Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 3414/20
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf die Wertstufe bis 3.000 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3I. Das Verwaltungsgericht hat die Klage des Klägers auf rückwirkende Zahlung der sog. Polizeizulage ab dem 22. März 2012 mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung der sog. Polizeizulage. Der ablehnende Bescheid der Generalzolldirektion L. vom 27. Februar 2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2019 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem geltend gemachten Anspruch des Klägers stehe die (noch verbliebene) Bestandskraft des Bescheides der Bundesfinanzdirektion X. vom 11. April 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2015 entgegen, mit dem die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung der sog. Polizeizulage für die Zeit ab dem 22. März 2012 bereits abgelehnt habe. Diese Bescheidung entspreche dem Antrag des Klägers vom 20. Januar 2014, wie die Beklagte ihn habe verstehen dürfen. Schon dessen Wortlaut sei eine Beschränkung auf die Zeit ab dem 1. Januar 2014 nicht zu entnehmen. Zudem beziehe der Antrag sich ausdrücklich auf die zum 22. März 2012 erfolgte Rechtsänderung. Auch in Reaktion auf den Ablehnungsbescheid habe der Kläger in der Widerspruchsbegründung vom 24. September 2014 dieses Verständnis des Antrags nicht in Abrede gestellt. Erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung in dem zugehörigen Verfahren VG Münster 5 K 1182/15 am 29. April 2016 habe der Kläger seinen zunächst offen formulierten Klageantrag, ihm „die Polizeizulage zu zahlen“ auf den Zeitpunkt ab dem 1. Januar 2014 konkretisiert. Dieses Verständnis werde auch vom Kläger geteilt, der in der Klagebegründung vom 13. Januar 2020 erklärt habe, es habe zu jeglichem Zeitpunkt, insbesondere auch für die Beklagte, unstreitig festgestanden, dass Regelungsgegenstand die Rückwirkung der Auszahlung ab dem 22. März 2012 gewesen sei. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, weil stets streitig gewesen sei, ob die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung vorgelegen hätten, nicht jedoch aber der Zeitraum. Der Annahme einer teilweisen Bestandskraft stehe auch nicht entgegen, dass das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 29. April 2016 – 5 K 1182/15 – den Bescheid der Bundesfinanzdirektion X. vom 11. April 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2015 aufgehoben und der Senat mit Urteil vom 16. Februar 2018 – 1 A 1248/16 – die Berufung der Beklagten zurückgewiesen habe. Schon dem Tenor des erstinstanzlichen Urteils lasse sich entnehmen, dass sich die gerichtliche Aufhebung lediglich auf die Zeit ab dem 1. Januar 2014 beziehe. Dies werde anhand der zur Auslegung heranzuziehenden Urteilsgründe bestätigt. Ungeachtet dessen sei – nach dem vom Kläger selbst favorisierten Verständnis – der von der Beklagten beschiedene Streitgegenstand, der Zeitraum vom 22. März 2012 bis zum 31. Dezember 2013, zu keinem Zeitpunkt rechtshängig geworden. Über nicht rechtshängig gewordene Streitgegenstände könne nicht rechtskräftig entschieden werden. Auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die Berufung der Beklagten auf die Einrede der Verjährung treuwidrig sei, komme es nicht an. Die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Wiederaufgreifen bzw. Wiederaufnahme des bestandskräftig abgeschlossenen Verfahrens habe, sei nicht Gegenstand des Verfahrens.
4II. Die Berufung hiergegen ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. „Darlegen“ i. S. v. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO bedeutet, unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil fallbezogen zu erläutern, weshalb die Voraussetzungen des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes im Streitfall vorliegen sollen. Die Zulassungsbegründung soll es dem Oberverwaltungsgericht ermöglichen, die Zulassungsfrage allein auf ihrer Grundlage zu beurteilen, also ohne weitere aufwändige Ermittlungen.
51. Die Berufung kann gemessen hieran nicht wegen der zunächst geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen werden. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
6Der Kläger trägt zur Begründung des Zulassungsantrags vor, anders als vom Verwaltungsgericht angenommen, habe der Bescheid vom 11. April 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16. April 2015 bezogen auf den Zeitraum vom 22. März 2012 bis zum 31. Dezember 2013 nicht in (Teil)Bestandskraft erwachsen können. Dieser Bescheid habe entweder nur den Zeitraum ab dem 1. Januar 2014 betroffen oder sei durch das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 29. April 2016 insgesamt aufgehoben worden oder der Eintritt der Bestandskraft sei wegen eines Verstoßes der Beklagten in der damaligen mündlichen Verhandlung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben ausgeschlossen. Damit dringt der Kläger nicht durch.
