Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (6. Senat) - 6 A 11904/17

Tenor

Unter Abänderung des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21. Dezember 2016 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2014, mit welchem er zu einer Vorausleistung in Höhe von 8.669,42 € auf den einmaligen Straßenausbaubeitrag für die Erneuerung der Fahrbahn, des Gehwegs, der Straßenbeleuchtung sowie der Straßenoberflächenentwässerung der Straße „...“ in ... herangezogen wurde.

2

Nach der am 30. März 2012 beschlossenen Widmung dieser Straße entschied der Gemeinderat der Beklagten am 6. September 2012 über deren Ausbau, am 15. November 2013 über die Vergabe der Ingenieurleistungen und am 5. Dezember 2013 über das Ausbauprogramm (Entwurfsplanung). In seiner Sitzung vom 27. Februar 2014 setzte der Rat unter Mitwirkung des damaligen Beigeordneten M den Gemeindeanteil auf 50 v. H. des beitragsfähigen Aufwands fest und fasste den Beschluss, Vorausleistungen in Höhe der voraussichtlichen Beiträge sowie in Raten zu erheben. Mit Datum desselben Tags, des 27. Februar 2014, gab die Fa. M, deren Geschäftsführer der Beigeordnete M war, ihr Angebot für die ausgeschriebenen Bauleistungen zum Ausbau der Straße „...“ ab. Sie erhielt den Auftrag in der Ratssitzung vom 20. März 2014 unter dem Vorsitz des staatlichen Beauftragten F.

3

Gegen den Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 11. April 2014 legte der Kläger am 30. April 2014 Widerspruch ein und erhob – nach dessen Zurückweisung durch Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2015 – Klage. Dieser hat das Verwaltungsgericht unter Aufhebung des Vorausleistungs- sowie des Widerspruchsbescheids im Wesentlichen mit der Begründung stattgegeben, der Ratsbeschluss vom 27. Februar 2014 sei unwirksam, weil er unter Mitwirkung des Beigeordneten M ergangen sei, für den ein Ausschließungsgrund vorgelegen habe.

4

Hinsichtlich des seinem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts im Übrigen nimmt der Senat gemäß § 130b Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug, dessen tatsächliche Feststellungen er sich zu Eigen macht.

5

Während des Laufs der Begründungsfrist für den Antrag auf Berufungszulassung hat der Rat der Beklagten am 6. Februar 2017 erneut beschlossen, die Straße „...“ dem öffentlichen Verkehr zu widmen, den Gemeindeanteil auf 50 v. H. des beitragsfähigen Aufwands festzusetzen und Vorausleistungen in Höhe der voraussichtlichen endgültigen Beiträge in sechs Raten zu erheben.

6

Mit ihrer daraufhin vom Senat zugelassenen Berufung macht die Beklagte insbesondere geltend, die hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zweifelhaften Ratsbeschlüsse seien durch diejenigen vom 6. Februar 2017 geheilt worden. Auch im Übrigen bestünden keine Bedenken an der Vorausleistungserhebung. Die Straße „...“ sei im Jahr 1967 (Fahrbahn) bzw. im Jahr 1975 (Gehwege) erstmals hergestellt und im Jahr 1995 nach Arbeiten an der Wasserleitung, die in der Straße verlegt sei, wiederhergerichtet worden, ohne dass die Anlieger zu Ausbaubeiträgen herangezogen worden seien. Nach so langer Zeit und angesichts der mit Fotos dokumentierten Schäden an der Straße habe ein Erneuerungsbedarf angenommen werden dürfen. Die endgültige Beitragspflicht sei noch nicht entstanden, weil die Schlussvermessung fehle. Außerdem lägen noch nicht sämtliche Rechnungen für die erbrachten Ingenieurleistungen vor.

