Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (8. Senat) - 8 C 10128/08

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Tenor

Der am 18. Juli 2007 als Satzung beschlossene Bebauungsplan „H. Straße“ der Antragsgegnerin wird für unwirksam erklärt.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Antragsteller zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Antragsteller wendet sich gegen das durch den Bebauungsplan „H. Straße“ der Antragsgegnerin zugelassene Heranrücken von Wohnbebauung an seinen im Außenbereich des Ortes gelegenen landwirtschaftlichen Betrieb. Er ist Vollerwerbslandwirt und betreibt Milchviehwirtschaft. Nach den Feststellungen der Antragsgegnerin hält er 170 Rinder.

2

Das Plangebiet umfasst einen Bereich nördlich der bestehenden Ortslage zu beiden Seiten der bislang als landwirtschaftlicher Weg genutzten Verlängerung der H. Straße. Dieser Weg soll zu einer Erschließungsstraße ausgebaut werden. Etwa 125 m von der Grenze des Plangebiets entfernt beginnt in nordöstlicher Richtung das Betriebsgrundstück des dem Antragsteller gehörenden Aussiedlerhofs. Der Abstand zwischen dem am weitesten östlich gelegenen Baufenster und dem am weitesten westlich gelegenen Stall des Aussiedlerhofs beträgt etwa 150 m.

3

Der angegriffene Bebauungsplan stellt die Überarbeitung eines bereits am 1. März 2004 als Satzung beschlossenen Bebauungsplans dar. Bereits in dieser ursprünglichen Planung hatte die Antragsgegnerin die Ausweisung eines allgemeinen Wohngebiets beabsichtigt, die Art der baulichen Nutzung im endgültigen Bebauungsplan jedoch nach Einwendungen der Kreisverwaltung, der Landwirtschaftskammer und der Gewerbeaufsichtsbehörde als Dorfgebiet festgesetzt. Hinsichtlich der Ausdehnung des Plangebiets war der ursprüngliche Vorentwurf aufgrund Beschlusses des Gemeinderats vom 2. Mai 2001 um etwa 50 m (4 Bauplätze) nach Osten erweitert worden. Der Bebauungsplan vom 1. März 2004 wurde mit Urteil des Senats vom 8. Dezember 2004 mit der Begründung für unwirksam erklärt, dass die Festsetzung eines Dorfgebiets nicht im Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich, sondern nur deshalb erfolgt sei, um einen möglichen Nutzungskonflikt zwischen dem landwirtschaftlichen Betrieb des Antragstellers und einer Wohnbebauung zu verhindern, die weniger als 200 m bis an die Hofstelle heranrücke.

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Die Antragsgegnerin hielt auch nach dem Urteil des Senats an ihrer ursprünglichen Planung fest. Inzwischen waren bereits auf vier zum Plangebiet gehörenden Grundstücken – angrenzend an die vorhandene Bebauung im Südwesten – Wohnhäuser genehmigt und errichtet worden. Das im Auftrag der Antragsgegnerin erstattete Gutachten der …-GmbH vom 20. Februar 2006 kam zu folgendem Ergebnis: Die im Plangebiet zu erwartenden Geruchsimmissionen durch den benachbarten Betrieb des Antragstellers hielten den in der Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL 2004) vorgegebenen Immissionswert (Häufigkeit von Geruchsstunden: maximal 10 % der Jahresstunden) ein. Dies gelte auch unter Berücksichtigung betrieblicher Erweiterungen. Die von der Hofstelle selbst ausgehenden Geräusche lägen deutlich unter den maßgeblichen Immissionsgrenzwerten. Allerdings führe die Benutzung der zukünftigen Erschließungsstraße durch landwirtschaftliche Fahrzeuge während der Erntezeit des Nachts zu deutlichen Lärmbeeinträchtigungen (Beurteilungspegel zwischen 56 dB(A) und 58 dB(A)). Zu deren Minderung sei die Vornahme passiver Schallschutzmaßnahmen an den der Straße zugewandten Hausteilen geboten.

