in Verbindung mit den umfänglichen Berechnungen nachvollzogen werden. Vorliegend könne nicht isoliert aus dem mitgeteilten Ruhegehaltssatz der Rückschluss gezogen werden, dieser sei fehlerhaft. An die Klägerin könnten keine höheren Anforderungen gestellt werden als an den die Versorgungsauskunft erteilenden Beamten. Andernfalls würde der Rechtsanspruch auf Erteilung einer verlässlichen Versorgungsauskunft in unzumutbarer Weise ausgehöhlt. Sie habe sich sehr wohl auf die Auskunft verlassen dürfen, zumal sie davon ausgegangen sei, dass der mitgeteilte Ruhegehaltssatz bei einem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2017 auf gesonderten Leistungen der Beklagten in Erfüllung ihrer Fürsorgepflicht aufgrund der angenommenen Dienstunfähigkeit beruhe. Die Klägerin habe auch nicht gegen die ihr obliegende Schadensabwendungspflicht verstoßen.
82. Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.
9Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. August 2018– 1 A 249/16 –, juris, Rn. 2 ff.; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 92 ff.; 101 f.
10Der Zulassungsvortrag stellt die selbständig tragende Annahme des Verwaltungsgerichts nicht in Frage, der Klägerin sei ein erhebliches Mitverschulden i. S. d. § 254 Abs. 1 BGB zur Last zu legen, das dem Schadenersatzanspruch entgegenstehe. Auf den übrigen Vortrag der Klägerin kommt es daher nicht an. Dies gilt auch für die von der Klägerin in dem nach Ablauf der Begründungsfrist vorgelegten Schriftsatz vom 8. September 2020 gewünschte – nicht näher konkretisierte – „Berücksichtigung“ des hier nicht streitrelevanten Umstandes, dass ihr Ruhegehalt weiter unterhalb der Mindestversorgung liegt.
11Nach § 254 Abs. 1 BGB hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt hat. Das mitwirkende Verschulden des Geschädigten besteht dabei in einem „Verschulden gegen sich selbst“, d. h. in einer Außerachtlassung der eigenen Interessen. Insoweit ist erforderlich, dass der Geschädigte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein verständiger Mensch im eigenen Interesse aufwendet, um sich vor einem Schaden zu bewahren. Die Verletzung der Sorgfalt muss vorsätzlich oder fahrlässig erfolgen.
12Vgl. Oetker, in: Münchner Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, § 254 BGB Rn 3f. und 30.
13Grob fahrlässig handelt, wer objektiv schwer und subjektiv nicht entschuldbar gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verstößt. Grob fahrlässige Unkenntnis liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit vorgeworfen werden können.
14Vgl. zu Begriff der groben Fahrlässigkeit BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – 6 ZR 1118/20 –, juris, Rn. 14 f.
15Im Rahmen des Mitverschuldens kommt es auf den Grad der Fahrlässigkeit erst bei der Abwägung an, wie der Schaden zu verteilen ist. Bei krass überwiegender Fahrlässigkeit eines Beteiligten kann dieser den ganzen Schaden tragen müssen.
16Vgl. Oetker, in: Münchner Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, § 254 BGB Rn. 110.
17Dies vorausgesetzt hat die Klägerin den durch die fehlerhafte (vergleichende) Versorgungsauskunft vom 2. Mai 2017 entstandenen Schaden selbst zu tragen, weil sie ein erhebliches, das Verschulden der Beklagten krass überwiegendes Mitverschulden in der Form der groben Fahrlässigkeit trifft. Sie hätte bei gehöriger Anstrengung nicht nur erkennen können, sondern es hätte sich ihr sogar aufdrängen müssen, dass die Versorgungsauskunft fehlerhaft sein muss und es insoweit zwingend einer Nachfrage bei der zuständigen Stelle bedurfte. Dass in der Versorgungsauskunft Fachbegriffe des Versorgungsrechts benutzt werden, die einem juristischen Laien nicht ohne weiteres geläufig sind, ist ohne Belang. Es hätte vorliegend nur solcher Überlegungen bedurft, die für jeden Beamten unabhängig von seiner Vorbildung, seinem Status oder seiner Verwendung möglich und naheliegend waren. Der hier unterlaufene Fehler – die Berücksichtigung von Zeiten des Ruhestandes vom 1. September 2017 bis zum Zeitpunkt des regulären Eintritts in den Ruhestand am 31. Dezember 2028 als „Beamtendienstzeit“ bei einem angenommenem Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des 31. August 2017 – war ohne vertiefte Fachkenntnisse offenkundig. Es gehört zu dem unter Gesichtspunkten der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten vorauszusetzenden beamten- und versorgungsrechtlichen Grundwissen jedes Beamten, dass das Ruhegehalt einem prozentualen Anteil des Grundgehalts entspricht, die Höhe dieses Anteils maßgeblich von den tatsächlich abgeleisteten Dienstzeiten abhängt und dass der Ruhegehaltssatz folgerichtig mit zunehmender Dauer der Dienstzeit steigt. Dies vorausgesetzt musste der Klägerin auffallen, dass die Versorgungsauskunft genau umgekehrt für den Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand zum 31. August 2017 mit 30,43 ruhegehaltsfähigen Dienstjahren mehr Dienstjahre angesetzt hat als für den regulären Eintritt in den Ruhestand zum 31. Dezember 2028 (27 ruhegehaltsfähige Dienstjahre) und dementsprechend für den vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand einen höheren Ruhegehaltssatz errechnet hat (54,58 v. H.) als für den mehr als zehn Jahre später liegenden regulären Eintritt in den Ruhestand (49,01 v. H). Anders als die Klägerin meint bedurfte es ersichtlich weder eines mathematischen Sonderwissens noch mussten die sonstigen der Versorgungsauskunft beigelegten Berechnungen und Aufstellungen im Einzelnen nachvollzogen werden, um diese krasse versorgungsrechtliche Anomalie erkennen zu können. Die bei dieser Sachlage mehr als naheliegende Nachfrage bei der auskunftsgebenden Stelle hat die Klägerin unterlassen und damit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten in ungewöhnlich grobem Maße verletzt. Sie hat sich ausweislich der Zulassungsbegründung stattdessen mit der vagen Überlegung zufrieden gegeben, der Ruhegehaltssatz für den vorzeitigen Ruhestand beruhe auf nicht näher bezeichneten „besonderen Leistungen“ der Beklagten. Den abwegigen Verdacht, ihr stünden Leistungen zu, die im Ergebnis dazu führen, dass der deutlich frühere Eintritt in den Ruhestand nur minimale finanzielle Einbußen nach sich zieht, hätte sie jedoch erst recht verifizieren lassen müssen. Sollte sie diesen Verdacht tatsächlich gehegt haben, erlaubt dies im Übrigen den Rückschluss, dass die Klägerin tatsächlich erkannt hat, dass der Ruhegehaltssatz für den vorzeitigen Ruhestand zumindest erklärungsbedürftig war.
18Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
19Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
20Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
21Das angefochtene Urteil ist nunmehr rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.
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