Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 A 1748/21.A
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 1.6.2021 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe:
1Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
2Aus der Antragsbegründung ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehörs verletzt hat (Zulassungsgrund gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO).
3Das in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verankerte Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Ein Gericht ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.
4Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.12.2014 – 4 C 35.13 –, juris, Rn. 42.
5Derartige Umstände sind vorliegend weder vorgetragen noch ersichtlich.
6Bezogen auf das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hat die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen, sie leide an erheblichen Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit und bedürfe rund um die Uhr der Pflege und Betreuung. Die wenigen in Pakistan noch lebenden Verwandten seien – wie die Klägerin – schon betagt und nicht mehr bereit oder in der Lage, die Versorgung und Betreuung der Klägerin zu übernehmen. Mit diesem Vortrag hat sich das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils (Urteilsabdruck, Seite 6, vorletzter Absatz) auseinandergesetzt und hierzu ausgeführt, von einem Abschiebungsverbot könne nicht ausgegangen werden, weil die Klägerin zum einen deutlich jünger als ihr Ehemann sei, zum anderen mache sie in der mündlichen Verhandlung auch keinen „kranken“ Eindruck. Insbesondere sei von Klägerseite kein ärztliches Attest vorgelegt worden, aus dem sich ein besonderes Gesundheitsrisiko für die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Pakistan ergeben würde. Dass das Verwaltungsgericht die Situation der Klägerin bei Rückkehr nach Pakistan anders als die Klägerin bewertet hat, führt nicht auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs.
7Allein der Umstand, dass das Verwaltungsgericht das Vorbringen der Klägerin gegenüber dem Bundesamt, auf das die Klägerin in ihrer Klagebegründung pauschal Bezug genommen hat und welches auch Angaben zu ihrer wirtschaftlichen Situation in Pakistan enthielt (vgl. Niederschrift über die Anhörung der Klägerin vom 3.7.2019, Seite 4), in seinem Urteil nicht ausdrücklich aufgegriffen hat, rechtfertigt nicht die Annahme, das Gericht habe dieses Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen. Die Klägerin ist den Ausführungen der Beklagten zur Möglichkeit der Sicherung ihres Existenzminimums bei Rückkehr nach Pakistan in dem angegriffenen Bescheid (Bescheidabdruck, Seite 11) erstinstanzlich nicht substantiiert entgegengetreten, sondern hat das Vorliegen von Abschiebungsverboten im Wesentlichen mit ihrem Gesundheitszustand und nur ergänzend pauschal mit der fehlenden Betreuung durch in Pakistan verbliebene nahe Angehörige begründet. Ausgehend von diesem Vorbringen musste sich das Verwaltungsgericht, das keine Betreuungsbedürftigkeit der Klägerin festgestellt hat, unter Gehörsgesichtspunkten nicht damit auseinandersetzen, ob der Klägerin im Fall ihrer alleinigen Rückkehr nach Pakistan Obdachlosigkeit und Verelendung droht. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist für die Gefahrenprognose nach § 60 Abs. 5 AufenthG vielmehr von einer möglichst realitätsnahen Beurteilung der – wenngleich notwendig hypothetischen – Rückkehrsituation und damit bei tatsächlicher Lebensgemeinschaft der Kernfamilie im Regelfall davon auszugehen, dass diese entweder insgesamt nicht oder nur gemeinsam im Familienverband zurückkehrt. Dies gilt auch dann, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie bereits ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie nationaler Abschiebungsschutz festgestellt worden ist.
8Vgl. BVerwG, Urteil vom 4.7.2019 – 1 C 45.18 –, BVerwGE 166, 113 = juris, Rn. 15 ff.
9Nachdem die Klägerin gemeinsam mit ihrem Mann, ihrem Sohn und ihrer Tochter nach Deutschland eingereist war, ist in ihrem Fall gerade mit Blick auf die Betreuungsbedürftigkeit ihres Ehemanns, für den ein Abschiebungsverbot festgestellt worden ist, auf eine gemeinsame Rückkehr in dem Familienverband abzustellen, welcher zum Zwecke der Betreuung tatsächlich aufrechterhalten worden ist. Auf eine alleinige Rückkehr kommt es hingegen nicht an.
10Im Übrigen erschöpfen sich die Einwände der Klägerin gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Wertungen in Kritik an der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Solche ist dem sachlichen Recht zuzurechnen und rechtfertigt, sofern sie – wie hier – nicht von Willkür geprägt ist, von vornherein nicht die Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG.
11Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21.9.2020 ‒ 4 A 798/20.A, juris, Rn. 15 f., m. w. N.
12Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.
13Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- 4 A 798/20 1x (nicht zugeordnet)