5

Im Rahmen der Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange wurden nachfolgende Einwände erhoben: Der Antragsteller äußerte seine Sorge, dass betriebliche Erweiterungen zukünftig nicht mehr uneingeschränkt möglich seien. Dadurch seien der nachhaltige Fortbestand seines Milchviehbetriebes und seine Erweiterungsabsichten (Errichtung einer Güllegrube und die Verlagerung der Mastschweinehaltung aus der Ortslage an den Aussiedlungsstandort) nicht mehr gewährleistet. Als Kompromiss sei er bei einer Reduzierung des Baugebiets um 4 Bauplätze mit der Planung einverstanden. Die Landwirtschaftskammer hielt an ihren bereits früher geäußerten Bedenken fest. Nach der VDI-Richtlinie 3471 sei bei einem Tierbesatz von 300 Mastschweinen ein Abstand von ca. 220 m geboten. Insgesamt habe die Bauleitplanung das Konfliktpotenzial der Geruchsimmissionen nicht bewältigt. Die Gewerbeaufsichtsbehörde sah ihre Bedenken gegen die Ausweisung des allgemeinen Wohngebiets nicht ausgeräumt. Die Wasserwirtschaftsbehörde rügte das vorgesehene Trennsystem mit Einleitung des Oberflächenwassers in den Regenwasserkanal und sodann in den Reichenbach. Die Unmöglichkeit einer dezentralen Oberflächenentwässerung (Versickerung auf den Grundstücken) sei fachlich nicht nachvollziehbar. Die untere Naturschutzbehörde äußerte erhebliche Bedenken gegen die vorgelegte Planung. Sie führe zum Verlust einer sehr vielfältigen Streuobstwiesenbrache mit altem Obstbaumbestand sowie einer prägnanten Hecke westlich des Wirtschaftsweges und zur Überbauung einer Streuobstwiese östlich des Weges. Beide Teilflächen wiesen eine hohe bis sehr hohe landespflegerische Wertigkeit auf. Sofern keine geeigneteren Gebiete in der Ortsgemeinde vorhanden seien und eine Siedlungserweiterung in dem gewählten Standortbereich unabänderlich sein sollte, könne den Belangen der Landespflege nur durch eine deutlich reduzierte Planung Rechnung getragen werden.

6

Der Rat der Antragsgegnerin befasste sich am 18. Juli 2007 abschließend mit den vorgebrachten Einwendungen: Hinsichtlich der immissionsschutzrechtlichen Bedenken wurde auf das Gutachten der …-GmbH und deren ergänzende Stellungnahme vom 11. Oktober 2006 verwiesen. Darin hatten die Sachverständigen ausgeführt, dass sich bei einer Abstandsberechnung nach der VDI-Richtlinie 3471 unter Berücksichtigung des geplanten Mastschweinestalls und der Einrechnung der vorhandenen Rinder (insgesamt 78 Großvieheinheiten) ein Abstand von 260 m zwischen dem Immissionsschwerpunkt und dem nächstgelegenen Bauplatz ergebe. Dieser Abstand sei jedoch ein pauschaler Wert, der die witterungsbedingten und topographischen Besonderheiten nicht hinreichend berücksichtige, was hingegen bei einer Ausbreitungsberechnung nach GIRL der Fall sei. Die landespflegerischen Bedenken wies der Gemeinderat mit der Begründung zurück, dass durch die festgesetzten Ausgleichsmaßnahmen eine größtmögliche Kompensation der Eingriffe erfolge. Die wasserwirtschaftlichen Bedenken seien zurückzuweisen, weil nach dem vorliegenden Bodengutachten im Plangebiet eine Versickerung des anfallenden Oberflächenwassers nicht möglich sei. Anschließend beschloss der Rat den Bebauungsplan „H. Straße“ als Satzung. Der Plan wurde am 12. November 2007 ausgefertigt und am 15. November 2007 ortsüblich bekannt gemacht.

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Der Bebauungsplan setzt als Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet fest. Ferner werden Lärmpegelbereiche mit der Maßgabe festgesetzt, dass die Außenbauteile der schutzwürdigen Aufenthaltsräume die einzeln festgesetzten Schalldämmwerte einhalten müssen. Als naturschutzrechtlichen Ausgleich für die Neuversiegelung sowie zur Wiederherstellung entfallener Obstwiesenbestände soll außerhalb des Plangebiets – südlich der Ortslage – auf einem dafür bereitgestellten Grundstück der Ortsgemeinde eine Streuobstwiese angelegt werden. Im Übrigen sieht die Planung die Erhaltung vorhandener Obstbäume sowie die Anpflanzung neuer Laub- oder Obstbäume vor. Nach seiner Begründung soll der Bebauungsplan den in der Gemeinde vorhandenen Bedarf an Wohnbauland abdecken. Ziel der Planung sei es, mögliche Nutzungskonflikte mit den Belangen der Landwirtschaft bereits im Vorfeld zu verhindern. Der Flächennutzungsplan werde im Parallelverfahren entsprechend geändert.

