Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 9 A 1294/17
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt, soweit es von den Beteiligten übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist. Insoweit ist das angegriffene Urteil wirkungslos.
Das angefochtene Urteil wird geändert. Die Ordnungsverfügung der Bezirksregierung L. vom 16. Juli 2015 wird aufgehoben, soweit sie den Tee der Sorte „Gemischter Kräutertee" betrifft.
Von den Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen trägt der Kläger 1/6 und das beklagte Land 5/6.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist ein Großhändler für türkische Lebensmittel. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Verfügung der Bezirksregierung L. , mit der ihm das Inverkehrbringen von Tees der Marke E. mit der Bezeichnung „G. “ in sechs verschiedenen Sorten mit der Begründung untersagt worden ist, es handele sich um zulassungspflichtige, jedoch nicht zugelassene Arzneimittel. Die Tees befinden sich in einzeln kuvertierten Beuteln mit je 2 g der jeweiligen Teemischung.
3Mit Schreiben vom 1. August 2012 übersandte das Regierungspräsidium E. der Bezirksregierung L. mehrere im Rahmen der amtlichen Lebensmittelüberwachung gefertigte Untersuchungsberichte des I. Landeslabors vom 20. und 21. Juni 2012 betreffend Tees der Marke E. mit dem Hinweis, die mit dem Zusatz „G. “ bezeichneten Tees würden wegen des Gehalts an Sennesblättern als nicht zugelassene Arzneimittel eingestuft, und der Bitte um Prüfung, ob dem Lieferanten, der Firma P. -C. C1. & P1. GbR, das Inverkehrbringen untersagt werde.
4Gegenstand des Prüfberichtes Nr. 123008951 vom 20. Juni 2012 ist ein als E. G. Maydanozlu Limonlu (im Folgenden: Petersilie /Zitrone) bezeichneter Tee. Untersucht wurde der Gehalt an Sennosiden in der Probe sowie im verzehrfertigen Getränk. Die Gehaltsbestimmung erfolgte nach den Angaben im Untersuchungsbericht jeweils nach der HPLC-Methode (= Hochleistungsdünnschichtchromatographie). Die Gehaltsbestimmung ergab für die Probe berechnet auf 100 g insgesamt 496 mg (= 4,96 mg je 1 g Teemischung) Sennoside. Für das fertige Getränk wurde ein Anteil von insgesamt 8,5 mg Sennosiden ermittelt.
5Der Prüfbericht Nr. 123010952 vom 21. Juni 2012 betrifft den „E. G. mixed herbal tea“ (im Folgenden: gemischter Kräutertee). Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) ist der 25. Juli 2013. Die Zutaten sind laut Prüfbericht: Sennesblätter, Anis, (...) und Kirschstängel. Die Gehaltsmessung ergab für die Probe jeweils bezogen auf 100 g einen Anteil von insgesamt 919 mg Sennosiden (= 9,19 mg je 1 g Teemischung) und für das fertige Getränk insgesamt 12,5 mg.
6Der Prüfbericht Nr. 123010949 vom gleichen Tag betrifft den gemischten Kräutertee (MHD 27. Februar 2014). Dessen Zutaten sind Kirschstängel, Sennesblätter, Anis (...). Die Gehaltsmessung ergab für die Probe jeweils bezogen auf 100 g einen Anteil von insgesamt 303 mg Sennosiden (= 3,03 mg je 1 g Teemischung) und für das fertige Getränk insgesamt 6 mg.
7Mit Schreiben vom 8. August 2012 teilte die Bezirksregierung L. dem Kläger mit, dass der Tee E. G. Petersilie/Zitrone einen zu hohen Anteil an Sennesblättern (Sennosid-Gehalt) aufweise und daher als nicht zugelassenes Arzneimittel eingestuft werde, und hörte ihn zu einer beabsichtigten Maßnahme nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG an. Mit an den Prozessbevollmächtigten des Klägers gerichtetem weiteren Schreiben vom 19. November 2012 gab sie ergänzend an, bei dem fraglichen Tee sei ein Gehalt von 12,5 mg Sennosiden je Beutel ermittelt worden. Da die Aufbereitungsmonographie der Kommission E eine Tagesdosis von 20-60 mg Sennosiden empfehle, sei schon beim Verzehr von zwei Tassen von einer pharmakologischen Wirkung auszugehen. Ein solcher Tee dürfe weder bei Darmverschluss noch bei akut entzündlichen Erkrankungen des Darms oder bei Kindern angewendet werden. Um den Tee weiter vertreiben zu dürfen, müsse sichergestellt werden, dass die Tagesdosis von 20 mg nicht überschritten werde. Es gebe jedoch keine Warnhinweise oder Dosisbeschränkungen auf dem Produkt.
8Nachdem die Stadt H. die Bezirksregierung L. mit Schreiben vom 22. November 2012 darüber informiert hatte, dass sie einer in F. ansässigen Firma das Inverkehrbringen von sennesblätterhaltigen G. -Tees der Marke E. (Kräutertee, Tee mit Aprikose und Tee mit Zitrone) untersagt habe, weil dieser Pflanzenbestandteil apothekenpflichtig sei und die Produkte zudem als Arzneimittel eingestuft würden, bat die Bezirksregierung L. den Kläger mit Schreiben vom 5. Dezember 2012 unter Wiederholung ihrer Ausführungen aus dem Schreiben vom 19. November 2012 hinsichtlich der Tees E. G. mit Aprikose, E. G. Petersilie/Zitrone und E. G. gemischter Kräutertee um Stellungnahme.
9Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2012 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Bezugnahme auf das Schreiben der Bezirksregierung L. vom 19. November 2012 mit, dass beabsichtigt sei, auf den Tee ‑ laut der Betreffzeile des Schriftsatzes handelte es sich um den gemischten Kräutertee ‑ den Hinweis aufzubringen: „Der Tee darf weder bei Darmverschluss noch bei akut entzündlichen Erkrankungen des Darms oder bei Kindern angewendet werden. Es wird darauf hingewiesen, dass nur ein Teebeutel pro Tag verzehrt werden darf.“ Die Bezirksregierung L. bestätigte daraufhin unter dem 20. Dezember 2012, dass in diesem Fall aus arzneimittelrechtlicher Sicht keine Bedenken mehr bestünden.
10Mit Schreiben vom 10. Januar 2013 wies die Bezirksregierung L. den Kläger darauf hin, dass noch keine Stellungnahme zu ihrem Schreiben vom 5. Dezember 2012 erfolgt sei und der Verkauf der in diesem Schreiben genannten Teezubereitungen daher sofort einzustellen sei. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte daraufhin mit, dass der Tee in der beanstandeten G. nicht weiter vertrieben werde.
11Anfang 2015 bat die Bezirksregierung L. den Kläger zunächst um Zusendung der Original-Verpackungen von insgesamt sechs G. -Tees und mit weiterem Schreiben vom 5. März 2015 um Listen mit genauen Mengenangaben der jeweiligen Zutaten für jede Sorte E. G. Tee, der Sennesblätter enthalte und den der Kläger vertreibe. Hierzu teilte der Kläger mit, die Zusammensetzung der Tees sei nach Angaben des in der Türkei ansässigen Herstellers seit dem Jahre 2012 gleich geblieben und lägen der Bezirksregierung L. daher vor. Auf die Mitteilung der Bezirksregierung L. , dass sie über keine Mengenangaben verfüge, reichte der Kläger entsprechende Listen für die Tees Aprikose, Erdbeere, Petersilie/Zitrone, Maistroddeln/Maisseide, Kirschstängel und gemischter Kräutertee ein. Diese weisen die Zutat Sennesblätter jeweils als Hauptzutat aus; der prozentuale Anteil schwankt je nach Teesorte zwischen 30 % und 49,5 %.
12Mit Schreiben vom 28. Mai 2015 hörte die Bezirksregierung L. den Kläger zu der beabsichtigten Untersagung des Inverkehrbringens aller sechs Teesorten an. Zur Begründung führte sie aus, nach der Standardzulassung liege die empfohlene Tagesdosis bei 0,75 g Sennesblättern. Da die Tees zwischen 0,6 g und 0,99 g Sennesblätter je Teebeutel enthielten, sei beim vorhersehbaren Verzehr von einer pharmakologischen Wirkung auszugehen. Zudem seien Sennesblätter apothekenpflichtig. In einem nachfolgenden Telefonat teilte die Ehefrau des Klägers mit, dass sie die zwei Teesorten ‑ Maistroddeln und Kirschstängel ‑ mit einem Anteil von über 0,75 g nicht weiter vertreiben würden und bat um Mitteilung, ob die übrigen vier Teesorten weiterhin verkauft werden dürften. Mit Schreiben vom 4. Juni 2015 gab sie ergänzend an, mit dem Produzenten in der Türkei zu besprechen, dass der Anteil an Sennesblättern in den Sorten Maistroddeln und Kirschstängel angepasst werde.
