Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 B 1057/22.NE
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Der Senat versteht den Antrag,
3§ 1 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über einen verkaufsoffenen Sonntag anlässlich der Veranstaltung „Michaeliswoche“ in der Stadt Gütersloh vom 2.9.2022 im Wege der einstweiligen Anordnung außer Vollzug zu setzen,
4dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin im Eilverfahren entsprechend ausschließlich bezogen auf den unmittelbar bevorstehenden verkaufsoffenen Sonntag am 25.9.2022. Dieser Antrag ist unbegründet.
5Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO liegen nicht vor. Nach dieser Bestimmung kann das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
6Hieran fehlt es. Die von der Antragstellerin angegriffene Freigabe der Ladenöffnung am 25.9.2022 ist gemessen an dem für eine normspezifische einstweilige Anordnung allgemein anerkannten besonders strengen Maßstab nicht offensichtlich rechtswidrig.
7Vielmehr spricht viel dafür, dass die umstrittene Verordnungsregelung von der Ermächtigungsgrundlage des § 6 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 LÖG NRW gedeckt ist, insbesondere dem in dieser gesetzlichen Regelung konkretisierten verfassungsrechtlichen Schutzauftrag aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV, der ein Mindestniveau des Sonn- und Feiertagsschutzes gewährleistet und für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis statuiert, gerecht wird.
8Die angegriffene Bestimmung aus der Ordnungsbehördlichen Verordnung vom 2.9.2022 betreffend die streitgegenständliche Ladenöffnungsfreigabe am 25.9.2022 ist ausweislich der Beschlussvorlage (Drucksachen-Nr. 299/2022) zur Ratssitzung am 2.9.2022 gestützt auf § 6 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 LÖG NRW. Hiernach ist die zuständige örtliche Ordnungsbehörde ermächtigt, die Tage nach § 6 Abs. 1 LÖG NRW durch Verordnung freizugeben. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 LÖG NRW dürfen Verkaufsstellen an jährlich höchstens acht, nicht unmittelbar aufeinanderfolgenden Sonn- oder Feiertagen im öffentlichen Interesse ab 13 Uhr bis zur Dauer von fünf Stunden geöffnet sein. Gemäß Absatz 1 Satz 2 der Vorschrift liegt ein öffentliches Interesse unter anderem insbesondere vor, wenn die Öffnung im Zusammenhang mit örtlichen Festen, Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen erfolgt (Nr. 1). Nach § 6 Abs. 1 Satz 3 LÖG NRW wird das Vorliegen eines solchen Zusammenhangs vermutet, wenn die Ladenöffnung in räumlicher Nähe zur örtlichen Veranstaltung sowie am selben Tag erfolgt.
9Bei Ladenöffnungen im Zusammenhang mit örtlichen Veranstaltungen nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LÖG NRW muss nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gewährleistet sein, dass die Veranstaltung ‒ und nicht die Ladenöffnung ‒ das öffentliche Bild des betreffenden Sonntags prägt. Um das verfassungsrechtlich geforderte Regel-Ausnahme-Verhältnis zu wahren, muss die im Zusammenhang mit der Ladenöffnung stehende Veranstaltung selbst einen beträchtlichen Besucherstrom auslösen. Ferner müssen Sonntagsöffnungen wegen einer Veranstaltung in der Regel auf deren räumliches Umfeld beschränkt werden, nämlich auf den Bereich, der von der Ausstrahlungswirkung der jeweiligen Veranstaltung erfasst wird und in dem die Veranstaltung das öffentliche Bild des betreffenden Sonntags prägt. Die prägende Wirkung muss dabei von der Veranstaltung selbst ausgehen. Die damit verbundene Ladenöffnung entfaltet nur dann eine lediglich geringe prägende Wirkung, wenn sie nach den gesamten Umständen als bloßer Annex zur anlassgebenden Veranstaltung erscheint. Das kann für den Fall angenommen werden, dass die Ladenöffnung innerhalb der zeitlichen Grenzen der Veranstaltung ‒ also während eines gleichen oder innerhalb dieser Grenzen gelegenen kürzeren Zeitraums ‒ stattfindet und sich räumlich auf das unmittelbare Umfeld der Veranstaltung beschränkt. Von einem