8

Zur Begründung der dagegen eingereichten Normenkontrolle trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor: Der Plan sei sowohl im Abwägungsvorgang als auch im Abwägungsergebnis fehlerhaft. Er mache eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Erweiterung des Aussiedlerhofs unmöglich. Landwirtschaftskammer und Gewerbeaufsichtsamt forderten zu Recht einen Abstand zwischen dem landwirtschaftlichen Betrieb und dem nächsten Baufenster von 200 bis 300 m. Er sei gezwungen, auch zukünftig die verlängerte H. Straße mit seinen landwirtschaftlichen Geräten zu befahren, was Konflikte mit den Anwohnern befürchten lasse.

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Der Antragsteller beantragt,

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den am 18. Juli 2007 als Satzung beschlossenen Bebauungsplan „H. Straße“ der Antragsgegnerin für unwirksam zu erklären.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Nach ihrer Auffassung leidet die Planung nicht an Fehlern. Der geltend gemachte Immissionskonflikt sei zutreffend ermittelt worden. Danach sei die geplante Wohnbebauung mit dem vorhandenen Aussiedlerhof verträglich. Dies gelte auch für eine Erweiterung der bislang vorhandenen Ställe. Im Übrigen seien zusätzliche Ställe auch durchaus im Nordosten des Betriebsgrundstücks und damit in einem Abstand von mehr als 300 m zur geplanten Wohnbebauung möglich. Insgesamt handele es sich um eine interessengerechte Abwägung.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Planaufstellungsunterlagen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Normenkontrolle ist begründet.

16

Der Bebauungsplan „H. Straße“ genügt nicht den Anforderungen an eine fehlerfreie Abwägung. Insofern unterliegt die planende Gemeinde zunächst dem – nunmehr als Verfahrensnorm ausgestalteten – Gebot der Ermittlung und zutreffenden Bewertung der abwägungsbeachtlichen Belange (§ 2 Abs. 3 BauGB) sowie ferner den (inhaltlichen) Anforderungen an die verhältnismäßige Gewichtung und den gerechten Ausgleich der konkurrierenden Belange (§ 1 Abs. 7 BauGB; vgl. zur fehlenden inhaltlichen Änderung der Anforderungen an eine fehlerfreie Abwägung durch Einführung des § 2 Abs. 3 BauGB: BVerwG, Urteil vom 9. April 2008 – 4 CN 1.07 -, Rn. 18 und 22). Im Bebauungsplan „H. Straße“ ist der Ausgleich zwischen den Betriebsinteressen des Antragstellers und dem Interesse der Antragsgegnerin an einer Ausweitung der Wohnbebauung nach Nordosten in einer Weise vorgenommen worden, die zum objektiven Gewicht dieser Belange außer Verhältnis steht und deshalb abwägungsfehlerhaft ist. Dieser Fehler ist nach § 214 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB beachtlich.

17

(1) Beim Heranrücken einer Wohnbebauung an einen landwirtschaftlichen Aussiedlerhof ist der in § 50 BImSchG verankerte Trennungsgrundsatz von besonderer Bedeutung. Danach sind unverträgliche Nutzungen so einander zuzuordnen, dass schädliche Umwelteinwirkungen soweit wie möglich vermieden werden. Auch die Antragsgegnerin hat dieses Konfliktvermeidungsprinzip als vorrangiges Ziel ihrer Planung herausgestellt. Nach ihrer Begründung soll die Planung dazu dienen, mögliche Nutzungskonflikte des Gebiets mit den Belangen der Landwirtschaft „bereits im Vorfeld zu verhindern“ (vgl. S. 1). Diesem Ziel, Nutzungskonflikte von vorneherein soweit wie möglich zu vermeiden, ist die Antragsgegnerin nicht gerecht geworden, indem sie das Plangebiet trotz mehrfach geäußerter fachlicher Bedenken bis an die Grenze dessen auszudehnen suchte, was dem Antragsteller unter dem Gebot der Rücksichtnahme zwingend zumutbar ist. Denn das Rücksichtnahmegebot markiert die Grenze, die bei der Genehmigung eines Einzelvorhabens nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB nicht überschritten werden darf. Planerische Konfliktvermeidung verlangt indes nach größerer Zurückhaltung.

