Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (1. Senat) - 1 A 10865/16
Tenor
Die Beklagte wird unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 19. April 2016 verurteilt, das auf dem Grundstück Gemarkung W., Flur …, Parzelle Nr. … stehende Wasser-/Geröllrückhaltebecken zu beseitigen.
Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über die Beseitigung eines von der Beklagten auf dem Grundstück der Klägerin errichteten Wasser-/Geröllrückhaltebeckens.
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Im Juni 2013 verursachte ein Unwetter im Bereich der Weinbergflächen von W. − darunter die Wegeeinmündungen (Wirtschaftswege Flur … Nrn. …, … und …) sowie der Wasserlauf über die Trapezschalen (Flur …, Nr. …) − erhebliche durch Geröll- und Schlammmassen hervorgerufene Schäden. Die Wasser- und Schlammmassen überfluteten darüber hinaus die tieferliegenden Gemeindestraßen „F.“, „U.“ sowie die Landstraße „T.“ und die „B.“.
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Nach mündlicher Rücksprache mit der Eigentümerin des 4.001 m² großen Weinberggrundstücks Flur …, Parzelle Nr. …, Frau W., errichtete die Beklagte daraufhin zwischen dem 4. November 2013 und dem Frühjahr 2014 (Angabe des 1. Beigeordneten der Beklagten L.) auf der Parzelle ein Wasser-/Geröllrückhaltebecken, um in Zukunft vergleichbare Schäden zu vermeiden. Kleinere Teile der Gesamtanlage stehen offenbar auf den Wegeparzellen der Beklagten. Die in Anspruch genommene Fläche des Flurstücks Nr. … von ca. 14 m² grenzt an die Einmündung der vorgenannten Wege an.
- 4
Mit notariellem Vertrag vom 16. Juli 2014 erwarb die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann, Herr N., von Frau W. das Weingut S. in W. nebst dazugehörenden Weinbergflächen einschließlich der Parzelle Nr. … . In Abschnitt III Nr.1 der Urkunde heißt es unter anderem:
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„Der Käufer hat das Kaufobjekt besichtigt; er kauft es im gegenwärtigen, gebrauchten Zustand. Der Verkäufer haftet ferner nicht für die Freiheit von Baulasten, im Grundbuch nicht eingetragenen Dienstbarkeiten und nachbarrechtlichen Beschränkungen. Er versichert jedoch, dass er Eintragungen im Baulastenverzeichnis nicht veranlasst hat und ihm solche Beschränkungen und Rechte auch nicht bekannt sind.“
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Am 16. Oktober 2014 vereinbarten die Klägerin und die Beklagte für den 11. November 2014 einen Termin zur notariellen Beurkundung eines Kaufvertrages über die von der Beklagten benötigte Teilfläche der Parzelle Nr. … zu einem Preis von 5 Euro/m². Am 7. November 2014 sagte der Ehemann der Klägerin diesen Termin nach Fertigstellung des Vertragsentwurfs ab.
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 25. März 2015 forderte die Klägerin die Beklagte sodann unter Fristsetzung bis zum 15. April 2015 auf, das Becken von ihrem Grundstück zu entfernen.
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Die Beklagte bestritt demgegenüber mit Schreiben vom 26. März 2015 eine Beseitigungsverpflichtung berief sich darauf, dass die Voreigentümerin ihr Einverständnis zur Errichtung der streitbefangenen Anlage erteilt habe.
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Am 6. Mai 2015 hat die Klägerin Klage auf Beseitigung vor dem Amtsgericht Trier erhoben, das mit Beschluss vom 22. Oktober 2015 (8 C 79/15) den Zivilrechtsweg für unzulässig erklärte und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Trier verwies.
