Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 MR 2/21
Tenor
Die Satzung der Antragsgegnerin vom 24. Februar 2021 über eine Veränderungssperre für den Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 51 für das Gebiet „südlich der Grund- und Gemeinschaftsschule Boostedt, nördlich des Auweges, östlich des Eichenweges und westlich der,Twietewiesen‘“ wird bis zur Entscheidung über einen seitens des Antragstellers noch zu stellenden Normenkontrollantrag in der Hauptsache außer Vollzug gesetzt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 40.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Der Antragsteller beabsichtigt die Errichtung von Mehrfamilienhäusern. Er war Eigentümer des ursprünglich aus den Flurstücken … und … der Flur …, Gemarkung …, bestehenden Grundstücks … im unbeplanten und im Flächennutzungsplan als Wohnbaufläche dargestellten Innenbereich des Gemeindegebiets der Antragsgegnerin und ist nach Grundstücksteilung und Veräußerung des westlichen Grundstücksteils (nunmehr Flurstück …) noch Eigentümer des größeren östlichen Grundstücksteils (nunmehr Flurstück …), das er mit zwei Vierfamilienhäusern bzw. einem Mehrfamilienhaus bebauen will.
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Der Antragsteller hatte zunächst mit Schreiben vom 28. Juli 2020 einen Antrag auf Erteilung eines positiven Bauvorscheids für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses und eines Dreifamilienhauses auf dem vorgenannten Gesamtgrundstück gestellt. Das geplante Mehrfamilienhaus hatte eine um ca. 81 m² größere Grundfläche als ein auf dem östlich jenseits des … gelegenen Grundstück … errichtetes Wohnhaus und war noch 0,50 m höher. Die Antragsgegnerin versagte hierzu mit Stellungnahme vom 7. September 2020 ihr Einvernehmen mit der Begründung, dass das Vorhaben sich aufgrund der Grundfläche und der Höhe des Gebäudes nicht in die vorhandene Umgebung einfüge. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2020 änderte der Antragsteller seine Bauvoranfrage und beantragte einen Bauvorbescheid für die Errichtung von zwei Vierfamilienhäusern auf dem Flurstück … . Die Antragsgegnerin versagte hierzu mit Stellungnahme vom 26. Januar 2021 ihr Einvernehmen mit der Begründung, dass der Bau- und Konversionsausschuss das Vorhaben in seiner Sitzung vom 25. Januar 2021 „aufgrund Zweigeschossigkeit und hoher Grundstücksauslastung“ abgelehnt habe. Unter dem 9. Februar 2021 erging ein negativer Vorbescheid des Landrats des Kreises Segeberg. Dieser wurde damit begründet, dass das Vorhaben nach § 34 BauGB planungsrechtlich unzulässig sei, weil es sich nach dem Maß der baulichen Nutzung, nämlich der geplanten Bebauung in zweigeschossiger Bauweise, nicht in die nähere Umgebung einfüge, die durch eingeschossige Siedlungshäuser und Einfamilienhäuser geprägt sei. Eine Bebauung in zweigeschossiger Bauweise sei dort nicht prägend vorhanden. Der Neubau … müsse außer Betracht bleiben, weil er als sogenannter „Ausreißer“ nicht prägend für die Eigenart der näheren Umgebung sei. Die von dem Vorhaben ausgehenden bodenrechtlichen Spannungen bedürften der bauleitplanerischen Bewältigung durch die Gemeinde. Der Erteilung eines positiven Vorbescheids stehe auch entgegen, dass die Gemeinde ihr Einvernehmen versagt habe.
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Am 24. Februar 2021 fasste die Antragsgegnerin einen Aufstellungsbeschluss für einen im vereinfachten Verfahren nach § 13 BauGB aufzustellenden Bebauungsplan Nr. 51 für das Gebiet „südlich der Grund- und Gemeinschaftsschule Boostedt, nördlich des Auweges, östlich des Eichenweges und westlich der ‚Twietewiesen‘“. Planungsziel war nach der Niederschrift über die 15. öffentliche Sitzung der Gemeindevertretung die Sicherung einer ortsangepassten Bebauung, die sich harmonisch in die bestehende Situation einfügt, und die Wahrung des Ortsbildes.
