Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 19 A 1917/21
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 40.000,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Der Senat entscheidet über den Antrag auf Zulassung der Berufung durch den Berichterstatter, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2 und 3, § 125 Abs. 1 VwGO).
3Der Berufungszulassungsantrag hat keinen Erfolg.
4Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO zuzulassen, wenn einer der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt wird und vorliegt. Darlegen in diesem Sinn bedeutet, unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil fallbezogen zu erläutern, weshalb die Voraussetzungen des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes im Streitfall vorliegen sollen. Das Oberverwaltungsgericht soll allein aufgrund der Zulassungsbegründung die Zulassungsfrage beurteilen können, also keine weiteren aufwändigen Ermittlungen anstellen müssen.
5OVG NRW, Beschluss vom 17. Juli 2020 - 19 A 4548/18 ‑, juris, Rn. 2; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 186, 194.
6Die Klägerin stützt ihren Antrag auf die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO. Keiner der Gründe liegt vor.
7I. Aus der Zulassungsbegründung ergeben sich zunächst keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
8Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird.
9Vgl. statt vieler BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 18. März 2022 ‑ 2 BvR 1232/20 ‑, NVwZ 2022, 789, juris, Rn. 23, vom 7. Juli 2021 ‑ 1 BvR 2356/19 -, NVwZ-RR 2021, 961, juris, Rn. 23, vom 16. April 2020 ‑ 1 BvR 2705/16 ‑, NVwZ-RR 2020, 905, juris, Rn. 21, und Beschluss vom 18. Juni 2019 ‑ 1 BvR 587/17 -, BVerfGE 151, 173, juris, Rn. 28 ff.; VerfGH NRW, Beschlüsse vom 13. Oktober 2020 ‑ VerfGH 82/20.VB‑2 ‑, juris, Rn. 19, und vom 17. Dezember 2019 ‑ VerfGH 56/19.VB‑3 -, NVwZ-RR 2020, 377, juris, Rn. 17 ff., jeweils m. w. N.
10Nach diesem Maßstab liegen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nicht vor.
11Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass der Bescheid des Landesprüfungsamts über das endgültige Nichtbestehen der Zweiten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen vom 5. Februar 2020 rechtmäßig sei, weil keine schwerwiegenden Gründe für den Antrag auf Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst und der damit verbundenen Beendigung des Prüfungsverfahrens gemäß § 36 Abs. 2 der Ordnung des Vorbereitungsdienstes und der Staatsprüfung für Lehrämter an Schulen (Ordnung des Vorbereitungsdienstes und der Staatsprüfung – OVP) vom 10. April 2011 vorlägen. Es sei, worauf das Landesprüfungsamt die Klägerin unverzüglich nach Eingang des Antrags auf Rücktritt vom Prüfungsverfahren hingewiesen habe, aus ihrem Antrag nicht hinreichend deutlich geworden, weshalb es ihr unzumutbar gewesen sei, nach Eintritt in die Prüfung und Nichtbestehen des ersten Prüfungsversuchs das Prüfungsverfahren fortzusetzen. Der bloße Verweis auf Kindererziehung und eine länger zurückliegende Erkrankung seien auch nicht ansatzweise geeignet gewesen, der Behörde eine sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen eines schwerwiegenden Grunds zu ermöglichen. Auch aus dem nach Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst vorgelegten Attest des Psychologischen Psychotherapeuten Dr. phil. Dipl.-Psych. T. vom 30. Januar 2020 würden schwerwiegende Gründe nicht erkennbar. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, ihr seien mangels hinreichender Hinweise des Beklagten die rechtlichen Konsequenzen und Anforderungen im Zusammenhang mit der Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst bzw. dem Rücktritt vom Prüfungsverfahren nicht bewusst gewesen. Sie sei vielmehr vom Landesprüfungsamt hinreichend informiert worden, zuletzt im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Eingang ihres Antrags.
12Die Klägerin macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils insoweit geltend, als sie sich durch das beklagte Land falsch beraten sieht; der Beklagte habe hiermit gegen beamtenrechtliche Fürsorgeregelungen verstoßen. Diese Rüge bleibt ohne Erfolg. Mit den seitens des Verwaltungsgerichts getroffenen Feststellungen zu den zeitlichen Abläufen der Beantragung sowohl der Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst als auch der Genehmigung des Prüfungsrücktritts setzt sich das Zulassungsvorbringen entgegen § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht hinreichend auseinander. Insbesondere unterbleibt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der ‑ auf der Grundlage des Verwaltungsvorgangs zutreffenden ‑ Bewertung des Verwaltungsgerichts, dass das Landesprüfungsamt die Klägerin ausdrücklich auf das Fehlen schwerwiegender Gründe für den Prüfungsrücktritt und die rechtlichen Konsequenzen hingewiesen habe. Inwieweit vor diesem Hintergrund eine etwaige Falschberatung durch den Seminarleiter zu einem Fehler der Entscheidung des Landesprüfungsamts geführt haben soll, ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht.
13Sollten mit dem Zulassungsvorbringen entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des Schriftsatzes vom 18. August 2021 ernstliche Zweifel auch insoweit geltend gemacht werden, als die Bewertung des Verwaltungsgerichts zur Verhältnisbestimmung der Rechtsbegriffe „wichtiger Grund“ (§ 5 Abs. 2 Sätze 4 und 5 OVP) und „schwerwiegender Grund“ (§ 36 Abs. 2 OVP) für falsch gehalten wird, greift dies in der Sache nicht durch. Entscheidungserheblich ist allein, ob das Landesprüfungsamt als für die Abnahme der Staatsprüfung zuständige Behörde (§ 30 Abs. 1 Satz 1 OVP) den unbestimmten Rechtsbegriff des „schwerwiegenden Grunds“ im Sinn des § 36 Abs. 2 OVP ordnungsgemäß auslegt und anwendet. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene eigenständige Auslegung des Begriffs eines schwerwiegenden Grunds führt nicht auf Rechtsfehler des angefochtenen Urteils. Die rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts steht vielmehr im Einklang mit den in der Rechtsprechung des beschließenden Gerichts aufgestellten Grundsätzen, die das Verwaltungsgericht ausdrücklich seiner Prüfung zugrunde legt. Nach diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass die Klägerin einen schwerwiegenden Grund nach § 36 Abs. 2 OVP nicht nachgewiesen habe. Die sinngemäße Rüge, die Bewertung des psychischen Krankheitsbilds sei fehlerhaft, zieht diese unter konkreter und eingehender Bewertung des Attests vom 30. Januar 2020 vorgenommene Würdigung nicht durchgreifend in Zweifel. Der Senat folgt insoweit vollständig der Begründung des angefochtenen Urteils (dort S. 7) und macht sie sich zu Eigen.
14II. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
15Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen bedarf es neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Rechts- oder Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.
16Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. April 2020 ‑ 1 BvR 2705/16 -, NVwZ-RR 2020, 905, juris, Rn. 23, und Beschluss vom 18. Juni 2019 - 1 BvR 587/17 -, BVerfGE 151, 173, juris, Rn. 33, jeweils m. w. N.; BVerwG, Beschlüsse vom 22. September 2020 - 1 B 39.20 -, juris, Rn. 3, und vom 2. Dezember 2019 - 2 B 21.19 -, juris, Rn. 4 m. w. N.; OVG NRW, Beschlüsse vom 30. November 2021 ‑ 19 A 4532/19 ‑, juris, Rn. 12, vom 30. September 2021 - 19 A 958/21 -, juris, Rn. 27, vom 9. September 2021 - 19 A 3347/20 -, juris, Rn. 23, vom 2. Juli 2021 ‑ 19 A 1113/20 -, juris, Rn. 32, und vom 6. Januar 2021 ‑ 19 A 4359/19 ‑, juris, Rn. 21, jeweils m. w. N.
17Die Klägerin erachtet als klärungsbedürftig die Fragen,
18in welchem Umfang dem Betroffenen zuzumuten ist, die mehr oder weniger feinsinnigen Abgrenzungen (der Rechtsbegriffe „wichtiger Grund“ und „schwerwiegender Grund“) zu kennen, deren Inhalt zu erfassen und hieraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen (Stichwort: „Parallelwertung in der Laiensphäre“),
19wie weit die Beweis- und Darlegungslast bei psychischen Beeinträchtigungen geht und ob die von der Rechtsprechung hierzu niedergelegten Grundsätze auch bei nicht körperlichen besonderen Belastungen gelten.