7a) Der die Zahlung der sog. Polizeizulage ablehnende Bescheid vom 11. April 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2015 betrifft unzweifelhaft auch den Zeitraum vom 22. März 2012 bis zum 31. Dezember 2013. Der Bescheid enthält den ausdrücklichen Hinweis, er ergehe auf den Antrag des Klägers, ihm die Stellenzulage ab dem 22. März 2012 zu gewähren. Die Beklagte durfte zwanglos davon ausgehen, dass der Kläger genau dies in dem Schreiben vom 20. Januar 2014 beantragen wollte. Eine andere Auslegung des Inhalts dieses Schreibens scheidet bei objektiver Betrachtung aus. Es trifft zwar zu, dass der Kläger bis zur mündlichen Verhandlung am 29. April 2016 keine konkreten Angaben zu dem gewünschten Anspruchszeitraum gemacht hat. Es ist aber abwegig mit der Zulassungsbegründung anzunehmen, es sei dem Kläger „vordergründig“ darum gegangen, das Bestehen des Anspruchs „grundsätzlich“ zu klären (wohl) mit der Folge, dass bis zur mündlichen Verhandlung am 29. April 2016 gar kein Zeitraum in Frage gestanden haben soll. Dass der Kläger von Anfang an eine rückwirkende Auszahlung der Zulage ab dem 22. März 2012 begehrte, folgt ohne weiteres daraus, dass er in seinem Antrag die ab diesem Tag geltende Neuregelung der Nr. 9 der Vorbemerkungen zu BBesO A/B (Anlage I zum BBesG) in Bezug genommen hat, und ausdrücklich um „Anweisung“, also um Zahlung, der Zulage gebeten hat. Der Kläger ist dem deutlichen Hinweis der Beklagten auch weder im Widerspruchsverfahren noch in dem anschließenden – auf Gewährung und damit auf Zahlung der Polizeizulage – gerichteten verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren entgegengetreten. Er hat im Gegenteil noch im vorliegenden Klageverfahren erstinstanzlich unter dem 13. Januar 2020 erklärt, auch, wenn er selbst nie angegeben habe, ab welchem Zeitpunkt er die Zahlungen verlange, sei zwischen ihm und der Beklagten immer unstreitig gewesen, dass es um eine Rückwirkung ab dem 22. März 2012 gegangen sei. Zu dieser eindeutigen Äußerung verhält sich die Zulassungsbegründung nicht. Es besteht kein Anlass, den Wahrheitsgehalt dieser ursprünglichen Äußerung des Klägers in Frage zu stellen. Sie war für die (damalige) Argumentation des Klägers, die Erhebung der Klage im August 2015 habe auch bezogen auf den Anspruchszeitraum ab dem 22. März 2012 den Eintritt der Verjährung gehemmt, wesentlich und unabdingbar. Der ohne jede Begründung davon abweichende Zulassungsvortrag, der Umstand, dass er den Anspruch zeitlich nie konkretisiert habe, bedinge, dass der Zeitraum ab dem 22. März 2012 nicht von dem Bescheid erfasst gewesen worden sei und damit auch nicht in Bestandskraft habe erwachsen können, ist ersichtlich ausschließlich dem geänderten rechtlichen Kontext des Urteils geschuldet und damit rein verfahrensangepasst.