13Unter dem 3. Juni 2015 bat die Bezirksregierung L. das Bundesinstitut für Arzneimittel und N. um Informationen, ab welchem Anteil Sennesblätter eine pharmakologische Wirkung erzielen würden und ab welchem Anteil diese apothekenpflichtig seien. Mit Mail vom 23. Juni 2015 teilte das BfArM mit, Sennesblätter seien unabhängig von ihrer Dosierung apothekenpflichtig, und wies darauf hin, dass nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts L. vom 28. April 2015 ‑ 7 K 395/13 ‑ eine pharmakologische Wirkung ab einer Schwelle von 80% unterhalb der Grenze zur therapeutischen Wirksamkeit einsetze.
14Mit Bescheid vom 16. Juli 2015 untersagte die Bezirksregierung L. dem Kläger gestützt auf § 69 Abs. 1 Satz 1 (und 2) Nr. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 AMG das Inverkehrbringen der Tees E. G. in den Sorten Aprikose, Erdbeere, Petersilie/Zitrone, Maistroddeln/Maisseide, Kirschstängel und gemischter Kräutertee und drohte ihm für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,- EUR pro Zuwiderhandlung an.
15Zur Begründung führte sie aus, bei den Tees handele es sich um Funktionsarzneimittel. Sennesblätter gehörten zu den am häufigsten gebrauchten pflanzlichen Abführmitteln zur kurzfristigen Anwendung bei Obstipation. Eine Ernährungs- oder Genussfunktion sei hingegen nicht belegt, eine Verwendung in Lebensmitteln nicht bekannt. Nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse beeinflusse der in den Tees vorhandene Gehalt an Sennesblättern die Körperfunktionen mittels pharmakologischer Wirkung. Senna gelte gemäß der Anlage 1b zu § 7 Abs. 1 Nr. 2 und § 8 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel unabhängig von der Dosierung als apothekenpflichtig und sei daher vom Verkehr außerhalb der Apotheke ausgeschlossen. Die nach Standardzulassung empfohlene Tagesdosis zur Erzielung der erwünschten abführenden Wirkung betrage 0,75 mg Sennesblätter. Gemäß der Aufbereitungsmonographie der Kommission E des Bundesgesundheitsamts „Senna“ betrage die empfohlene mittlere Tagesdosis 20-60 mg Sennoside. Ein typischer sennesblätter-haltiger Abführtee enthalte als arzneilich wirksamen Bestandteil 500-600 mg Sennesblätter pro Filterbeutel und sei auf einen Hydroxyanthracenderivat-Gehalt von 15 mg pro Filterbeutel eingestellt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts L. sei eine pharmakologische Wirkung eines Produkts belegt, wenn dieses unterhalb der therapeutischen Wirksamkeitsschwelle dosiert werde. Denn die pharmakologische Wirkung setze nicht abrupt erst mit Beginn der therapeutischen Wirksamkeit ein. In der Regel steige die Wirkung eines Arzneimittels mit zunehmender Dosis an. Ausgehend von einer Schwelle von 80% von 0,75 g Sennesblättern werde auch einer Dosis von 0,6 g pharmakologische Wirkung zugesprochen. Dies betreffe alle Tees, da diese einen Anteil von 0,6 bis 0,99 g Sennesblätter enthielten. Dass die Tees nennenswerte pharmakologische Wirkungen besäßen, werde letztlich auch durch den von dem Kläger aufgebrachten Warnhinweis auf der Verpackung bejaht, der andernfalls überflüssig wäre.
16Der Kläger sei als verantwortlicher Inverkehrbringer im Sinne des § 4 Abs. 17 AMG auch der richtige Adressat der Untersagungsverfügung. Diese entspreche dem Grundsatz pflichtgemäßen Ermessens. Der Vorrang arzneimittelrechtlicher Vorschriften (Zweifelsfallregelung) und die grundsätzlich von ohne die erforderliche Zulassung in den Verkehr gebrachten Arzneimitteln ausgehende Gefahr seien bei der Ermessensausübung berücksichtigt worden. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig. Insbesondere werde der Kläger nicht über Gebühr beeinträchtigt, da er lediglich Arzneimittel ohne Zulassung nicht mehr in den Verkehr bringen dürfe.
17Der Kläger hat am 7. August 2015 Klage erhoben. Zur Begründung hat er geltend gemacht, der Anteil an Sennesblättern im Tee lasse keinen Schluss auf eine Arzneimitteleigenschaft zu, da diese nicht verzehrt würden. Maßgeblich sei allein die Konzentration von Sennosiden im fertigen Teeprodukt (Aufguss). Eine physiologische Funktion durch eine pharmakologische oder metabolische Wirkung habe der Tee nicht. Aus dem Warnhinweis auf der Verpackung folge nichts anderes. Dieser sei ausschließlich auf Veranlassung der Bezirksregierung L. aufgebracht worden, ohne dass zuvor abschließende Untersuchungen erfolgt seien. Die Bezirksregierung sei daher gehalten gewesen, Gutachten zur Sennosid-Konzentration im Teeaufguss einzuholen. Die Eigenschaft als Lebensmittel im Sinne von § 1 LMBG folge im Übrigen bereits daraus, dass die Tees als Genussmittel in den Verkehr gebracht würden. Denn entscheidend für die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel oder als Lebensmittel sei seine an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher darstelle. Die Eigenschaft als Genussmittel werde hier dadurch belegt, dass sechs verschiedene Geschmacksrichtungen angeboten würden und die Tees vielzählige weitere Bestandteile wie Wacholder und Hagebutte enthielten. Für vier Tee-Sorten seien keine Gutachten eingeholt worden. Aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzung der Tees seien Rückschlüsse von den untersuchten Tees auf die anderen Sorten nicht zulässig. Das Urteil des Verwaltungsgerichts L. vom 28. April 2015 ‑ 7 K 395/13 ‑ sei nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Zum einen liege hier der ermittelte Wert nicht nur knapp unterhalb der empfohlenen Menge, zum anderen folge schon aus der genannten Entscheidung, dass eine Teezubereitung mit dem Einsatz von Extrakten nicht vergleichbar sei.
18Der Kläger hat beantragt,
19die Ordnungsverfügung der Bezirksregierung L. vom 16. Juli 2015 aufzuheben.
20Das beklagte Land hat beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Zur Begründung hat die Bezirksregierung L. über die Ausführungen im Bescheid hinaus vorgetragen, an der damaligen Einschätzung, es bestünden aus arzneimittelrechtlicher Sicht keine Bedenken gegen das Inverkehrbringen der Tees, sofern diese mit einem Warnhinweis zu Gegenanzeigen bei bestimmten Darmerkrankungen und zur Anwendung bei Kindern gekennzeichnet seien, werde aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts L. vom 28. April 2015 ‑ 7 K 395/13 ‑ nicht festgehalten. Diese Kennzeichnung mache aus einem Arzneimittel kein Lebensmittel. Da der Kläger der Kennzeichnung zugestimmt habe, gehe offenbar auch er von einem gewissen gesundheitlichen Risiko aus und spreche dem Präparat damit indirekt eine pharmakologische Wirksamkeit zu. Es werde davon ausgegangen, dass die Gutachten des I. Landeslabors noch aktuell seien, weil der Kläger mitgeteilt habe, dass die Zusammensetzung der Tees seit 2012 unverändert sei. In den Gutachten sei auch der Sennosidgehalt im fertigen Tee aufgeführt. Auf diesen stütze sich der Bescheid. Es bestehe kein Zweifel daran, dass der Sennosidgehalt im fertigen Tee geringer sei als in der unzubereiteten Droge. Nach der Monographie der Kommission E betrage die empfohlene mittlere Tagesdosis 20-60 mg Sennoside. Der nach den Gutachten ermittelte Gehalt an Sennosiden im Aufguss liege zwar unter der Tagesdosis der Monographie. Bei einem als Lebensmittel deklarierten, für den Verbraucher harmlos erscheinenden Produkt sei jedoch nicht auszuschließen, dass die empfohlene Tagesmenge überschritten werde. Die pharmakologische Wirksamkeit setze zudem nicht abrupt erst mit Beginn der therapeutischen Wirksamkeit ein. Außerdem sei nicht auszuschließen, dass die Tees von Kindern unter 10 Jahren verzehrt würden. Bei einem langfristigen Verzehr sei mit einem erhöhten Kaliumverlust zu rechnen, der zur Verstärkung einer Darmträgheit führen könne. Dieser Effekt werde bei Einnahme bestimmter Medikamente, z. B. Diuretika, die von einer nicht unerheblichen Anzahl der Verbraucher eingenommen würden, noch verstärkt. Der Kaliummangel könne sich in Schwindel, Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Übelkeit manifestieren, möglich seien auch Muskelkrämpfe, Lähmungserscheinungen und Kreislaufprobleme. Ein ausgeprägter Kaliummangel könne in Herzrhythmusstörungen münden. Nach der Monographie der Kommission E sei aufgrund fehlender toxikologischer Untersuchungen ein Verzehr durch Schwangere und Stillende zu unterlassen. Aus diesen Gründen und zum Schutz der Verbraucher sei eine Abgabe über Apotheken dringend erforderlich, um eine Beratung hinsichtlich der Nebenwirkungen, Kontraindikationen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sicherzustellen. In der Stoffliste des Bundes und der Länder würden Sennesblätter als Arzneistoff geführt und aufgrund bekannter Risiken nicht für eine Verwendung in Lebensmitteln empfohlen. Die Tees würden in türkischen Supermärkten gemeinhin als Schlankheitstees angepriesen; der Verbraucher sehe sie daher als Produkte an, die einen unerwünschten körperlichen Zustand bekämpften. Dass die Tees in verschiedenen Geschmacksrichtungen angeboten würden, rechtfertige nicht ihre Einordnung als Genussmittel. Gerade im Bereich der Abführmittel treffe dies auch auf Arzneimittel zu.
23Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die streitgegenständlichen Teemischungen seien Funktionsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 lit a) AMG. Denn die ‑ in unterschiedlichen Anteilen zwischen 30 % und 49,5 % - enthaltenen Blätter der Senna-Pflanze seien gemeinhin ein Stoff, der im menschlichen Körper angewendet werde, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen. Sennesblätter zählten zu den am häufigsten gebrauchten pflanzlichen Abführmitteln. Dies finde seinen Ausdruck in der Standardzulassung 7399.99.99 des BfArM, die Teezubereitungen aus Sennesblättern diesem Anwendungsgebiet zuweise. Die Prüfung u. a. der Wirksamkeit sei bei einer Standardzulassung antizipiert. Dies schließe als notwendige Voraussetzung die Arzneimitteleigenschaft des Stoffs ein. Die Standardzulassung fuße ihrerseits auf der Monographie der Kommission E vom 21. Juli 1993, die Sennesblättern, bestehend aus den getrockneten Fiederblättchen von Cassia senna LINNÉ, das Anwendungsgebiet „Obstipation“ zuweise. Zu den pharmakologischen Eigenschaften verweise die Monographie auf laxierende Effekte der Sennoside bzw. deren aktiver Metaboliten im Dickdarm, vorwiegend aufgrund einer Beeinflussung der Colonmotilität im Sinne einer Hemmung der stationären und einer Stimulierung der propulsiven Kontraktionen. Unterstrichen werde die pharmazeutische Verwendung des Stoffs durch seine Apothekenpflicht gemäß Anlage 1b zu § 7 Abs. 1 Nr. 2 und § 8 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel. Dem stünden nicht ansatzweise Anhaltspunkte für eine Verwendung von Senna als Lebens- und Genussmittel gegenüber. Daher sei eine Prüfung, ob die Wirkungen der streitigen Produkte nicht über diejenigen hinausgingen, die ein in angemessener Menge verzehrtes Lebensmittel aufweise, nicht möglich.
24Die Annahme einer pharmakologischen Wirkung der Tees werde auch nicht dadurch relativiert, dass ausweislich der Ergebnisse des I. Landeslabors die Tees Sennosid-Gehalte im Aufguss zwischen 8,5 mg und 12,5 mg aufwiesen und damit unter der Tagesdosis der Monographie der Kommission E von 20-30 mg lägen. Zum einen schwankten die in den wissenschaftlichen Quellen genannten Dosen und lägen teils unter denen der Monographie von 1993. So beschrieben die neueren europäischen HMPC- und ESCOP-Monographien Dosierungen zwischen 15 bis 30 mg Hydroxyanthracenderivate (berechnet als Sennosid B), die WHO-Monographie gar nur 10-30 mg. Auch könne die Dosierung durch den Anwender problemlos erhöht werden. Gerade die Darreichung mittels Teebeutel lade hierzu ein. Zum anderen sei ein Beleg therapeutischer Wirksamkeit keine Voraussetzung für die Einstufung als Funktionsarzneimittel. Fehle der Nachweis therapeutischer Wirksamkeit unterhalb einer bestimmten Dosisschwelle, sei die Annahme eines Funktionsarzneimittels keineswegs ausgeschlossen. Werde ein Stoff mit nachgewiesenen arzneimitteltypischen Funktionen knapp unterhalb der therapeutischen Wirksamkeitsschwelle dosiert, spreche eine Vermutung dafür, dass auch dieses Erzeugnis eine pharmakologische Wirkung aufweise. Denn diese setze nicht abrupt erst mit Beginn der therapeutischen Wirksamkeit ein, sondern sei schon unterhalb dieser Schwelle vorhanden. In der Regel steige die Wirkung eines Arzneimittels mit zunehmender Dosis an, wobei erst an einem bestimmten Punkt die Schwelle zum therapeutischen Erfolg überschritten sei (Dosis-Wirkungs-Beziehung). Dass das Produkt bereits pharmakologische Wirkungen mit einem nennenswerten Einfluss auf die physiologischen Funktionen besäße, gestehe der Kläger letztlich selbst zu, indem er eine Notwendigkeit für den aufgenommenen Warnhinweis bejaht und die Tagesdosis zu beschränken gesucht habe. Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, dass die Hinweise letztlich auf die Intervention der Bezirksregierung zurückgegangen seien. Dies habe auf der Annahme einer Gleichsetzung von Wirksamkeit und pharmakologischer Wirkung beruht, die rechtlich so nicht zutreffe. Wer daher Mittel mit arzneimitteltypischer Funktion auf den Markt bringe und dabei die Dosierung geringfügig unter die einer belegten therapeutischen Wirkung setze, müsse den Anschein pharmakologischer Wirkung entkräften, wenn er sein Produkt ohne Zulassung vertreiben wolle. Die Arzneimittelüberwachungsbehörde sei in einem derartigen Fall nicht gehalten, Daten über die pharmakologische Wirkung in beliebigen Bereichen unterhalb der Wirksamkeitsschwelle zu generieren. Diese stünden naturgemäß nicht zur Verfügung. Daten über ein Produkt zu liefern, sei in erster Linie Sache des Inverkehrbringers. Der Einordnung als Funktionsarzneimittel stehe nicht entgegen, dass der Kläger dem Produkt keine therapeutische, sondern nur Genussfunktion beimesse. Als Arzneimittel schieden nur solche Produkte aus, die sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränkten, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit zuträglich zu sein, wie etwa Drogen.
25Der Bezirksregierung L. habe kein Ermessen zugestanden, von einem Eingreifen abzusehen, da das unerlaubte Inverkehrbringen von Arzneimitteln nach § 96 Nr. 5 AMG ein Straftatbestand sei. Der Kläger sei als Großhändler, der die Tees im Sinne des § 4 Abs. 17 AMG in Verkehr bringe, auch richtiger Adressat der Ordnungsverfügung.
26Gegen dieses Urteil hat der Kläger fristgerecht die Zulassung der Berufung beantragt. Mit Beschluss vom 19. Februar 2019 hat der vormals zuständige 13. Senat die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen.
27Zur Begründung der Berufung macht der Kläger geltend, die Bezirksregierung L. gehe unter Zugrundelegung der in den Zutatenlisten des Herstellers aufgeführten prozentualen Anteile der einzelnen Zutaten am Gesamtprodukt von der Menge an Sennesblättern im Teebeutel aus. Maßgeblich sei jedoch die Konzentration an Sennosiden im fertigen Teeaufguss. Diese liege nach den Gutachten des I. Landeslabors jedoch unter den von wissenschaftlichen Quellen genannten Werten von 20-30 mg oder 15-30 mg. Dies treffe auch auf die zwischenzeitlich vom Chemischen- und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Rhein-Ruhr-Wupper (RRW) untersuchten Tees der Sorten gemischter Kräutertee und Petersilie/Zitrone zu, deren Lieferant er sei. Bei dem ferner untersuchten Tee Maishaar handele es sich um einen völlig anderen Tee, der von ihm nicht vertrieben werde. Werde die therapeutische Wirksamkeitsschwelle nicht erreicht, könne nicht von einer pharmakologischen Wirkung ausgegangen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setze die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel voraus, dass die ihm zugeschriebenen Wirkungen durch belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse belegt seien. Hierfür trage die Bezirksregierung die Darlegungs- und Beweislast, da sie sich auf eine Norm der Eingriffsverwaltung stütze. Belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse habe diese jedoch nicht benannt. Für die Einstufung als Arzneimittel sei unerheblich, dass der Anwender die Dosis problemlos erhöhen könne. Eine möglicherweise uferlose Anwendung durch den Verbraucher könne nicht Maßstab für den Eingriff in die Berufsfreiheit sein, zumal eine damit einhergehende Gefährdung auf viele Lebensmittel zutreffe. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, er gestehe mit dem Aufdruck eines Warnhinweises selbst zu, dass die Tees pharmakologische Wirkungen hätten, übersehe, dass auch auf anderen Lebensmitteln, etwa Energydrinks oder solchen mit einer Phenylalaninquelle, Warnhinweise aufgebracht seien. Außerdem sei maßgeblich die konkrete Zusammensetzung der Tees, die aus wesentlich mehr Stoffen als aus Sennesblättern bestünden. Dass die Teemischungen neben anderem zwischen 30 und 49,5 % Sennesblätter enthielten, mache deutlich, dass die Aufnahme von Sennosiden aus den Sennesblättern ebenso unspezifisch sei wie dies bei Lebensmitteln der Fall sei. Es gehe nicht um eine Steuerungsfunktion von außen. Die Bezirksregierung habe schließlich das ihr durch § 69 Abs. 1 AMG eröffnete Entschließungsermessen nicht erkannt. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Behörde komme angesichts der Strafbarkeit des Inverkehrbringens nicht zugelassener Arzneimittel nach § 96 Nr. 5 AMG ein Ermessen, von einem Eingreifen abzusehen, grundsätzlich nicht zu, verstoße gegen die Gewaltenteilung. Die Untersagung des Inverkehrbringens sei unverhältnismäßig. Ein ggf. auch weiter konkretisierter Warnhinweis sei ausreichend und genüge auch bei anderen Lebensmitteln, insbesondere Energydrinks. Die Untersagung des Vertriebs eines gesamten Teesortiments komme zudem einer Berufswahlregelung nahe. Die Zwangsgeldandrohung sei unbestimmt. Ein Zwangsgeld sei für den Fall der Zuwiderhandlung angedroht worden. Es sei jedoch nicht konkretisiert worden, wann ein einzelner Fall eines solchen Verstoßes vorliegen solle.
