Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 1989/21.A
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1
G r ü n d e
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist weder wegen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (dazu 1.) noch wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (dazu 2.) zuzulassen.
31. Die Berufung ist zunächst nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zuzulassen.
4Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der Rechts- bzw. Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.
5Gemessen hieran rechtfertigt die von der Klägerin als grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage,
6ob chinesischen Staatsangehörigen, die im Ausland einen Asylantrag gestellt haben, weil sie im Rahmen einer Demonstration festgenommen und verhaftet wurden und nach ihrer Entlassung mehrere Monate unter Beobachtung durch chinesische Behörden standen, im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht,
7die Zulassung der Berufung nicht.
8Sie ist nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts schon nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hat das Vorbringen der Klägerin zu der Enteignung ihres Grundstücks als nicht nachvollziehbar, unplausibel und damit unglaubhaft erachtet (Urteilsabdruck, S. 9). Dem lässt sich zugleich entnehmen, dass das Verwaltungsgericht der Klägerin auch ihren Vortrag, im Rahmen einer Demonstration festgenommen und verhaftet worden zu sein, nicht abgenommen hat. Die Klägerin hat sich nämlich gerade darauf gestützt, sie habe aufgrund der (rechtswidrigen) Enteignung durch gegen den chinesischen Staat gegen diesen demonstriert und sei im Rahmen dieser Demonstration inhaftiert worden. Hat das Verwaltungsgericht der Klägerin aber bereits die Enteignung ihres Grundstücks nicht abgenommen, fehlt es an einem Anknüpfungspunkt für die nach dem Vorbringen der Klägerin hierauf gestützte Demonstration einschließlich der behaupteten Festnahme und Inhaftierung.
9Soweit die Klägerin ferner vorbringt, das Verwaltungsgericht sei nicht näher auf die von ihr geltend gemachten Verfolgungshandlungen durch staatliche Institutionen eingegangen und habe sich nicht weiter mit der Frage beschäftigt, ob die von ihr geltend gemachten Asylgründe eine Verfolgung i. S. v. § 3 AsylG darstellten, die Voraussetzungen des § 4 AsylG erfüllten oder Abschiebungsverbote begründeten, wäre dies allenfalls dem Zulassungsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs (dazu unter 2.) zuzuordnen.
102. Die Berufung ist auch nicht aufgrund des von der Klägerin gerügten Verfahrensmangels der Versagung rechtlichen Gehörs nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
11a) Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können und mit ihren Ausführungen und Anträgen durch das Gericht gehört werden. Das Gericht ist jedoch nicht verpflichtet, den Ausführungen eines Beteiligten in der Sache zu folgen. Die Gehörsrüge ist daher nicht geeignet, eine – vermeintlich – fehlerhafte Feststellung oder Bewertung des Sachverhalts einschließlich seiner rechtlichen Würdigung zu beanstanden. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann vielmehr nur dann erfolgreich geltend gemacht werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht seiner Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist dabei davon auszugehen, dass die Gerichte von ihnen entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Dies gilt unabhängig davon, ob sie sich in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich hiermit auseinandersetzen. Aus einem Schweigen der Entscheidungsgründe zu Einzelheiten des Prozessstoffs allein kann deshalb noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe diese nicht beachtet und erwogen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann daher nur dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen der Beteiligten bei seiner Entscheidungsfindung nicht in Erwägung gezogen hat.
12Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. April 2020– 1 A 2023/19.A –, juris, Rn. 13, vom 25. Juli 2017– 1 A 1436/17.A –, juris, Rn. 3, vom 18. September 2014 – 13 A 2557/13.A –, juris, Rn. 3 bis 6, m. w. N., und vom 16. Dezember 2016 – 1 A 2199/16.A –, juris, Rn. 14.
13Vielmehr müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Solche Umstände können insbesondere dann vorliegen, wenn das Gericht wesentliche, das Kernvorbringen eines Beteiligten darstellende Tatsachen unberücksichtigt gelassen hat. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in der Begründung seiner Entscheidung nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert ist.
14Vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 29. Oktober 2015 – 2 BvR 1493/11 –, juris, Rn. 45.
