Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 19 B 956/22
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
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Der Senat entscheidet über die Beschwerde durch den Berichterstatter, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).
2Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässig, aber unbegründet. Der Senat prüft nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die dargelegten Gründe. Diese rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, den Antragsteller zum Schuljahr 2022/2023 vorläufig in die Klasse 5 der N. B. Gesamtschule in N1. aufzunehmen.
3Mit ihrer Beschwerde machen die Antragsteller erfolglos geltend, die Entscheidung der Schulleiterin, die Zahl der in die Klasse 5 aufzunehmenden Schülerinnen und Schüler nach § 46 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW zu begrenzen, sei angesichts der in der Stellungnahme der Schulleiterin vom 21. Juli 2022 dokumentierten Ermessenserwägungen rechtsfehlerhaft.
4Nach § 46 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW kann die Schulleiterin im Einvernehmen mit dem Schulträger die Zahl der in die Klasse 5 einer Schule der Sekundarstufe I oder mit Sekundarstufe I aufzunehmenden Schüler begrenzen, wenn ein Angebot für Gemeinsames Lernen (§ 20 Abs. 2) eingerichtet wird (Nr. 1), rechnerisch pro Parallelklasse mindestens zwei Schülerinnen und Schüler mit festgestelltem sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf aufgenommen werden (Nr. 2) und im Durchschnitt aller Parallelklassen der jeweilige Klassenfrequenzrichtwert nach der Verordnung zur Ausführung des § 93 Abs. 2 SchulG NRW nicht unterschritten wird (Nr. 3).
5Die Schulleiterin hat hier von dem in § 46 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW eingeräumten Ermessen rechtmäßig Gebrauch gemacht und entschieden, in den sechs Parallelklassen der Klasse 5 den Bandbreitenhöchstwert von 29 (6 x 29 = 174) wegen der 18 aufzunehmenden Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf um den Wert 2 zu unterschreiten und insgesamt 162 (6 x 27) Schüler aufzunehmen.
61. Ohne Erfolg bleibt zunächst der Einwand der Antragsteller, die Ermessenserwägungen hätten nicht erst in der zweiten Julihälfte „nachgereicht“ werden dürfen, sondern zum Zeitpunkt der Entscheidung nach § 46 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW „vorliegen“ müssen.
7Soweit die Antragsteller damit rügen, dass die entscheidenden Ermessenserwägungen nicht nachgeschoben werden dürften, setzen sie sich nicht mit der überzeugenden Feststellung des Verwaltungsgerichts auseinander, wonach die Schulleiterin ihre Ermessenserwägungen weder ausgetauscht noch ergänzt hat, sondern die als Anlage zur Antragserwiderung vom 22. Juli 2022 abgegebene Erklärung zum Zustandekommen ihrer Entscheidung über die Begrenzung der Zahl der aufzunehmenden Schülerinnen und Schüler die tatsächlich maßgeblichen Erwägungen zutreffend wiedergibt (S. 6 des Beschlusses).
8Soweit die Antragsteller die anfänglich fehlende Dokumentation der Ermessenserwägungen beanstanden und sich auf Rechtsprechung zu beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren berufen, lassen sich die dort geltenden besonderen Dokumentationspflichten auf die Entscheidung nach § 46 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW allenfalls begrenzt übertragen. Vielmehr bleibt es hier bei den allgemeinen Regeln und können im Einzelfall auch eine Begründung im Widerspruchsbescheid oder nachträglich verfasste und erstmals im Gerichtsverfahren vorgelegte Stellungnahmen ausreichend sein, um die Ausübung des durch § 46 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW eingeräumten Ermessens zu dokumentieren.
9Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Juli 2020 - 19 B 998/20 -, juris, Rn. 6, und vom 19. Oktober 2018 - 19 B 1353/18 -, juris, Rn. 9.
102. Die Antragsteller dringen ebenfalls nicht mit ihrem Einwand durch, dass die von der Schulleiterin in ihrer Stellungnahme unter Nr. 2 angeführten Gesichtspunkte der besonderen Herausforderung der Lehrkräfte durch inklusives Arbeiten sowie des mit dem inklusiven Arbeiten einhergehenden erhöhten Platzbedarfs nicht geeignet seien zu begründen, weshalb eine Begrenzung gerade auf 27 Schülerinnen und Schüler pro Klasse gerechtfertigt erscheine.
