Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (1. Senat) - 1 A 11658/17

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 17. Januar 2017 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Kläger begehren die Erteilung eines positiven Bauvorbescheids.

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Sie sind Eigentümer des Grundstücks Gemarkung S..., Flur ..., Flurstücke .../... und .../..., das mit einem ausschließlich von ihnen bewohnten Einfamilienhaus bebaut ist. Das Grundstück liegt im Außenbereich und ist im Flächennutzungsplan der Stadt Koblenz als Grünfläche ausgewiesen. Das Einfamilienhaus ist im Jahre 2000 aufgrund einer Baugenehmigung mit einer Wohnfläche von 141,5 m² errichtet worden.

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Unter dem 13. August 2015 beantragten die Kläger einen Bauvorbescheid für die Errichtung eines Anbaus in einstöckiger Bauweise mit einer Grundfläche von 20,625 m². Sie führten zur Erläuterung aus, der Kläger zu 2), von Beruf Rechtsanwalt, wolle, auch nachdem er sich zur Ruhe gesetzt und seine Praxisräume in D... aufgegeben habe, wissenschaftlich arbeiten und einige ausgewählte Beratungsmandate für auswärtige Unternehmen weiterführen. Dazu beabsichtige er, im Wohnhaus ein abgeschlossenes Arbeitszimmer mit Bibliothek einzurichten.

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Mit Bauvorbescheid vom 19. Januar 2016 lehnte die Beklagte den Antrag der Kläger ab. Die Begünstigung der Erweiterung eines Wohngebäudes im Außenbereich sei nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 lit. b BauGB an die Voraussetzung gebunden, dass die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter der Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen ist. In Bezug auf die Angemessenheit sei auf die objektiven Verhältnisse des Eigentümers und seiner Familie abzustellen; auf die selbstbestimmten Bedürfnisse der Bewohner komme es nicht an. Von der höchstrichterlichen Rechtsprechung werde bezüglich der Angemessenheit eine Orientierung an § 39 Abs. 1 und 2 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG) als geboten angesehen, wonach für Familienheime mit einer Wohneinheit 130 m² als angemessen zu betrachten seien. Obwohl das II. WoBauG zum 1. Januar 2002 außer Kraft getreten und durch das Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) ersetzt worden sei, könne darauf weiterhin abgestellt werden. Unter diesen Gesichtspunkten stelle sich die geplante Wohnhauserweiterung nicht mehr als angemessen dar, da das bestehende Wohnhaus für die beiden Kläger als Bewohner mehr als ausreichend und die zusätzliche Unterbringung einer Büronutzung innerhalb des Bestandes möglich und auch zumutbar sei.

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Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Stadtrechtsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2016 zurück.

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Am 11. Mai 2016 haben die Kläger Klage im Verwaltungsstreitverfahren erhoben. Zur Begründung haben sie unter Anderem ausgeführt, eine sklavische Bindung an das II. WoBauG sei nicht ermessenskonform. Den Aktenbestand für die berufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt im offenen Haus ständig wegzuschließen, sei praktisch mit erheblichem Aufwand verbunden und nicht zumutbar.

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Das Verwaltungsgericht Koblenz hat die Klage durch Urteil vom 17. Januar 2017 abgewiesen. In den Gründen dieser Entscheidung heißt es im Wesentlichen, bei der gebotenen objektiven Bewertung der Angemessenheit seien die Bestimmungen des § 39 II. WoBauG heranzuziehen, wonach für eine Familie mit vier Personen grundsätzlich eine Wohnfläche von 130 m² als angemessen anzusehen sei. Obwohl das II. WoBauG seit 2002 außer Kraft getreten und durch das WoFG ersetzt worden sei, könnten die in § 39 II. WoBauG genannten Wohnflächengrenzen weiterhin zur Orientierung dienen, da der Landesgesetzgeber nach Wegfall der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Wohnungswesen davon abgesehen habe, im LWoFG konkrete Wohnflächen zur Bestimmung der angemessenen Wohnungsgröße festzulegen. Vor diesem Hintergrund stelle sich das Vorhaben der Kläger, ihr Haus mit einer Wohnfläche von 141,50 m² um einen Anbau mit einer Grundfläche von 20,625 m² zu erweitern, unter Berücksichtigung ihrer Wohnbedürfnisse nicht mehr als angemessen dar.

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Anderes gelte auch nicht im Hinblick darauf, dass der Kläger zu 2) beabsichtige, in seinem Wohnhaus ein abgeschlossenes Büro für seine anwaltliche Tätigkeit einzurichten. Die geltend gemachten beruflichen Bedürfnisse aus freiberuflicher Tätigkeit könnten nicht gesondert berücksichtigt werden und führten daher nicht zu einer Erhöhung der angemessenen Wohnfläche. Eine Ausweitung der angemessenen Wohnbedürfnisse allein aus beruflichen Gründen stünde im Widerspruch zu dem den § 35 BauGB durchziehenden Grundsatz, den Außenbereich weitestmöglich zu schonen.

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Mit der von Senat zugelassenen Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie machen im Wesentlichen geltend, der inzwischen siebzigjährige Kläger zu 2) arbeite seit 2007 als Rechtsanwalt in D..., von wo aus er an jedem Wochenende nach K... pendele. Er beabsichtige, seinen Arbeitsplatz nach K... zu verlegen, nur noch alle 10 Tage nach D... zu fahren und im Übrigen mit seinem Büro in D... elektronisch verbunden zu bleiben.

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Die Kläger beantragen,

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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 17. Januar 2017 den ablehnenden Bauvorbescheid der Beklagten vom 19. Januar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Mai 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Klägern den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie trägt im Wesentlichen vor, in Anbetracht der als Orientierung heranzuziehenden Maßstäbe des Wohnbauförderungsrechts sei eine Erweiterung der bereits genehmigten Wohnfläche von 141,5 m² unverhältnismäßig.

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Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätzen der Beteiligten sowie aus den beigezogenen Verwaltungs- und Widerspruchsakten der Beklagten (3 Hefte). Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung der Kläger ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Verpflichtungsklage zu Recht abgelehnt, da die Kläger keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten positiven Bauvorbescheides haben.

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1. Gemäß § 72 Abs. Absätze 1 und 3 LBauO i. V. m. § 70 Abs. 1 LBauO ist ein Bauvorbescheid zu erteilen, wenn dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen, wobei hier, da es um ein Wohngebäude der Gebäudeklasse 1 geht, gemäß § 72 Abs. 1 LBauO i. V. m. § 66 Abs. 4 LBauO nur die Zulässigkeit des Vorhabens nach den Bestimmungen des Baugesetzbuches zu prüfen ist. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, stehen dem unstreitig im Außenbereich gelegenen und nicht nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben der Kläger die Bestimmungen des § 35 Abs. 2, 3 Nrn. 1, 5 und 7 BauGB entgegen, da zu ihren Gunsten die Ausnahmeregelung des § 35 Abs. 4 Nr. 5 BauGB nicht eingreift.

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2. Nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB ist die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen möglich, wenn das Gebäude zulässigerweise errichtet worden ist und die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen ist.

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Zwar ist das zur Erweiterung vorgesehene Wohngebäude der Kläger aufgrund einer Baugenehmigung aus dem Jahre 2000 und damit zulässigerweise errichtet worden und die gesetzlich vorgesehene Höchstzahl von zwei Wohnungen wird durch das Vorhaben nicht überschritten. Die vorgesehene Erweiterung ist aber im Verhältnis zum vorhandenen Wohngebäude als auch unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse nicht mehr angemessen.

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a. Bei der Beurteilung der Frage, was unter „angemessen“ i.S. des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 lit. b BauGB verstanden werden muss, ist zunächst vom Wortlaut der Norm auszugehen. Dass das Gesetz die Angemessenheit in Bezug setzt zu der "Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude", deutet darauf hin, dass ein bestehendes Wohnhaus lediglich vergrößert werden darf, seine bisherige Funktion als selbstgenutztes Wohngebäude aber erhalten bleiben muss. Eine zulässige quantitative Vergrößerung darf dabei nicht in eine andere Qualität umschlagen, d. h. es darf zu keiner qualitativen Änderung im Sinne einer Funktionsänderung führen (BVerwG Urteil vom 23. Januar 1981 – IV C 82.77 –, BVerwGE 61, 285).

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Mit Blick auf den Zusammenhang der Bestimmung mit den übrigen Regelungen des § 35 BauGB muss weiter festgestellt werden, dass der Grundgedanke des § 35 BauGB, der Schutz des Außenbereichs vor einer Zersiedlung, nicht aufgegeben wird, sondern dass das Gesetz nur aus Gründen des Außenbereichsschutzes nicht notwendige Beschränkungen zu Lasten von bereits im Außenbereich Ansässigen vermeiden will (BVerwG, Beschluss vom 6. Oktober 1994 – 4 B 178/94 –, BRS 56 Nr. 86, juris). Wie sich aus den Materialien zum BauGB ergibt, waren Formulierungen wie „...geringfügige Erweiterungen...“ und „...im Verhältnis zum vorhandenen Wohngebäude untergeordnet...“ als zu eng, der Begriff „angemessen“ aber als befriedigende Regelung angesehen worden (vgl. Entwurf eines Gesetzes über das Baugesetzbuch, Bt.-Drs. 10/4630, S. 90; Stellungnahme des Bundesrates zu diesem Entwurf, Bt.-Drs. 10/5027, S. 9,10; Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, Bt.-Drs. 10/5111, S. 7; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Entwurf eines Gesetzes über das Baugesetzbuch, Bt.-Drs. 10/6166, S. 132). Unter einer angemessenen Erweiterung i.S. des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB ist daher ein Um- oder Ausbau zu verstehen, der einerseits über eine im Verhältnis zum Bestand bloß geringfügige oder untergeordnete Erweiterung hinausgeht, anderseits aber seiner Größe und Funktion nach nur eine begrenzte zusätzliche Beeinträchtigung des Außenbereichs mit sich bringt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 7. Februar 2013 – 15 ZB 11.1843 –, juris: Erweiterung der Kubatur des Bestands von 610 m³ um einen Anbau von 410 m³: unangemessen; BayVGH, Urteil vom 23. November 2011 – 1 B 10.2082 –, juris: Erweiterung von 110 m² Wohnfläche um ca. 19 m²: angemessen; HessVGH, Urteil vom 8. September 2010 – 3 B 1271/10 –, ZfBR 2011, 290f, Gesamtfläche im Erdgeschoss von 98,35 m² durch Dachgeschossausbau um 85,34 m² erweitert: angemessen; OVG Münster, Beschluss vom 9. Oktober 2008 – 10 A 731/08 –, juris: Verdoppelung der vorhandenen Wohnfläche bei einem nicht außergewöhnlich kleinen Bestand: unangemessen).

22

b. Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ muss ferner berücksichtigt werden, dass das Gesetz dabei auch die Wohnbedürfnisse berücksichtigt sehen will. Maßgeblich ist insoweit nicht, wie die jeweiligen Bewohner ihre Bedürfnisse bestimmen; dies wäre mit dem Grundsatz einer größtmöglichen Schonung des Außenbereichs nicht vereinbar. Vielmehr muss eine objektive Bewertung der jeweiligen familiären Wohnbedürfnisse erfolgen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich diese Bewertung an den Werten orientieren, die nach § 39 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes für förderungswürdige Bauten – hier: § 39 Abs.1 Nr.1 lit. a II. WoBauG: 130 m² für ein Familienheim mit einer Wohnung – galten (so: BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 1988 – 4 B 88/88 –, NVwZ 1989,355, BauR 1988, 698). Räume, die zur Befriedigung angemessener beruflicher Bedürfnisse erforderlich sind, sind hinzuzurechnen (BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1981– IV C 82.77 –, BVerwGE 1981,1225).

23

Zwar ist das II. Wohnungsbaugesetz zum 1. Januar 2002 außer Kraft getretenen und durch das Wohnraumförderungsgesetz i. d. F. vom 13. September 2001 ersetzt worden. Nach § 10 i. V. m. § 19 WoFG ist die Bestimmung der Größe der zu fördernden Wohnungen den Ländern übertragen worden; inzwischen ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes gänzlich entfallen. Da aber die Ausführungsgesetze der Länder zum Wohnungsbauförderungsrechts erheblich voneinander abweichen, würde deren Anwendung dazu führen, dass die bundesrechtliche Regelung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB in den Bundesländern mit jeweils unterschiedlichem Inhalt gelten würde. Der Senat orientiert sich deshalb im Grundsatz weiterhin an den Wohnflächengrenzen des II. WoBauG, wobei diese keinerlei unmittelbare Wirkung entfalten, sondern lediglich Auslegungshilfen für die Beurteilung der Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall darstellen.

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c. Hier ist danach zunächst darauf abzustellen, dass das Bestandsgebäude über eine Grundfläche von etwa 109,3 m² verfügt und der Anbau mit einer Grundfläche von 20,62 m² vorgesehen ist, sodass sich eine Erweiterung von unter 18,9 % der Grundfläche ergibt. Stellt man auf die Wohnfläche ab, so ist von einem Bestand vom 141,5 m² und einer hinzutretenden Wohnfläche von ca. 24 m² (ca. 19 m² im Erdgeschoss und die Fläche der im Obergeschoss vorgesehenen Terrasse, die gemäß § 4 Ziffer 4 WoFlVO zugunsten der Kläger nur mit ¼ angerechnet wird) auszugehen; der Anbau würde daher eine Vergrößerung der Bestandswohnfläche um ca. 17 % bewirken.

25

Das Bestandsgebäude mit seiner Wohnfläche von 141,5 m² überschreitet aber bereits jetzt den Orientierungswert für eine angemessene Größe im Sinne des BauGB von 130 m². Durch den geplanten Anbau mit einer Grundfläche von 20,62 m² soll eine neue Gesamtgrundfläche von 162,12 m² entstehen, was eine Überschreitung des genannten Richtwertes um 32,12 m² bedeuten würde. Auch wenn man gemäß der Regelung des § 39 Abs. 3 Satz 2 II. WoBauG in Rechnung stellt, dass der Kläger zu 2) den durch den Anbau zu schaffenden Raum für die häusliche Arbeit als Rechtsanwalt nutzen will, geht der geplante Anbau daher mit Blick auf die Wohnbedürfnisse über eine angemessene Erweiterung hinaus Die Wertung des Verwaltungsgerichts, wonach „...bei einer vorhandenen Wohnfläche von 141,50 m² auch im Bestand ein abgeschlossener Büroraum in adäquater Größe realisierbar und die den Klägern zumutbar...“ sei, erscheint daher im Grundsatz zutreffend.

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Der Berufung war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.

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Beschluss

30

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt (§§ 52 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG).

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