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Ebenfalls am 24. Februar 2021 beschloss die Antragsgegnerin eine Satzung über eine Veränderungssperre für dieses Gebiet. Die in § 1 der Satzung genannten Planungsziele entsprechen denen im Aufstellungsbeschluss. Nach § 4 der Satzung tritt diese am Tage nach ihrer Bekanntmachung in Kraft. Sie tritt außer Kraft, sobald für ihren Geltungsbereich der Bebauungsplan in Kraft tritt, spätestens jedoch nach Ablauf von zwei Jahren.
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Die Bekanntmachung der beiden Satzungen wurde jeweils an den acht in der Hauptsatzung vorgesehenen Bekanntmachungstafeln am 25. Februar 2021 ausgehängt und am 25. März 2021 abgenommen.
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Gegen den Bescheid vom 9. Februar 2021 legte der Antragsteller mit Schreiben vom 5. März 2021 Widerspruch ein, den er damit begründete, dass es für die Frage des Einfügens nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht auf die Zahl der Vollgeschosse der maßgeblichen Umgebungsbebauung, sondern nur allgemein auf die Geschossigkeit ankomme. Der Kreis Segeberg hat in der Eingangsbestätigung vom 11. März 2021 darauf hingewiesen, dass sich durch den Erlass der Veränderungssperre eine neue planungsrechtliche Beurteilungsgrundlage ergeben habe. Die Antragsgegnerin hat im Widerspruchsverfahren mit Stellungnahme vom 21. April 2021 auf der Grundlage eines Beschlusses des Bau- und Konversionsausschusses vom 19. April 2021 ihr Einvernehmen erneut versagt und zur Begründung darauf abgestellt, dass im Vergleich zur Umgebungsbebauung eine Überschreitung der Grundfläche um mindestens 30 m² vorliege und das Vorhaben sich nicht in die Umgebung einfüge.
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Der Antragsteller stellte mit Schreiben vom 5. Mai 2021 einen Bauantrag für ein geändertes Vorhaben (Neubau eines Mehrfamilienhauses mit vier Wohneinheiten) und insoweit mit Schreiben vom 20. Mai 2021 einen Antrag auf Zulassung einer Ausnahme von der Veränderungssperre, wobei er auf die „Reduktion der visuell wahrnehmbaren Vollgeschosse auf nunmehr ein Vollgeschoss“ verwies. Zu diesem Vorhaben erklärte die Antragsgegnerin mit Stellungnahme vom 31. Mai 2021 ihr Einvernehmen sowohl zur Zulassung einer Ausnahme von der Veränderungssperre gemäß § 14 Abs. 2 BauGB als auch nach § 36 BauGB. Der Bau- und Konversionsausschuss war in seiner Sitzung vom 27. Mai 2021 davon ausgegangen, dass der Bauherr seine Planung insoweit angepasst habe, dass sich das Vorhaben nun in die nähere Umgebung einfüge.
