Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 19 B 961/21
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
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Gründe:
2Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässig, aber unbegründet. Der Senat prüft nach § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO nur die fristgerecht dargelegten Gründe. Diese rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und dem Aussetzungsantrag der Antragsteller nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage 19 K 1668/21 VG Köln gegen die Entscheidung Nr. 6322 der Prüfstelle für jugendgefährdende Medien (Prüfstelle) bei der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (bis 30. April 2021 Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM)) vom 7. Dezember 2020 zur Indizierung des Internetangebots https://heimat-defender.de stattzugeben. Sowohl die Rügen der Antragsteller gegen die formelle Rechtmäßigkeit dieser Indizierungsentscheidung (1.) als auch ihre Einwände gegen deren materielle Rechtmäßigkeit (2.) bleiben erfolglos. Die von ihnen geltend gemachten angeblichen Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts sind von vornherein ungeeignet, ihrem Aussetzungsantrag zum Erfolg zu verhelfen (3.).
31. Mit ihren beiden fristgerecht zur Beschwerdebegründung eingereichten Schriftsätzen unterstellen die Antragsteller dem Verwaltungsgericht zunächst zu Unrecht, es habe einen Verstoß der Prüfstelle gegen die Anhörungspflicht gegenüber dem Urheber und dem Anbieter aus § 21 Abs. 7 JuSchG verneint, obwohl das an den Antragsteller zu 1. gerichtete „Anhörungsschreiben nicht zustellbar (und sogar rückläufig)“ gewesen und der Prüfstelle deshalb zuzumuten gewesen sei, „ein Mindestmaß an weiteren Ermittlungen anzustellen.“ Mit diesem Einwand legen die Antragsteller ihren weiteren Ausführungen eine fehlgeschlagene Zustellung, also eine im Rechtssinn unterbliebene Anhörung zugrunde und verfehlen damit die Feststellungen im angefochtenen Beschluss schon im Ansatz. Denn das Verwaltungsgericht hat eine nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VwZG, § 180 ZPO, § 5 Abs. 2 Satz 2 DVO-JuSchG wirksame Zustellung der Terminbenachrichtigung der Prüfstelle dadurch festgestellt, dass der Postbedienstete diese in den Briefkasten der Wohnung eingelegt hat, die damals im Impressum der indizierten Internetseite als Anschrift des Antragstellers zu 1. als Diensteanbieter im Sinn des § 5 Abs. 1 Nr. 1 TMG aufgeführt war (S. 4 des Beschlusses). Das Verwaltungsgericht hat sinngemäß ergänzt, an der Wirksamkeit dieser Zustellung ändere auch die spätere Rücksendung dieses Schreibens durch die Deutsche Post AG nichts, weil Überwiegendes dafür spreche, dass ein Vertreter des anzuhörenden Vereins (Antragsteller zu 1.) den Briefumschlag selbst geöffnet, sowohl auf dem Schreiben als auch auf dem Briefumschlag handschriftlich den Vermerk „Verein nicht mehr zuständig“ angebracht und beides sodann auf im Einzelnen unbekannt gebliebenem Weg an die Deutsche Post AG zurückgegeben habe.
4Die Antragsteller setzen dieser vorläufigen Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts keine abweichende Sachdarstellung entgegen, insbesondere geben sie bezeichnenderweise keine Äußerung zur Autorenschaft der beiden handschriftlichen Vermerke „Verein nicht mehr zuständig“ ab. Ihre Äußerungen hierzu erschöpfen sich vielmehr in dem danach unglaubhaften pauschalen Bestreiten: „Mithin gelangte das Anhörungsschreiben nicht in Kenntnis der Antragsteller, was der Antragsgegnerin auch bösgläubig klar gewesen sein muss.“ Auf welcher Seite unter diesen Umständen „Bösgläubigkeit“ vorlag, kann der Senat offen lassen. Jedenfalls liegt im zitierten Bestreiten einer Kenntnisnahme vom Inhalt der Terminbenachrichtigung ein weiterer objektiver Anhaltspunkt dafür, dass sich der Antragsteller zu 1. seiner medienrechtlichen Verantwortlichkeit für das von ihm im Internet veröffentlichte Videospiel zu entziehen versucht (§ 7 Abs. 1, § 11 Abs. 2 Nr. 2 TMG). Erst recht abwegig ist sein Ansinnen, die Prüfstelle habe ihn zusätzlich per E-Mail anhören müssen.
