Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 10 A 2396/21
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 72.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1Der zulässige Antrag ist unbegründet.
2Aus den innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegten Gründen ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
3Stützt der Rechtsmittelführer seinen Zulassungsantrag auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen. Dabei muss er den tragenden Rechtssatz oder die Feststellungen tatsächlicher Art, die er mit seinem Antrag angreifen will, bezeichnen und mit schlüssigen Gegenargumenten infrage stellen. Daran fehlt es hier.
4Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Kläger mit dem Antrag, den an den Beigeladenen gerichteten Bescheid der Beklagten vom 15. Juni 2020 über die Ausübung eines Vorkaufsrechts nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB für das Grundstück Gemarkung I., Flur 7, Flurstück 62 (H.-straße 44) (im Folgenden: Kaufgrundstück) aufzuheben, stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die am 25. September 2019 vom Rat beschlossene und am 7. Oktober 2019 bekannt gemachte Satzung der Beklagten über das besondere Vorkaufsrecht an Grundstücken im Bereich C.-straße/H1.-straße (im Folgenden: Satzung), in deren Geltungsbereich das Kaufgrundstück liege, sei unwirksam. Es sei nicht erkennbar, dass die Beklagte für die Grundstücke im Geltungsbereich der Satzung in dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses wie von § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB vorausgesetzt städtebauliche Maßnahmen in Betracht gezogen habe. Welche städtebaulichen Maßnahmen seitens der Beklagten in den Blick genommen würden, könne weder dem Satzungstext noch der Beschlussvorlage vom 2. September 2019 für die Sitzung des Ausschusses für Planen, Bauen, Umwelt und Denkmalpflege am 11. September 2019 (Drucksache 173/2019) (im Folgenden: Beschlussvorlage) zur Vorbereitung des Satzungsbeschlusses entnommen werden. Da die Beklagte die in Aussicht genommene städtebauliche Entwicklung nicht hinreichend und widerspruchsfrei konkretisiert habe, lasse sich nicht feststellen, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts dem Wohl der Allgemeinheit diene. Der Ausübung des Vorkaufsrechts stehe auch der Ausschlusstatbestand des § 26 Nr. 4 BauGB entgegen.
5Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB zu Unrecht verneint haben könnte.
6Ohne Erfolg rügt die Beklagte, das Verwaltungsgericht habe die Anforderungen an die Planungsvorstellungen der Gemeinde, die gegeben sein müssen, um durch eine Satzung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB ein Vorkaufsrecht für bestimmte Flächen festlegen zu können, überspannt. Anders, als die Beklagte meint, hat es das Verwaltungsgericht nicht etwa für erforderlich gehalten, dass bereits zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses städtebauliche Maßnahmen „unabwendbar eingeplant“ seien, sondern hat im Einklang mit den in der Rechtsprechung hierzu entwickelten Maßstäben zugrunde gelegt, dass dann, wenn es noch keine förmlich konkretisierte Planung für die fraglichen Flächen gebe, zwar die Einzelheiten der in Betracht gezogenen städtebaulichen Maßnahme noch nicht feststehen müssten, aber ein Minimum an Konkretisierung der Maßnahme bezogen auf ein bestimmtes Gebiet unverzichtbar sei.
7Vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2018 – 4 BN 42.18 –, juris, Rn. 5 f., vom 8. September 2009 – 4 BN 38.09 –, juris, Rn. 4, und vom 14. April 1994 – 4 B 70.94 –, juris, Rn. 5 ; OVG NRW, Urteile vom 7. November 2005 – 10 A 96/03.NE –, Seite 11 f. des Urteilsabdrucks, und vom 28. Juli 1997 – 10a D 31/97.NE –, juris, insbesondere Rn. 3 und 11 ff.
8Soweit die Beklagte meint, aus den in § 1 der Satzung enthaltenen Formulierungen ließe sich eine entsprechende Konkretisierung der in Betracht gezogenen städtebaulichen Maßnahme herleiten, hat das Verwaltungsgericht bereits zutreffend ausgeführt, dass es dort nur pauschal heiße, dass sich „kurz- bis mittelfristig ggf. städtebauliche Perspektiven“ für die Grundstücke im Geltungsbereich der Satzung ergäben. Im Übrigen sei mit den Worten, es sei „vorstellbar“, auf den Grundstücken im Geltungsbereich der Satzung „auch“ neue Wohnformen zu errichten, lediglich eine Option für eine Verwirklichung derartiger Wohnformen aufgezeigt und es bleibe unklar, welche anderen Nutzungsmöglichkeiten neben dieser Option für die Grundstücke in Betracht gezogen würden. Anders als die Beklagte meint, lässt sich, legt man § 1 der Satzung zugrunde, nicht sagen, dass zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses „unmissverständlich fest[stand]“, dass auf den Grundstücken im Geltungsbereich der Satzung (wenigstens hauptsächlich) Wohngebäude mit Wohnungen für Senioren ermöglicht werden sollten. Die Ermöglichung solcher Wohngebäude wurde in der Gemeinde im Zusammenhang mit dem Projekt „Gemeinsam in I. – Rezepte für neue Wohnalternativen“ ohnehin nur allgemein und soweit ersichtlich ohne Bezug auf konkrete Grundstücke diskutiert. Überzeugende Gründe dafür, warum die in § 1 der Satzung verwendeten Formulierungen „vorstellbar“ und „auch“ in dem konkreten Kontext bedeuten sollten, dass der Rat nach seinen Planungsvorstellungen für andere Nutzungen keinen Raum habe lassen wollen, vermag die Beklagte nicht zu benennen. Eine Wohnnutzung, die im Übrigen auch Wohnungen für Senioren einschließt, ist auf dem Kaufgrundstück bereits nach den Festsetzungen des geltenden Bebauungsplans Nr. „H1.-straße/I1.“ zulässig, sodass ein Sicherungsbedürfnis im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB insoweit nicht ersichtlich ist.
