Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 9 A 1794/21
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 50.000 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
1Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
2Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. Das ist hier nicht der Fall.
31. Aus den im Zulassungsverfahren dargelegten Gründen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
4Das Verwaltungsgericht hat angenommen, der Bescheid des BfArM vom 30. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2018, mit dem festgestellt worden ist, dass es sich bei dem Produkt „N. der T. C. T1. “ um ein Medizinprodukt handelt, sei rechtmäßig. Denn das N. erreiche seine Hauptwirkung bei der Anwendung in Form von Moorwannenbädern, Moorpackungen und Moorkneten zur Behandlung von u. a. chronisch-entzündlichen Erkrankungen des Bewegungsapparates, zur Schmerzlinderung bei funktionellen, degenerativen und entzündlichen Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankungen sowie zur Behandlung von rheumatischen Beschwerden primär auf physikalischem bzw. mechanischem Weg. Die medizinische Zweckbestimmung werde demgegenüber nicht primär durch einen pharmakologischen bzw. metabolischen Wirkmechanismus ausgelöst. Eine primär pharmakologische bzw. metabolische Wirkweise werde insbesondere durch die von der Klägerin vorgelegten Gutachten nicht hinreichend belegt. Belegt und gut bekannt seien hingegen die vor allem thermophysikalischen Eigenschaften des Torfes bzw. des Moors der Klägerin.
5Diese Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die bestimmungsgemäße Hauptwirkung des streitgegenständlichen Moors primär auf physikalischem bzw. mechanischem und nicht primär auf pharmakologischem oder metabolischem Weg erreicht wird, wird durch das Zulassungsvorbringen nicht durchgreifend in Frage gestellt.
6a. Die im Gutachten von Prof. Dr. H. vom 27. August 2013 beschriebenen Effekte der (seriellen) Anwendung des Moors hat das Verwaltungsgericht nicht bezweifelt. Es hat allerdings ‑ unter Wiedergabe der entsprechenden Aussagen im Gutachten ‑ angenommen, dass der Gutachter diese Effekte vor allem auf die thermophysikalischen Eigenschaften des Torfes bzw. des Moors der Klägerin zurückführe, das Gutachten mithin gerade ein Beleg für die (thermo-)physikalischen Eigenschaften des Torfes bzw. des Moors der Klägerin sei. Der Gutachter stelle fest, dass die physikalischen Eigenschaften der Peloide von entscheidender Bedeutung für ihre therapeutischen Effekte seien. Im Verhältnis zu den Ausführungen zu den physikalisch-mechanischen Wirkungsweisen behandele das Gutachten potentielle arzneiliche Wirkungen nur ganz marginal unter dem Punkt 3.1.2 („Chemische Wirkungen“). Die dortigen Ausführungen seien jedoch sehr vage und belegten keinen arzneilichen, insbesondere pharmakologischen Wirkmechanismus.
7Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich nicht, dass diese Auffassung unzutreffend sein könnte, weil das Verwaltungsgericht die Aussagen des Gutachtens fehlerhaft gewürdigt oder das Gutachten nicht vollständig zur Kenntnis genommen hätte. Die Klägerin zeigt namentlich nicht auf, dass dem Gutachten entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu entnehmen wäre, die bestimmungsgemäße Hauptwirkung des streitgegenständlichen Moors werde auf pharmakologischem oder metabolischem statt auf thermophysikalischem Weg erzielt. Aus der in der Zulassungsbegründung insoweit allein (und nicht vollständig) wiedergegebenen Passage aus dem Gutachten, wonach der streitgegenständliche Torf eine Mischung aus organischen (Huminsäuren, Lignine, Zellulosen u. a.) und anorganischen Stoffen (Elektrolyte) sei und „die spezifische Konsistenz mit ihren charakteristischen thermophysiologischen Eigenschaften (…) ein Mittel“ darstelle, „das bei bestimmten Anwendungsformen physiologische und metabolische Wirkungen entfalten kann“ (vgl. S. 17 des Gutachtens), ergibt sich Derartiges nicht. Dem letzten Halbsatz lässt sich nicht die Aussage entnehmen, die bestimmungsgemäße Hauptwirkung des streitgegenständlichen Moors sei ‑ im Sinne der vom Verwaltungsgericht zutreffend unter Rückgriff auf die sog. „Borderline-Leitlinie“ gegebenen Begriffsbestimmung,
8vgl. dazu auch OVG NRW, Urteil vom 30. August 2022 ‑ 9 A 1294/17 ‑, juris Rn. 50 ff., ‑
9metabolisch. Abgesehen davon, dass sich der Satz ohnehin nur im Rahmen der von dem Gutachter vorgenommenen rechtlichen Beurteilung („Beurteilung nach Maßgabe des Arzneimittelgesetzes“) findet, die aber dem Gericht vorbehalten ist, fehlt es in dem Gutachten in diesem Zusammenhang an weiteren Ausführungen zu der angesprochenen möglichen metabolischen Wirkung. Dass sich aus den vorhergehenden Ausführungen, insbesondere zu den Eigenschaften und Wirkungen der therapeutischen Peloide, eine primär metabolische Wirkung des streitgegenständlichen Moors ergibt, zeigt die Zulassungsbegründung nicht auf. Sie setzt sich auch nicht mit der Auffassung des Verwaltungsgerichts auseinander, dass das Gutachten vor allem die thermophysikalischen Eigenschaften therapeutischer Peloide beschreibe.