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Die Klägerin hat vorgetragen, das Becken sei widerrechtlich errichtet worden. Von der Vorbesitzerin habe sie mit dem Weingut die Liegenschaften, den Hof, das Material und die Weinberge, nicht jedoch das illegal errichtete Becken erworben. Dieses habe die Voreigentümerin lediglich bis zum Verkauf zwangsgeduldet. Zugunsten der Beklagten sei auch keine Baulast oder Dienstbarkeit eingetragen worden. Auch existiere weder eine Baugenehmigung noch bestünden vertragliche Vereinbarungen. Durch das Becken sei sie in ihrem Eigentumsrecht beeinträchtigt, ohne zur Duldung verpflichtet zu sein. Ungeachtet dessen seien etwaige Gestattungen eines Voreigentümers für den Einzelrechtsnachfolger grundsätzlich nicht bindend, da sie lediglich zwischen den Beteiligten Geltung beanspruchten. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass selbst eine Einwilligung widerrufen werden könne, was bereits durch die Aufforderung der Beseitigung konkludent erfolgt sei. Der Fall eines zu duldenden Überbaus nach § 912 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – scheide aus, da das Becken kein Gebäude sei, das den Eintritt von Menschen ermögliche. Ferner werde bestritten, dass das Becken überhaupt dazu geeignet und ausreichend sei, Regen- und Schlammmassen aufzufangen. Geröll und Steine könnten im Rahmen einer vermeintlichen Unterhaltungspflicht durch die Beklagte aufgesammelt werden. Das Unwetter sei wohl eher vorgeschoben. Eine Duldungspflicht in analoger Anwendung des § 33 Landesstraßengesetz – LStrG – komme ebenfalls nicht in Betracht, da diese Vorschrift ausschließlich das Eigentum an öffentlichen Straßen regele.
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Die Beklagte ist dem Vorbringen der Klägerin entgegengetreten. Sie hat geltend gemacht, das Becken in Ausübung ihrer Gewässer- und Wegeunterhaltungspflicht errichtet zu haben. Konsequenz dieser Rechtslage sei eine Duldungsverpflichtung der betroffenen Wegeanlieger. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe wörtlich erklärt: „Nehmt so viel, wie ihr für die Maßnahme braucht“. Zur Entschädigung der in Anspruch genommenen Flächen sei sie bereit. Den Abschluss eines notariellen Vertrages habe der Ehemann der Klägerin jedoch abgelehnt. Die entlang des Weges hergestellte Entwässerungsrinne sowie das errichtete Einlaufbauwerk als Entwässerungseinrichtung seien Bestandteil des Straßenkörpers geworden mit der Folge, dass ein Beseitigungsanspruch nicht mehr gegeben sei. Ohnehin sei sie gegenüber der Klägerin nicht Störerin, da das Becken bereits vorhanden gewesen sei, bevor diese das Eigentum erlangt habe. Aus dem notariellen Vertrag vom 16. Juli 2014 gehe weiterhin hervor, dass die Existenz des Beckens den Vertragsparteien bekannt gewesen sei. Infolgedessen habe die Klägerin auch einen geminderten Kaufpreis gezahlt. Die durch seine Errichtung verursachte Wertminderung des Grundstücks lasse sich im Ergebnis somit nur über das öffentlich-rechtliche Entschädigungsrecht ausgleichen, wobei allerdings einzig und allein derjenige Eigentümer anspruchsberechtigt sei, der die Beeinträchtigung erlitten habe.
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Ausweislich einer Kostenaufstellung der Beklagten vom 18. April 2016 belaufen sich die getätigten Aufwendungen für den Bau des Beckens auf 10.249,48 Euro. Die Mehrkosten im Falle eines Neubaus bezifferte sie auf ca. 720 Euro, die Abbruchkosten für das vorhandene Becken wurden auf ca. 3.000 Euro veranschlagt.
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Die Vorinstanz hat zur Frage einer Gestattung der streitgegenständlichen Maßnahme Beweis erhoben durch Vernehmung der Voreigentümerin und des 1. Beigeordneten der Beklagten L. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
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Mit Urteil vom 19. April 2016 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen für einen öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch als allein in Betracht kommende Anspruchsgrundlage seien nicht gegeben.