28In der Berufungsverhandlung haben die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, soweit die Ordnungsverfügung sich bezieht auf die Teesorten Kirschstängel, Erdbeere, Maistroddeln, Aprikose und Petersilie/Zitrone.
29Der Kläger beantragt,
30das angefochtene Urteil zu ändern und die Verfügung der Bezirksregierung L. vom 16. Juli 2015 aufzuheben, soweit Gegenstand der Tee der Sorte „Gemischter Kräutertee“ ist.
31Das beklagte Land beantragt,
32die Berufung zurückzuweisen.
33Die Bezirksregierung L. macht geltend, sie habe nicht vom Gewicht der Sennesblätter auf den Sennosidgehalt geschlossen, sondern den Sennosidgehalt im Teeaufguss entsprechend den Prüfberichten des I. Landeslabors zugrunde gelegt. Für die Wirkung relevant seien nicht die einzelnen Sennoside A bis F, sondern das Gemisch aus verschiedenen Hydroxyanthracenderivaten. Die Sennoside A und B besäßen in der Regel den höchsten Anteil an den Gesamthydroxyanthracenglykosiden. Unter Einbeziehung aller Sennoside dürfte der Anteil an wirksamen Bestandteilen im Tee höher sein als der vom I. Landeslabor gemessene. Die Wirkstoffbestimmung durch das I1. Landeslabor nach der HPLC-Methode entspreche der aktuellen Monographie des Europäischen Arzneibuchs, in der der Gehalt an Gesamthydroxyanthracenglykosiden im Vergleich zur vorhergehenden Ausgabe, bei der die Gehaltsbestimmung photometrisch erfolgt sei, von mindestens 2,5 % auf mindestens 2,0 % in der getrockneten Droge gesenkt worden sei. Die bekannten Dosierangaben bezögen sich allerdings auf den Gehalt an Hydroxyanthracenglykosiden in der eingesetzten Drogenmenge (Teebeutel), nicht aber auf den Gehalt im zubereiteten Tee. Außerdem gehe es zulasten des Klägers, dass er den Sennosidgehalt in den von ihm vertriebenen Teemischungen nicht verlässlich angeben könne.
34Die Beteiligten haben im Verlauf des zweitinstanzlichen Verfahrens diverse Untersuchungsberichte zu den Tees eingereicht.
35Ein an den Landrat des Kreises V. gerichteter Prüfbericht des CVUA RRW vom 18. Juli 2019 (Prüfbericht Nr. 2019-8320208) betrifft den Tee gemischter Kräutertee (MHD 21. Juni 2020). Die Quantifizierung der Sennoside erfolgte mittels hochauflösender Massenspektrometrie (LC-Orbitrap-MS) und ergab für Sennosid B einen Wert von 1,58 (+/- 0,24) mg und für Sennosid A von 1,28 (+/- 0,19) mg je Gramm Teemischung. Ein Teebeutel von 2 g Gewicht enthält dem Bericht nach daher 5,72 mg Sennoside (Addition der Einzelwerte x 2). Ferner weist der Bericht darauf hin, dass eine eindeutige Zuordnung weiterer Peaks im Chromatogramm zu weiteren Sennosiden und anderen Anthrachinonderivaten ohne geeignete Referenzsubstanzen nicht möglich sei und daher in der vorliegenden Probe von einem höheren Hydroxyanthracenderivat-Gehalt auszugehen sei.
36Der an die Stadt L. gerichtete, in gleicher Weise erstellte Prüfbericht des CVUA RRW vom 8. Juni 2022 (Nr. 2022-7200167) betrifft den Tee gemischter Kräutertee (MHD 25. Oktober 2024) und weist für den Teebeutel einen Gesamtwert von 2,6 mg Sennosiden aus.
37Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Bezirksregierung L. Bezug genommen.
38Entscheidungsgründe:
39Das Verfahren wird in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben. Die teilweise Wirkungslosigkeit des erstinstanzlichen Urteils ergibt sich aus § 173 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO.
40Im noch anhängigen Umfang hat die Berufung des Klägers Erfolg. Die Klage ist insoweit zulässig und begründet.
41Die Ordnungsverfügung der Bezirksregierung L. vom 16. Juli 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit dem Kläger unter entsprechender Zwangsgeldandrohung das Inverkehrbringen des Tees E. G. gemischter Kräutertee untersagt worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
42Rechtsgrundlage der angefochtenen Ordnungsverfügung ist § 69 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 AMG. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Denn die Untersagungsverfügung stellt ihrem Inhalt nach einen Dauerverwaltungsakt dar, da sie sich nicht in dem Verlangen eines einmaligen Tuns oder Unterlassens erschöpft. Bei der Beurteilung derartiger Dauerverwaltungsakte haben die Gerichte die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen, wenn ‑ wie hier ‑ das materielle Recht nichts Abweichendes bestimmt.
43Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. September 2013 ‑ 3 C 15.12 ‑, juris Rn. 9, und vom 22. Januar 1998 ‑ 3 C 6.97 -, juris Rn. 18; OVG NRW, Beschluss vom 25. September 2013 ‑ 13 A 523/11 ‑, juris Rn. 24; Nds. OVG, Urteil vom 23. März 2006 ‑ 11 LC 180/05 ‑, juris Rn. 43; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 8. Dezember 2010 ‑ 9 S 783/10 -, juris Rn. 17; Hess. VGH, Beschluss vom 14. Februar 1996 ‑ 11 TG 1144/95 ‑, juris Rn. 2.
44Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 AMG treffen die zuständigen Behörden die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Sie können insbesondere das Inverkehrbringen von Arzneimitteln untersagen, wenn die erforderliche Zulassung oder Registrierung für das Arzneimittel nicht vorliegt. Die Voraussetzungen für eine Verbotsverfügung auf dieser Grundlage liegen jedoch nicht vor.
45Bei dem Tee E. G. gemischter Kräutertee handelt es sich nicht ‑ was vorliegend allein im Streit steht ‑ um ein sog. Funktionsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG und Art. 1 Nr. 2 Buchst b) der Richtlinie 2001/83/EG.
46I. Zu den Funktionsarzneimitteln nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG und Art. 1 Nr. 2 Buchst. b) der Richtlinie 2001/83/EG zählen alle Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.
471. Notwendige Voraussetzung für die Annahme eines Funktionsarzneimittels ist, dass das Erzeugnis die physiologischen Funktionen bei bestimmungsgemäßem Gebrauch (a.) durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung (b.) nachweisbar (c.) und in nennenswerter Weise (d.) positiv beeinflussen kann.
48Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. November 2019 ‑ 3 C 19.18 -, juris Rn. 15.
49a. Ausgangspunkt für die Beurteilung der physiologischen Auswirkungen eines Stoffes ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH der bestimmungsgemäße Gebrauch des Erzeugnisses. Es ist daher ohne Belang, dass das Erzeugnis in einer höheren als der auf dem Beipackzettel oder in der Verzehrempfehlung auf der Verpackung angegebenen Dosierung eine nennenswerte physiologische Wirkung haben kann. Unerheblich ist auch, ob Verbraucher dazu neigen könnten, Erzeugnisse in höheren Dosierungen zu konsumieren als vom Hersteller angegeben, und ob mit einer Überdosierung Gesundheitsgefahren einhergehen. Denn fast alle Erzeugnisse sind potentiell gesundheitsschädlich, wenn sie im Übermaß aufgenommen werden.
50Vgl. EuGH, Urteile vom 30. April 2009 ‑ C-27/08 (BIOS Naturprodukte) -, Rn. 22, vom 15. Januar 2009 ‑ C-140/07 (Hecht-Pharma) ‑, Rn. 42, und vom 29. April 2004 ‑ C-150/00 (Kommission ./. Österreich) -, Rn. 75; vgl. auch BVerwG, Urteile vom 26. Mai 2009 ‑ 3 C 5.09 juris Rn. 15, und vom 1. März 2012 ‑ 3 C 15.11 ‑, juris Rn. 12.
51b. Das Erzeugnis muss eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung haben.
52Die Begriffe der ‑ hier nur in Betracht kommenden ‑ pharmakologischen (aa.) oder metabolischen (bb.) Wirkung sind weder im Arzneimittelgesetz noch in der Richtlinie 2001/83/EG definiert.