8b) Die Beklagte hat den Bescheid vom 11. April 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2015 – anders als der Kläger wohl meint – in der mündlichen Verhandlung vom 29. April 2016 bezogen auf den Zeitraum vom 22. März 2012 bis zum 31. Dezember 2013 auch nicht aufgehoben. Es kann nicht im Ansatz davon die Rede sein, die Parteien seien sich in der mündlichen Verhandlung oder zu einem anderen Zeitpunkt einig gewesen, dass der angefochtene Bescheid sich nur (noch) auf den Zeitraum ab dem Jahr 2014 beziehe. Es ist vielmehr (erneut) abwegig anzunehmen, die Vertreterin der Beklagten habe mit dem Hinweis, der Kläger sei erst ab dem 1. Januar 2014 in einem Bereich verwendet worden, in dem vollzugspolizeilich geprägte Tätigkeiten wahrgenommen, würden, den Bescheid entsprechend abändern wollen. Für eine solche Vorgehensweise der Beklagten bestand kein vernünftiger Grund. Der Hinweis untermauert nämlich im Gegenteil gerade die Ansicht der Beklagten, dass ein Anspruch des Klägers (auch in dem Zeitraum vor dem 1. Januar 2014) nicht bestand und der ablehnende Bescheid (insoweit aus weiteren Gründen) rechtmäßig war. Die Klägervertreterin hat auch ersichtlich nicht einer (nicht erfolgten) Änderung des Bescheides Rechnung getragen. Sie ist vielmehr offenkundig der Einschätzung der Beklagtenvertreterin gefolgt, die Klage habe für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2014 auch aus anderen Gründen keine Aussicht auf Erfolg, und hat die Klage entsprechend – so die Zulassungsbegründung – „begrenzt“. Der Kläger hat damit die ursprünglich umfassend erhobene Klage bezogen auf den Zeitraum vom 22. März 2012 bis zum 31. Dezember 2013 inzident zurückgenommen. Die Rechtshängigkeit des Anspruchs und damit wohl auch die Hemmung der Verjährung sind damit (insoweit) rückwirkend entfallen. Nach der teilweisen Klagerücknahme konnten die angefochtenen Bescheide im Urteil auch von vorneherein nur noch aufgehoben werden, soweit sie den (allein noch rechtshängigen) Zeitraum ab dem 1. Januar 2014 betrafen. Es ist unschädlich, dass dieser aus den Entscheidungsgründen ersichtliche Umstand im Tenor des Urteils vom 26. April 2016 nicht ausdrücklich ausgesprochen wurde. Ebenso kommt es nicht darauf an, dass das Verwaltungsgericht das Verfahren nach der teilweisen Klagerücknahme nicht (deklaratorisch) nach § 92 Abs. 3 VwGO eingestellt und die entsprechenden Kosten dem Kläger auferlegt hat.
9c) Auch die Annahme des Klägers in der Zulassungsbegründung, die Beklagte habe gegen den Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne des § 242 BGB verstoßen, indem sie durch eine falsche Angabe darauf hingewirkt habe, dass der Klageantrag begrenzt werde, und sich sodann auf das Argument zurückziehe, der Verwaltungsakt sei für den Zeitraum davor in Bestandskraft erwachsen, trifft nicht zu. Die Beklagte hat sich nicht treuwidrig oder widersprüchlich verhalten. Dass der angefochtene Bescheid vom 11. April 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2015 bezogen auf den Zeitraum vom 22 März 2012 bis zum 31. Dezember 2013 in Bestandskraft erwachsen ist, beruht damit nicht auf der (zutreffenden oder falschen) rechtlichen Einschätzung der Beklagten, sondern auf der freien Entscheidung des Klägers, sein Klagebegehren einzuschränken. Es stand dem Kläger ungeachtet der Frage, ob die Einschätzung der Beklagtenvertreterin richtig oder falsch war, frei, ob er der Einschätzung folgt, es fehle für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2014 schon an der erforderlichen Verwendung des Klägers, und ob er sein Klagebegehren entsprechend anpasst. Wie oben dargestellt, konnte der Kläger jedenfalls nicht ernsthaft annehmen, die Beklagte halte bei der von ihr angenommenen Sachlage nicht (mehr) an der – aus ihrer Sicht noch zusätzlich bestätigten – Ablehnung fest.
102. Die Berufung weist ist nach alledem auch nicht die von dem Kläger aus den in der Sache gleichen Gründen geltend gemachten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.
113. Die Berufung ist schließlich auch nicht wegen der noch geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
12Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird, und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat.
13Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Februar 2018– 1 A 2517/16 –, juris, Rn. 32, und vom 13. Oktober 2011 – 1 A 1925/09 –, juris, Rn. 31 f., m. w. N.; ferner Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 127, 142 ff., 149 und 151 ff.
14In Anwendung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung nicht vor.
15Die vom Kläger aufgeworfene Fragen, welchen Umfang der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten aus dem Jahr 2014 bzw. der Tenor des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 29. April 2016 – 5 K 1182/15 – haben, ist schon nicht grundsätzlicher Natur. Sie können nur – wie oben unter 1. a) und b) geschehen – anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls beantwortet werden. Nichts anderes gilt für die weitere Frage, wie das Verhalten der Beklagten (in der mündlichen Verhandlung vom 29. April 2016) zu bewerten ist, vgl. dazu oben unter 1. c).
16Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
17Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 GKG (je 133,75 Euro monatlich für den Zeitraum von März 2012 bis einschließlich Dezember 2013 = 22 Monate = 2.942,50 Euro).
18Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
19Das angefochtene Urteil ist nunmehr rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.
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