Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 19 B 945/22
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Die Beschwerde des Antragstellers ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässig, aber unbegründet. Der Senat prüft nach § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO nur die dargelegten Gründe. Diese rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorläufig zu verpflichten, den Antragsteller zum Schuljahr 2022/2023 vorläufig in die Klasse 1 der Städtischen Katholischen Grundschule B. schule in F. aufzunehmen.
3Mit seiner Beschwerde verfolgt der katholisch getaufte Antragsteller mit Wohnsitz in C. nahe der Stadtgrenze zu F. seine schon erstinstanzlich verfolgte Argumentation weiter, aus Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV NRW und § 26 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW einen Anspruch darauf zu haben, dass der Schulleiter der B. schule ihn vorrangig vor den bereits aufgenommenen neun bekenntnisfremden Kindern aus F. aufnimmt. Mit dieser Argumentation bleibt der Antragsteller erfolglos. Einem Anspruch auf eine in diesem Sinn vorrangige Schulaufnahme steht der zwingende verordnungsrechtliche Aufnahmevorrang gemeindeangehöriger Kinder nach § 1 Abs. 3 Satz 3 AO-GS entgegen. Dieser Aufnahmevorrang gilt auch für den hier vorliegenden Fall eines „nach Anwendung von Satz 1 … verbleibenden Anmeldeüberhanges“ im Sinn des § 1 Abs. 2 Satz 4 AO-GS (1.). Dieser generelle verordnungsrechtliche Vorrang gemeindeangehöriger Kinder schränkt den grundsätzlich ebenfalls vorrangigen landesverfassungsrechtlichen Aufnahmeanspruch formell bekenntnisangehöriger Kinder in eine Bekenntnisgrundschule aus Art. 12 Abs. 3 Satz 2, Art. 13 LV NRW, § 26 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW ein (2.).
41. Im Aufnahmeverfahren der Städtischen Katholischen Grundschule B. schule zum Schuljahr 2022/2023 hat sich ein unter allen sog. Anspruchskindern im Sinn des § 46 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW, § 1 Abs. 2 Satz 1 AO-GS „verbleibende[r] Anmeldeüberhang“ im Sinn des § 1 Abs. 2 Satz 4 AO-GS ergeben. Denn nach der vorrangigen Aufnahme von 47 bekenntnis- und gemeindeangehörigen Kindern verblieben für die 16 angemeldeten bekenntnisfremden gemeindeangehörigen Kinder, für welche die zweizügige B. schule nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart in der Gemeinde im Sinn des § 46 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW, § 1 Abs. 2 Satz 1 AO-GS war, nur noch neun freie Schülerplätze (56 abzüglich der 47 erwähnten vorrangigen Aufnahmen). Ergibt sich ein Anmeldeüberhang ausschließlich aus Kindern, für welche die Grundschule nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart in der Gemeinde ist (sog. Anspruchskinder), bewirkt die Kapazitätsüberschreitung für alle diese Kinder, dass an die Stelle ihres kapazitätsabhängigen gesetzlichen Aufnahmeanspruchs aus § 46 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW, § 1 Abs. 2 Satz 1 AO-GS nur noch ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung tritt und der Schulleiter nach Maßgabe des § 1 Abs. 2 Satz 4 AO-GS nach Ermessen über diese Anmeldungen zu entscheiden hat.
5OVG NRW, Beschluss vom 17. August 2021 ‑ 19 B 1325/21 ‑, juris, Rn. 6.
6Nach § 1 Abs. 2 Satz 4 AO-GS sind im Fall eines nach Anwendung von Satz 1 verbleibenden Anmeldeüberhangs „die Kriterien des Absatzes 3 für die Aufnahmeentscheidung heranzuziehen.“ Ein solcher nach Anwendung von Satz 1 verbleibender Anmeldeüberhang im Sinn des § 1 Abs. 2 Satz 4 AO-GS liegt auch dann vor, wenn ‑ wie hier ‑ an einer Bekenntnisgrundschule nach vorrangiger Aufnahme der formell bekenntnisangehörigen Kinder keine ausreichende Restkapazität mehr für alle diejenigen angemeldeten bekenntnisfremden Kinder verbleibt, für welche die Grundschule nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart in der Gemeinde im Sinn des § 46 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW, § 1 Abs. 2 Satz 1 AO-GS ist.