53aa. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Produkt pharmakologisch wirkt, kann nach der Rechtsprechung des EuGH insoweit als zweckdienlicher Anhaltspunkt auf die von der Europäischen Kommission herausgegebenen Leitlinien ‑ und damit insbesondere die sog. „Borderline-Leitlinie“ (European Union, Medical Devices: Guidance Document, MEDDEV 2.1/3 rev 3, dort Ziffer A.2.1.1, S. 6),
54abrufbar unter: https://ec.europa.eu/docsroom/documents/10328/attachments/1/translations ‑,
55zurückgegriffen werden.
56Vgl. EuGH, Urteil vom 6. September 2012 ‑ C-308/11 (Chemische Fabrik Kreussler) ‑, Rn. 25 f.; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 20. Mai 2021 ‑ 3 C 19.19 ‑, juris Rn. 11.
57Danach ist unter einer pharmakologischen Wirkung eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen des betreffenden Stoffes und einem ‑ gewöhnlich als Rezeptor bezeichneten ‑ Zellbestandteil zu verstehen, die entweder zu einer direkten Reaktion führt oder die Reaktion auf einen anderen Agenten blockiert. Eine Dosis-Wirkungs-Korrelation ist dabei ein ‑ wenn auch nicht zwingender ‑ Indikator für eine pharmakologische Wirkungsweise.
58Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 28. Oktober 2021 ‑ 13 A 1376/17 ‑, juris Rn. 76.
59Diese Definition ist jedoch nicht abschließend. Nach der vorgenannten Rechtsprechung des EuGH genügt darüber hinaus jede Wechselwirkung zwischen der in einem Erzeugnis enthaltenen Substanz und einem beliebigen im Körper des Anwenders vorhandenen zellulären Bestandteil, sofern diese bewirkt, dass physiologische Funktionen beim Menschen wiederhergestellt, korrigiert oder beeinflusst werden.
60Vgl. EuGH, Urteil vom 6. September 2012 ‑ C-308/11 (Chemische Fabrik Kreussler) ‑, Rn. 31 f. und Tenorziffer 2.
61bb. Auch hinsichtlich der Bestimmung des Begriffs der metabolischen Wirkung lassen sich der vorgenannten Borderline-Leitlinie (dort Ziffer A.2.1.1, S. 6) Anhaltspunkte entnehmen.
62Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Oktober 2021 ‑ 13 A 2432/18 -, juris Rn. 65 ff. m. w. N.
63Danach wird unter einer metabolischen Wirkung eine Wirkungsweise verstanden, die eine Veränderung einschließlich des Stoppens, des Starts oder der Änderung der Geschwindigkeit der normalen biochemischen Prozesse beinhaltet, die an der normalen Körperfunktion beteiligt sind und dafür zur Verfügung stehen. Die Tatsache, dass ein Erzeugnis selbst verstoffwechselt wird, bedeutet nicht, dass es seine bestimmungsgemäße Hauptwirkung auf metabolische Weise erreicht.
64c. Der Begriff des Funktionsarzneimittels erfasst ‑ anders als der des Präsentationsarzneimittels ‑ nur diejenigen Erzeugnisse, deren pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung ‑ in der angegebenen Dosierung ‑ wissenschaftlich festgestellt wurden und die tatsächlich dazu bestimmt bzw. geeignet sind, eine ärztliche Diagnose zu erstellen oder die physiologischen Funktionen wiederherzustellen, zu korrigieren oder in einer positiven Weise zu beeinflussen.
65Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Juli 2014 ‑ C-358/13 und C-181/14 (Markus D. u. a.) ‑, Rn. 36, 38 (zur positiven Wirkung), vom 6. September 2012 ‑ C-308/11 (Chemische Fabrik Kreussler) ‑, Rn. 30, und vom 15. Januar 2009 ‑ C-140/07 (Hecht-Pharma) -, Rn. 25 f.; BVerwG, Urteil vom 7. November 2019 ‑ 3 C 19.18 -, juris Rn. 17.
66Ist der Nachweis der Arzneimitteleigenschaft im Sinne des Art. 1 Nr. 2 Buchst. b) der Richtlinie 2001/83/EG für ein Erzeugnis nicht geführt, so ist die Richtlinie auf dieses Produkt nicht anwendbar. Aus der sog. Zweifelsfallregelung in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG folgt nichts anderes. Diese ist nicht dahin zu verstehen, dass ein Produkt, bei dem es an den entsprechenden Feststellungen fehlt, im Zweifelsfall ein Arzneimittel ist. Vielmehr beruht diese Regelung auf dem Postulat, dass das Produkt die Voraussetzungen eines Arzneimittels erfüllt und dient gerade nicht der Überwindung von Zweifeln an der Arzneimitteleigenschaft.
67Vgl. EuGH, Urteil vom 15. Januar 2009 ‑ C-140/07 (Hecht-Pharma) ‑, Rn. 24 ff.; BVerwG, Urteil vom 7. November 2019 ‑ 3 C 19.18 ‑, juris Rn. 14.
68Darüber hinaus kann ein Erzeugnis nicht gleichzeitig Arzneimittel und Lebensmittel sein. Denn nach Art. 2 Abs. 3 Buchst. d) der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 (BasisVO) gehören Arzneimittel im Sinne der Richtlinien 65/65/EWG und 92/73/EWG ‑ jetzt der Richtlinie 2001/83/EG ‑ nicht zu den Lebensmitteln.
69Vgl. auch BVerwG, Urteile vom 17. September 2021 ‑ 3 C 20.20 ‑, juris Rn. 28, und vom 1. März 2012 ‑ 3 C 15.11 ‑, juris Rn. 12.
70Der Nachweis einer therapeutischen Wirksamkeit des Erzeugnisses ist für die Annahme eines Funktionsarzneimittels hingegen nicht erforderlich. Denn die Arzneimitteldefinition setzt nicht voraus, dass die Erzeugnisse eindeutig bestimmbare therapeutische und prophylaktische Eigenschaften aufweisen, deren Wirkung sich auf bestimmte Funktionen des menschlichen Organismus konzentriert, bzw. dass sie zur Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder eines Leidens angewandt werden können.
71Vgl. EuGH, Urteile vom 15. Dezember 2016 ‑ C-700/15 (LEK) -, Rn. 35, und vom 10. Juli 2014 ‑ C-358/13 und C-181/14 (Markus D. u. a.) ‑, Rn. 36.
72Der Begriff der therapeutischen Wirksamkeit stammt vielmehr aus den Regelungen über die Zulassung eines Arzneimittels. Er ist auf die klinische Prüfung der vom Arzneimittelhersteller beanspruchten Indikation bezogen und passt nicht für die vorgelagerte Fragestellung, ob einem Erzeugnis überhaupt die Eignung zukommt, die physiologischen Funktionen positiv zu beeinflussen. Daher bezieht sich auch der vom EuGH geforderte wissenschaftliche Nachweis nicht auf eine therapeutische Wirkung, sondern nur auf die Frage, ob der Stoff geeignet ist, dem Funktionieren des menschlichen Organismus und folglich der menschlichen Gesundheit zuträglich zu sein.
73Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. November 2019 ‑ 3 C 19.18 ‑, juris Rn. 18.
74Die therapeutische Wirksamkeit berechtigt jedoch im Wege eines Erst-Recht-Schlusses zur Annahme einer physiologischen Wirkung.
75Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Mai 2009 ‑ 3 C 5.09 ‑, juris Rn. 16, und vom 25. Juli 2007 ‑ 3 C 21.06 ‑, juris Rn. 26.
76d. Nicht alle Erzeugnisse, die eine physiologisch wirksame Substanz enthalten, können als Funktionsarzneimittel eingestuft werden. Das Kriterium der Eignung, physiologische Funktionen wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen, setzt voraus, dass die entsprechenden Auswirkungen des Erzeugnisses bei normalem Gebrauch nennenswert sind. Werden die Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers nicht wirklich beeinflusst, liegt kein Funktionsarzneimittel vor.
77Vgl. EuGH, Urteile vom 30. April 2009 ‑ C-27/08 (BIOS Naturprodukte) ‑, Rn. 21, 23, und vom 15. Januar 2009 ‑ C-140/07 (Hecht-Pharma) ‑, Rn. 41 f.
78Da die physiologische Wirkung nicht für Arzneimittel spezifisch ist, sondern auch auf Lebensmittel (Nahrungsergänzungsmittel) zutrifft, scheidet zudem die Annahme eines Funktionsarzneimittels aus, wenn die nennenswerten Auswirkungen des Erzeugnisses auf die physiologischen Funktionen nicht über die Wirkungen hinausgehen, die ein in angemessener Menge verzehrtes Lebensmittel auf diese Funktionen haben kann.
79Vgl. EuGH, Urteil vom 15. November 2007 ‑ C-319/05 (Kommission ./. BRD) ‑, Rn. 63 ff.; BVerwG, Urteil vom 7. November 2019 ‑ 3 C 19.18 ‑, juris Rn. 20.
