Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 MB 21/16

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 11. Kammer - vom 14. Juni 2016 geändert:

Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens untersagt, die am 17. Juli 2015 intern ausgeschriebene Stelle der Besoldungsgruppe A 12 (EG 11 TVöD) als IT-Sicherheitsbeauftragter im Fachdienst Recht und Datenschutz mit dem Beigeladenen oder anderweitig zu besetzen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens; die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller, der Kreisamtmann (Besoldungsgruppe A 11) im Dienst des Antragsgegners ist, wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Besetzung des mit der Besoldungsgruppe A 12 bewerteten Dienstpostens des IT-Sicherheitsbeauf-tragten im Fachdienst Recht und Datenschutz mit dem Beigeladenen.

2

Auf die am 17. Juli 2015 hausintern ausgeschriebene Stelle bewarben sich unter anderem der Antragsteller und der Beigeladene, die beide in die engere Auswahl kamen. Der Antragsgegner entschied sich für den Beigeladenen. Beide Bewerber hätten in der aktuellen Anlassbeurteilung ein positives Gesamturteil erhalten, der Beigeladene liege aber sowohl in der Leistungsbeurteilung als auch in der Befähigungs- und Verwendungsverwertung vor dem Antragsteller. Zudem schneide der Beigeladene bei den gemäß der Stellenausschreibung besonders zu berücksichtigenden Kriterien aus der Befähigungs- und Verwendungsbewertung (Auffassungsgabe, Denk- und Urteilsfähigkeit sowie Verhandlungsgeschick) besser ab als der Antragsteller.

3

Gegen die entsprechende Mitteilung legte der Antragsteller Widerspruch ein, der durch Widerspruchsbescheid zurückgewiesen wurde. Dagegen hat der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht erhoben (Az. 11 A 23/16) und zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. Juni 2016 abgelehnt.

4

Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der für die Bewerberauswahl maßgebende Leistungsvergleich sei anhand der vorliegenden aktuellen Anlassbeurteilungen vorgenommen worden. Das Ergebnis der Beurteilung des Beigeladenen falle besser aus als das des Antragstellers. Insbesondere sei bei der Auswahl der in der Ausschreibung geforderte überdurchschnittliche technische Sachverstand berücksichtigt worden. Über einen solchen verfüge der Beigeladene. Soweit der Antragsgegner den Beigeladenen in der Leistungsbewertung viermal mit der Note „A +“ bewertet habe, habe der Antragsgegner die Vorgabe der Beurteilungsrichtlinie befolgt und eine konkrete Begründung zu den betreffenden Leistungskriterien in die Leistungsbewertung aufgenommen. Da der Beigeladene auch bei den in der Stellenausschreibung besonders erwähnten Kriterien besser abschneide als der Antragsteller, sei die zugunsten des Beigeladenen getroffene Auswahlentscheidung nicht zu beanstanden.

5

Im Beschwerdeverfahren macht der Antragsteller unter anderem geltend, die Anlassbeurteilung des Beigeladenen sei fehlerhaft, weil der Antragsgegner diese nicht in einem die Regelbeurteilung fortentwickelnden Sinne erstellt habe. Der Antragsgegner habe bislang keine Begründung dafür geliefert, weshalb eine deutliche Abweichung nach oben in der Beurteilung des Beigeladenen gerechtfertigt sein könnte. Der Beigeladene sei in der letzten Regelbeurteilung aus dem Jahr 2014 bei zwei Kriterien mit „A+“ bewertet worden, während er in der maßgeblichen Anlassbeurteilung bei vier Kriterien „A+“ erhalten habe. Darüber hinaus erfülle der Beigeladene das Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stelle nicht, weil er nicht - wie gefordert - über einen überdurchschnittlichen technischen Sachverstand verfüge. Die vom Beigeladenen ausgeübten Tätigkeiten als zentraler Ansprechpartner für den Servicebetrieb und die Nordbits sowie als IT-Steurer seien Verwaltungs- und organisatorische Aufgaben, die keinen überdurchschnittlichen technischen Sachverstand erforderten.

6

Der Antragsgegner ist dem entgegengetreten. Der Beigeladene hat sich bislang im gerichtlichen Verfahren nicht geäußert.

II.

7

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den einstweiligen Rechtsschutz versagenden Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 11. Kammer - vom 14. Juni 2016 hat Erfolg.