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Allerdings liege ein hoheitlicher Eingriff in ein subjektives Recht der Klägerin vor. Die Beklagte habe sich nämlich zur Erfüllung der ihr obliegenden Unterhaltungslast nicht auf die Inanspruchnahme der Wegekörper im Sinne des § 2 ihrer Satzung über die Benutzung der gemeindlichen Feld- und Waldwege beschränkt, sondern auf das Eigentum der Klägerin nach Art. 14 Grundgesetz – GG – zurückgegriffen. Auch könne sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf eine Duldungspflicht der Klägerin berufen. Der Beseitigungsanspruch sei nur dann ausgeschlossen, wenn der Eigentümer aufgrund einer dinglichen Sicherung, einer vertraglichen Vereinbarung oder nach privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Vorschriften zur Duldung des Beckens verpflichtet sei. Das sei hier nicht der Fall. Unstreitig habe die Beklagte keine formelle vertragliche Vereinbarung mit der Voreigentümerin getroffen. Eine dingliche Sicherung sei ebenfalls nicht erfolgt. Ein zivilrechtlicher Duldungsanspruch aus § 912 BGB sei aus den von der Klägerin angeführten Erwägungen nicht gegeben. Auch aus einer unmittelbaren oder analogen Anwendung des § 33 LStrG folge keine Duldungspflicht, da vorliegend eine einem Wirtschaftsweg zugehörige Anlage in Rede stehe, mithin keine öffentliche Straße. Im Bereich der gemeindlichen Einrichtungen im Sinne des § 14 Abs. 2 Gemeindeordnung – GemO – gebe es keine das privatrechtliche Eigentum verdrängende öffentliche Sachherrschaft des Einrichtungsträgers. Die von der Beklagten vorgelegte Wegesatzung betreffe ausschließlich die Nutzung der Wirtschaftswege. Duldungspflichten folgten hieraus nicht. Darüber hinaus könne nicht von einer Anlage der Abwasserbeseitigung die Rede sein, da das Geröllauffangbecken nur der isolierten Entwässerung der Wirtschaftswege diene. Im Übrigen stellten Einrichtungen, die allein der Außengebietsentwässerung dienten, keine Anlagen der Abwasserbeseitigung über die Entwässerung und den Anschluss an die öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung dar.
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Der Durchsetzung des Folgenbeseitigungsanspruchs stehe jedoch entgegen, dass die Voreigentümerin durch die Zustimmung zum beabsichtigten Vorhaben auf die Geltendmachung ihres öffentlich-rechtlichen Abwehrrechts verzichtet habe und der Klägerin der Untergang des materiellen subjektiv-öffentlichen Rechts als Rechtsnachfolgerin zuzurechnen sei. Die Zeugenvernehmung im Termin zur mündlichen Verhandlung habe zur Überzeugungsgewissheit der Kammer ergeben, dass die Voreigentümerin der Maßnahme zugestimmt habe. Den Verzicht auf den öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch müsse die Klägerin als Rechtsnachfolgerin gegen sich gelten lassen. Mit dem Verzicht des Eigentümers auf öffentlich-rechtliche Abwehransprüche gehe diese „Berechtigung aus dem Grundstück“ unter. Werde das Eigentum an dem Grundstück übertragen, trete der Rechtsnachfolger in die geschmälerte Rechtsposition ein.
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Unbeschadet dessen verstoße die Weiterverfolgung des Abwehrrechts gegen die Grundsätze von Treu und Glauben. Das Verhalten der Klägerin sei nicht nur als missbräuchliches widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium) zu werten, sondern ihr Recht sei darüber hinaus auch verwirkt. Aufgrund des dargestellten Verhaltens der Rechtsvorgängerin der Klägerin habe die Beklagte darauf vertrauen dürfen, dass die zunächst widerrechtlich geschaffene Situation nicht angegriffen und es – entsprechend ihrer Verwaltungspraxis – genüge, wenn ein erst nachfolgend abzuschließender notarieller Kaufvertrag rechtmäßige Zustände schaffe. Die Klägerin selbst habe zudem ausweislich des notariellen Kaufvertrages vom 16. Juli 2014 bekundet, dass sie das Kaufobjekt besichtigt und es im „gegenwärtigen, gebrauchten Zustand“ gekauft habe. Mithin habe die Beklagte davon ausgehen müssen, dass die Existenz des Geröllbeckens der Klägerin bekannt und sie mit der gegebenen Situation vertraut gewesen sei. Dass die Voreigentümerin es versäumt habe, anlässlich des notariellen Vertrages ausdrücklich auf die bestehende Beeinträchtigung hinzuwiesen, sei ihrer Sphäre zuzurechnen und finde allein im Verhältnis der Vertragsparteien Beachtung. Weiterhin sei in Bezug auf das schutzwürdige Vertrauen der Beklagten zu sehen, dass nur ein geringfügiger Teilbereich und mithin ein geringer Wert des Grundstücks der Klägerin in Rede stehe. Hinzu komme, dass es offensichtlich dem allgemeinen Gebaren im Verhältnis der Beklagten zu den Weinberganliegern entspreche, ihr weitgehende Handlungsfreiheit einzuräumen, sofern Maßnahmen im Interesse der Wirtschaftsflächen und der Allgemeinheit in Rede stünden und es „im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses“ für die Gemeinde nicht ersichtlich gewesen sei, dass ein Verkauf anstehe bzw. es bei der Entschädigung des neuen Eigentümers Probleme geben werde. Dass ein atypischer Verlauf der Dinge eingetreten sei, folge insbesondere aus der Einlassung des Ehemannes der Klägerin, der im Termin zur mündlichen Verhandlung ausdrücklich bekundet habe, im vorliegenden Rechtsstreit gehe es ausschließlich um eine „Prinzipienfrage“ wegen anderer Streitigkeiten mit der Gemeinde. Es wäre also im Normalfall auch mit einer problemlosen Abwicklung mit der Rechtsnachfolgerin zu rechnen gewesen. Angesichts dieser vertrauensbegründenden Umstände sei die Beseitigungsklage als rechtsmissbräuchliches widersprüchliches Verhalten zu werten.