7Vgl. dazu VG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Juli 2021 ‑ 18 L 1090/21 ‑, juris, Rn. 22 (ohne Erwähnung des § 1 Abs. 2 Satz 4 AO-GS).
8Waren danach hier für die Aufnahmeentscheidung über die genannten neun freien Schülerplätze nach § 1 Abs. 2 Satz 4 AO-GS „die Kriterien des Absatzes 3 heranzuziehen“, so erfasst diese Verweisung auch den Aufnahmevorrang gemeindeangehöriger Kinder nach § 1 Abs. 3 Satz 3 AO-GS. Hierfür spricht der Wortlaut des § 1 Abs. 2 Satz 4 AO-GS insofern, als er mit der Formulierung „des Absatzes 3“ pauschal auf die Regelungen in allen Sätzen des § 1 Abs. 3 AO-GS verweist, ohne dabei einzelne Sätze dieses Absatzes auszunehmen. Vor allem aber sprechen der Sinn und Zweck dieser Verweisung für dieses umfassende Verständnis, weil es dem Schulleiter auch im Fall eines unter den sog. Anspruchskindern „verbleibenden Anmeldeüberhangs“ eine Entscheidung nach vollständig denselben Maßstäben ermöglicht, die auch im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 AO-GS für die „andere[n] Kinder“ gelten, für welche eine andere Grundschule die nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart in der Gemeinde ist. Insbesondere ermöglicht ihm dieses Verständnis auch bei einem „verbleibenden Anmeldeüberhang“ die Berücksichtigung von Härtefällen nach § 1 Abs. 3 Satz 4 AO-GS. Demgegenüber rechtfertigt allein die Wortwahl, dass die „Kriterien“ des Abs. 3 „heranzuziehen“ seien, kein engeres Verständnis der Verweisung in § 1 Abs. 2 Satz 4 AO-GS dahin, sie ziele nur auf die in § 1 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 bis 5 AO-GS normierten Aufnahmekriterien, zu denen die Gemeindezugehörigkeit nicht gehört.
9Ebenso im Ergebnis in der Einzelfallsubsumtion VG Köln, Beschluss vom 8. Juli 2021 ‑ 10 L 1001/21 ‑, n. v., S. 7 des Beschlusses.
102. Mit diesem Inhalt gestaltet der generelle verordnungsrechtliche Vorrang gemeindeangehöriger Kinder aus § 1 Abs. 2 Satz 4, Abs. 3 Satz 3 AO-GS bei der Aufnahme in eine Grundschule mit Anmeldeüberhang den grundsätzlich ebenfalls vorrangigen landesverfassungsrechtlichen Aufnahmeanspruch formell bekenntnisangehöriger Kinder in eine Bekenntnisgrundschule aus Art. 12 Abs. 3 Satz 2, Art. 13 LV NRW, § 26 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW näher und ‑ im Verhältnis von gemeindeangehörigen zu gemeindefremden Kindern ‑ einschränkend aus, ohne dass diese Ausgestaltung bei summarischer Prüfung der Landesverfassung widerspricht. Nach Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV NRW und § 26 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW werden in Bekenntnisschulen Kinder des katholischen oder des evangelischen Glaubens oder einer anderen Religionsgemeinschaft nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses unterrichtet und erzogen. Das Nähere bestimmt ein Gesetz (Art. 12 Abs. 4 LV NRW). Wegen des religiösen Bekenntnisses darf im Einzelfalle keinem Kinde die Aufnahme in eine öffentliche Schule verweigert werden, falls keine entsprechende Schule vorhanden ist (Art. 13 LV NRW).