5Ebenso wenig greift die Rüge einer unterbliebenen Anhörung der in Österreich ansässigen Antragstellerin zu 2. durch, für die das Verwaltungsgericht festgestellt hat, sie habe ihre ladungsfähige Anschrift erstmals im gerichtlichen Eilverfahren mit Schriftsatz vom 21. April 2021 mitgeteilt. Ob die hiergegen erhobenen Einwände in der Beschwerdebegründung durchgreifen, kann der Senat offen lassen. Denn ein etwaiger Anhörungsmangel ist jedenfalls zwischenzeitlich verfahrensrechtlich nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG geheilt. Die Antragsgegnerin hat auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragsteller im erstinstanzlichen Eilverfahren entschieden, an der Indizierung festzuhalten.
6Vgl. dazu VG Köln, Urteil vom 2. September 2016 ‑ 19 K 3287/15 ‑, MMR 2016, 851, juris, Rn. 43.
7Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist die Begründung des angefochtenen Beschlusses auch nicht insofern widersprüchlich und mit Art. 3 GG unvereinbar, als das Verwaltungsgericht einerseits Anhaltspunkte für einen Neutralitätsverstoß der Mitglieder des Zwölfer-Gremiums verneint, andererseits aber selbst ausgeführt habe, die Antragsteller hätten solche hinreichenden Anhaltpunkte dargelegt. Dem angefochtenen Beschluss ist kein solcher Widerspruch zu entnehmen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht widerspruchsfrei sinngemäß entschieden, aus den angeführten Parteimitgliedschaften, Freundschaften zu Politikern, Nutzungen von Twitterhashtags und Aussagen einzelner Mitglieder des Zwölfer-Gremiums ergäben sich keine Belege für eine Befangenheit (§ 6 DVO-JuSchG).
82. Gegen die materielle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Indizierungsentscheidung der Prüfstelle machen die Antragsteller lediglich geltend, es sei „Aufgabe des VG gewesen, eine umfassende eigene Abwägung an die Stelle der BPjM zu setzen“, seine Auffassung sei unzureichend, „eine Abwägung mit den Grundrechten, insbesondere mit der Kunstfreiheit und der Meinungsfreiheit, sei bloße Sache des Hauptsacheverfahrens und im Eilverfahren unbeachtlich“. Auch insoweit unterstellen die Antragsteller dem Verwaltungsgericht zu Unrecht, es habe die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen den grundgesetzlich geschützten Rechtsgütern Jugendschutz und Kunstfreiheit vollständig dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
9Zu dieser Abwägung BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2019 ‑ 6 C 18.18 ‑, BVerwGE 167, 33, juris, Rn. 37 ff., 67 ff. (Sonny Black).
10Nicht diese Abwägung, sondern lediglich hierfür gegebenenfalls erforderliche weitere Ermittlungen hat das Verwaltungsgericht dem Hauptsacheverfahren vorbehalten und damit dem Charakter des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO Rechnung getragen (S. 11 des Beschlusses). In Bezug auf die genannte Abwägung durfte es sich darauf beschränken, sich in der gebotenen Kürze mit dem einzigen diesen Punkt betreffenden pauschalen Einwand der Antragsteller auseinander zu setzen, mangels Anhörung habe die Prüfstelle den Kunstgehalt nur unzureichend ermittelt. Es ist diesem Einwand sinngemäß mit dem zutreffenden Hinweis begegnet, dass die Anhörung als solche für die materiell-rechtliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Abwägung zwischen den sich gegenüberstehenden Grundrechtspositionen unerheblich ist. Damit hat sich das Verwaltungsgericht materiell-rechtlich der Sache nach zugleich das überzeugende Abwägungsergebnis des Zwölfer-Gremiums auf S. 33 und 34 der angefochtenen Indizierungsentscheidung zu Eigen gemacht, insgesamt überwögen die Belange des Jugendschutzes gegenüber dem Schutz der künstlerisch in bissig-satirischer Art inszenierten Meinungsäußerungen im indizierten Videospiel aus Art. 5 Abs. 1 und 3 GG, weil die zuvor im Einzelnen aufgeführten Spielszenen Ausgrenzung und Widerstand gegen Gruppen anderer sexueller Orientierung geradezu zu einer Notwehrhandlung und Pflicht stilisierten und deshalb eine intensive Beeinträchtigung des Jugendschutzes vorliege.
11Auch die Beschwerdebegründung der Antragsteller gibt dem Senat insoweit keine Veranlassung zu weiteren Erwägungen. Insbesondere enthält sie keine Konkretisierung, weshalb der Kunst- und Meinungsfreiheit der Antragsteller in Bezug auf das hier indizierte Videospiel Vorrang gegenüber dem Jugendschutz zukommen, das Abwägungsergebnis also im Gegensatz zu demjenigen des Verwaltungsgerichts zu ihren Gunsten ausfallen soll. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Weimar in seinem Beschluss 4 E 705/22 vom 28. April 2022 zur Strafbarkeit der Verwendung der Regenbogenfahne während einer Versammlung nach den §§ 130, 185 StGB sind hierfür weder einschlägig noch, wie die Antragsteller meinen, „äquivalent“ gültig.
123. Die Rügen der Antragsteller betreffend angebliche Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts sind von vornherein ungeeignet, dem Aussetzungsantrag zum Erfolg zu verhelfen. Dazu gehören insbesondere ihre pauschalen, ohne Bezug auf konkrete Feststellungen im angefochtenen Beschluss erhobenen Einwände, das Verwaltungsgericht habe den „Kunstwert falsch ermittelt“, es sei „zu erwarten gewesen, dass das VG im Rahmen seiner Amtsermittlung … das verfahrensgegenständliche Spiel jedenfalls rudimentär anspielt oder ähnliche Beweiserhebungen anstellt“, mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör sei unvereinbar, „die pauschale Behauptung [aufzustellen], der Sachverhalt sei richtig erfasst ‑ vor allem wenn es um Meinung und Interpretation geht.“ Auch die Sachverhaltsfeststellung des Verwaltungsgerichts zur diskriminierenden Warnung des Spielprotagonisten Martin Lichtmesz „Vor Dir liegt der LGBTQIAPK-Distrikt. Halt Dich nicht zu lange hier auf, sonst steckst Du Dich noch mit was an.“ ist entgegen der Auffassung der Antragsteller weder „höchst suspekt“ noch „nicht nachvollziehbar“ noch ein „Falschzitat“. Der eine Ansteckungsgefahr andeutende Zusatz „sonst steckst Du Dich noch mit was an“ entstammt vielmehr einem der Screenshots, welche die Antragsteller selbst als Anlage zum Eilantrag als „positive Besprechung“ des Magazins „konflikt“ vom 19. September 2020 vorgelegt haben. Ihre Behauptung, der Zusatz sei ausschließlich in Entwicklerversionen des Spiels vorhanden gewesen (pre-release), dann jedoch gelöscht und nie Bestandteil der öffentlichen Version des Spiels geworden, ist nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO unbeachtlich, weil die Antragsteller sie erstmals nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist aufgestellt haben. Abgesehen davon ist die Behauptung auch nicht glaubhaft gemacht und steht in offenkundigem Widerspruch zur zitierten Presseveröffentlichung.
13Nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO unbeachtlich sind schließlich auch die erstmals nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist erhobenen Einwände der Antragsteller gegen die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zur jugendgefährdenden Wirkung des indizierten Videospiels (Nrn. 3 und 4 des Schriftsatzes vom 30. Juni 2021).
14Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
15Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Die Bedeutung der Aufnahme in die Liste jugendgefährdender Medien nach § 18 Abs. 1 JuSchG für die Antragsteller, auf die es nach diesen Vorschriften für die Streitwertfestsetzung ankommt, bemisst der Senat mit dem Auffangwert nach § 52 Abs. 2 GKG, der im Eilrechtsstreit zu halbieren ist.
16Zur Streitwertfestsetzung bei Indizierungsentscheidungen BVerwG, Streitwertbeschluss zum Urteil vom 30. Oktober 2019, a. a. O. (insoweit unveröffentlicht); OVG NRW, Beschlüsse vom 3. März 2017 ‑ 19 A 544/16 ‑, juris, Rn. 16, vom 31. Oktober 2016 ‑ 19 B 1188/15 ‑, juris, Rn. 12, vom 24. Oktober 2016 ‑ 19 A 1467/15 ‑, juris, Rn. 18, und vom 1. April 2015 ‑ 19 A 3039/11 ‑, juris, Rn. 20.
17Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).
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Referenzen
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- 19 B 1188/15 1x (nicht zugeordnet)
- 19 A 1467/15 1x (nicht zugeordnet)
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