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In Folge der eindeutigen Zustimmung zum Vorhaben und des damit verbundenen konkludenten Verzichts sei der Anspruch der Klägerin überdies verwirkt. Zwar sei seit der Errichtung des Vorhabens bis zur Geltendmachung der Beseitigung noch keine lange Zeitspanne verstrichen, jedoch richte sich das Zeitmoment nach den Umständen des Einzelfalls. Aufgrund der dargelegten besonderen Umstände, die in dem Verzicht begründet seien, habe die Beklagte in zeitlicher Hinsicht spätestens mit der Fertigstellung der Anlage im Frühjahr 2014 damit rechnen dürfen, dass die Zeugin W. keine Einwände mehr erheben werde. Dieses Verhalten der Zeugin müsse sich die Rechtsnachfolgerin zurechnen lassen.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Klägerin, mit der sie ihr bisheriges Vorbringen vertieft. Insbesondere hält sie daran fest, dass eine etwaige Zustimmung der Voreigentümerin ihr nicht zugerechnet werden könne. Für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten sei nichts ersichtlich. Nur weil sie nicht bereit gewesen sei, das illegal errichtete Becken zu dulden, handele sie nicht rechtsmissbräuchlich. Von einer Verwirkung könne ebenfalls keine Rede sein. Die Beklagte habe sich zu keinem Zeitpunkt darauf verlassen können, dass nicht die Beseitigung des Beckens gefordert werde. Selbst nach deren Meinung sei die Entschädigungsfrage noch nicht geklärt gewesen und habe einer konkreten Regelung bedurft. Deshalb könne nicht von einer abgeschlossenen Angelegenheit ausgegangen werden.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 19. April 2016 zu verurteilen, das auf dem Grundstück Gemarkung W., Flur …, Flurstück … stehende Wasserbecken/Geröllrückhalte-becken zu beseitigen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie tritt den Ausführungen der Klägerin mit eigenen Darlegungen entgegen und hält daran fest, dass die Klägerin das Eigentum an der Grundstücksparzelle nur mit einer geschmälerten Rechtsposition erlangt habe. Ins Gewicht falle zudem, dass Duldungspflichten ausnahmsweise aus nicht positivierten öffentlichen Interessen hergeleitet werden könnten, etwa im Fall von Beeinträchtigungen durch ein Drogenhilfezentrum bzw. Störungen durch Behinderte oder durch die Bewohner eines benachbarten Asylbewerberheimes. Vorliegend überrage das allgemeine Interesse an der Verhinderung von Überflutungsschäden das Individualinteresse der Klägerin, eine ohnehin nicht bewirtschaftete Kleinstfläche ihrer übergroßen Parzelle auch in Zukunft nicht mehr nutzen zu können. Das Beseitigungsverlangen sei analog § 226 BGB rechtsmissbräuchlich sowie darüber hinaus treuwidrig. Der Wert der in Anspruch genommenen Fläche liege bei maximal 70 Euro; im Falle eines Erfolges der Klage würden dagegen Werte von rund 14.000 Euro zerschlagen. Letztlich gehe es der Klägerin und ihrem Ehemann ausschließlich um einen „Racheakt“ wegen eines Bauvorhabens in der Ortslage, weil sie – die Beklagte – nicht bereit sei, unter Inkaufnahme einer erheblichen Grundstückswertminderung von der Klägerin benötigte Abstandsflächen zu übernehmen. Auch profitiere die Klägerin von dem Geröllrückhaltebecken. Wenn sie nun gleichwohl eine Beseitigung verlange, verletze sie ihre Rücksichtnahmepflichten aus dem bestehenden nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsunterlagen der Beklagten (1 Heftung) Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache Erfolg.