18

Bei der Ausdehnung der Bebauung in den Außenbereich ist das Interesse dort vorhandener landwirtschaftlicher Aussiedlerbetriebe an ungestörtem Wirtschaften mit besonderem Gewicht bei der Abwägung zu berücksichtigen. Denn eine Verlagerung der Hofstelle in den Außenbereich geschieht wesentlich auch aus dem Grund, den Betrieb unbeeinflusst von innerorts vorhandenen Nachbarschaftskonflikten führen zu können. Hofstellen landwirtschaftlicher Betriebe sind denn auch im Außenbereich privilegiert zulässig (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB). Dies bedeutet freilich nicht, dass der Aussiedlerhof Bestandsschutz in dem Sinne genießt, dass er jedwede für ihn nachteilige Veränderung der bauplanungsrechtlichen Situation abwehren kann. Jedoch kann der Inhaber eines Aussiedlerhofes beanspruchen, dass sein Interesse an möglichst ungestörtem Wirtschaften und damit am Erhalt des Privilegierungsgrundes nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB mit besonderem Gewicht in die bauleitplanerische Abwägung einfließt. Zudem dient der Standort fernab der Ortslage dazu, Möglichkeiten einer künftigen Betriebsausweitung offen zu halten. Auch dieses Interesse ist deshalb in die Abwägung einzustellen, zumindest dann, wenn und soweit die Erweiterung bereits konkret ins Auge gefasst ist oder bei realistischer Betriebsweise der Entwicklungsmöglichkeiten nahe liegt und es sich nicht bloß um unklare und unverbindliche Absichtserklärungen handelt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. September 2000, BauR 2001, 83 m.w.N.). Von der planenden Kommune kann verlangt werden, Konfliktlagen auch für die Zukunft soweit wie möglich zu vermeiden. Soll eine Wohnnutzung dennoch so nahe an einen vorhandenen landwirtschaftlichen Betrieb herangeführt werden, dass von dessen Inhaber seinerseits in der Zukunft Rücksichtnahme auf die benachbarte Wohnbebauung erwartet wird – wie hier - , so bedarf es hierfür besonderer städtebaulicher Gründe.

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Eine solche besondere Lage hat die Antragsgegnerin nicht darlegen können. Insbesondere hat sie unabweisbare Gründe für die Notwendigkeit der Baulandausweisung gerade in diesem Teil der Ortslage und in diesem Umfang nicht überzeugend nennen können. Hierfür ist nicht zuletzt im Hinblick auf die sich aus der Flächennutzungsplanung ergebenden Siedlungspotenziale in der Gemeinde auch nichts ersichtlich (vgl. hierzu S. 17 der Begründung des Bebauungsplans).

20

(2) Die Antragsgegnerin hat durch ihre Bauleitplanung einen ersten Konflikt zwischen Wohnnutzung und landwirtschaftlichem Betrieb bereits dadurch geschaffen, dass sie den als Zufahrt zu dem Aussiedlerhof genutzten Wirtschaftsweg als Wohnstraße überplant hat. Dadurch wird der landwirtschaftliche Verkehr von und zur Hofstelle zwangsläufig durch das Wohngebiet geführt. Nach dem Immissionsgutachten der …-GmbH vom 20. Februar 2006 führt dies während der Erntezeit in den Nachtstunden zu erheblichen Lärmbeeinträchtigungen für die angrenzenden Wohngrundstücke (Beurteilungspegel zwischen 56 dB(A) und 58 dB(A)). Zum Zeitpunkt des Beschlusses über den hier zu beurteilenden Bebauungsplan vom 18. Juli 2007 lag dieser Konflikt allerdings durch die zwischenzeitlich im Westteil des Plangebiets entstandene Bebauung bereits zum Teil vor. Von daher ist es nicht abwägungsfehlerhaft, wenn die Antragsgegnerin das Ziel verfolgt, die bereits vorhandene Bebauung abzurunden und die entstandene Konfliktlage durch die Festsetzung passiver Schallschutzmaßnahmen zu bewältigen. Letzteres ist hier geschehen, indem zur Gewährleistung zumutbarer Innenraumpegel die Einhaltung bestimmter Schalldämmmaße bei den der Straße zugewandten Außenbauteilen der Wohnhäuser festgesetzt und im Übrigen architektonische Selbsthilfe durch entsprechende Grundrissgestaltung empfohlen wurden. Gerade wegen der empfohlenen Verlagerung schutzbedürftiger Aufenthaltsräume auf die straßenabgewandte Seite war die Antragsgegnerin bei ihrer Abwägung jedoch gehalten, die hiermit verbundene Entlastungswirkung nicht durch die Zulassung anderer Immissionen im rückwärtigen Grundstücksbereich zu entwerten. Letzteres ist jedoch für die im östlichen Teil des Plangebiets gelegenen Baugrundstücke im Hinblick auf die von dem landwirtschaftlichen Betrieb hervorgerufenen Geruchsbeeinträchtigungen der Fall.