Annexcharakter kann nur die Rede sein, wenn die für die Prägekraft entscheidende öffentliche Wirkung der Veranstaltung größer ist als die der Ladenöffnung. Je größer die Ausstrahlungswirkung des Marktes wegen seines Umfangs oder seiner besonderen Attraktivität ist, desto weiter reicht der räumliche Bereich, in dem die Verkaufsstellenöffnung noch in Verbindung zum Marktgeschehen gebracht wird. Die öffentliche Wirkung hängt wiederum maßgeblich von der jeweiligen Anziehungskraft ab. Die jeweils angezogenen Besucherströme bestimmen den Umfang und die öffentliche Wahrnehmbarkeit der Veranstaltung einerseits und der durch die Ladenöffnung ausgelösten werktäglichen Geschäftigkeit andererseits. Daher lässt sich der Annexcharakter einer Ladenöffnung kaum anders als durch einen prognostischen Besucherzahlenvergleich beurteilen. Erforderlich ist dabei, dass die dem zuständigen Organ bei der Entscheidung über die Sonntagsöffnung vorliegenden Informationen und die ihm sonst bekannten Umstände die schlüssige und nachvollziehbare Prognose erlauben, die Zahl der von der Veranstaltung selbst angezogenen Besucher werde größer sein als die Zahl derjenigen, die allein wegen einer Ladenöffnung am selben Tag ‒ ohne die Veranstaltung ‒ kämen. § 6 Abs. 1 Satz 3 LÖG NRW entbindet von einer auf die jeweiligen Besucherzahlen bezogenen Prognose im Einklang mit Verfassungsrecht aber dann, wenn gewährleistet ist, dass atypische Sachverhaltsgestaltungen nicht in die Nachweiserleichterung einbezogen werden.
10Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3.9.2021 – 4 B 1427/21.NE –, juris, Rn. 8 f., unter Hinweis auf BVerwG, Urteile vom 11.11.2015 – 8 CN 2.14 –, BVerwGE 153, 183 = juris, Rn. 24 f., und vom 22.6.2020 – 8 CN 3.19 –, BVerwGE 168, 356 = juris, Rn. 15 ff., 17 ff., 21, 23, 25 f.
11Diesen Maßstäben wird die angegriffene Freigaberegelung aller Voraussicht nach gerecht. Sie soll ausweislich der Beschlussvorlage (Drucksachen-Nr. 299/2022) im Zusammenhang mit und im räumlichen Umfeld der Veranstaltungsflächen der traditionellen „Michaeliskirmes“ und des Straßenkünstler-Festivals stehen. Die Beschlussfassung nimmt an, die Sonntagsöffnung stehe im zeitlichen Zusammenhang mit der Veranstaltung und sei ihr räumlich nahe angesiedelt. Das sich auf den gesamten Innenstadtbereich erstreckende Straßenkünstler-Festival, begleitet durch verschiedene Stände, Kinderaktionen und gastronomische Angebote sowie die auf und um den Marktplatz stattfindende Michaeliskirmes mit rund 100 Fahr- und Unterhaltungsgeschäften sowie sonstigen Schaustellerbuden erfreuten sich sowohl in der städtischen Bevölkerung als auch bei auswärtigen Besuchern großer Beliebtheit. Der verkaufsoffene Sonntag anlässlich der letzten Michaeliswoche vor der Pandemie habe eine Frequenz von 35.000 Besuchern gehabt. Es seien keine Anzeichen zu erkennen, dass diese Besucherzahl massiv einbrechen werde. Mit dieser Besucherzahl werde die Besucherzahl an einem durchschnittlichen Samstag von rund 11.500 Besuchern um ein Vielfaches übertroffen. Die Öffnung von Verkaufsstellen solle auf den Innenstadtbereich einschließlich unmittelbar angrenzender Randbereiche mit zentralen Parkangeboten begrenzt werden. Bei Beschlussfassung war ausweislich des Anhörungsschreibens in Anlage III der Beschlussvorlage ebenfalls bekannt, dass das vom Innenstadtbereich nur durch eine gleisbedingte Unterführung getrennte Parkplatzgelände des Porta-Möbelmarkts nicht ausschließlich als Parkfläche für mit dem Auto anreisende Veranstaltungsbesucher dienen werde, sondern auf diesem Gelände immer wechselnde, neue Aktionen angeboten werden sollen. Diese beschreibt die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung dahingehend, passend zum Straßenkünstlerfestival „Gütersloher Straßenfiffi“ gebe es auf dem großen Parkplatz vom Porta-Möbelmarkt ein Familienfest für Groß und Klein. Bereits bei der Ankunft würden „die Besucher*innen des Festes von einem Stelzenläufer begrüßt und auf die verschiedenen Mitmachaktionen vor Ort eingestimmt“.