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Das Verwaltungsgericht hätte dem Klagebegehren, das auf die Beseitigung des auf dem Grundstück Flur …, Parzelle Nr. … stehenden Wasser-/Geröllrückhaltebeckens gerichtet ist, stattgeben müssen. Die Klägerin kann von der Beklagten die Entfernung des Beckens, soweit dieses auf ihrem Grundstück errichtet worden ist, beanspruchen.
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Zutreffend ist der Ausgangspunkt des angefochtenen Urteils, wonach als Anspruchsgrundlage für das Beseitigungsverlangen der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 19. Juli 1984 – 3 C 81/82 −, NJW 1985, 817; Urteil vom 26. August 1993 – 4 C 24/91 −, NVwZ 1994, 275) in Betracht kommt. Gleiches gilt für die weiteren Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Vorliegen eines hoheitlichen Eingriffs in das Eigentum der Klägerin (Urteilsabdr. S. 8 bis S. 9, Zeile 3) und zum Nichtbestehen einer Duldungspflicht (Urteilsabdr. S. 9, Zeile 16 bis S. 10, Zeile 27). Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Ausführungen Bezug (vgl. § 130b Satz 2 VwGO).
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Eine Duldungspflicht der Klägerin ist ferner nicht deshalb anzunehmen, weil die Voreigentümerin – wovon der Senat in Übereinstimmung mit der Vorinstanz ebenfalls ausgeht – der Einrichtung des Beckens zugestimmt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs knüpft die Rechtsfolge des § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – nicht an die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs an, sondern an einen dem Inhalt des Eigentums widersprechenden Zustand. Mangels einer dinglichen Belastung des Grundstücks ist daher anzunehmen, dass durch eine Gestattung nur der persönliche Eigentumsabwehranspruch des Gestattenden ausgeschlossen ist. Ansprüche des jeweiligen (Einzel-)Rechtsnachfolgers werden von einem Verzicht dagegen nicht erfasst (BGH, Urteil vom 19. Dezember 1975 – V ZR 38/74 –, BGHZ 66, 37). Diese Grundsätze gelten auch für den öffentlich-rechtlichen Beseitigungsanspruch (BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1985 – 4 C 46/82 –, juris).
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Anders als die Vorinstanz meint, führt zu einer abweichenden Beurteilung auch nicht der Umstand, dass die Klägerin im notariellen Kaufvertrag vom 16. Juli 2014 bekundet hat, dass sie das Kaufobjekt besichtigt und es im „gegenwärtigen, gebrauchten Zustand“ gekauft habe. Denn durch diese Klausel sollten ersichtlich etwaige Minderungs- oder Schadensersatzansprüche bzw. Rücktritts- und Anfechtungsgründe der Klägerin gegenüber der Verkäuferin ausgeschlossen, nicht aber Rechte der Beklagten begründet werden (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 19. Dezember 1975, a.a.O.). Allein die Tatsache, dass der Klägerin die Existenz des Wasser- und Geröllrückhaltebeckens schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Zeugin W. bekannt war, ist unerheblich. Die Übernahme einer eigenen Duldungsverpflichtung im Verhältnis zur Beklagten lässt sich hieraus nicht herleiten.