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Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 21. Dezember 2016 die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Der damalige Beigeordnete M sei nicht nur wegen eines Vorteils für das Unternehmen, dessen Geschäftsführer er sei, sondern auch deshalb von seiner Mitwirkung ausgeschlossen gewesen, weil sein Stiefneffe Eigentümer eines Grundstücks in der Straße „...“ sei. Ferner hätten auch Ausschließungsgründe für andere Ratsmitglieder bestanden. Eine Heilung dieser Mängel habe wegen des förmlichen Protestschreibens von Straßenanliegern vom 18. November 2012 nicht eintreten können. An einer wirksamen Widmung dieser Straße fehle es noch immer. Die Vergabe der Bauarbeiten an die Fa. M habe nicht erfolgen dürfen. Deren Angebot sei unangemessen niedrig gewesen. Auch die Erforderlichkeit des Straßenausbaus müsse bezweifelt werden, nachdem erst im Jahr 1995 diese Straße im Zuge der Arbeiten an der Wasserleitung erneuert worden sei.

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Die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten ergeben sich aus den zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätzen und den vorgelegten Verwaltungsvorgängen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

11

Die Berufung der Beklagten ist begründet.

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Der Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 11. April 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2015 sind rechtmäßig geworden und verletzen den Kläger nicht (mehr) in seinen Rechten. Dem entsprechend ist das verwaltungsgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

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Der angefochtene Bescheid über die Erhebung einer Vorausleistung auf den einmaligen Straßenausbaubeitrag für die Erneuerung der Fahrbahn, des Gehwegs, der Straßenbeleuchtung sowie der Straßenoberflächenentwässerung der Straße „...“ ist nicht mehr zu beanstanden. Er beruht auf der Grundlage des § 10 Abs. 8 i. V. m. § 7 Abs. 5 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes – KAG – und des § 9 Abs. 1 der Ausbaubeitragssatzung Einzelabrechnung – ABS – der Beklagten, wonach ab Beginn einer Maßnahme Vorausleistungen bis zur Höhe des voraussichtlichen endgültigen Beitrags festgesetzt werden können.

14

Von dieser normativen Ermächtigung hat die Beklagte im Hinblick auf den beitragspflichtigen Ausbau der Straße „...“ als einer in ihrer Baulast stehenden und bereits erstmals hergestellten öffentlichen Verkehrsanlage Gebrauch gemacht. Sowohl die hierfür erforderlichen Entscheidungen des Gemeinderats (1.) als auch die übrigen Voraussetzungen für eine Vorausleistungserhebung liegen vor (2.).

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1. Soweit es im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids, der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Falle der Anfechtungsklage gegen einen beitragsrechtlichen Vorausleistungsbescheid grundsätzlich maßgeblich ist (OVG RP, Urteil vom 27. April 2004 – 6 A 10035/04.OVG –, AS 31, 283 = NVwZ-RR 2005, 499; OVG RP, Urteil vom 29. Juni 2017 – 6 A 11584/16.OVG –, juris), noch an wirksamen Ratsbeschlüssen fehlte, hat die Beklagte diese zwischenzeitlich nachgeholt.

16

a) Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 7. Juni 2004 – 6 A 10430/04.OVG –, NVwZ-RR 2004, 782) bedarf die Vorausleistungserhebung eines ausdrücklichen diesbezüglichen Ratsbeschlusses. Zwar war der Vorausleistungsbeschluss vom 27. Februar 2014 gemäß § 22 Abs. 6 der Gemeindeordnung – GemO – unwirksam (aa). Der erforderliche Vorausleistungsbeschluss wurde jedoch am 6. Februar 2017 mit heilender Wirkung nachgeholt (bb).

17

aa) Der Beschluss des Gemeinderats über die Erhebung von Vorausleistungen vom 27. Februar 2014 war unwirksam, weil der damalige Beigeordnete M an diesem Beschluss mitwirkte, obwohl er nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GemO als Geschäftsführer der Fa. M ausgeschlossen war, die unter demselben Datum ein Angebot für die ausgeschriebenen Bauleistungen zum Ausbau der Straße „...“ abgab. Dieser Beschluss konnte der Fa. M i. S. d. § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GemO einen unmittelbaren Vorteil bringen, wie in dem angefochtenen Urteil zutreffend entschieden wurde. Hätte die Vorfinanzierung durch Beitragsvorausleistungen im Gemeinderat keine Mehrheit gefunden, wäre die Ausbaumaßnahme möglicherweise verschoben oder sogar aufgegeben worden.