9Dass sich eine andere Bewertung unter Berücksichtigung des Inhalts der Beschlussvorlage ergeben könnte, zeigt die Beklagte ebenfalls nicht auf. Auch dort heißt es zunächst sehr allgemein, dass es sich bei den drei in den Blick genommenen Grundstücken um ein „markantes Areal an der B X.“ handele und hier „Raum für eine zielvolle städtebauliche Entwicklung sei“. Die von der Verwaltung erarbeiteten und der Beschlussvorlage beigefügten Vorschläge für eine Bebauung des Areals betreffen zwar konkret die Schaffung von barrierefreien Wohnungen mit Gemeinschaftsräumen. Aber auch insoweit heißt es lediglich, es sei „vorstellbar“, dass auf den in Rede stehenden Grundstücken „auch entsprechende Wohnformen (Projekt Wohnalternativen) errichtet werden“. Dass der Rat sich die Vorschläge der Verwaltung derart zu Eigen gemacht haben könnte, dass von entsprechend konkretisierten Planungsvorstellungen für die Grundstücke im Geltungsbereich der Satzung ausgegangen werden könnte, vermag der Rat nicht festzustellen. Auf diesbezügliche Formulierungen in dem angefochtenen Bescheid, der überdies auch nur vage von der „Initiierung des Projektes‚ Gemeinsam in I. – Rezepte für neue Wohnalternativen‘“ und von dem „Ziel, eine städtebaulich zukunftsweisende Bebauung zu installieren“ spricht, kommt es insoweit nicht an.
10Dass in einem Bebauungsplan auf der Grundlage von § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB einzelne Flächen festgesetzt werden können, auf denen ganz oder teilweise nur Wohngebäude errichtet werden dürfen, die für Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf – etwa für Menschen mit altersbedingten Einschränkungen – bestimmt sind,
11vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 1992 – 4 N 2.91 –, juris, Rn. 25 ff.,
12und derartige Festsetzungen mit Blick auf § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB städtebaulich erforderlich sein können, hat, anders als die Beklagte möglicherweise meint, auch das Verwaltungsgericht nicht in Frage gestellt. Dementsprechend kann eine im Hinblick auf eine solche Festsetzung in Betracht gezogene städtebauliche Maßnahme etwa in Form der Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplans grundsätzlich im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB sicherungsfähig sein. Die Gemeinde muss aber eine solche städtebauliche Maßnahme im Zeitpunkt des Beschlusses über die Satzung für bestimmte Grundstücke ernsthaft und auch mit einem gewissen Grad an Verbindlichkeit ins Auge fassen, will sie ein Vorkaufsrecht für diese Grundstücke festlegen. Dass der Rat, als er die Satzung beschlossen hat, diese Vorstellung tatsächlich hatte, lässt sich hier – wie vorstehend ausgeführt – auch auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht erkennen.
13Ob das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts außerdem nach § 26 Nr. 4 BauGB ausgeschlossen ist, bedarf nach dem Vorstehenden keiner Entscheidung. Denn das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, selbstständig tragend darauf gestützt, dass die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB nicht vorliegen.
14Aus der Begründung des Zulassungsantrags ergibt sich auch nicht, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat. Eine solche grundsätzliche Bedeutung wäre dann anzunehmen, wenn die Rechtssache eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.
15Ausgehend hiervon zeigt die Beklagte eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache mit der von ihr aufgeworfenen Frage,
16„ob der Ausschlussgrund des § 26 Nr. 4 Alt. 1 BauGB – bebauungsplankonforme Nutzung – für Vorkaufsrechte nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB im Geltungsbereich eines Bebauungsplans Anwendung findet oder bei einem Vorkaufsrecht nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB ausschließlich § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB gilt, so dass nur auf die Nutzung entsprechend den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme und nicht den Bebauungsplan abzustellen ist“,
17nicht auf. Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich nicht, dass sich diese Frage in einem Berufungsverfahren entscheidungserheblich stellen würde, denn das Verwaltungsgericht hat, wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, seine Entscheidung, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, selbstständig tragend damit begründet, dass schon die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB nicht vorlägen, ohne dass die Beklagte dies mit Erfolg mit einem Zulassungsgrund angreift.
18Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
19Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.
20Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Sätze 1 und 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
21Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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Referenzen
- 10a D 31/97 1x (nicht zugeordnet)
- 10 A 96/03 1x (nicht zugeordnet)