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Eine Duldungspflicht der Klägerin ergibt sich weiterhin nicht aus einem öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Überflutungsschäden, wie die Beklagte meint. Zwar dient das von ihr errichtete Becken einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe, indem es dazu beitragen soll, Schäden an den dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßen, den Weinbergwegen sowie einer Vielzahl von privaten Grundstücken abzuwenden. Allein daraus ergibt sich aber für die Klägerin kein Verlust einer Rechtsposition, solange die Beklagte oder sonstige zuständige Hoheitsträger nicht von den im Wasser- und Straßenrecht ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeiten zur Inanspruchnahme privater Grundstücke unter Einhaltung der dafür vorgesehenen Verfahren Gebrauch machen, woran es hier fehlt. Dies muss zumindest dann gelten, wenn ein unmittelbarer Eingriff in das Eigentumsrecht vorliegt (anders z.B. BGH, Urteil vom 7. April 2000 – V ZR 39/99 –, BGHZ 144, 200, im Hinblick auf den mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbaren Fall der Geltendmachung des Anspruchs eines Eigentümers auf Betriebseinstellung wegen Behinderung des Zugangs zu seinem Grundstück durch die Benutzer eines benachbarten Drogenzentrums). Wollte man dessen ungeachtet eine generelle Duldungspflicht bei bloßem Vorliegen einer öffentlichen Zweckbestimmung annehmen, so würde die gesetzgeberisch wohl abgewogene Berücksichtigung aller widerstreitenden Interessen (einschließlich der Entschädigungsfrage) in undifferenzierter Weise unterlaufen und dabei die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz – GG –) ausgehöhlt (so zutreffend BGH, Urteil vom 19. Dezember 1975, a.a.O.).
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Der Anspruch ist ferner nicht deshalb ausgeschlossen, weil der mutmaßliche Verkehrswert der rechtswidrig in Anspruch genommenen Teilfläche des klägerischen Grundstücks von 70 Euro weit unter den von der Beklagten zugrunde gelegten Kosten für eine Verlegung des Wasser-/Geröllrückhaltebeckens von ca. 14.000 Euro liegt.
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Ein Anspruch auf Folgenbeseitigung entfällt, wenn die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes für den verpflichteten Rechtsträger unzumutbar ist. Dies ist dann der Fall, wenn damit ein unverhältnismäßig hoher Aufwand verbunden ist, der zu dem erreichbaren Erfolg bei allem Respekt für das Verlangen nach rechtmäßigen Zuständen in keinem vernünftigen Verhältnis mehr steht (BVerwG, Beschluss vom 12. Juli 2004 – 7 B 86/04 – sowie Urteil vom 26. August 1993 – 4 C 24.91 –, jeweils juris). Das setzt, wie sich darüber hinaus dem Rechtsgedanken des § 275 Abs. 2 BGB entnehmen lässt, voraus, dass ein grobes Missverhältnis zwischen dem Leistungsinteresse des Anspruchsberechtigten und dem Aufwand des Verpflichteten vorliegt. An ein solches grobes Missverhältnis sind gerade im öffentlichen Recht hohe Anforderungen zu stellen. Durch das sehr allgemein gehaltene Zumutbarkeitskriterium kann ein an sich gegebener Anspruch auf Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes nur ausnahmsweise ausgeschlossen werden (so auch BayVGH, Beschluss vom 15. Februar 2008 – 4 ZB 07.601 –, juris). Insbesondere kann es dabei nicht um eine allgemeine Vorteils- und Nachteilsabwägung gehen (vgl. Urteil des Senats vom 15. April 2004 – 1 A 12000/03.OVG –, ESOVGRP).