802. Die Einstufung eines Erzeugnisses als Arzneimittel erfordert bei Vorliegen der vorstehend genannten Voraussetzungen eine Gesamtbetrachtung. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter die Definition des Arzneimittels nach der Funktion fällt, von Fall zu Fall zu treffen. Dabei sind alle Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften ‑ wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen ‑, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann.
81Vgl. EuGH, Urteile vom 3. Oktober 2013 ‑ C-109/12 (Laboratoires Lyocentre) ‑, Rn. 42, vom 6. September 2012 ‑ C-308/11 (Chemische Fabrik Kreussler) ‑, Rn. 34, vom 30. April 2009 ‑ C-27/08 (BIOS Naturprodukte) ‑, Rn. 18, und vom 15. Januar 2009 ‑ C-140/07 (Hecht-Pharma) -, Rn. 39.
82Im Rahmen dieser Einzelfallprüfung sind die pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften eines Erzeugnisses der Faktor, auf dessen Grundlage ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses zu beurteilen ist, ob es im Sinne der Definition des Funktionsarzneimittels im oder am menschlichen Körper zur Wiederherstellung, Korrektur oder Beeinflussung der physiologischen Funktionen angewandt werden kann.
83Vgl. EuGH, Urteile vom 3. Oktober 2013 ‑ C-109/12 (Laboratoires Lyocentre) ‑, Rn. 43, und vom 30. April 2009 ‑ C-27/08 (BIOS Naturprodukte) ‑, Rn. 20.
84Die weiteren Merkmale des Erzeugnisses haben keine für ein Arzneimittel nach der Funktion konstitutive Wirkung. Der fehlende Nachweis einer nennenswerten Beeinflussung der physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung kann durch die anderen Kriterien daher nicht ersetzt werden. Diese sind vielmehr als Korrektiv heranzuziehen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Funktionsarzneimittels vorliegen.
85Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2009 ‑ 3 C 5.09 ‑, juris Rn. 18, unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 30. April 2009 ‑ C-27/08 (BIOS Naturprodukte) ‑, Rn. 24 (zu Gesundheitsgefahren).
86Die nennenswerten Auswirkungen des Erzeugnisses auf die physiologischen Funktionen sind somit nur ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium für die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter die Definition des Funktionsarzneimittels fällt. Sie führen daher nicht zwangsläufig zur Arzneimitteleigenschaft.
87Vgl. BVerwG, Urteile vom 7. November 2019 ‑ 3 C 19.18 ‑, juris Rn. 19 und 31, sowie vom 17. August 2017 ‑ 3 C 18.15 ‑, juris Rn. 12.
88Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung sind auch die möglichen Gesundheitsrisiken bei der Verwendung zu berücksichtigen. Diesen kommt in Fällen, in denen die Auswirkungen eines Erzeugnisses im Grenzbereich zwischen Nahrungsergänzungs- und Arzneimitteleigenschaft liegen, besonderes Gewicht für die Beurteilung zu. Eine Einstufung als Arzneimittel ist hier angesichts der damit verbundenen Einschränkungen und Behinderungen des freien Warenverkehrs nur gerechtfertigt, wenn dies zum Schutz der Gesundheit erforderlich ist.
89Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. November 2019 ‑ 3 C 19.18 ‑, juris Rn. 30, 32 f.
90II. Von dem Vorstehenden ausgehend ist nicht wissenschaftlich nachgewiesen, dass der Tee E. G. gemischter Kräutertee aufgrund des in ihm enthaltenen Anteils an Sennesblättern bzw. deren Wirkstoffe, den Sennosiden, die physiologischen Funktionen des menschlichen Körpers nennenswert durch eine pharmakologische oder metabolische Wirkung beeinflusst.
911. Eine biochemische Wirkweise im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG, Art. 1 Nr. 2 Buchst. b) der Richtlinie 2001/83/EG ist bei den in dem Tee enthaltenen Sennesblättern dem Grunde nach zu bejahen. Offen bleiben kann dabei, ob die Sennesblätter bzw. deren Wirkstoffe, die Sennoside, ihrer Funktionsweise nach pharmakologisch oder metabolisch wirken. Jedenfalls wirken sie ‑ in Abgrenzung zu Medizinprodukten ‑ nicht rein physikalisch.
92Sennesblätter enthalten als Wirkstoffe Dianthronglykoside (Sennoside), die zur Gruppe der antiabsortiv und sekretagog wirkenden Laxantien gehören. Sie werden nach der Passage des Magen-Darm-Traktes im Dick- bzw. Enddarm durch bakterielle Enzyme in die wirksamen Metaboliten (Rhein-Anthron) gespalten, die durch direkten Kontakt mit der Darmschleimhaut wirken (Kontaktlaxantien). Dabei hemmen die aktiven Metaboliten die stationären und stimulieren die propulsiven Kontraktionen der glatten Dickdarmmuskulatur, so dass es zu einem beschleunigten Transit kommt. Die verkürzte Kontaktzeit verringert außerdem die Flüssigkeitsresorption. Gleichzeitig werden die Sekretionsprozesse beeinflusst: Die Wasser- und Elektrolytabsorption in die Kolonepithelzellen wird gehemmt und der Einstrom von Elektrolyten und Wasser in das Darmlumen gefördert und damit eine Volumenzunahme erreicht.
93Vgl. Wichtl, Teedrogen und Phytopharmaka, 6. Aufl. 2016, S. 605; Kommission E, Monographie: Sennae folium (Sennesblätter), BAnz vom 21. Juli 1993, Nr. 133 S. 6618, bestätigt durch Standardzulassung Nr. 7399.99.99 (BR-Drs. 229/00 vom 14. April 2000 S. 12 (Nr. 7.12.1) und S. 13 (Nr. 7.12.3); HMPC, Assessment report on Senna alexandrina Mill (Cassia senna L.; Cassia angustfolia Vahl), folium and fructus, Ziffer 3.1.5, S. 29; Kommentar zum Europäischen Arzneibuch 10.1/0206, 67. Lieferung 2021; Update senna, DAZ 2005, Nr. 13, S. 107.
942. Es fehlt aber an einer wissenschaftlich nachgewiesenen nennenswerten Beeinflussung der physiologischen Funktionen durch den Tee E. G. gemischter Kräutertee. Die Schwelle von 10 mg Hydroxyanthracenderivaten, berechnet als Sennosid B, ab der von einer therapeutischen Wirksamkeit auszugehen ist (a.), erreicht der Tee in der vom Hersteller angegebenen Dosierung im Aufguss nicht (b). Belastbare wissenschaftliche Daten, die einen Rückschluss auf eine nennenswerte Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen unterhalb von 10 mg zuließen, liegen nicht vor (c.).
95a. Eine therapeutische Wirksamkeit und damit ‑ im Wege eines Erst-Recht-Schlusses ‑ auch eine nennenswerte Beeinflussung der physiologischen Funktionen ist für Sennesblätter bzw. sennesblätterhaltige Erzeugnisse ab einem Gehalt von mindestens 10 mg Hydroxyanthracenderivaten, berechnet als Sennosid B, durch die Monographie des Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC) der European Medicines Agency vom 25. September 2018 (European Union herbal monograph on Senna alexandrina Mill. (Cassia senna L.; Cassia angustifolia Vahl) folium), bestätigt mit Addendum vom 26. Januar 2022,
96abrufbar unter: https://www.ema.europa.eu/en/medicines/herbal/sennae-folium,
97wissenschaftlich nachgewiesen. Offen bleiben kann , ob diese Monographie im vorliegenden Zusammenhang rechtlich bindend ist.
98Vgl. VG L. , Urteil vom 5. Juli 2011 ‑ 7 K 8612/09 ‑, juris Rn. 49 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 2. November 2017 ‑ 13 LB 31/14 ‑, juris Rn. 73 unter Bezugnahme auf VG L. ; Knöss, Monographien als Richtschnur, in: Pharmazeutische Zeitung online, Ausgabe 13/2014; vgl. auch Winnands/Kügel, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 3. Aufl. 2022, § 22 Rn. 91.
99Jedenfalls kommt der Monographie des HMPC, ebenso wie den Monographien der Kommissionen D und E,
100vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 ‑ 3 C 10.09 ‑, juris Rn. 25 und vom 25. Juli 2007 ‑ 3 C 22.06 ‑, juris Rn. 33,
101die Bedeutung eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu, von dem abzuweichen hier kein Anlass besteht.
102Dem HMPC, das nach Art. 16h Abs. 1 Satz 1 und 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/24/EG bei der EMA eingerichtet worden ist, kommt gemäß Art. 16h Abs. 1 Buchst. a Spiegelstrich 4 und Buchst. b jew. i. V. m. Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/24/EG die Aufgabe zu, u. a. gemeinschaftliche Monographien für traditionelle pflanzliche Arzneimittel sowie gemeinschaftliche Pflanzenmonographien zu erstellen. Es handelt sich um ein sachverständig besetztes Gremium (vgl. Art. 16h Abs. 2 Richtlinie 2001/83/EG), das die Monographien ‑ wie die zugehörigen Literaturlisten und Bewertungsberichte verdeutlichen ‑ auf der Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstands und in Auseinandersetzung mit den herangezogenen wissenschaftlichen Publikationen erstellt. Im Regelfall wird von der Richtigkeit der in den Monographien enthaltenen Angaben auszugehen sein, sofern nicht ausnahmsweise bessere und/oder aktuellere wissenschaftliche Erkenntnisse eine andere Bewertung rechtfertigen.