18

Obwohl dieser Beschluss vom 27. Februar 2014 nicht innerhalb von drei Monaten vom Bürgermeister ausgesetzt oder von der Aufsichtsbehörde beanstandet worden war, ist die Wirksamkeitsfiktion des § 22 Abs. 6 Satz 2 GemO gegenüber dem Kläger nicht eingetreten. Er hat nämlich vor Ablauf der Dreimonatsfrist einen förmlichen Rechtsbehelf, nämlich seinen Widerspruch vom 30. April 2014, eingelegt (§ 22 Abs. 6 Satz 3 GemO).

19

bb) Mit dem Beschluss vom 6. Februar 2017, an dem die ausgeschlossenen Ratsmitglieder B, H und J nicht mitwirkten, wurde dieser Mangel unbeachtlich. Da damit der Vorausleistungsbescheid vom 11. April 2014 geheilt wurde, musste – entgegen der Auffassung des Klägers – kein neuer Vorausleistungsbescheid ergehen.

20

Soweit die Heilung durch den Beschluss vom 6. Februar 2017 nicht bereits aus der Verpflichtung zur Nachholung unwirksamer Beschlüsse gemäß § 22 Abs. 6 Satz 4 GemO folgt, ergibt sie sich aus § 126 Abs. 1 Nr. 4 der Abgabenordnung – AO – i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 3 KAG. Danach ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 125 AO nichtig macht, unbeachtlich, wenn der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsakts erforderlich ist, nachträglich gefasst wird. Das gilt entsprechend für einen Gemeinderatsbeschluss (vgl. BayVGH, Urteil vom 31. März 2003 – 4 B 00.2823 –, BayVBl 2003, 501). Allein das Fehlen eines solchen Beschlusses führt gemäß § 125 Abs. 3 Nr. 3 AO i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 3 KAG noch nicht zur Nichtigkeit eines Verwaltungsakts.

21

Da nach § 126 Abs. 2 AO i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 3 KAG Handlungen nach § 126 Abs. 1 Nrn. 2 bis 5 AO bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines gerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden können, ist insoweit die Rechtmäßigkeit des Vorausleistungsbescheids nicht nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung, also des Widerspruchsbescheids vom 14. Januar 2015, zu beurteilen.

22

Der Heilung durch den Beschluss vom 6. Februar 2017 kann auch nicht das Urteil des Senats vom 25. Juni 1991 (– 6 A 12559/90.OVG –, AS 23, 230 = NVwZ-RR 1992, 160) entgegen gehalten werden. Danach kann ein Vorausleistungsbeschluss nach Erlass des Vorausleistungsbescheids mit heilender Wirkung nicht (mehr) ergehen, wenn zwischenzeitlich die endgültige Beitragspflicht entstanden ist. Dies ist hier nicht der Fall. Denn die Voraussetzungen des § 10 Abs. 6 Satz 1 KAG für das Entstehen der Beitragspflicht liegen nicht einmal im Zeitpunkt der mündlichen Berufungsverhandlung vor. Nach den schriftsätzlichen Erläuterungen der Beklagten, die in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurden und an denen zu zweifeln der Senat keine Veranlassung hat, ist der für den Ausbau der Straße „...“ entstandene Aufwand noch nicht feststellbar i. S. d. § 10 Abs. 6 Satz 1 KAG. Danach fehlen sowohl die Schlussvermessung sowie ein sich daraus möglicherweise ergebender Grunderwerb als auch die Schlussrechnung und die letzte Abschlagsrechnung über die erbrachten Ingenieurleistungen.

23

b) Inwieweit an anderen, im vorliegenden Zusammenhang getroffenen Ratsbeschlüssen ausgeschlossene Gemeinderatsmitglieder mitwirkten, bedarf keiner weiteren Erörterung. Denn sie gelten nach § 22 Abs. 6 Satz 2 GemO als wirksam.

