Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (1. Senat) - 1 B 10905/14, 1 B 11015/14


Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.

Auf die Beschwerde des Antragsgegners und der Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 22. September 2014 teilweise abgeändert und der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 7. August 2014 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. September 2013 in vollem Umfang abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der der Beigeladenen unter dem 17. September 2013 erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von drei Windenergieanlagen. Der Antrag des Naturschutzbundes Deutschland NABU, Landesverband Rheinland-Pfalz e.V auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs hatte hinsichtlich des Betriebs der Anlagen Erfolg. Hinsichtlich der Errichtung der Anlagen wurde der Antrag abgelehnt.

2

Mit der Beschwerde begehren die Beigeladene und der Antragsgegner, den Beschluss des Verwaltungsgerichts teilweise abzuändern und den Antrag insgesamt abzuweisen. Der Antragsteller erstrebt die teilweise Abänderung mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs auch hinsichtlich der Errichtung der Anlagen anzuordnen.

II.

3

Die zulässigen Beschwerden des Antragsgegners und der Beigeladenen sind begründet; die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist dagegen unbegründet.

4

Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs muss ohne Erfolg bleiben, weil sein in der Hauptsache verfolgter Widerspruch gegen die der Beigeladenen erteilte immissions-schutzrechtliche Genehmigung vom 17. September 2013 wegen eingetretener Verwirkung offensichtlich unzulässig ist.

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1. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Widerspruchs ist zunächst davon auszugehen, dass der Bescheid vom 17. September 2013, mit dem die Errichtung und der Betrieb der Windenergieanlagen genehmigt worden ist, dem Antragsteller nicht bekannt gemacht worden ist. Ausweislich des Akteninhalts hat auch eine öffentliche Bekanntmachung nicht stattgefunden. Gemäß § 2 Abs. 4 des Umweltrechtsbehelfsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 8. April 2013 (BGBl. I 753, zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 52 des Gesetzes vom 7. August 2013, BGBl. 3154 – UmwRG –) musste der Antragsteller daher Widerspruch binnen eines Jahres ab dem Zeitpunkt erheben, zu dem er von der Entscheidung Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. Da diese Jahresfrist am 7. August 2014 zweifellos nicht abgelaufen war, ist der eingelegte Widerspruch – jedenfalls mit Blick auf die Widerspruchsfrist des § 2 Abs. 4 UmwRG – rechtzeitig erhoben worden.

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2. Der Widerspruch ist hier aber schon vor Ablauf der Widerspruchsfrist unzulässig geworden, da etwa Ende Februar 2014, nach dem Ablauf von fünf Monaten seit Erlass des angegriffenen Bescheides, die Verwirkung des Widerspruchsrechts eingetreten ist.

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a. Eine Verwirkung des Rechts, Widerspruch gegen einen Bescheid einzulegen, ist auch schon vor Ablauf der Widerspruchsfrist des § 2 Abs. 4 UmwRG möglich. Nach der langjährigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist das Rechtsinstitut der Verwirkung Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben. Die Verwirkung bildet einen Anwendungsfall des Verbots des widersprüchlichen Verhaltens: Ein Recht soll nicht mehr ausgeübt werden dürfen, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Beteiligter infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das ihm zustehende Recht nach einer gewissen Zeit nicht mehr geltend machen wird und er sich infolge dessen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Im Zusammenhang mit der Jahresfrist des § 70 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO ist auch seit langem anerkannt, dass eine Verwirkung eines verfahrensrechtlichen Rechts je nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles auch schon vor dem Fristablauf eintreten kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1974, IV C 2.72, BVerwGE 44, 294 ff.; Urteil vom 16. Mai 1991, IV C 4.89, juris und Beschluss vom 14. Februar 1989, IV B 28.89, juris).

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b. Da das Rechtsinstitut der Verwirkung Ausfluss des die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben ist, gilt es auch für die Fälle des § 2 Abs. 4 UmwRG. Auch im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der Befugnisse, die das Umweltrechtsbehelfsgesetz einem nach § 3 UmwRG anerkannten Naturschutzverband einräumt, kann das Problem auftreten, dass sich die Einlegung des Rechtsbehelfs rechtsmissbräuchlich darstellt. Dem Rechtsinstitut der Verwirkung kommt hier die Funktion zu, insbesondere den Anlagenbetreiber davor zu schützen, dass ihm erhebliche Nachteile entstehen, die nicht entstanden wären, wenn der anerkannte Naturschutzverband den Widerspruch bzw. die Klage so rechtzeitig eingelegt bzw. erhoben hätte, wie dies jeder vernünftige Naturschutzverband zur Verfolgung seiner Ziele tun würde. Der Senat hat erwogen, ob insoweit deshalb anderes gelten muss, weil das Widerspruchs- und Klagerecht hier gemeinnützigen Vereinen eingeräumt ist, die vielfach im besonderen Maße auf die Mitwirkung von ehrenamtlichen Mitgliedern angewiesen sind und deshalb vor überspannten Anforderungen geschützt werden müssen. Dieser Überlegung braucht aber nicht weiter nachgegangen zu werden, weil von dem anerkannten Naturschutzverband zur Vermeidung des Eintritts der Verwirkung lediglich zu fordern ist, dass er mit einem formlosen Schreiben und ohne dass eine Begründung beigefügt werden müsste, Widerspruch einlegt.

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Im Übrigen ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien, dass der Gesetzgeber mit § 2 Abs. 4 UmwRG nicht über die Rechtslage, wie sie unter der Geltung des § 58 Abs. 2 VwGO bestand, hinausgehen, sondern eine Regelung schaffen wollte, die den „… anhand des § 58 Abs. 2 VwGO in der obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelnden Regeln für die Verwirkung des Klagerechts …“ entspricht (vgl. Entwurf eines Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG, BT-Drs. 16/2495, S. 12 rechte Spalte, und betreffend den dort in Bezug genommenen § 61 Abs. 3 a.F. BNatSchG: Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften vom 20. Juni 2001, BT-Drs. 14/6378, S. 62 linke Spalte).

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c. Wann die nach alledem die grundsätzlich mögliche Verwirkung (vgl. auch Fellenberg/Schiller in Landmann-Rohmer, Umweltrecht, § 2 Abs.4 UmwRG, Rn. 67) eingreift, entzieht sich einer verallgemeinernden Beurteilung und kann nur aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalls entschieden werden.

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Hier gewinnt bereits schon die Entwicklung bis zum Erlass des Genehmigungsbescheides vom 29. Januar 2013 und bis zum Erlass des Änderungsbescheides vom 17. September 2013 eine gewisse Bedeutung. Die „… Anträge der Firma … auf die Errichtung von Windkraftanlagen … im Waldgebiet westlich Birkenfeld …“ waren nämlich als TOP 1b Gegenstand der Erörterungen des Beirates für Naturschutz im Landkreis Birkenfeld (vgl. Niederschrift über die Sitzung des Beirats vom 25. Oktober 2011, Bl. 70 GA). Da ausweislich der Niederschrift der Kreisvorsitzende der NABU-Kreisgruppe Birkenfeld an dieser Sitzung teilgenommen hatte, hatte er spätestens zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von dem Vorhaben der Beigeladenen erlangt. Nach dem Inhalt der dem Senat vorliegenden Verwaltungsakte spricht zudem viel dafür, dass im Dezember 2012 öffentlich bekannt gemacht worden war, dass keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden soll. Der Antragsteller hätte daher frühzeitig Gelegenheit gehabt, bei der Genehmigungsbehörde gegen das Vorhaben Bedenken anzumelden, um Unterrichtung über den Verfahrensablauf zu bitten oder sonst seine kritische Aufmerksamkeit zu bekunden. Dass dies nicht geschehen ist, war bereits ein erster Anhaltspunkt für die Annahme, dass der Antragsteller dem Vorhaben nicht kritisch gegenüberstand.

12

Auch nach der Genehmigungserteilung, als im Monat Februar 2013 umfangreiche Rodungen an den Standorten der drei vorgesehenen Windenergieanlagen stattfanden, hat sich der Antragsteller nicht zu Wort gemeldet. Zwar kann – auch wenn dies dem Senat unwahrscheinlich erscheint – nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass Rodungen in Waldgebieten durchgeführt werden können, ohne dass dies einem anerkannten Naturschutzverein bekannt wird. Hier war der Vorgang aber zweifellos dadurch öffentlich bekannt geworden, dass der Ortsbürgermeister der Gemeinde D… die Bürger dieses Ortes durch regelmäßige Gemeindebriefe über den jeweiligen Verfahrensstand informiert hatte und dass das aufgrund der Rodungen angefallene Holz an die Bürger der Umgebung verkauft worden war (vgl. Schreiben des Ortsbürgermeisters M… vom 06. April 2014, Bl. 1071 ff VA). Diese Vorgänge hätten dem Antragsteller Veranlassung sein müssen, darauf zu schließen, dass eine Genehmigung erteilt worden sein muss, zumindest aber bei der Genehmigungsbehörde wegen des Standes des Verfahrens nachzufragen und insbesondere um Aufklärung zu bitten, auf welcher Rechtsgrundlage diese Rodungen erfolgt waren. Dies ist aber nicht geschehen ist. Da der Antragsteller aber nicht das geringste Interesse bekundete – nicht einmal hinsichtlich des durch die Rodung bewirkten Eingriffs –, mussten der Antragsgegner und der Beigeladene nicht mehr mit einem Widerspruch rechnen.