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Der Landrat des Kreises Segeberg versagte die Baugenehmigung mit Bescheid vom 20. Juli 2021. Aufgrund der in der Satzung zur Veränderungssperre sehr allgemein formulierten Planungsziele und aufgrund des vorliegenden gemeindlichen Einvernehmens bestünden aus planungsrechtlicher Sicht zwar keine Bedenken gegen eine Ausnahme von der Veränderungssperre gemäß § 14 Abs. 2 BauGB. Das Vorhaben sei aber planungsrechtlich nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht zulässig. Das im Jahr 2020 auf dem Grundstück … genehmigte und errichtete Mehrfamilienhaus sei als Fremdkörper nicht zu berücksichtigen. Es stehe als zweigeschossiges Gebäude mit einer Grundfläche von über 250 m² in einem auffälligen Kontrast zu der es umgebenden Bebauung, die durch eingeschossige Wohnhäuser und ehemalige Siedlungshäuser geprägt sei, deren Grundfläche deutlich unter 200 m² liege. Es beherrsche auch nicht ausnahmsweise seine Umgebung oder bilde mit ihr gar eine Einheit. Aufgrund der Ecklage trete vielmehr seine Andersartigkeit besonders in Erscheinung. Das Bauvorhaben des Antragstellers füge sich nicht ein, weil es über zwei Geschosse, eine Grundfläche von rund 246 m² und eine Höhe von 7,99 m verfüge. Damit überschreite es den Rahmen der von eingeschossigen Wohnhäusern und ehemaligen Siedlungshäusern mit einer Grundfläche deutlich unter 200 m² geprägten Umgebung. Dabei komme es für die Frage des Einfügens nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht darauf an, ob ein Geschoss ein Vollgeschoss im Sinne der Landesbauordnung darstelle und auch nicht auf die Feinheiten der an den landesrechtlichen Begriff des Vollgeschosses anknüpfenden Berechnungsregeln. Entscheidend sei nach der Rechtsprechung allein, ob ein zusätzlich ausgebautes Geschoss nach außen erkennbar ins Auge falle und sich das Gebäude in seiner äußeren Wahrnehmung wesentlich verändere. Das Vorhaben würde bodenrechtlich beachtliche bewältigungsbedürftige Spannungen begründen, da durch das Hinzutreten eines weiteren rahmenüberschreitenden zweigeschossigen Vorhabens deren gemeinsame Wirkung auf die Eigenart der näheren Umgebung sich in einer Weise verstärken würde, die die Fremdkörper-Eigenschaft dieser Baukörper zurücktreten lassen und eine Änderung des charakteristischen Nutzungsmaßes in der näheren Umgebung einleiten würde.
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Am 4. Juni 2021 hat der Antragsteller einen Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO gestellt. Er macht geltend, dass die Veränderungssperre offensichtlich rechtswidrig und unwirksam sei. Die Rechtmäßigkeit einer Veränderungssperre setze neben einem wirksamen Beschluss über die Aufstellung des gesicherten Bebauungsplans insbesondere voraus, dass die gesicherte Bauleitplanung im Zeitpunkt der Beschlussfassung für die Veränderungssperre bereits einen Stand erreicht habe, der ein Mindestmaß des Inhalts der beabsichtigten Planung erkennen lasse. Dem würden die in der Veränderungssperre definierten Planungsziele, aus denen sich nicht einmal Vorstellungen über die Art der baulichen Nutzung ergäben, nicht gerecht.
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Er beantragt,
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die Satzung der Antragsgegnerin über die Veränderungssperre für den Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 51 für das Gebiet „südlich der Grund- und Gemeinschaftsschule Boostedt, nördlich des Auweges, östlich des Eichenweges und westlich der ‚Twietewiesen‘“ bis zur Entscheidung über einen seitens des Antragstellers noch zu stellenden Normenkontrollantrag in der Hauptsache außer Vollzug zu setzen.
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Die Antragsgegnerin hat keinen Antrag gestellt.