24

Dies gilt für den Grundsatzbeschluss des Gemeinderats vom 6. September 2012 über den Ausbau der Straße „...“, über den der damalige Beigeordnete M mitentschied. Der Beschluss vom 15. November 2013 über die Vergabe der Ingenieurleistungen erging unter Beteiligung der Ratsmitglieder M, S und NB. Als der Rat am 5. Dezember 2013 das Ausbauprogramm durch Zustimmung zur Entwurfsplanung des Ing.-Büros P beschloss, wirkte der damalige Beigeordnete M ebenfalls mit.

25

Diese Beschlüsse wurden nicht innerhalb von drei Monaten vom Bürgermeister ausgesetzt oder von der Aufsichtsbehörde beanstandet. Der Kläger hat auch nicht gemäß § 22 Abs. 6 Satz 3 GemO vor Ablauf der Dreimonatsfrist einen förmlichen Rechtsbehelf gegen den Beschluss eingelegt, der den Eintritt der Wirksamkeitsfiktion des § 22 Abs. 6 Satz 2 GemO ihm gegenüber verhindert hätte. Das als „Widerspruch“ bezeichnete Schreiben mehrerer Anlieger der Straße „...“ vom 28. November 2012 kann nicht als förmlicher Rechtsbehelf i. S. d. § 22 Abs. 6 Satz 3 GemO angesehen werden. Damit wird gemäß § 22 Abs. 6 Sätze 2 und 3 GemO die Wirksamkeit dieser Beschlüsse fingiert.

26

c) Keiner abschließenden Erörterung bedarf, ob ein Vorausleistungsbescheid allein deswegen als rechtswidrig zu betrachten ist, weil im Zeitpunkt seines Erlasses die förmliche Widmung der ausgebauten Verkehrsfläche noch aussteht, ihre Eigenschaft als tatsächlich dem öffentlichen Verkehr dienende Verkehrsanlage und die Bereitschaft der Beklagten zur (Nachholung der) Widmung aber gegeben sind (vgl. hierzu OVG RP, Urteil vom 10. Juni 2003 – 6 A 10310/03.OVG –, AS 30, 359; OVG RP, Urteil vom 14. Juni 2005 – 6 A 10131/05.OVG –; OVG RP, Urteil vom 21. August 2007 – 6 A 10527/07.OVG –, AS 35, 71; zu Vorauszahlungen auf wiederkehrende Beiträge: OVG RP, Urteil vom 5. November 2013 – 6 A 10553/13.OVG –, AS 42, 77).

27

Die mit dem Ratsbeschluss vom 30. März 2012 ausgesprochene Widmung der Straße „...“ ist nämlich nicht wegen Mitwirkung eines ausgeschlossenen Ratsmitglieds unwirksam. Auch insoweit greift jedenfalls die Wirksamkeitsfiktion des § 22 Abs. 6 Satz 2 GemO ein. Dieser Widmungsbeschluss wurde nicht innerhalb von drei Monaten vom Bürgermeister ausgesetzt oder von der Aufsichtsbehörde beanstandet. Der Kläger hat auch nicht gemäß § 22 Abs. 6 Satz 3 GemO durch einen förmlichen Rechtsbehelf gegen den Widmungsbeschluss den Eintritt der Wirksamkeitsfiktion (§ 22 Abs. 6 Satz 2 GemO) ihm gegenüber verhindert.

28

2. Neben den erforderlichen Ratsbeschlüssen liegen auch die weiteren Voraussetzungen der Vorausleistungserhebung vor. Eine solche beruht auf einer Prognose; sie umfasst nicht nur das Entstehen der endgültigen Beitragspflicht überhaupt (a), sondern auch deren Höhe (OVG RP, Urteil vom 18. März 2003 – 6 A 11867/02.OVG – AS 30, 287 = NVwZ-RR 2004, 70). Dementsprechend bedarf die Heranziehung zu Vorausleistungen einer gewissenhaften Aufwandsschätzung (b) (OVG RP, Urteil vom 19. März 2009 – 6 A 10750/08.OVG –, AS 37, 200). Sie liegt vor. Auch die vorläufige Aufwandsverteilung ist nicht zu beanstanden (c).