10b. Ohne Erfolg verweist die Klägerin auf das Gutachten von Prof. C1. vom 28. Juni 2018 und auf die darin beschriebene Permeation von Torfinhaltsstoffen durch die menschliche Haut. Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass auch dieses Gutachten zunächst bestätige, dass es sich bei den sog. allgemeinen Wirkungen mit großer Wahrscheinlichkeit auch um Folgen der Wärmewirkung auf den Organismus handele. Daneben habe Torf dem Gutachten zufolge aber auch eine Reihe chemischer Wirkungen. Die in dem Gutachten als Begründung angeführten Versuche aus dem Jahr 2003, bei denen nachgewiesen worden sei, dass bestimmte Torfinhaltsstoffe durch die Haut permeieren könnten und dass diese eine Reaktion auf der glatten Muskulatur eines Meerschweinchenmagens hervorriefen, könnten allerdings nicht als hinreichender Beleg für eine pharmakologische Wirkweise des Torfes speziell der Klägerin angesehen werden. Die Ergebnisse des Versuches könnten aus mehreren Gründen nicht auf die Anwendung des klägerischen Moors unter realen Bedingungen übertragen werden. Zunächst habe es sich nur um einen in-vitro-Versuch an einem Gewebeprodukt eines Tieres gehandelt, der allenfalls Ausgangspunkt für weitere Prüfungen sein könne. Zudem sei der Versuch nicht mit dem Torf der Klägerin durchgeführt worden, wobei der Gutachter selbst ausführe, dass es etwa 30 bis 50 verschiedene Torfarten gebe, die sich in ihrer inhaltlichen Zusammensetzung unterschieden. Schließlich spreche auch die Versuchsanordnung (Permeation sechs Stunden lang; Wirkungen der permeierten Fraktionen der Torfinhaltsstoffe auf die glatte Muskulatur eines Meerschweinchenmagens) gegen eine Übertragbarkeit der Untersuchungen auf reale Verhältnisse (Dauer eines Moorbads nicht länger als eine Stunde) und die Anwendung am Menschen, zumal sich beim Menschen unter der Haut zunächst auch keine glatte, sondern quergestreifte Muskulatur befinde.
11Mit dieser Begründung setzt sich die Zulassungsbegründung nicht substantiiert auseinander. Sie geht bereits nicht auf die Feststellung des Verwaltungsgerichts ein, dass auch dieses Gutachten physikalische Wirkungen beschreibe. Vielmehr räumt die Klägerin selbst ein, dass das N. seine Wirkungen „natürlich auch“ auf physikalischem Weg erreiche. Dazu, dass und warum eine pharmakologische Wirkung ‑ eine solche Wirkung im Sinne des Gutachtens vom 28. Juni 2018 nebst den ergänzenden Ausführungen des Gutachters vom 15. Januar 2019 unterstellt ‑ gleichwohl die bestimmungsgemäße Hauptwirkung sein soll, verhält sich die Zulassungsbegründung nicht. Mit Blick auf die in dem Gutachten neben den thermophysikalischen Wirkungen angesprochenen (chemischen) Wirkungen biologischer Substanzen aus dem N. auf die Alpha2-Adreno-, die D2-Dopamin- und die H1-Histaminrezeptoren hat das Verwaltungsgericht, anders als mit der Zulassungsbegründung behauptet, die Annahme einer pharmakologischen Hauptwirkung nicht allein mit dem „in-vitro Versuch an einem Tier (…) kurzer Hand abgetan“. Abgesehen von der fehlenden Vergleichbarkeit mit der Anwendung am Menschen hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass der Versuchsaufbau nicht den realen Verhältnissen bei der Anwendung des Moors am Menschen entspreche. Auch hierzu verhält sich die Zulassungsbegründung nicht.