20Eine Rechtsfrage ist nicht schon klärungsbedürftig, wenn sie noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen oder obergerichtlichen Entscheidung war. Nur wenn ihre Klärung gerade eine solche Entscheidung verlangt, muss ein Rechtsmittelverfahren in der Hauptsache durchgeführt werden. Um dies darzulegen, muss die Klägerin aufzeigen, dass die Frage nicht schon anhand der üblichen Auslegungsregeln unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung aus dem Gesetz- oder Verordnungsrecht zu beantworten ist.
21Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 6. Juni 2018 ‑ 2 BvR 350/18 ‑, juris, Rn. 17 m. w. N.; BVerwG, Beschlüsse vom 9. März 2022 ‑ 1 B 24.22 ‑, juris, Rn. 21, vom 29. September 2021 ‑ 1 B 61.21 ‑, juris, Rn. 2, vom 22. September 2020, a. a. O., Rn. 3, vom 13. Mai 2020 - 8 B 69.19 ‑, juris, Rn. 5, vom 25. Juli 2017 ‑ 1 B 117.17 ‑, juris, Rn. 3, und vom 18. Januar 2017 - 8 B 16.16 ‑, LKV 2017, 126, juris, Rn. 20; OVG NRW, Beschluss vom 22. Juni 2022 ‑ 19 A 1181/22.A ‑, juris, Rn. 8.
22Nach diesen Maßstäben ist auch mit Blick auf die obigen Ausführungen ein Berufungsverfahren hinsichtlich der von der Klägerin aufgeworfenen Fragen nicht erforderlich. Auf das Verhältnis der in § 36 Abs. 2 OVP einerseits („schwerwiegender Grund“) und § 5 Abs. 2 Sätze 4 und 5 OVP andererseits („wichtiger Grund“) verwandten Rechtsbegriffe kommt es für ein etwaiges Berufungsverfahren nicht an. Die Entscheidung über das Nichtbestehen der Prüfung nach § 36 Abs. 2 OVP trifft das Landesprüfungsamt eigenständig im Rahmen des mit dem Eintritt in die Prüfung begründeten Prüfungsrechtsverhältnisses (§ 29 Abs. 2 OVP). Es trifft die Entscheidung insbesondere unabhängig von anderen Entscheidungen der Bezirksregierung als Einstellungsbehörde, die bei einer Entlassung auf eigenen Antrag der Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter aufgrund der Angaben der Antragstellerin oder des Antragstellers über das Vorliegen eines wichtigen Grunds im Sinn des § 5 Abs. 2 Satz 4 OVP im Zeitpunkt der Entlassung entscheidet und zuvor über die Folgen der Entlassung informiert (§ 6 Abs. 4 OVP). Die Bezirksregierung ist nach § 3 Satz 1 OVP Ausbildungsbehörde und nach § 6 Abs. 1 OVP Dienstvorgesetzte Stelle der mit der Einstellung in den Vorbereitungsdienst in das Beamtenverhältnis auf Widerruf berufenen Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter.
23Unabhängig davon ist die hier allein entscheidungstragende Auslegung des Begriffs des „schwerwiegenden Grunds“ im Sinn des § 36 Abs. 2 OVP auch hinsichtlich psychischer Beeinträchtigungen insoweit geklärt, als sie überhaupt verallgemeinerungs- und klärungsfähig ist. Gleiches gilt für die Anforderungen an die Darlegung des schwerwiegenden Grunds sowie die Frage der Beweislast,
24vgl. OVG NRW, Urteile vom 29. Januar 2020 ‑ 19 A 3028/15 ‑, juris, Rn. 36 ff., und vom 12. September 2017 ‑ 14 A 467/15 ‑, juris, Rn. 71 (zu § 39 Abs. 1 Satz 1 OVP 2003),
25und zwar auch in Bezug auf psychische Beeinträchtigungen oder Erkrankungen.
26Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. April 2020 ‑ 19 A 3026/18 ‑, demnächst in juris.
27Weitergehenden Klärungsbedarf zeigt der Zulassungsantrag insoweit nicht auf.
28Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
29Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 40, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 36.2 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
30Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).
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