103Danach ist auf der Grundlage der in der Monographie des HMPC vom 25. September 2018 enthaltenen Dosierungsempfehlung davon auszugehen, dass Sennoside eine therapeutische Wirksamkeit und damit auch eine nennenswerte Beeinflussung der physiologischen Funktionen ab 10 mg Hydroxyanthracenderivaten, berechnet als Sennosid B, entfalten. Zwar ist damit eine Absenkung der Untergrenze gegenüber derjenigen in der vorhergehenden Monographie aus dem Jahr 2006 erfolgt, die auf der Grundlage der im zugehörigen Assessment-Report angeführten Expertenmeinungen, klinischen Studien und der toxikologischen Daten, die Anlass für den Bescheid des BfArM vom 21. Juni 1996 (BAnz vom 5. Juli 1996, Nr. 123, S. 7581 f.) waren, noch einen Dosisbereich zwischen 15 und 30 mg angegeben hatte.
104Vgl. Assessment report on cassia senna L. and cassia angustifolia vahl, Folium vom 27. April 2007, S. 7, abrufbar unter: https://www.ema.europa.eu/en/medicines/herbal/sennae-folium.
105Diese Absenkung hat das HMPC mit dem verfolgten Ansatz begründet, die Wirkstoffmenge zu minimieren, und sich hinsichtlich der Wirksamkeit der herabgesenkten Dosis von den Dosierungen der auf dem Markt befindlichen Arzneimitteln bestätigt gesehen.
106Vgl. Assessment report on Senna alexandrina Mill. (Cassia senna L.; Cassia angustifolia Vahl), folium and fructus, vom 25. September 2018, S. 21.
107Anhaltspunkte dafür, dass diese Bewertung nicht zutrifft, sind nicht erkennbar. Vielmehr nennt auch die ‑ weiterhin gültige ‑ Monographie der Weltgesundheitsorganisation (WHO monographs on selected medicinal plants, Volume 1, 1999) eine zur Behandlung einer Obstipation geeignete Wirkstoffmenge zwischen 10 und 30 mg Sennoside, berechnet als Sennosid B (S. 247).
108Zudem weist der Assessment report des HMPC (S. 21) darauf hin, dass die Werte zu den in Sennesblättern enthaltenen Hydroxyanthracenderivaten nunmehr in Übereinstimmung mit dem Gehalt an Hydroxyanthracenderivaten aus der Pflanze Aloe stehen, die in der HMPC-Monographie zu „Aloe barbadensis“ vom 22. November 2016 zur Anwendung bei Obstipation angegeben sind. Diese wiederum entsprechen denen der aktuellen Monographie der European Scientific Cooperative On Phytotherapie (ESCOP) zu Aloe („Aloe barbadensis“) aus dem Jahr 2014, die ebenfalls Gehalte zwischen 10 und 30 mg Hydroxyanthracenderivate nennt.
109Die Monographie der Kommission E „Sennae folium (Sennesblätter)“ aus dem Jahr 1993 (BAnz vom 21. Juli 1993, Nr. 133, S. 6618) nennt zwar Gehaltsmengen von 20 bis 30 mg Hydroxyanthracenderivaten. Sie enthält aber den Hinweis, dass die Darreichungsform auch eine geringere als die übliche Tagesdosis erlauben sollte, der zeigt, dass die Kommission E bereits damals davon ausging, auch niedrigere Dosen könnten zur Behandlung der Obstipation wirksam sein. Vergleichbares enthält der Bescheid des BfArM vom 21. Juni 1996 (BAnz vom 5. Juli 1996, Nr. 123, S. 7581 f.). Darüber hinaus ist die wissenschaftliche Bewertung der Wirkungen eines Stoffes nicht statisch. Mit Blick auf den Umstand, dass die Monographie der Kommission E nicht aktualisiert worden ist, ihr daher noch der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse aus dem Jahr 1993 zugrunde liegt, bietet sie keine Grundlage für die Annahme, die auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse erstellte Monographie des HMPC sei unzutreffend.
110b. Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung enthält der Tee „E. G. gemischter Kräutertee“ in der vom Hersteller angegebenen Dosierung von einem Teebeutel je Tag im hergestellten Aufguss nicht einen Gehalt von mindestens 10 mg Hydroxyanthracendrivaten, der die Feststellung rechtfertigte, dass die physiologischen Funktionen nennenswert beeinflusst werden.
111Über dem Wert von 10 mg Sennosiden lag einzig der Aufguss des gemischten Kräutertees mit dem MHD 25. Juli 2013, der Gegenstand des Prüfberichts Nr. 123010952 des I. Landeslabors vom 21. Juni 2012 ist. Die Rezeptur dieses Tees war jedoch bereits damals nicht mehr aktuell. Der am gleichen Tag vom I. Landeslabor untersuchte gemischte Kräutertee mit dem MHD 27. Februar 2014 (Prüfbericht Nr. 123010949) führte die Zutat „Sennesblätter“ anders als der zuvor genannte Tee nicht mehr an erster, sondern an zweiter Stelle des Zutatenverzeichnisses auf. Die laut Prüfbericht im Aufguss dieses Tees festgestellte Menge an Sennosiden betrug insgesamt 6 mg und lag daher ‑ auch unter Berücksichtigung der Unterschiede der Untersuchungsmethoden des I. Landeslabors einerseits (HPLC) und der Monographie des HMPC andererseits (photometrisch) - unterhalb der genannten Grenze. Die in der jüngsten Zeit erfolgten Untersuchungen durch das CVUA RRW, die sich ohnehin nur zum Sennosidgehalt im Teebeutel verhalten, nicht aber zu der Menge im Aufguss, haben nochmals geringere Werte ergeben. So weist der Prüfbericht des CVUA RRW vom 18. Juli 2019 (Prüfbericht Nr. 2019-8320208) für den Tee mit dem MHD 21. Juni 2020 einen Gehalt von 5,72 mg im Teebeutel aus und der Prüfbericht vom 8. Juni 2022 (Nr. 2022-7200167), betreffend einen Tee mit dem MHD 25. Oktober 2024, einen Gesamtwert von 2,6 mg Sennosiden.
112Der Einwand der Bezirksregierung L. im Schriftsatz vom 28. Juli 2022, die „bekannten Dosierangaben“ bezögen sich auf den Sennosidgehalt im Teebeutel, ist mit Blick auf die vorliegenden Werte unmaßgeblich und im Übrigen nicht nachvollziehbar. Zum einen fehlt es an dahingehenden Angaben in der Monographie des HMPC, die im Übrigen nicht speziell zu Tees erstellt worden ist, sondern sich allgemein zu Erzeugnissen verhält, die Wirkstoffe aus Sennesblättern enthalten (hierzu zählen u. a. Tabletten, Kapseln, Sirup und Früchtewürfel). Zum anderen kann bei einem Produkt, das nicht zur äußerlichen Anwendung vorgesehen ist, sondern verzehrt werden muss, um Wirkung zu entfalten, naturgemäß nur die aufgenommene Menge an Wirkstoffen eine ‑ pharmakologische oder metabolische ‑ Wirkung entfalten. Schon aus diesem Grund reicht es auch nicht aus, aus den in Zutatenlisten des Herstellers aufgeführten prozentualen Anteilen der einzelnen Zutaten am Gesamtprodukt die Menge an Sennesblättern im Teebeutel auszurechnen, worauf die Bezirksregierung L. in der Ordnungsverfügung abgestellt hat. Anderes kann zwar in Fällen standardisierter Teezubereitungen gelten, d. h. bei Verwendung von Sennesblättern, die einen gleichbleibenden geprüften Wirkstoffgehalt aufweisen. Dies ist vorliegend jedoch auch nach Auffassung der Bezirksregierung L. nicht der Fall.
113Soweit die Bezirksregierung L. weiter geltend macht, die diversen Untersuchungen - auch des I. Landeslabors nach der HPLC-Methode - erfassten nur die Sennoside A und B, maßgeblich seien jedoch alle Sennoside, und mit dieser Begründung von einem ‑ unspezifisch ‑ höheren Wert ausgehen will, ist darauf hinzuweisen, dass dieselbe Unschärfe den in den Monographien ausgewiesenen Werten zugrunde liegen dürfte. Jedenfalls ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass den Monographien Berechnungsmethoden zugrunde liegen, die in der Praxis der Untersuchungsämter und privaten Labore nicht zur Verfügung stehen. Im Übrigen hat sich jedenfalls das Institut für pharmazeutische und angewandte Analytik (InphA, Untersuchung zum Kirschstängeltee vom 11. April 2018) in der Lage gesehen, die Sennosidmessung im Einklang mit der Untersuchungsmethode, die der Monographie des HMPC zugrunde liegt,
114vgl. Assessment report on Senna alexandrina Mill. (Cassia senna L.; Cassia angustifolia Vahl), folium and fructus, S. 21 (Ziffer 2.3),
115photometrisch zu bestimmen.
