Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 19 A 1181/22.A
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Der Senat entscheidet über den Antrag auf Zulassung der Berufung durch den Berichterstatter, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2 und 3, § 125 Abs. 1 VwGO).
2Der Berufungszulassungsantrag hat keinen Erfolg.
3Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn einer der in § 78 Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 AsylG genannten Zulassungsgründe den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt wird und vorliegt. Darlegen in diesem Sinn bedeutet, unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil fallbezogen zu erläutern, weshalb die Voraussetzungen des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes im Streitfall vorliegen sollen. Das Oberverwaltungsgericht soll allein aufgrund der Zulassungsbegründung die Zulassungsfrage beurteilen können, also keine weiteren aufwändigen Ermittlungen anstellen müssen.
4Zu den Darlegungsanforderungen nach der inhaltsgleichen Regelung des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Juli 2020 - 19 A 4548/18 ‑, juris, Rn. 2; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 186, 194.
5Daran fehlt es hier. Die Berufung ist nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen der allein gerügten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
6Grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen bedarf es neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Rechts- oder Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.
7BVerwG, Beschluss vom 28. März 2022 ‑ 1 B 9.22 ‑, juris, Rn. 21 ff. (zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO); OVG NRW, Beschlüsse vom 14. Juni 2022 - 19 A 657/22.A -, demnächst in juris, vom 18. Mai 2022 ‑ 19 A 532/22.A ‑, juris, Rn. 6, und vom 9. Februar 2022 ‑ 19 A 544/21.A ‑, juris, Rn. 24, jeweils m. w. N.
8An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es insbesondere auch dann, wenn die aufgeworfene Frage aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann.
9Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. März 2022 - 1 B 24.22 -, juris, Rn. 21, vom 29. September 2021 - 1 B 61.21 -, juris, Rn. 2, und vom 25. Juli 2017 - 1 B 117.17 -, juris, Rn. 3 (jeweils zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO); OVG NRW, Beschluss vom 21. Mai 2021 - 14 A 895/18.A -, juris, Rn. 13.
10Nach diesen Maßstäben führt die von den Klägern für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage,
11ob das Verwaltungsgericht eine „Unbegründetheitsentscheidung“ des BAMF aufrecht erhalten darf, wenn es zwar den Antrag auf internationalen Schutz als unbegründet ansieht, tatsächlich aber eine Asylzweitantragskonstellation nach § 71a AsylG besteht,
12nicht zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung. Die Frage ist aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Weiteres zu bejahen, ohne dass dies einer weiteren Klärung in einem Rechtsmittelverfahren bedarf.
13Das Verwaltungsgericht hat die sowohl auf Aufhebung der die Asylanträge materiell ablehnenden Bescheide des Bundesamts vom 8. und 9. Februar 2018 als auch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungsverboten gerichtete Klage als unbegründet abgewiesen. Es hat in der Sache geprüft, ob den Klägern ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes zusteht. Sodann hat es unter Bezugnahme auf die aus seiner Sicht offene Frage, ob § 71a AsylG mit Unionsrecht vereinbar sei, dahinstehen lassen, ob das Bundesamt überhaupt befugt gewesen sei, in der Sache über die Asylanträge zu entscheiden oder ob es nicht vielmehr gehalten gewesen sei, die Asylanträge der Kläger zu 1. und 2. als Zweitanträge im Sinn des § 71a AsylG als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG abzulehnen, nachdem deren Asylverfahren in Italien erfolglos abgeschlossen seien. Denn mit ihrer als Minus im Klageantrag enthaltenen Anfechtungsklage könnten die Kläger zu 1. und 2. keine Aufhebung der Entscheidungen in den Ziffern 1 und 3 der Bescheide des Bundesamts erreichen, da es insoweit an einer Rechtsverletzung nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO fehle. Selbst bei unterstellter Rechtswidrigkeit der in den jeweiligen Ziffern 1 und 3 der Bescheide getroffenen materiellen Entscheidungen des Bundesamts über die Ansprüche auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutzes könnten die Kläger nicht deren Aufhebung erreichen. Es sei nicht ersichtlich, dass sie einen Rechtsnachteil dadurch erleiden könnten, dass das Bundesamt anstelle einer Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG eine Entscheidung in der Sache vorgenommen habe. Dies gelte auch angesichts möglicher erneuter Asylanträge, zumal auch im Fall der Annahme eines Zweitantrags gemäß § 71a AsylG ein erneuter Asylantrag der Kläger als Folgeantrag nach § 71 AsylG einzuordnen sei (vgl. § 71a Abs. 5 AsylG).