12Diese Annahmen sind ausweislich der Verwaltungsvorgänge nicht offensichtlich unschlüssig und damit rechtlich voraussichtlich nicht zu beanstanden. Die Sonntagsöffnung findet innerhalb des Zeitraums statt, in dem die Anlassveranstaltungen durchgeführt werden. Die von der Antragsgegnerin angestellte Besucherprognose lässt vertretbar auf ein deutliches Überwiegen der Anzahl von Veranstaltungsbesuchern gegenüber ausschließlich von einer Ladenöffnung angezogenen Besuchern schließen. Die von ihr gegenüber gestellten Besucherzahlen für den verkaufsoffenen Sonntag von rund 35.000 Besuchern und für einen „normalen“ Samstag von rund 11.500 Besuchern sind weder angegriffen noch für die Prognose ungeeignet.
13Die Ladenöffnung ist zudem auf Flächen beschränkt, die im Wesentlichen im unmittelbaren Umfeld der einzelnen Veranstaltungsorte liegen und bezüglich derer die Antragsgegnerin eine Ausstrahlung der besonders attraktiven Innenstadtveranstaltung angenommen hat. Es spricht insbesondere viel dafür, dass ein räumlicher Bezug zwischen der Veranstaltung und dem Bereich der Ladenöffnung nicht deshalb fehlt, weil die Antragsgegnerin den räumlichen Bereich auf die Flächen um die Möbelhäuser porta Möbel und SB Möbel Boss sowie um das Gartencenter Brockmeyer (Friedrich-Ebert-Straße/Holzstraße) erstreckt hat.
14Vgl. hierzu: OVG NRW, Beschluss vom 22.3.2019 ‒ 4 B 398/19 ‒, juris, Rn. 16 ff.
15Ihre Annahme, dass die Bedeutung der Parkflächen beim Porta-Möbelmarkt besonders hoch sei, weil der Marktplatz selbst Veranstaltungsfläche sei und nicht zum Parken zur Verfügung stehe, erscheint zur Begründung schlüssig. Hierdurch wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich aus Sicht der Antragsgegnerin nicht um eine beliebige Parkmöglichkeit handelt, sondern um das zentrale Parkangebot zur Bewältigung des außergewöhnlich großen veranstaltungsbedingten Besucherstroms, für das eine von der Veranstaltung selbst ausgehende Ausstrahlungswirkung angenommen worden ist. Sie hat zur Begründung insbesondere darauf verwiesen, dass diese Parkflächen ‒ ebenso wie die oberirdischen Parkplätze an den Straßen der Innenstadt ‒ stark frequentiert würden und zwingend erforderlich seien. Es sei daher sachgerecht, vereinzelt liegenden Geschäften im Umfeld dieser Parkplatzflächen außerhalb der unmittelbaren innerstädtischen Kernzone zur Versorgung der Besucher die Möglichkeit einer sonntäglichen Geschäftsöffnung zu eröffnen. Dass die sich auf die gesamte Innenstadt verteilende Veranstaltung auch noch Ausstrahlungswirkung auf die freigegebenen Flächen um die genannten Parkplatzflächen aufweist, erscheint angesichts der Nähe dieser Parkplatzflächen, die ausschließlich durch die Gleisanlagen des Güterloher Bahnhofs von der Innenstadt abgetrennt sind, und von denen aus die Innenstadt in wenigen hundert Metern erreichbar ist sowie die vertretbar angenommene Notwendigkeit der Schaffung von nahe gelegenem Parkraum für die Veranstaltung nicht unschlüssig. Bestärkt wird dieser Eindruck durch die den Ratsmitgliedern bekannte Absicht, auch auf dem Parkplatzgelände des Porta-Möbelmarktes immer wechselnde, neue Aktionen anzubieten. Damit kann den den Parkplatz nutzenden Besuchern der Eindruck vermittelt werden, das Straßenkunst- und Volksfestgeschehen beginne bereits auf dem Parkplatz und dehne sich sodann auf die Innenstadt aus.
16Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
17Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
- 4 B 1427/21 1x (nicht zugeordnet)
- 4 B 398/19 1x (nicht zugeordnet)