Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 10 A 1306/21
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 20.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
1Der Antrag hat keinen Erfolg.
2Aus den innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegten Gründen ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder deren grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
3Stützt der Rechtsmittelführer seinen Zulassungsantrag auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen. Dabei muss er den tragenden Rechtssatz oder die Feststellungen tatsächlicher Art, die er mit seinem Antrag angreifen will, bezeichnen und mit schlüssigen Gegenargumenten infrage stellen und damit zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Entscheidungsergebnisses begründen. Daran fehlt es hier.
4Das Verwaltungsgericht hat die Klage der Klägerin gegen die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 4. Januar 2018 in Gestalt der Erklärung ihrer Vertreterin vom 15. April 2021, mit der der Klägerin aufgegeben worden ist, den auf dem Grundstück S. Straße 24 in I. (Gemarkung B., Flur 16, Flurstück 657; im Folgenden: Grundstück) vorhandenen Lebensmittel-Discountmarkt auf die genehmigte Verkaufsfläche von 799,77 qm zurückzubauen, abgewiesen. Die Ordnungsverfügung sei rechtmäßig. Die derzeitige Verkaufsfläche des Lebensmittel-Discountmarkts sei formell illegal. Die im Jahr 2006 erteilte Baugenehmigung für dessen Erweiterung sei erloschen, da die Klägerin ihn entgegen dieser Baugenehmigung als großflächigen Einzelhandelsbetrieb errichtet habe. Gegenstand der Baugenehmigung aus dem Jahr 2008 sei allein die Erweiterung des zu diesem Zeitpunkt vorhandenen, nicht genehmigten Lebensmittel-Discountmarkts um einen Raum für die Leergutrücknahme und einen Lagerraum gewesen. Die Beklagte habe das ihr eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Die Klägerin könne sich insbesondere nicht auf Vertrauensschutz berufen.
5Die Klägerin zeigt mit ihrem Zulassungsvorbringen nicht auf, dass der Lebensmittel-Discountmarkt, der auf dem Grundstück mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 qm betrieben wird, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts formell legal sein könnte.
6Soweit sie meint, die Baugenehmigung vom 21. April 2006 habe eine Erweiterung der Verkaufsfläche auf mehr als 800 qm erlaubt, lässt sie außer Acht, dass ausweislich der zu der Baugenehmigung gehörenden Grundrisszeichnung ein „Verkaufsraum“ von nur 799,77 qm zugelassen worden ist. Dass mit dieser Flächenangabe die Größe der maximal zulässigen Verkaufsfläche bestimmt werden sollte und bestimmt worden ist, ist bei sachgerechter Auslegung der Baugenehmigung nicht zweifelhaft. Die Beklagte hat in ihrem Schreiben vom 28. März 2006 an den Architekten der seinerzeitigen Bauherrin, der B1. GmbH & Co. KG, deutlich gemacht, dass sie einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb auf dem Grundstück nicht genehmigen werde. Der Architekt hat in seinem Antwortschreiben vom 3. April 2006 erklärt, dass eine „‚Großflächigkeit‘ … nicht gegeben“ sei. Die Klägerin legt ihrer Argumentation zugrunde, dass der Raum des zur Genehmigung gestellten Lebensmittel-Discountmarkts, in dem nach den Bauzeichnungen Waren angeboten und verkauft werden sollen, ausgehend von seinen Innenmaßen bei Berücksichtigung eines angemessenen Putzabzugs beziehungsweise der Anbringung einer angemessenen Wandverkleidung erkennbar eine größere Verkaufsfläche ermöglicht habe. Für den Inhalt der Baugenehmigung betreffend die Art der baulichen Nutzung, nämlich die Genehmigung eines Lebensmittel-Discountmarkts als kleinflächiger Einzelhandelsbetrieb, sind hier nach den konkreten Umständen aber weder die Rohbau- noch die Ausbaumaße im Inneren des genehmigten Betriebsgebäudes ausschlaggebend. Es obliegt nicht etwa der Bauaufsichtsbehörde, durch Berechnung und Bestimmung der Dicke der Innenverkleidungen der Wände oder des Einbaus von Leichtbauwänden die Einhaltung der mit der Baugenehmigung vorgegebenen maximalen Verkaufsfläche zu sichern. Dass die Innenmaße des genehmigten Gebäudes, egal ob im Rohbau- oder im Ausbauzustand, es zulassen, darin eine Verkaufsfläche unterzubringen, die eine solche von 799,77 qm um einige Quadratmeter übersteigt, bedeutet nicht, dass damit ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb genehmigt worden wäre. Für die Beantwortung der Frage, ob die seinerzeitige Bauherrin bei der Bauausführung von der Baugenehmigung vom 21. April 2006 mehr als nur unerheblich abgewichen ist, kommt es demnach nicht allein darauf an, ob das Gebäude an sich exakt so errichtet wurde, wie dies in den genehmigten Bauvorlagen dargestellt ist. In dem hier maßgeblichen Zusammenhang ist vielmehr auch entscheidend, in welcher Form die genehmigte Nutzung der in dem Gebäude eingerichteten Räume baulich umgesetzt und aufgenommen worden ist. Insoweit war es allein Sache der Bauherrin, den Raum für das Angebot und den Verkauf der Waren auch im Inneren baulich so zu gestalten, dass die Größe der Verkaufsfläche, die die Baugenehmigung maximal zulässt, nicht überschritten wird. Eine Vergleichbarkeit mit den von der Klägerin in diesem Zusammenhang angesprochenen Fällen, in denen die Rechtsprechung eine bestimmte Art von Nutzflächen eines Lebensmitteleinzelhandelsgeschäfts „im Nachhinein“ erstmalig als Verkaufsfläche eingeordnet hat, ist hier nicht gegeben. Mit der Baugenehmigung vom 21. April 2006 ist nur ein „Verkaufsraum“ mit einer Verkaufsfläche von maximal 799,77 qm zugelassen worden.
7Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich nicht, dass die Beklagte entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts das ihr zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt haben könnte.
8Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, die Beklagte habe jedenfalls später eine Erweiterung des Lebensmittel-Discountmarkts auf dem Grundstück auf eine Verkaufsfläche von über 800 qm genehmigt. Aus ihrem Vorbringen ergibt sich nicht, dass mit der Baugenehmigung vom 17. März 2008 die Erweiterung der Verkaufsfläche des Lebensmittel-Discountmarkts auf insgesamt mehr als 800 qm zugelassen worden sein könnte. Die Klägerin übersieht, dass die Baugenehmigung vom 21. April 2006 erloschen ist, weil die Bauherrin den Lebensmittel-Discountmarkt abweichend hiervon mit einem „Verkaufsraum“ errichtet hat, dessen Verkaufsfläche 800 qm übersteigt. Auch tritt sie der Annahme des Verwaltungsgerichts, wonach die Baugenehmigung vom 17. März 2008 ausschließlich die Errichtung eines Raums für die Rücknahme von Leergut und einen Lagerraum zum Gegenstand habe, nicht substanziiert entgegen. Ungeachtet dessen setzt sie sich nicht damit auseinander, dass, worauf bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat, in der zu der Baugenehmigung vom 17. März 2008 gehörenden Grundrisszeichnung die Angabe „Verkaufsraum 799,77 qm“ grün umkreist ist, was dagegen spricht, dass die Beklagte mit der Genehmigung eines Raums für die Rücknahme von Leergut zugleich eine Vergrößerung der maximal zulässigen Verkaufsfläche über 799,77 qm hinaus hat zulassen wollen, auch wenn die seinerzeitige Bauherrin, wie sich aus dem Schreiben ihres Architekten vom 12. Dezember 2007 an die Beklagte ergeben dürfte, eine solche Vergrößerung der Verkaufsfläche beantragt haben mag.
9Die Klägerin legt auch nicht dar, dass die Beklagte an einem ordnungsbehördlichen Einschreiten gegen sie aus anderen Gründen gehindert sein könnte. Sie meint, die Beklagte habe ihr Recht auf ein solches Einschreiten verwirkt, weil sie an dem Zustandekommen des von ihr beanstandeten, vermeintlich baurechtswidrigen Zustands des auf dem Grundstück betriebenen Lebensmittel-Discountmarkts selbst aktiv beteiligt gewesen sei, indem sie die Nutzflächenberechnung mit einem unangemessen hohen Putzabzug in Kenntnis der Unangemessenheit des angesetzten Putzabzugs akzeptiert habe. Dass die Beklagte insoweit keine Verantwortung trifft, ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen.
10Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
11Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Angriffe der Klägerin gegen die Tatsachenfeststellungen oder die rechtlichen Würdigungen, auf denen das angefochtene Urteil beruht, begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gäben, die sich nicht ohne weiteres im Zulassungsverfahren klären ließen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern würden. Dass der Ausgang des Rechtsstreits in diesem Sinne offen ist, lässt sich auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht feststellen, denn die Klägerin stellt – wie oben ausgeführt – die Richtigkeit des Urteils unter den von ihr in diesem Zusammenhang angesprochenen Aspekten nicht ernsthaft in Frage.
12Die Rechtssache hat auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
13Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substanziiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.
14Danach zeigt die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der von ihr aufgeworfenen Fragen,
15„ob die Errichtung eines Bauvorhabens exakt entsprechend den genehmigten Plänen gleichwohl zu einer formellen Illegalität führen kann, weil sich eine von den Beteiligten gemeinsam zugrunde gelegte Berechnungsmethode nachträglich als fehlerhaft erweist,
16und
17ob dieser Umstand alleine der Bauherrin angelastet werden kann oder nicht zumindest auch der für diese Prüfung zuständigen Bauaufsichtsbehörde“,
18nicht auf.
19Die Fragen würden sich in einem Berufungsverfahren so nicht stellen. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, beruhen die von der Baugenehmigung vom 21. April 2006 abweichende Erweiterung des Lebensmittel-Discountmarkts und das mit dieser Abweichung einhergehende Erlöschen der Baugenehmigung nicht darauf, dass sich „eine von den Beteiligten gemeinsam zugrunde gelegte Berechnungsmethode nachträglich als fehlerhaft“ erwiesen hat, sondern darauf, dass die seinerzeitige Bauherrin im Zuge der Umsetzung des Erweiterungsvorhabens eine Verkaufsfläche eingerichtet und in Betrieb genommen hat, die die maximal zugelassenen 799,77 qm überschreitet. Dies ist allein ihr beziehungsweise der Klägerin „anzulasten“.
20Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
21Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.
22Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Sätze 1 und 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
23Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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