21

Für die Bewertung von Geruchsimmissionen durch landwirtschaftliche Betriebe gibt es keine normativen Vorgaben. Als Hilfsmittel und Entscheidungshilfe kann jedoch auf die VDI-Richtlinie 3471 (Emissionsminderung, Tierhaltung, Schweine) sowie die Geruchsimmissionsrichtlinie – GIRL – des Länderausschusses für Immissionsschutz (LAI) i.d.F. vom 21. September 2004 (vgl. Feldhaus, BImSchG, C 4.11) zurückgegriffen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Mai 2007, BauR 2007, 1454). Gegenstand dieser Regelwerke ist die Festlegung des – für die Genehmigung von Einzelvorhaben wesentlichen – Maßes schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB und § 3 Abs. 1 BImSchG. Landwirtschaftskammer und Gewerbeaufsichtsbehörde haben im Planaufstellungsverfahren übereinstimmend einen Abstand zwischen den Baugrundstücken und dem Aussiedlerhof von 200 m gefordert, was bei einer Rückkehr zum Vorentwurf aus dem Jahr 2001 (Wegfall von 4 Baugrundstücken) erreichbar wäre (vgl. das Schreiben der Verbandsgemeindeverwaltung vom 27. April 2005 und den Aktenvermerk zur Haltung der Landwirtschaftskammer vom 6. Mai 2005, ferner die Stellungnahme der SGD Süd – Gewerbeaufsicht – vom 29. September 2003 [analoge Anwendung des Abstandserlasses des Ministeriums für Umwelt Rheinland-Pfalz vom 26. Februar 1992] und die Bezugnahme hierauf in ihren späteren Einwendungen).

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Die Antragsgegnerin hat sich bei ihrer Planung nicht von diesen pauschalen Abstandsempfehlungen leiten, sondern eine Sonderbeurteilung durchführen lassen. Die nach der Geruchsimmissionsrichtlinie von der …-GmbH durchgeführte Untersuchung hatte zum Ergebnis, dass der empfohlene Immissionswert von nicht mehr als 876 Geruchsstunden im Jahr (vgl. Nr. 3.1 GIRL: 10 % der Jahresstunden) lediglich auf dem nordöstlichsten – aus der Planung daraufhin herausgenommenen - Baugrundstück nicht eingehalten wird, und zwar sowohl bezogen auf den vorhandenen Betrieb als auch bezüglich der untersuchten Erweiterungsszenarien (Verdoppelung des Rinderbestandes bzw. Verlagerung von 300 Mastschweineplätzen auf den Aussiedlerhof). Die lediglich geringfügige Verschiebung der 10 %-Kontur in den Ausbreitungskarten der Prognosefälle hat der Gutachter nachvollziehbar damit erklärt, dass die Erhöhung des Tierbestandes zwar zu einer Zunahme der Geruchsbelastung des Plangebiets gegenüber dem Status quo führe; die Erhöhung der Geruchsintensität gehe jedoch nicht mit einer entsprechenden Erhöhung der – nach dem Immissionswert der GIRL allein maßgeblichen – Zahl der Geruchsstunden einher. Die Erläuterungen des Gutachtens in der mündlichen Verhandlung haben jedoch ergeben, dass die Beurteilung auf Annahmen beruht, deren Einhaltung in der Zukunft nicht sicher garantiert werden können oder die ein emissionsminderndes Verhalten bei der Betriebsführung des Antragstellers unterstellen. Ersteres gilt hinsichtlich der für die Ausbreitung der Geruchsstoffe entscheidenden Windrichtungsverteilung, für die der Gutachter mangels repräsentativer Daten für den Standort Reichenbach-Steegen auf die Ausbreitungsklassenzeitreihe der Messstation Mannheim des Deutschen Wetterdienstes aus dem Jahr 2002 zurückgegriffen hat (vgl. S. 13 des Gutachtens vom 20. Februar 2006). Im Übrigen hat der Gutachter die Nichtberücksichtigung des von dem Kläger geplanten Güllelagers damit begründet, dass er von der Errichtung einer Güllegrube mit befahrbarem Deckel ausgegangen sei und bei einer solchen Anlage Emissionen vernachlässigt werden könnten. Bei Errichtung eines (kostengünstigeren) offenen Güllebehälters werde sich auch bei Gewährleistung einer emissionsmindernden „Schwimmdecke“ aus Stroh die Geruchsbelastung im angrenzenden Wohngebiet erhöhen. Hinsichtlich des durch die Benutzung der beiden Fahrsilos ausgelösten Geruchsstoffstroms hat der Gutachter in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass eine zeitlich differenzierte Betrachtung dieser Emissionskomponente, beschränkt auf die Monate der Benutzung der Silos, einen anderen Umfang der Geruchsbelastung für das angrenzende Wohngebiet ergeben könnte als die von ihm praktizierte Mittelung des Geruchsstoffstroms über das gesamte Jahr.