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Auch wenn im vorliegenden Fall erkennbar ist, dass der Wert der in Anspruch genommenen Flächen weitaus geringer ist als die Kosten, die der Beklagten durch die Folgenbeseitigung entstehen werden, hat dies nicht zur Folge, dass die Folgenbeseitigung für diese dadurch unzumutbar würde. Käme es nämlich auf den Verkehrswert der in Anspruch genommenen Fläche an, würde nahezu durchweg ein Folgenbeseitigungsanspruch scheitern. Kaum jemals dürfte nämlich der Quadratmeterpreis einer rechtswidrig in Anspruch genommenen Fläche den Kosten entsprechen, die durch die Beseitigung und Verlegung einer darauf errichteten baulichen Anlage entstehen (vgl. Urteil des Senats vom 13. August 1998 – 1 A 12864/97.OVG –). Dies vorausgeschickt stellt der von der Beklagten angegebene Aufwand von ca. 14.000 Euro zwar einen erheblichen Betrag dar, dieser steht aber nicht so völlig außer Verhältnis zu einem Interesse der Klägerin an der ungeschmälerten Nutzung ihres Grundstücks, dass sie deshalb ihr ansonsten berechtigtes Beseitigungsverlangen hätte aufgeben müssen (vgl. auch Urteil des Senats vom 20. Mai 2002 – 1 A 10056/02.OVG –, esovgrp: Beseitigungskosten von ca. 12.000 Euro für die Entfernung eines ca. 12 m² großen Überbaus; Beschluss vom 13. Januar 2005 – 1 A 120307.OVG –, esovgrp: Beseitigungskosten für die Verlegung einer Abwasserleitung von ca. 20.000 bis 30.0000 Euro; vgl. auch BayVGH, Urteil vom 7. Oktober 2004 – 4 B 01.1883 −, BayVBl. 2005, 344: Verlegungskosten für einen Abwasserkanal von ca. 50.000 Euro). Dies gilt umso mehr, als die Beklagte das Becken allein aufgrund einer mündlich erteilten Zustimmung der Voreigentümerin errichtet hat, die, wie gezeigt, nur zwischen den Beteiligten der Absprache eine rechtliche Bindungswirkung entfaltet. Wenn die Beklagte aber selbst darauf verzichtet, sich eine gesicherte Rechtsposition gegenüber einem zukünftigen Rechtsnachfolger zu verschaffen, so trägt sie und nicht dieser auch das damit verbundene Risiko bei einem Wechsel des Eigentums.
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Entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts und der Beklagten ist der Klageanspruch auch nicht verwirkt oder wegen Rechtsmissbrauchs nicht mehr durchsetzbar.
- 36
Für die Annahme einer Verwirkung fehlt es zunächst an jeglichen Anhaltspunkten. Voraussetzung hierfür wäre – erstens – das Verstreichen eines grundsätzlich längeren Zeitraums seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Rechts und – zweitens – das Vorliegen besonderer Umstände, welche die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen ließe (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 – 4 C 4/89 −, NVwZ 1991, 1182; Beschlüsse vom 31. August 1999 – 3 B 57/99 −, DVBl. 2000, 560 – und vom 16. April 2002 – 4 B 8/02 −, BauR 2003, 1031). Ob das erforderliche Zeitmoment hier überhaupt verstrichen ist, erscheint bereits fraglich. Jedenfalls sind besondere Umstände, aus denen sich ergeben könnte, dass die Beklagte aufgrund eines Verhaltens der Klägerin − auf das insofern allein abzustellen ist − Anlass gehabt hätte, darauf zu vertrauen, dass der Beseitigungsanspruch nicht mehr verfolgt werde, nicht ersichtlich. Soweit die Beklagte darauf abstellt, sie habe davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin den bereits vereinbarten Beurkundungstermin zum Abschluss eines Kaufvertrages über die 14 m² große Teilfläche der Parzelle Nr. … nicht „platzen lasse“, ist ihr Vortrag unerheblich. Solange der formbedürftige Kaufvertrag nicht beurkundet war, lag lediglich ein bloßer Vertragsentwurf vor, der von vornherein kein schutzwürdiges Vertrauen begründen konnte.
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Zu Unrecht meinen das Verwaltungsgericht und die Beklagte darüber hinaus, dass das Verhalten der Klägerin wegen widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) als rechtsmissbräuchlich zu bewerten sei. Denn die Feststellung der erstinstanzlichen Entscheidung, aufgrund des dargestellten Verhaltens der Rechtsvorgängerin der Klägerin sei ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, trifft gerade nicht zu. Maßgebend ist auch insoweit allein das eigene Verhalten der Klägerin, die sich das Einverständnis ihrer Rechtsvorgängerin aus den dargestellten Gründen gerade nicht zurechnen lassen muss. Die Klägerin selbst hat sich der Beklagten gegenüber jedoch keineswegs widersprüchlich verhalten. Auf die ihr von der Beklagten unterstellten persönlichen Motive für die Weigerung, die vorhandene Eigentumsbeeinträchtigung hinzunehmen, kommt es nicht an.
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Nach allem steht dem Beseitigungsverlangen auch nicht das gleichfalls auf § 242 BGB beruhende Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme aus einem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis sowie das Schikaneverbot aus § 226 BGB entgegen, wie die Beklagte meint.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten findet ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
- 41
Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.
Beschluss
- 42
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 3.000 Euro festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, 47 GKG).
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