15Ferner muss der übergangene Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich gewesen sein. Die Entscheidungserheblichkeit setzt voraus, dass das Verwaltungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vortrags zu einem anderen, für den Rechtsmittelführer günstigeren Ergebnis gekommen wäre.
16Vgl. Neumann/Korbmacher, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 138, Rn. 116 f.
17b) Ausgehend von diesen Grundsätzen kann eine Gehörsverletzung nicht festgestellt werden.
18aa) Das gilt zunächst, soweit die Klägerin die Einschätzung des Verwaltungsgerichts rügt, ihre Ausreise basiere im Wesentlichen auf wirtschaftlichen Gründen, während alle darüber hinaus geltend gemachten Motive unglaubhaft seien. Sie habe sehr wohl asylerhebliche Motive geltend gemacht, die das Verwaltungsgericht völlig unberücksichtigt gelassen habe und aufgrund derer es ihr die Flüchtlingseigenschaft hätte zuerkennen müssen. Sie sei durch staatliche Institutionen von ihrem Ackerland enteignet worden und habe die versprochene Entschädigung nicht in vollem Umfang erhalten. Bei der daraufhin zur Durchsetzung ihrer Rechte durchgeführten Demonstration sei sie verhaftet und polizeilicher Willkür und Gewalt ausgesetzt gewesen, die ihr im Falle einer Rückkehr erneut drohen würden.
19Einen Gehörsverstoß zeigt die Klägerin hiermit nicht auf. Das Verwaltungsgericht hat dieses Vorbringen der Klägerin im Tatbestand wiedergegeben (UA, S. 2) und im Rahmen der Entscheidungsgründe ihren Vortrag zu der vorgeblichen Enteignung als unglaubhaft bewertet (UA, S. 9). Hieraus folgt, dass es der Klägerin auch ihren weiteren hierauf aufbauenden Vortrag nicht abgenommen hat (s. dazu bereits unter 1.). Mit ihrem Zulassungsvorbringen zielt die Klägerin im Kern vielmehr darauf ab, das Verwaltungsgericht habe ihr zu Unrecht die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt. Ob das Verwaltungsgericht dem Vortrag eines Klägers die richtige Bedeutung zugemessen und die richtigen Folgerungen daraus gezogen hat, ist aber keine Frage des rechtlichen Gehörs, sondern der Tatsachen- und Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 VwGO.
20Vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 1969– 2 BvR 320/69 –, juris, Rn. 9 m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 25. Juli 2017 – 1 A 1436/17.A –, juris, Rn. 28 ff.
21Etwaige Fehler bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung gehören grundsätzlich nicht zu den in § 138 VwGO genannten und in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Bezug genommenen Verfahrensfehlern.
22Vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. November 1995– 9 B 710.94 –, juris, Rn. 4 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 25. Juli 2017 – 1 A 1436/17.A –, juris, Rn. 30 ff.
23Ob ausnahmsweise etwas anderes zu gelten hat, wenn die die angegriffene Entscheidung tragenden Ausführungen des Gerichts handgreiflich von objektiver Willkür geprägt sind, kann hier offen bleiben.
24Zu der Frage, ob eine solche Ausnahme anerkannt werden kann, vgl. den Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2016 – 1 A 2199/16. A –, juris, Rn. 33 bis 36, m. w. N. zum Meinungsstand.
25Ein solcher Ausnahmefall lässt sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen.
26bb) Entsprechendes gilt auch im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin im Zusammenhang mit der Grundsatzrüge (s. dazu bereits unter 1.), soweit die Klägerin die Feststellung des Verwaltungsgerichts, sie sei nicht subsidiär schutzberechtigt als fehlerhaft rügt und die Auffassung vertritt, das Verwaltungsgericht hätte ihr jedenfalls ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG gewähren müssen, zumal es verkannt habe, dass sie aufgrund politischer Aktivitäten festgenommen worden sei. Der Sache nach macht die Klägerin wiederum lediglich eine unzureichende bzw. fehlerhafte Würdigung der Sach- und Rechtslage durch das Verwaltungsgericht geltend. Dies gehört – wie ausgeführt – nicht zu den von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Bezug genommenen Verfahrensfehlern. Auch insoweit gibt die Zulassungsbegründung nichts dafür her, dass die von der Klägerin bemängelten Würdigungen des Verwaltungsgerichts willkürlich sein könnten.
27Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
28Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
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