116c. Belastbare wissenschaftliche Daten, die einen Rückschluss auf eine nennenswerte Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen durch Hydroxyanthracenderivate unterhalb einer Wirkstoffmenge von 10 mg zuließen, hat die Bezirksregierung L. nicht benannt; sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Zwar liegt es nahe, dass ein Erzeugnis ‑ wie vom Verwaltungsgericht angenommen - auch „knapp unterhalb“ der Schwelle zur therapeutischen Wirksamkeit eine physiologische Wirkung entfaltet. Abgesehen davon, dass die vage Bezeichnung „knapp unterhalb“ zur Abgrenzung eines Lebensmittels von einem Arzneimittel von vornherein untauglich ist, handelt es sich bei diesem Ansatz um eine bloße Vermutung, die den geforderten Nachweis nicht ersetzen kann.
117Anhaltspunkte für weitere Sachverhaltsermittlungen zu der Frage, ob auch Sennoside in einer Menge, die im derzeit vertriebenen Tee(beutel) der Sorte gemischter Kräutertee vorhanden sind, nennenswerte Auswirkungen auf die physiologischen Funktionen haben, sind nicht erkennbar. In einer solchen Situation ist es auch mit Blick auf die gerichtliche Sachaufklärungspflicht (§§ 86 Abs. 1 Satz 1, 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht Aufgabe der Verwaltungsgerichte, weitere Ermittlungen anzustellen, was hier auf die Durchführung einer klinischen Studie hinauslaufen würde. Die Folge der danach verbleibenden Unerweislichkeit der Arzneimitteleigenschaft des E. G. Tees „gemischter Kräutertee“ trägt im vorliegenden Fall der Untersagung nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG das beklagte Land.
118Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2009 ‑ 3 C 5.09 ‑, juris Rn. 17; vgl. auch Urteil vom 7. November 2019 ‑ 3 C 19.18 -, juris Rn. 14 (zu § 54 LFGB).
119Insoweit gilt auch hier der allgemeine Grundsatz, dass derjenige, der aus einer Norm eine ihm günstige Rechtsfolge ableitet, die materielle Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Norm ‑ hier namentlich das Vorliegen eines Funktionsarzneimittels - trägt.
1203. Dass Senna in der Anlage 1b der Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel aufgeführt ist, ist entgegen der Auffassung der Bezirksregierung L. ohne Bedeutung für die Frage, ob es sich bei dem Tee um ein (Funktions-) Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG und Art. 1 Nr. 2 Buchst. b) der Richtlinie 2001/83/EG handelt. Der Verordnung lässt sich lediglich entnehmen, dass der „Stoff“ Senna (vgl. § 3 Nr. 2 AMG) Arzneimittel sein kann; es lässt sich aber aus dieser Verordnung nicht schließen, dass Präparate, die die in Anlage 1b der Verordnung genannten Stoffe enthalten, schon deshalb Arzneimittel wären. Sie sind es trotz dieser Stoffe nicht, wenn sie nicht zu den in § 2 Abs. 1 AMG genannten Zwecken bestimmt sind oder sonst die Voraussetzungen des § 2 AMG erfüllen. Der Begriff des Arzneimittels ist in dem ermächtigenden Arzneimittelgesetz (vgl. § 48 Abs. 2 AMG) definiert und wird in der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln vorausgesetzt.
121Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 1994 ‑ 3 C 2.93 ‑, juris Rn. 40.
122Ein anderes Verständnis wäre zudem mit dem Arzneimittelbegriff des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG und Art. 1 Nr. 2 Buchst. b) der Richtlinie 2001/83/EG nicht zu vereinbaren. Denn der Anlage 1b der Verordnung unterfallen die dort aufgeführten Pflanzen dosisunabhängig und damit ungeachtet des Umstandes, ob und in welcher Menge sie tatsächlich nennenswert auf die menschlichen physiologischen Funktionen einwirken.
1234. Ist danach nicht von einer nennenswerten Beeinflussung der physiologischen Funktionen durch den gemischten Kräutertee in der bestimmungsgemäßen Dosierung auszugehen, kommt den von der Bezirksregierung L. angeführten möglichen Gesundheitsrisiken für die Frage der Arzneimitteleigenschaft keine Relevanz zu. Diese haben erst bei Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen eines Funktionsarzneimittels im Rahmen der dann gebotenen Gesamtbetrachtung Bedeutung.
124Der Senat weist allerdings darauf hin, dass bei Erreichen der Schwelle von 10 mg Sennosiden im Teeaufguss die Gesamtbetrachtung anhand aller über die Zusammensetzung und Wirkung hinausgehenden weiteren Merkmale des Erzeugnisses, insbesondere der Modalitäten seines Gebrauchs, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, dazu führen dürfte, dass ein Arzneimittel vorliegt.
125Insoweit ist im Hinblick auf die Modalitäten des Gebrauchs, den Umfang der Verbreitung von Sennesblättern und deren Bekanntheit bei Verbrauchern maßgeblich, dass weder vorgetragen noch erkennbar ist, dass Sennesblätter als Lebensmittel verzehrt werden bzw. dem Verbraucher als Lebensmittel bekannt sind. Sie gehören vielmehr zu den am häufigsten gebrauchten pflanzlichen Abführmitteln (vgl. Wichtl, Teedrogen und Phytopharmaka, 6. Aufl. 2016, S. 605) und sind in Deutschland seit Jahrzehnten als Arzneimittel bekannt (siehe auch BVerwG, Urteil vom 16. Februar 1971 ‑ I C 25.66 ‑, juris). Die Darreichungsform entsprechender Präparate umfasst neben Tabletten, Kapseln, Sirup und Früchtewürfeln insbesondere Tees, die von zahlreichen Firmen angeboten werden. Vor diesem Hintergrund lässt der Umstand, dass es sich bei den Produkten um Tees handelt, nicht den Schluss zu, der Verbraucher erwarte allein aufgrund der Darreichungsform ein Lebensmittel.
126Anders als bei Erzeugnissen im Grenzbereich zwischen Lebens- bzw. Nahrungsergänzungsmittel und Arzneimittel dürfte etwaigen Gesundheitsrisiken bei einem therapeutisch wirksamen Produkt kein maßgebliches Gewicht zukommen. Darüber hinaus ist auf der Grundlage der bereits genannten wissenschaftlichen Quellen (insbesondere des Assessment reports des HMPC, der Monographie der WHO und des Bescheids des BfArM vom 21. Juni 1996) nicht ersichtlich, dass von derartigen Tees bei bestimmungsgemäßem Gebrauch keine Gefahren für die Gesundheit ausgehen. Zusammengenommen folgt aus diesen Angaben, dass sennesblätterhaltige Präparate sowohl von Kindern jedenfalls unter 10 Jahren als auch von Schwangeren und Stillenden (vorbehaltlich abweichender ärztlicher Einschätzung) nicht eingenommen werden dürfen. Zudem sind die Erzeugnisse kontraindiziert bei Darmverschluss, akut-entzündlichen Erkrankungen des Darms, abdominalen Schmerzen unbekannter Ursache und weiteren Erkrankungen. Die zahlreichen Gegenanzeigen belegen, dass die Wirkstoffe in derartigen Tees auch bei Einhaltung der Dosisangabe nicht gesundheitlich unbedenklich sind, sondern ‑ wenn auch nur für bestimmte Personenkreise ‑ potentiell mit Gefahren für die Gesundheit verbunden sind. Dass diesen Gesundheitsgefahren durch Warnhinweise auf lebensmittelrechtlicher Grundlage (vgl. Art. 14 Abs. 3 Buchst. b) der Verordnung Nr. 178/2002/EG) ausreichend begegnet werden könnte, erscheint zweifelhaft.
127Von dem Vorstehenden ausgehend ist auch die auf die §§ 55 Abs. 1, 60 und 63 VwVG NRW gestützte und auf den allein noch streitigen gemischten Kräutertee bezogene Zwangsgeldandrohung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
128Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO. Soweit gemäß § 161 Abs. 2 VwGO über die Kosten des erledigten Teils des Verfahrens (fünf Teesorten) nach billigem Ermessen zu entscheiden ist, ist es sachgerecht, dem Kläger hinsichtlich des Tees der Sorte Kirschstängel und dem beklagen Land hinsichtlich der übrigen vier Teesorten die Kosten aufzuerlegen. Für den Kirschstängeltee weist der Untersuchungsbericht des InPhA vom 11. April 2018 einen Wert von 17,7 mg Hydroxyanthracenglykoside aus, der deutlich über der Schwelle der therapeutischen Wirksamkeit liegt und bei dem nach dem Vorstehenden auch eine Gesamtbetrachtung voraussichtlich zu keiner abweichenden Beurteilung der Arzneimitteleigenschaft geführt hätte. Hinsichtlich der anderen Tees wiederum wiesen sämtliche vorgelegten Untersuchungsberichte entweder Werte im Aufguss oder im Beutel unter 10 mg oder im Beutel knapp oberhalb der Grenze von 10 mg auf, die jedoch keinen sicheren Schluss auf die im Aufguss befindliche Menge zuließen.
129Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
130Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
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