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Sie macht sinngemäß geltend, dass die Voraussetzungen für eine Veränderungssperre vorlägen. Auf die gerichtliche Nachfrage vom 13. Juli 2017 zu den hinreichend konkretisierten Planungsabsichten hat sie mit Schriftsatz vom 6. August 2021 vorgetragen, dass im November 2019 von der unteren Bauaufsichtsbehörde des Kreises Segeberg das Nachbargebäude … genehmigt worden sei. Nach Errichtung des Mehrfamilienhauses habe sie festgestellt, dass dies eine nicht erwünschte Veränderung der Siedlungsstruktur sei. Anschließend seien weitere Anfragen zu solch einer Bebauung eingegangen und dann die Bauvoranfrage des Antragstellers. Nach Empfehlung der Kreisplanung sei deshalb beschlossen worden, eine Veränderungssperre zu erlassen und einen Bebauungsplan aufzustellen. Damit erhoffe man sich, dass sich neue Bauten in die bestehende Situation einfügten und das Ortsbild gewahrt werde. Im Straßenbereich … sollten möglichst kleinere Mehrfamilienhäuser planungsrechtlich zugelassen werden. Es bestehe die Sorge, dass neue Bauten wesentlich größer und höher als die bestehende Bebauung würden. Aus diesem Grund sei empfohlen worden, den gesamten Bereich planungsrechtlich zu sichern. Andere Unterlagen als den Aufstellungsbeschluss und dessen Bekanntmachung gebe es zum Planaufstellungsverfahren nicht, da zurzeit erst der Vorentwurf erarbeitet werde.
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Die Antragsgegnerin hat darauf hingewiesen, dass ihr Bau- und Konversionsausschuss keine Bedenken gegen die Planung des Antragstellers vom 5. Mai 2021 habe und dass für das Flurstück … der Flur … der Gemarkung … ein Mehrfamilienhaus mit vier Wohneinheiten bereits genehmigt worden sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
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A. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig.
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Insbesondere ist der Antragsteller in einem noch anhängig zu machenden Hauptsacheverfahren und entsprechend auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes antragsbefugt. Gemäß § 47 Abs. 2 VwGO kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift einen Normenkontrollantrag beim Oberverwaltungsgericht stellen. Die Möglichkeit einer Verletzung in subjektiven Rechten folgt hier daraus, dass die Veränderungssperre gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB der Durchführung von Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB entgegensteht und es als möglich erscheint, dass die Veränderungssperre dem Antragsteller im Zusammenhang mit seinen Plänen zur Bebauung des Grundstücks … entgegengehalten wird (vgl. Eingangsbestätigung zum Widerspruch gegen den Bauvorbescheid vom 9. Februar 2021).
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Angesichts der in der Bauvoranfrage zum Ausdruck kommenden Bauabsichten des Antragstellers besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Dieses ist angesichts der noch nicht abgeschlossenen Verfahren nicht deshalb entfallen, weil der Antragsteller inzwischen einen Bauantrag für ein – erneut – geändertes Vorhaben gestellt hat und auch nicht deshalb, weil der Kreis Segeberg in dem insoweit ergangenen Bescheid vom 20. Juli 2021 die Veränderungssperre nicht als der beantragten Baugenehmigung entgegenstehend gewürdigt hat.Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn sich die Inanspruchnahme des Gerichts als für den Rechtsschutzsuchenden nutzlos oder als rechtsmissbräuchlich erweist. Das ist hier nicht der Fall, weil dem Antragsteller ohne die Veränderungssperre in Bezug auf sein Grundstück andere Nutzungsmöglichkeiten offenstehen als mit der Veränderungssperre und weil seinem Vorhaben bei einem Erfolg seines Eilantrags nicht schon die Satzung über die Veränderungssperre entgegengehalten werden kann. Das Rechtsschutzbedürfnis besteht deshalb unabhängig von der Frage, ob ein Bauvorhaben auch ohne die Veränderungssperre unzulässig wäre, weil es sich nicht gemäß § 34 BauGB einfügt (vgl. entsprechend zum Rechtsschutzbedürfnis bei einer Veränderungssperre Nds. OVG, Beschluss vom 04.01.2012 – 12 MN 160/11 –, Rn. 15, juris).
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Da der Normenkontrollantrag im Hauptsacheverfahren gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Satzung gestellt werden kann und die Bekanntmachung durch Aushang in der Zeit vom 25. Februar bis zum 25. März 2021 erfolgt ist, steht der Zulässigkeit eines auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gerichteten Antrags nicht entgegen, dass die Erlangung von Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren wegen Fristablaufs von vornherein ausgeschlossen wäre.