11Prägende Merkmale des landesverfassungsrechtlichen Begriffs der Bekenntnisschule in Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV NRW sind sowohl der bekenntnisgebundene Charakter der Schulerziehung (materielle Homogenität) als auch die weitgehend einheitliche formelle Zugehörigkeit der Lehrer- und Schülerschaft zur jeweiligen Religionsgemeinschaft (formelle Homogenität). Nur im Grundsatz gehört zur formellen Homogenität, dass formell der Religionsgemeinschaft angehörende Kinder ihre Schulaufnahme vorrangig vor bekenntnisfremden Kindern beanspruchen können und Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV NRW jenen Kindern einen im Grundsatz vorbehaltlosen Zugang zu Schulen ihres Bekenntnisses gewährt.
12OVG NRW, Beschluss vom 21. März 2016 ‑ 19 B 996/15 ‑, NVwZ-RR 2016, 581, juris, Rn. 13, 47 m. w. N.
13Diesen im Grundsatz vorbehaltlosen Zugang von bekenntnisangehörigen Kindern zu Schulen ihres Bekenntnisses hat der Gesetz- und Verordnungsgeber mit dem generellen verordnungsrechtlichen Aufnahmevorrang gemeindeangehöriger Kinder nach § 1 Abs. 3 Satz 3 AO-GS konkretisierend eingeschränkt. Diese Verordnungsbestimmung bewirkt im Fall eines Anmeldeüberhangs für Bekenntnis- und Gemeinschaftsgrundschulen gleichermaßen, dass der Schulleiter gemeindeangehörige Kinder vorrangig vor gemeindefremden Kindern aufnehmen muss, und zwar unabhängig von einer etwaigen Bekenntniszugehörigkeit. Bei summarischer Prüfung erscheint diese Verordnungsbestimmung landesverfassungsrechtlich durch den Gesetzesvorbehalt in Art. 12 Abs. 4 LV NRW zugelassen und durch Sachgründe gerechtfertigt.
14Offen gelassen in OVG NRW, Beschluss vom 21. März 2016, a. a. O., Rn. 10.
15Kann danach der Gesetzgeber nähere Regelungen zu Bekenntnisschulen treffen, so beruht § 1 Abs. 3 Satz 3 AO-GS auf der gesetzlichen Grundlage in § 46 Abs. 2 Satz 2 SchulG NRW. Danach kann der Verordnungsgeber u. a. die „Aufnahmekriterien bei einem Anmeldeüberhang“ in der jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsordnung regeln. Der danach verordnungsrechtlich bestimmte, auch im Verhältnis bekenntnisangehöriger wie bekenntnisfremder Kinder zu beachtende Vorrang der Gemeindeangehörigkeit bringt die besondere auch schulorganisatorisch-institutionelle Bedeutung der Gemeinden als Träger der Schulen gemäß § 78 Abs. 1 SchulG NRW zum Ausdruck.
16Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
17Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Die Bedeutung der Schulaufnahme für den Antragsteller, auf die es nach § 47, § 52 Abs. 1 GKG für die Streitwertfestsetzung ankommt, bestimmt der Senat in ständiger Ermessenspraxis in Anlehnung an Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 38.4 des Streitwertkatalogs 2013 (NWVBl. 2014, Sonderbeilage Januar, S. 11) im vorläufigen Rechtsschutzverfahren mit der Hälfte des Auffangwerts nach § 52 Abs. 2 GKG, also 2.500,00 Euro.
18OVG NRW, Beschlüsse vom 9. August 2022 ‑ 19 B 861/22 ‑, juris, Rn. 8, vom 17. März 2022 ‑ 19 B 56/22 ‑, juris, Rn. 10 m. w. N., vom 27. Mai 2021 ‑ 19 E 428/21 ‑, NVwZ-RR 2021, 696, juris, Rn. 5, und vom 30. November 2016 ‑ 19 B 1066/16 -, NWVBl. 2017, 122, juris, Rn. 47.
19Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).
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