8

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Der zu sichernde Anspruch und auch der Grund der Anordnung sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920, 294 ZPO glaubhaft zu machen.

9

Ein Anordnungsgrund gemäß § 123 Abs. 1 VwGO für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unproblematisch gegeben, da es um die Vergabe einer Beförderungsstelle geht. Der Beigeladene soll nach erfolgreicher Absolvierung einer dreimonatigen Erprobungszeit zum Amtsrat (A 12 BesO) befördert werden.

10

Ein bei der Beförderungsauswahl unterlegener Bewerber muss seinen Anspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG durch vorläufigen Rechtsschutz wirksam sichern können. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert eine effektive gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.10.1999 - 1 BvR 385/90 -, BVerfGE 101, 106 <122 f.> m.w.N.; stRspr). Einstweiliger Rechtsschutz ist deswegen unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Bewerbungsverfahrensanspruchs zu gewähren. Ein abgelehnter Bewerber, dessen subjektives Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt worden ist, kann eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung zumindest dann beanspruchen, wenn seine Erfolgsaussichten bei einer erneuten Auswahl offen sind, seine Auswahl also möglich erscheint. Dieser Prüfungsmaßstab ist wie im Hauptsacheverfahren auch bei seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung anzulegen. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung dürfen ebenfalls nicht über das hinausgehen, was für ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren genügt (stRspr., BVerwG, Beschl. v. 22.11.2012 - 2 VR 5.12 -, BVerwGE 145, 112 <116>, Juris Rdnr. 22 m.w.N. auch aus der Rspr. des BVerfG).

11

Dem Antragsteller steht auch ein Anordnungsanspruch zu, weil die Auswahlentscheidung des Antragsgegners den aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt. Die Auswahlentscheidung beruht auf der fehlerhaften dienstlichen Anlassbeurteilung des Beigeladenen vom 13. Oktober 2015. Für den Leistungsvergleich nach Art. 33 Abs. 2 GG fehlt es an fehlerfreien und aussagekräftigen dienstlichen Beurteilungen. Daher kann schon nicht festgestellt werden, welcher der Bewerber der besser geeignete ist und erscheint die Auswahl des Antragstellers im Falle der Neuausschreibung der Stelle und Wiederholung des Auswahlverfahrens zumindest möglich.

12

Der von Art. 33 Abs. 2 GG geforderte Leistungsvergleich der Bewerber um ein Beförderungsamt muss anhand aussagekräftiger, d.h. aktueller, hinreichend differenzierter und auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhender dienstlicher Beurteilungen vorgenommen werden (BVerwG, vgl. nur Beschl. v. 22.11.2012 - 2 VR 5.12 - m.w.N., Juris Rn. 24, stRspr.). Nicht zu beanstanden ist, dass der Antragsgegner in Übereinstimmung mit § 39 Abs. 3 ALVO und seinen Beurteilungsrichtlinien (dort IV Nr. 2) Anlassbeurteilungen zum Zweck der anstehenden Personalentscheidung im Auswahlverfahren gefertigt hat.

13

Der Befugnis des Dienstherrn, Beförderungen auf der Grundlage von Anlassbeurteilungen vorzunehmen, wenn Regelbeurteilungen nicht mehr hinreichend aktuell sind, korrespondiert jedoch seine Verpflichtung, Anlassbeurteilungen lediglich in einem die Regelbeurteilung fortentwickelnden Sinne zu erstellen. Das bedeutet, dass Ausgangspunkt der Anlassbeurteilung die in der vorherigen Regelbeurteilung enthaltenen Feststellungen und Bewertungen zu Eignung, Leistung und Befähigung sind und die Anlassbeurteilung ihren Schwerpunkt darin hat aufzuzeigen, inwieweit bei einzelnen Feststellungen und Bewertungen Veränderungen zu verzeichnen sind. Dieser Maßstab muss in der Anlassbeurteilung hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen. Je kürzer der Beurteilungszeitraum zwischen Regel- und Anlassbeurteilung ist und je größer der Unterschied zur Regelbeurteilung in den Bewertungen - sei es bei Leistungssteigerungen oder beim Leistungsabfall - ausfällt, desto bedeutsamer ist das Begründungserfordernis bei Abweichungen der Anlassbeurteilung von der Regelbeurteilung (BVerwG, Beschl. v. 22.11.2012, a.a.O., Juris Rn. 30).