29

a) Das Entstehen der endgültigen Beitragspflicht setzt neben der bereits erörterten Widmung die Anbaubestimmung der in der Vergangenheit bereits erstmals hergestellten Verkehrsanlage sowie die Verwirklichung eines Ausbautatbestands i. S. d. § 10 Abs. 8 i. V. m. § 9 Abs. 1 Satz 2 KAG und die Erforderlichkeit des Ausbaus voraus.

30

aa) Dass die zum Anbau bestimmte Straße „...“ spätestens im Jahr 1975 erstmals endgültig hergestellt war und die vorläufig abgerechneten Baumaßnahmen über eine Straßenunterhaltung hinaus dem Ausbau der Straße dienten, steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Angesichts dessen erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.

31

bb) Die Zweifel des Klägers an der Erforderlichkeit des Ausbaus teilt der Senat nicht. Bis zum Beginn der Ausbauarbeiten waren seit der erstmaligen Herstellung der Fahrbahn ungefähr 40 Jahre vergangen; der Gehweg hatte ein Alter von weit über 30 Jahren erreicht. Damit war die übliche Nutzungsdauer der Verkehrsanlage abgelaufen. Als im Jahr 1995 wegen im Straßenkörper durchgeführter Wasserleitungsbaumaßnahmen die Straße wiederhergestellt wurde, begann keine neue Nutzungsdauer zu laufen. Denn seinerzeit wurde die Fahrbahn lediglich wieder instandgesetzt, nicht aber erneuert i. S. d. § 10 Abs. 8 i. V. m. § 9 Abs. 1 Satz 2 KAG. Das folgt aus dem Untersuchungsbericht des Ing.-Büros Simon vom 27. Januar 2014, der auf Bohrungen zur Untersuchung (auch) des bituminös gebundenen Oberbaus der Fahrbahn an fünf Stellen der Straße „...“ beruht. Sie ergaben an vier Entnahmestellen jeweils einen zwischen 5,0 und 7,0 cm dicken pechhaltigen Querschnitt; nur eine Entnahmestelle wies einen pechfreien Querschnitt von 18,0 cm auf. Selbst wenn man die Wiederherstellung der Straße im Jahr 1995 als Ausbau qualifiziert, durfte die Beklagte nach ca. 19 Jahren einen Erneuerungsbedarf annehmen, zumal die Baumaßnahmen des Jahres 1995 nicht durch Ausbaubeiträge refinanziert wurden (vgl. hierzu OVG RP, Urteil vom 11. Dezember 1980 – 6 A 19/78 – KStZ 1981, 233) und die Straße abgenutzt und stellenweise schadhaft war. Dies kann den in der Verwaltungsakte befindlichen Fotos entnommen werden, wenn auch die vom Kläger vorgelegten Fotos einen Erneuerungsbedarf zweifelhaft erscheinen lassen.

32

b) Die Schätzung des voraussichtlichen Ausbauaufwands ist nicht bedenklich.

33

aa) Dem Kläger ist nicht in der Auffassung zu folgen, eine Beleuchtungsanlage mit 14 Laternen sei unangemessen aufwändig, weil die bisher vorhandenen sechs Laternen genügt hätten, um die Straße auszuleuchten. Hinsichtlich der Angemessenheit der Ausbaukosten steht der Gemeinde ein Einschätzungsspielraum zu (OVG RP, Urteil vom 7. Juli 2009 – 6 A 11163/08.OVG –, AS 37, 393). Dieser wird erst überschritten, wenn die Maßnahme in jeder Hinsicht unverhältnismäßig bzw. sachlich schlechthin unvertretbar ist oder die Gemeinde erkennen kann, dass die Kosten eine grob unangemessene Höhe erreichen (vgl. OVG RP, Urteil vom 9. April 1997 – 6 A 12010/96.OVG –, AS 25, 428 = NVwZ-RR 1998, 327). Davon kann hier nicht gesprochen werden, zumal – wie der Kläger einräumt – die 14 Laternen in einem Abstand von 35 bis 40 m und damit keineswegs zu dicht aufgestellt sind.

34

bb) Soweit der Kläger rügt, das Vergabeverfahren sei fehlerhaft durchgeführt worden, kann die von der Beklagten vorgenommene Aufwandsschätzung, die der Vorausleistungserhebung zugrunde liegt, ihn nicht belasten. Sollte das Angebot der Fa. M, die den Zuschlag erhielt, unangemessen niedrig gewesen sein, sind nur die dadurch entstandenen (geringeren) Kosten in die vorläufige Aufwandsschätzung eingeflossen, während die Angebote der anderen Bieter zu einer höheren Belastung auch des Klägers geführt hätten. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 9. April 1997 – 6 A 12010/96.OVG –, AS 25, 428 = NVwZ-RR 1998, 327) hat eine Verletzung der Ausschreibungspflicht (nur) zur Folge, dass der Ausbauaufwand insoweit nicht beitragsfähig ist, als die auf die Beitragspflichtigen umgelegten Kosten eine grob unangemessene Höhe erreicht haben (vgl. zum Erschließungsbeitragsrecht: BVerwG, Urteil vom 10. November 1989 – 8 C 50.88 – NVwZ 1990, 870).

35

cc) Ferner ist die angesetzte Kostenbeteiligung der Verbandsgemeindewerke in Höhe von 90.000,00 € nicht zu beanstanden. Dieser Betrag beruht auf einer ins einzelne gehenden und geringfügig aufgerundeten Berechnung der Gräben für die Arbeiten an der Abwasserbeseitigungs- bzw. der Wasserversorgungseinrichtung und ist damit nachvollziehbar.

36

c) Ebenso wenig bedenklich ist die vorläufige Aufwandsverteilung, in die das Flurstück ... als Hinterliegergrundstück, dessen Eigentümer nur Miteigentum am Anliegergrundstück Parzelle ... hat, nicht einbezogen wurde.

37

Abgesehen davon, ob das Flurstück ... überhaupt baulich oder gewerblich nutzbar ist, können nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 29. Juni 2016 – 6 A 11070/15.OVG –, AS 45, 29) qualifiziert nutzbare Hinterliegergrundstücke, denen ein Anliegergrundstück die Zugänglichkeit in dem baurechtlich erforderlichen Umfang vermittelt, zwar auch dann von einer ausgebauten Straße erschlossen sein, wenn die Eigentümer von Anlieger- und Hinterliegergrundstück verschieden sind. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es der Eigentümer des Hinterliegergrundstücks in der Hand hat, die baurechtlichen Erreichbarkeitserfordernisse unter Inanspruchnahme des Anliegergrundstücks zu erfüllen. Das ist grundsätzlich im Falle des Miteigentums von Ehegatten an dem Anliegergrundstück nicht anzunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2010 – 9 C 1.09 –, BVerwGE 136, 126). Miteigentümer bilden eine Bruchteilsgemeinschaft nach §§ 741 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB –. Aus dieser Gemeinschaft, die – anders als eine Gesellschaft i. S. d. § 705 BGB – keinen gemeinsamen Zweck verfolgt, ergibt sich kein Anspruch eines Miteigentümers auf Einräumung einer rechtlich gesicherten Zufahrt zum Hinterliegergrundstück. Gleiches gilt für die eherechtlichen Bestimmungen; für einen wechselseitigen Anspruch auf Herstellung der Baulandeigenschaft (Bebaubarkeit) eines im Alleineigentum des anderen Ehegatten stehenden Grundstücks ist ihnen nichts zu entnehmen (BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2010 – 9 C 1.09 –, BVerwGE 136, 126).

38

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

39

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10 ZPO.

40

Gründe, gemäß § 132 Abs. 2 VwGO die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Beschluss

41

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 8.669,42 € festgesetzt (§§ 52 Abs. 3, 47 Abs. 1 GKG).

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