Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (10. Senat) - 10 B 10740/16

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Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Neustadt/Wstr. vom 1. August 2016 wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 7. Juli 2016 gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis vom 29. Juni 2016 wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde hat Erfolg.

2

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis vom 29. Juni 2016 ist wiederherzustellen, da die angefochtene Verfügung offensichtlich rechtswidrig ist.

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Zwar darf die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 Fahrerlaubnisverordnung – FeV – bei ihrer Entscheidung über die Entziehung einer Fahrerlaubnis auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn dieser sich weigert, ein von ihm gefordertes Gutachten fristgerecht vorzulegen. Allerdings setzt dies eine formell und materiell rechtmäßige Anordnung zur Begutachtung voraus. Im vorliegenden Fall leidet die Untersuchungsanordnung vom 25. April 2016 an dem formalen Fehler, dass sie keinen Hinweis nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV enthält und dieser auch nicht mehr nachgeholt werden konnte. Deshalb durfte die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht auf die Nichtvorlage des geforderten Gutachtens gestützt werden.

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Gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV ist der Betroffene bei der Anordnung der Gutachtensvorlage darauf hinzuweisen, dass die Fahrerlaubnisbehörde auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen darf, wenn das geforderte Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt wurde. Nach dem Wortlaut der zitierten Vorschrift muss der Hinweis auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV „bei der Anordnung nach Abs. 6“ gegeben werden. Hieraus sowie aus Sinn und Zweck der Hinweispflicht des § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV folgt, dass der Hinweis in der Gutachtensanordnung selbst enthalten sein muss. Denn so wie die sonstigen formalen Anforderungen an die Gutachtensanordnung (z. B. Angabe der Gründe der Begutachtung einschließlich der Rechtsgrundlage [vgl. insoweit VG Neustadt/Wstr., Urteil vom 25. Januar 2016 – 3 K 382/15.NW –] sowie Angabe der vom Gutachter zu beantwortenden Frage und der für die Vorlage des Gutachtens festzusetzende Frist) bezweckt auch der Hinweis nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV, dem Betroffenen die Entscheidung zu ermöglichen, ob er das angeforderte Gutachten vorlegt oder dass mit der Weigerung verbundene Risiko eingeht. Die hohe Bedeutung der formalen Voraussetzungen für die Gutachtensanordnung ergibt sich aus der besonderen Schwere des Eingriffs einer Begutachtung in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und daraus, dass die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung nicht vorab gerichtlich überprüft werden kann. Da demnach nur ein ausdrücklicher Hinweis auf die Konsequenzen der Nichtvorlage eines Gutachtens die Entscheidungsfreiheit des Betroffenen umfassend gewährleistet, ist dieser nicht verzichtbare formale Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Gutachtensanforderung. Dies gilt unabhängig von den Umständen des Einzelfalls, also im vorliegenden Fall davon, dass sich die Antragstellerin trotz Fehlens des in Rede stehenden Hinweises zunächst zur Begutachtung entschlossen hatte.

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Eine Nachholung des Hinweises nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV wird dem beschriebenen Zweck der Vorschrift nicht gerecht, weil der Betroffene bereits aufgrund der Anordnung der Begutachtung selbst sein Verhalten einrichten können muss. Deshalb kommt es entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht darauf an, dass der Hinweis auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV im Schreiben der Antragsgegnerin vom 10. Mai 2016 enthalten war und die Möglichkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis Gegenstand von Telefonaten zwischen den Beteiligten nach Erlass der Gutachtensanordnung war. Soweit die Antragsgegnerin auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 10. September 2013 – 1 M 174/13 –, juris, verweist, verkennt sie, dass diese Entscheidung einen Fall betraf, in welchem ein lediglich fehlerhafter Hinweis nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV geheilt wurde.

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Ist die Gutachtensanordnung und folglich die Entziehung der Fahrerlaubnis vom 29. Juni 2016 somit offensichtlich formell rechtswidrig, kommt es auf die materielle Rechtmäßigkeit der Anforderung des Gutachtens nicht mehr an. Allerdings weist der Senat im Hinblick auf das umfangreiche Beschwerdevorbringen der Antragstellerin darauf hin, dass mehr für das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Anforderung eines ärztlichen Gutachtens spricht. Auch wenn der Vorfall vom 12. November 2015 von den Beteiligten unterschiedlich geschildert wird, wirft der Kern des Geschehens Zweifel an der Fahreignung der Antragstellerin auf. Denn sowohl die Drohung mit einer Schreckschusspistole als auch die aggressive und beleidigende Reaktion der Antragstellerin auf die herbeigerufenen Polizeibeamten haben auf eine erhebliche Fehleinschätzung der jeweiligen Situation beruht. Hinzu kommt, dass der Antragstellerin laut ärztlicher Bescheinigung vom 17. November 2015 eine phobisch-depressive Reaktion bescheinigt wurde.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO –.

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Die Festsetzung des Streitwerts findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 47, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz – GKG – i.V.m. Nrn. 46. 3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 18. Juli 2013 (LKRZ 2014, 169). Danach ist der Hauptsachestreitwert in Höhe von 5.000,00 € im vorliegenden Eilverfahren zu halbieren (vgl. im Übrigen Beschluss vom 28. Oktober 2016 - 10 E 10741/16.OVG –).

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