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B. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch begründet. Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Gericht im Rahmen eines Normenkontrollantrags eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen vor.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO, jedenfalls bei Bebauungsplänen, zunächst die Erfolgsaussichten des in der Sache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, Beschluss vom 25.02.2015 – 4 VR 5.14 –, Rn. 12, juris m. w. N.). Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn dessen (weiterer) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (BVerwG, Beschluss vom 25.02.2015 – 4 VR 5.14 –, Rn. 12, juris; Schl.-Holst. OVG, Beschluss vom 28.08.2020 – 1 MR 4/20 –, Rn. 13, juris). Dieser Prüfungsmaßstab findet auch auf Satzungen über Veränderungssperren Anwendung (vgl. ebenso Sächs. OVG, Beschluss vom 17.06.2021 – 1 B 118/21 –, Rn. 39, juris; Bay. VGH, Beschluss vom 11.05.2020 – 1 NE 20.333 –, Rn. 8, juris; OVG Sachs.-Anh., Beschluss vom 09.04.2019 – 2 R 123/18 –, Rn. 28, juris).
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Gemessen daran ist der Antrag begründet.
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Gemäß § 14 Abs. 1 BauGB kann die Gemeinde, wenn ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist, zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre u. a. mit dem Inhalt beschließen, dass Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB nicht durchgeführt oder bauliche Anlagen nicht beseitigt werden dürfen. Vorliegend gab es im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung über eine Veränderungssperre keine hinreichend konkretisierten Planungsabsichten und damit kein Sicherungsbedürfnis.
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Eine Veränderungssperre darf erst erlassen werden, wenn die Planung, die sie sichern soll, ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll. Wesentlich ist dabei, dass die Gemeinde bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans entwickelt hat. Eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, reicht nicht aus. Denn wenn Vorstellungen über die angestrebte Art der baulichen Nutzung der betroffenen Grundflächen fehlen, ist der Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans noch offen. Die nachteiligen Wirkungen der Veränderungssperre wären – auch vor dem Hintergrund des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG – nicht erträglich, wenn sie zur Sicherung einer Planung dienen sollte, die sich in ihrem Inhalt noch in keiner Weise absehen lässt. Ein Mindestmaß an konkreter planerischer Vorstellung gehört auch zur Konzeption des § 14 BauGB. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB kann eine Ausnahme von der Veränderungssperre zugelassen werden, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Ob der praktisch wichtigste öffentliche Belang, nämlich die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der beabsichtigten Planung, beeinträchtigt ist, kann aber nur beurteilt werden, wenn die planerischen Vorstellungen der Gemeinde nicht noch völlig offen sind (BVerwG, Urteil vom 19.02.2004 – 4 CN 16.03 –, Rn. 28, juris; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom 02.12.2015 – 1 KN 21/14 –, Rn. 28, juris, Urteil vom 18.08.2011 – 1 KN 3/11 –, Rn. 18, juris, Beschluss vom 02.01.2019 – 1 MR 2/18 –, Seite 10 ff., n. v., Beschluss vom 18.02.2020 – 1 MR 4/19 –, Seite 7 ff., n. v.). Dieses Mindestmaß an Vorstellungen muss geeignet sein, die Entscheidung der Genehmigungsbehörde zu steuern, wenn sie über die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der beabsichtigten Planung zu befinden hat (BVerwG, Urteil vom 30.08.2012 – 4 C 1.11 –, Rn. 11, juris). Entsprechende Vorstellungen können sich nicht nur aus Niederschriften über die Gemeinderatssitzung, sondern auch aus allen anderen erkennbaren Unterlagen und Umständen ergeben. Hierzu kann beispielsweise auch die anderen Akten zu entnehmende oder bekannte Vorgeschichte gehören (BVerwG, