Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 19 E 322/22
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Der Klägerin wird für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt U. aus E. beigeordnet.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
1
Gründe:
2Der Senat entscheidet über die Beschwerde durch den Berichterstatter, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).
3Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren zu Unrecht abgelehnt.
4Die Klägerin erfüllt die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Sie ist nach der vorgelegten Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage, die Verfahrenskosten zu tragen.
5Die Klage bietet auch die von § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorausgesetzte hinreichende Aussicht auf Erfolg.
6Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1 und 19 Abs. 4 GG orientierten Auslegung des Begriffes einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe zu versagen ist, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance indes nur eine entfernte ist. Soweit Tatsachen im Streit stehen und Ermittlungen erforderlich sind, ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Zugleich dürfen schwierige oder ungeklärte Rechtsfragen nicht schon im Verfahren der Bewilligung von Prozesskostenhilfe „durchentschieden“ werden, weil das Prozesskostenhilfeverfahren den Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern erst zugänglich machen soll.
7BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 22. März 2021 ‑ 2 BvR 353/21 -, juris, Rn. 5, vom 22. August 2018 ‑ 2 BvR 2647/17 ‑, NVwZ-RR 2018, 873, juris, Rn. 14, vom 4. August 2016 ‑ 1 BvR 380/16 ‑, juris, Rn. 12, und vom 30. April 2007 ‑ 1 BvR 1323/05 ‑, NVwZ-RR 2007, 569, juris, Rn. 23; OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Dezember 2020 - 19 E 85/20 -, juris, Rn. 4, und vom 6. November 2020 - 19 E 776/20 -, juris, Rn. 5.
8Daran gemessen steht der Klägerin die begehrte Prozesskostenhilfe zu. Die Erfolgsaussichten ihrer Klage gegen den Kostenfestsetzungsbescheid der Beklagten vom 9. September 2021 sind nach Aktenlage zumindest offen. Es spricht viel dafür, dass der Kostenforderung keine rechtmäßige Ersatzvornahme zugrunde liegt, weil es unabhängig vom Zeitpunkt des Zugangs der Ordnungsverfügung vom 23. März 2021 jedenfalls an der nach § 64 VwVG NRW erforderlichen Festsetzung des Zwangsmittels fehlte und die Erdbestattung des verstorbenen Ehemanns der Klägerin nicht im Sinn des § 55 Abs. 2 VwVG NRW zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig war.
9Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 BestG NRW müssen Erdbestattungen oder Einäscherungen innerhalb von zehn Tagen durchgeführt werden. Bei einer Feuerbestattung endet die gegenwärtige Gefahr im Sinn dieser Vorschrift mit der Einäscherung des Leichnams und der Aufnahme der Aschenreste in eine Urne. Hat die Ordnungsbehörde beides vollzogen, ist die Urnenbeisetzung wegen des Wegfalls hygienischer Gründe nicht mehr so eilbedürftig, dass die Ordnungsbehörde sie dem Bestattungspflichtigen gegenüber nicht auch im gestreckten Vollstreckungsverfahren nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW durchsetzen könnte.
10Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 5. Dezember 2017 ‑ 19 E 111/17 -, juris, Rn. 9, und vom 1. Juli 2015 - 19 A 2635/11 -, juris, Rn. 31.
11Die Behörde muss sich bei der Ersatzvornahme für eine Feuerbestattung entscheiden, wenn diese kostengünstiger als eine Erdbestattung ist und eine anderslautende Willensbekundung des Verstorbenen oder der Angehörigen nicht vorliegt.
12Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. Juli 2009 ‑ 19 A 448/07 -, juris, Rn. 69.
13Es ist vorliegend nicht ersichtlich, dass eine Einäscherung nicht dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen entsprochen hätte oder eine Erdbestattung aus anderen Gründen notwendig gewesen wäre. Vielmehr verstieß die Erdbestattung nach gegenwärtigem Erkenntnisstand auch gegen das bestattungsrechtliche Subsidiaritätsprinzip aus § 8 Abs. 1 Satz 2 BestG NRW, weil der Klägerin damit die Möglichkeit genommen wurde, selbst über die Art und den Ort der Beisetzung zu entscheiden.
14Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Dezember 2017, a. a. O., Rn. 4 ff.
15Die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten erfolgt nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 121 Abs. 2 ZPO.
16Die Kostenentscheidung beruht auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
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