11Damit ist weder ein Ermessensdefizit noch ein sonstiger Ermessensfehler dargelegt. Die Schulleiterin hat sich ausweislich der vorgelegten Stellungnahme bewusst dafür entschieden, den möglichen Ermessensspielraum auszunutzen. Die Begrenzung der Aufnahmekapazität entspricht dem Klassenfrequenzrichtwert im Durchschnitt aller Parallelklassen, der nach § 46 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 SchulG NRW nicht unterschritten werden darf (6 x 27 = 162). Sie hat die von ihr gewählte Begrenzung nachvollziehbar und schlüssig mit der Aufnahme von 18 Kindern mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf und den damit verbundenen Herausforderungen begründet. Diese Begründung ist nicht deshalb lückenhaft, weil die Schulleiterin nicht noch einmal aus der entgegengesetzten Perspektive erläutert hat, aus welchen Gründen sie die Aufnahmekapazität nicht auf 163 oder 164 Schüler festgelegt hat. Die Schulleiterin hat bei ihrer Entscheidung nicht darauf abgestellt, dass ein Unterricht mit 163 Schülern nicht möglich wäre, sondern ermessensfehlerfrei zugrunde gelegt, dass die Reduzierung auf 162 Schüler hilft, die besonderen Herausforderungen des inklusiven Unterrichts gut zu bewältigen.
123. Schließlich verhelfen auch die Einwände der Antragsteller gegen die Erwägung unter Nr. 3 der Stellungnahme der Schulleiterin vom 21. Juli 2022 der Beschwerde nicht zum Erfolg.
13Der Senat kann offen lassen, ob die Ermessenserwägung der Schulleiterin zu etwaigen zukünftigen Aufnahmen von nach N1. zuziehenden Gesamtschulkindern ermessensfehlerfrei ist. Diese Frage ist unerheblich, weil die Ermessenserwägung zu Nr. 2 die Begrenzungsentscheidung der Schulleiterin eigenständig trägt. Das hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt (S. 6 des Beschlusses). Gegen diese Feststellung haben die Antragsteller auch keine Beschwerderüge erhoben.
14Der Senat weist lediglich zur Klarstellung darauf hin, dass ein Freihalten von Schulplätzen für künftig zuziehende Kinder an einer Schule mit Anmeldeüberhang unvereinbar ist mit dem Rechtsanspruch auf Ausschöpfung der gesetz- und verordnungsrechtlich bestimmten Aufnahmekapazität, der sich aus dem landesverfassungsrechtlichen Anspruch der abgelehnten Kinder und deren Eltern auf Zugang zum öffentlichen Bildungswesen unter zumutbaren Bedingungen ergibt.
15OVG NRW, Beschlüsse vom 28. August 2018 ‑ 19 B 1153/18 ‑, juris, Rn. 13 m. w. N., und vom 29. Juli 2011 ‑ 19 B 718/11 ‑, juris, Rn. 7; VG Düsseldorf, Beschluss vom 2. August 2021 ‑ 18 L 1384/21 ‑, juris, Rn. 26; VG Aachen, Urteil vom 18. Januar 2019 ‑ 9 K 2380/18 ‑, juris, Rn. 19; vgl. auch VG Arnsberg, Beschluss vom 8. April 2008 ‑ 10 L 173/08 ‑, juris, Rn. 26 ff
16Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Der Senat hat die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aus Billigkeit für nicht erstattungsfähig erklärt. Sie hat sich keinem Kostenrisiko ausgesetzt, weil sie keinen Antrag gestellt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
17Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Die Bedeutung der Schulaufnahme für die Antragsteller, auf die es nach § 47, § 52 Abs. 1 GKG für die Streitwertfestsetzung ankommt, bestimmt der Senat in ständiger Ermessenspraxis in Anlehnung an Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 38.4 des Streitwertkatalogs 2013 (NWVBl. 2014, Sonderbeilage Januar, S. 11) im vorläufigen Rechtsschutzverfahren mit der Hälfte des Auffangwerts nach § 52 Abs. 2 GKG, also 2.500,00 Euro.
18OVG NRW, Beschlüsse vom 17. März 2022 ‑ 19 B 56/22 ‑, juris, Rn. 10 m. w. N., vom 27. Mai 2021 ‑ 19 E 428/21 ‑, NVwZ-RR 2021, 696, juris, Rn. 5, und vom 30. November 2016 - 19 B 1066/16 -, NWVBl. 2017, 122, juris, Rn. 47.
19Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).
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Referenzen
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- 10 L 173/08 1x (nicht zugeordnet)
- 19 B 1066/16 1x (nicht zugeordnet)
- 19 B 1153/18 1x (nicht zugeordnet)
- 19 B 1353/18 1x (nicht zugeordnet)
- 18 L 1384/21 1x (nicht zugeordnet)
- 19 B 56/22 1x (nicht zugeordnet)
- 19 E 428/21 1x (nicht zugeordnet)