23

Zusammenfassend steht damit fest, dass die Antragsgegnerin mit dem angegriffenen Bebauungsplan die Wohnnutzung bis zu einer Grenze ausgedehnt hat, die bereits aktuell die Schwelle zu unzumutbaren Geruchsbelästigungen markiert und die vom Antragsteller in der Zukunft seinerseits Rücksichtnahme auf die herangerückte Wohnbebauung abverlangt. Für die Schaffung einer solchen Konfliktlage fehlt es nach Auffassung des Senats an überzeugenden städtebaulichen Gründen.

24

(3) Die von den Vertretern der Antragsgegnerin geltend gemachte allgemeine Nachfrage nach Baugrundstücken in der Gemeinde verlangt nicht zwingend nach einer so weitgehenden Ausdehnung der Baugebiets in Richtung des Aussiedlerhofs. Das gemeindliche Interesse an einer Ausdehnung der Bebauung gerade an diesem Standort hat ferner dadurch geringeres Gewicht, dass hierdurch ein Streuobstwiesengelände und Heckenstrukturen zerstört werden, deren hoher ökologischer Stellenwert sowohl im landespflegerischen Planungsbeitrag der Firma LF-Plan vom Juni 2002 als auch im Umweltbericht zum Bebauungsplan hervorgehoben wird. Aus diesem Grund hat auch die untere Naturschutzbehörde deutliche Einwände gerade gegen den Umfang des Baugebiets erhoben. Diese nach § 1 Abs. 5 Nr. 7 und § 1a Abs. 2 BauGB in der Abwägung zu berücksichtigenden Belange schmälern das Gewicht des gemeindlichen Interesses an einer Ausdehnung des Wohnbaugebiets bis an die Grenze des für den Aussiedlerbetrieb aktuell zumutbaren Maßes. Soweit der Rat der Antragsgegnerin in der abschließenden Beratung des Bebauungsplans auf die größtmögliche Kompensation dieses Eingriffs und ergänzend auf die dem Ratsprotokoll anliegende Stellungnahme des Planungsbüros … vom 13. September 2002 verweist, ist dem entgegenzuhalten, dass auch das Planungsbüro die Eingriffserheblichkeit nicht bestreitet und eine Reduzierung des Eingriffs bei reduziertem Baugebiet feststellt.

25

Scheitert der Bebauungsplan bereits daran, dass der Ausgleich zwischen den Betriebsinteressen des Antragstellers und dem Interesse der Antragsgegnerin an einer Ausweitung der Wohnbebauung nicht in einer verhältnismäßigen, dem objektiven Gewicht dieser Belange entsprechenden Art und Weise erfolgt ist, so kann dahingestellt bleiben, ob die Auseinandersetzung mit dem durch die Bauleitplanung vorbereiteten Verlust des als ökologisch wertvoll beurteilten Obstwiesengeländes einschließlich der Behandlung der insofern erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen für sich genommen den Anforderungen des Abwägungsgebots genügt.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 ff. ZPO.

27

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

28

Beschluss

29

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,00 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG).

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