14Diese Erwägungen des Verwaltungsgerichts treffen zu, ohne dass hierzu weiterer Klärungsbedarf bestünde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf ein Verwaltungsgericht einer Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nur stattgeben, wenn keiner der in § 29 Abs. 1 Nrn. 2 bis 5 AsylG geregelten Unzulässigkeitsgründe vorliegt, selbst wenn das Bundesamt den Asylantrag ohne erkennbare Befassung mit Unzulässigkeitsgründen in der Sache und sogar positiv beschieden hat. Da diese Unzulässigkeitsgründe zwingendes Recht sind, sind ihre Voraussetzungen vor jeder stattgebenden Entscheidung von Amts wegen zu prüfen.
15BVerwG, Urteil vom 25. April 2019 - 1 C 28.18 -, NVwZ 2019, 1360, juris, Rn. 13.
16Im umgekehrten Fall bleibt es bei der in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO getroffenen Regelung, dass eine Aufhebung eines auch rechtswidrigen Verwaltungsakts nur in Betracht kommt, wenn der Kläger durch diesen in seinen Rechten verletzt ist. Dies scheidet hier von vorneherein aus, weil die sachliche Prüfung der Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Gewährung subsidiären Schutzes allein auf den entsprechenden beim Bundesamt gestellten Anträgen der Kläger beruht. Falls die Kläger eine derartige Prüfung nicht mehr begehren, steht es ihnen frei, die darauf gerichteten Anträge zurückzunehmen. Eine isolierte Anfechtung der Ablehnungsentscheidungen in Ziffern 1 und 3 der Bescheide ist daher bereits nicht statthaft. Es liegt keine derjenigen Konstellationen vor, in denen die isolierte Anfechtung und Aufhebung einer Ablehnungsentscheidung ausnahmsweise in Betracht kommt.
17Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 15. April 2019 - 1 C 46.18 -, DVBl. 2020, 186, juris, Rn. 20 m. w. N.
18Die auch vom Verwaltungsgericht zitierte Auffassung einer anderen Kammer,
19vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 26. April 2021 - 29 K 10078/18.A -, juris, Rn. 48,
20indiziert ebenfalls keine Grundsatzbedeutung der aufgeworfenen Frage, auch nicht unter Anlegung strenger Maßstäbe nach Art. 19 Abs. 4 GG hinsichtlich des Berufungszulassungsrechts.
21Vgl. statt vieler BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 2019 ‑ 1 BvR 587/17 ‑, BVerfGE 151, 173, juris, Rn. 28 ff., sowie Kammerbeschlüsse vom 18. März 2022 - 2 BvR 1232/20 -, juris, Rn. 22, und vom 6. Juni 2018 ‑ 2 BvR 350/18 ‑, juris, Rn. 15 ff.; VerfGH NRW, Beschluss vom 17. Dezember 2019 ‑ VerfGH 56/19.VB-3 ‑, NVwZ-RR 2020, 377, juris, Rn. 17 ff.
22Die von der anderen Kammer des Verwaltungsgerichts vorgebrachten Bedenken, es könne nicht von vorneherein ausgeschlossen werden, dass im Fall eines Folgeantrags wegen des Vorliegens von Wiederaufnahmegründen ein weiteres Asylverfahren durchzuführen sei, dem dann aber die in Bestandskraft erwachsenen Ziffern 1 und 3 des Ablehnungsbescheids entgegenstünden, überzeugen nicht. In der hier angefochtenen Entscheidung hat das Verwaltungsgericht vielmehr zutreffend darauf hingewiesen, dass § 71a Abs. 5 AsylG hinsichtlich eines weiteren Asylantrags auf § 71 AsylG verweist.
23Die seitens der Kläger angeführten Erwägungen für die Annahme eines „Rechtsschutzbedürfnis für die Aufhebung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheids“ (S. 7 bis 10 des Zulassungsantrags) greifen nicht durch, sie sind auf die vorliegende Konstellation offensichtlich nicht zu übertragen.
24Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
25Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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