12c. Der weitere Einwand der Klägerin, das Verwaltungsgericht verweise die „Fülle der Wirkbereiche“ ohne Auseinandersetzung mit den von ihr vorgelegten wissenschaftlichen Gutachten und ohne nachvollziehbare Begründung in den physikalischen Bereich, trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat alle von der Klägerin angeführten Gutachten berücksichtigt, auch den Forschungsbericht von Sagorchev und Lukanov vom 15. Januar 2019, diese zum Teil inhaltlich wiedergegeben, gewürdigt und begründet, warum es ihnen jeweils keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine pharmakologische oder metabolische Hauptwirkung des streitgegenständlichen Moors entnehmen kann. Die therapeutischen Wirkungen des Moors hat es im Übrigen nicht in Frage gestellt.
132. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.
14Das wäre nur dann der Fall, wenn die Angriffe der Klägerin gegen die Tatsachenfeststellungen oder die rechtlichen Würdigungen, auf denen das angefochtene Urteil beruht, begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gäben, die sich nicht ohne weiteres im Zulassungsverfahren klären ließen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern würden. Dass der Ausgang des Rechtsstreits in diesem Sinne offen ist, lässt sich auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht feststellen. Wie oben unter 1. ausgeführt, stellt die Klägerin die Richtigkeit des Urteils mit ihren Einwänden nicht ernsthaft in Frage.
15Der weitere Einwand der Klägerin, die Schlussfolgerungen des Verwaltungsgerichts aus den vorgelegten Gutachten seien nicht nachvollziehbar und es hätte „angesichts der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Materie nahe gelegen, einen gerichtlich bestellten Gutachter hinzu zu ziehen“, zeigen besondere Schwierigkeiten im oben genannten Sinne ebenfalls nicht auf.
16Sollte die Klägerin mit diesem Vorbringen den Zulassungsgrund eines Verfahrensfehlers ‑ in Gestalt eines Aufklärungsmangels (§ 86 Abs. 1 VwGO) ‑ gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend machen wollen, liegt dieser nicht vor. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts erst dann, wenn es von einer weiteren Sachverhaltsermittlung oder Beweiserhebung absieht, die sich ihm ‑ ausgehend von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt ‑ auch ohne einen ausdrücklich gestellten Beweisantrag hätte aufdrängen müssen oder sonst geboten gewesen wäre.
17Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. März 2017 - 9 A 232/15 -, juris Rn. 53; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 124 Rn. 191.
18Das zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf. Einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens oder auf Vernehmung eines Sachverständigen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt. Da mehrere (balneologische) Gutachten bzw. gutachterliche Stellungnahmen bereits vorlagen, musste sich dem Verwaltungsgericht die Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens auch nicht aufdrängen ‑ zumal die Klägerin im Klageverfahren selbst mitgeteilt hatte, dass sie angesichts der vorliegenden Gutachten „die Einholung eines weiteren Expertenurteils“ für entbehrlich halte (vgl. S. 11 des Schriftsatzes vom 20. Februar 2019).
193. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
20Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.
21Ausgehend hiervon zeigt die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht auf. Es fehlt bereits an der Formulierung einer entsprechenden Rechts- oder Tatsachenfrage. Dem Vorbringen, die Balneologie und das Wertesystem der deutschen Kurorte und Heilbäder verdienten eine gründliche Auseinandersetzung mit der Jahrhunderte alten Wissenschaft, aber auch der jungen Erkenntnisse dieses besonderen Therapiezweiges, lässt sich eine klärungsbedürfte Frage auch nicht sinngemäß entnehmen. Entsprechendes gilt für das weitere, überdies kaum verständliche Vorbringen, es würden weltweit seit vielen Jahrhunderten bekannte biologisch-chemische Wirkungen in Abrede gestellt, was vollkommen jeder verbrieften klinischen Erfahrung widerspreche und wodurch die arzneilichen Wirkungen der Peloide verloren gingen. Eine über den vorliegenden Einzelfall hinaus klärungsfähige und ‑bedürftige Frage lässt sich auch den Ausführungen zur grundsätzlichen Bedeutung in der weiteren ‑ ohnehin nach Fristablauf eingegangenen ‑ Antragsbegründung vom 18. März 2022 nicht entnehmen.
22Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.
23Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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Referenzen
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