14

Diesen Anforderungen wird das Auswahlverfahren des Antragsgegners nicht gerecht. Die Anlassbeurteilung des Beigeladenen vom 13. Oktober 2015 lässt nicht erkennen, dass diese aus der letzten Regelbeurteilung vom 23. Mai 2014 fortentwickelt wurde. Soweit der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht darauf hinweisen, dass alle mit „A+“ bewerteten Merkmale mit entsprechenden Begründungen versehen seien, ergibt sich aus dem Inhalt der Begründungen nicht, dass die Fortentwicklung der Regelbeurteilung Leitlinie gewesen wäre. Denn es wird aus den Begründungen nicht deutlich, dass der Beurteiler - unter Berücksichtigung und trotz der neuen Aufgaben des Beigeladenen - im Verhältnis zur vorangegangenen Regelbeurteilung eine Leistungssteigerung bei den Merkmalen „Fachwissen“ und „Leistungsbereitschaft und Initiative“ festgestellt hätte, die eine Steigerung auf die Stufe „A+“ rechtfertigte. Die Begründungen dienen vielmehr der Berücksichtigung der Vorgabe aus dem Beurteilungsvordruck in Umsetzung der Beurteilungsrichtlinie (dort VII Nr. 1), dass die Vergabe der Bewertungsstufen A+ und A++ in jedem Fall zu begründen sei.

15

Darüber hinaus merkt der Senat für das weitere Verfahren an, dass die Beurteilungspraxis des Antragsgegners den Leistungsgrundsatz nicht hinreichend berücksichtigt. Ist - wie im vorliegenden Fall - die Bildung eines Gesamturteils vorgeschrieben (vgl. VII Nr. 5 der Beurteilungsrichtlinien), ist für den Leistungsvergleich in erster Linie das abschließende Gesamturteil der Beurteilung maßgebend, das durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte zu bilden ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.11.2012 - 2 VR 5.12 - Juris Rn. 25 m.w.N.). Erst wenn danach mehrere Bewerber als im Wesentlichen gleich geeignet einzustufen sind, kann der Dienstherr auf einzelne Gesichtspunkte abstellen, wobei er deren besondere Bedeutung begründen muss (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.11.2012, a.a.O.). Das setzt allerdings voraus, dass die Gleichheit der Beurteilungsergebnisse auf der Anwendung differenzierter Beurteilungsmaßstäbe beruht, die dem verfassungsrechtlichen Gebot der Bestenauslese gerecht werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 -, Juris Rn. 17).

16

Daran fehlt es hier. Der Antragsgegner hat im Bescheid vom 9. Dezember 2015 angegeben, dass das Gesamturteil gemäß Ziffer 5 der Beurteilungsrichtlinie in allen Fällen positiv sei. Daraus schließt der Senat, dass als zweites mögliches Gesamtergebnis „negativ“ in Betracht käme. Nur zwei Notenstufen stellen jedoch keine Abstufung im Gesamtergebnis dar, die einen Leistungsvergleich der Bewerber auf Grundlage des Gesamturteils ermöglicht (Verstoß gegen das Differenzierungsgebot). Die Regelung in den Beurteilungsrichtlinien in VII Nr. 5 wäre insoweit um Notenstufen zu ergänzen; denn die in den Beurteilungsrichtlinien enthaltene Stufenskala von „A++“ bis „D“ ist insoweit nicht ausreichend, weil es sich dabei ausdrücklich um die Stufenskala für die Leistungsbewertung handelt und nicht für die des Gesamturteils.

17

Obwohl es auf die Frage, ob der Beigeladene „überdurchschnittlichen technischen Sachverstand“ hat, nach Vorstehendem nicht mehr ankommt, weist der Senat darauf hin, dass der Ausschreibungstext nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen ist, um das Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stelle zu ermitteln. Da für die Stelle des IT-Sicherheitsbeauftragten ein Verwaltungsfachangestellter bzw. Verwaltungsbeamter gesucht und überdurchschnittlicher technischer Sachverstand gefordert wird, dürfte ein objektiver Dritter davon ausgehen, dass über das Nachvollziehen von Abläufen und technischen Möglichkeiten an Arbeitsplätzen und im Rechenzentrum hinaus besondere Fähigkeiten im IT-Bereich gefordert werden, die über ein bloßes technisches Verständnis hinausgehen. Im Falle des Abbruchs des Auswahlverfahrens und einer Neuausschreibung sollte auch dies erwogen werden.

18

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO.

19

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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