13

Hinzu kommt, dass die Genehmigungsbehörde schon zuvor durch Veröffentlichung im Amtsblatt der Kreisverwaltung „Landkreis Birkenfeld aktuell“, Ausgabe 1/2/2013 vom 9. Januar 2013 öffentlich bekannt gemacht hatte, „… dass im Rahmen des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens … zur Errichtung und zum Betrieb von drei Windenergieanlagen auf der Gemarkung Birkenfeld … keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wird …“. Dies hat der Antragsteller ebenfalls nicht zum Anlass genommen aktiv zu werden, insbesondere hat er gegenüber der Genehmigungsbehörde weder die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung gefordert, noch die mit der Antragsschrift vom 08. August 2014 dargelegten Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit oder Plausibilität des Ergebnisses der Umwelterheblichkeitsprüfung geltend gemacht. Er hat nicht einmal um Auskunft dazu gebeten.

14

Wie der Antragsteller im Übrigen selbst einräumt (vgl. Antragschrift vom 08. August 2014, S. 6 = S. 9 GA) war zudem der Beginn der Bauarbeiten bezüglich der drei hier streitigen Windenergieanlagen Gegenstand der Berichterstattung in der „Nahezeitung“ (der örtlichen Ausgabe der „Rhein-Zeitung“) gewesen. Unter dem 20. Februar 2014 wurde dort unter der Überschrift „Windräder in Birkenfeld: Baustopp dauerte nur bis zum nächsten Morgen“ darüber berichtet, dass die Bauarbeiten im Birkenfelder Stadtwald begonnen und die Antragsgegnerin aus hier nicht interessierenden Gründen einen vorübergehenden Baustopp verhängt hatte. Während daraufhin zwei Privatpersonen Widerspruch gegen die Baugenehmigung einlegten, wobei einer der Widerspruchsführer eine Unterschriftenliste von insgesamt 47 Unterstützern beilegen konnte, schwieg der Antragsteller abermals. Auch als von da an die Türme der Windenergieanlagen nach und nach „aus dem Boden wuchsen“, erfolgte keine Reaktion des Antragstellers.

15

Insgesamt ist somit der Antragsteller unter Verhältnissen untätig geblieben, unter denen ein vernünftiger Naturschutzverband längst etwas zur Wahrung seiner Rechte als „Anwalt des Umweltrechts“ unternommen hätte. Da nicht einmal eine formlose Interessensbekundung des Inhalts eingereicht wurde, dass man mit Blick auf diese Aufgabe an den Vorgängen interessiert sei, konnten sich die Behörde und der Beigeladene darauf einstellen, dass der Antragsteller gegen das Vorhaben keine naturschutzrechtlichen oder sonstigen Einwände vorbringen und auf einen Widerspruch gegen die Genehmigung verzichten will. Auf dieses Verhalten des Antragstellers hat sich die Beigeladene eingestellt und die mit erheblichen Investitionen verbundenen Bauarbeiten begonnen. Die dann zu einem Zeitpunkt erfolgte Einlegung des Widerspruchs, als die Anlage schon nahezu vollständig errichtet worden war, stellt sich somit als eine missbräuchliche Wahrnehmung von Rechten dar, die der Verwirkung unterliegt.

16

Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht der Vortrag des Antragstellers, ihm könne die Kenntnis aller seiner Mitglieder nicht zugerechnet werden. Wenn ein Naturschutzverband über örtliche Untergliederungen verfügt, kann nach der Verkehrsanschauung erwartet werden, dass der örtliche Vorstand den Landesvorstand über die für die Verbandsarbeit relevanten Vorgänge vor Ort unterrichtet. Unterbleibt eine derartige, für die Aufgabenerfüllung sachgerechte und zumutbare Organisation des Informationsflusses zwischen der Orts- und Landesebene, muss sich der Landesverband nach Treu und Glauben die Kenntnis und das Kennenmüssen des örtlichen Vorstandes zurechnen lassen.

17

Hier ist der Landesverband nach dem Inhalt der auf der Internetseite des NABU Rheinland-Pfalz e.V. abrufbaren Satzung (Landessatzung vom 15.März 2014) in regionale und örtliche Naturschutzbundgruppen untergliedert; zu denen auch die NABU-Kreisgruppe Birkenfeld zählt (vgl. Rheinland-Pfalz.NABU.de>NABU Rheinland-Pfalz>NABU-Gruppen und Rheinland-Pfalz.NABU.de>NABU Rheinland- Pfalz>Satzung). Unter Berücksichtigung der selbstgesetzten Ziele, wie hier dem Schutz von Vögeln und Fledermäusen bei der Errichtung von Windenergieanlagen (vgl. etwa Veröffentlichungen unter „Windenergie“, NABU.de> Themen>Energie>Publikationen), konnte von dem örtlichen Vorstand erwartet werden, dass er den Landesverband über die Genehmigung von drei derartigen Anlagen unterrichtet.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, 163 Abs. 3 VwGO.

19

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2 GKG. Der Senat bewertet das ideelle Interesse des Antragstellers in der Hauptsache entsprechend der bisherigen Rechtsprechung mit 15.000,00 €.

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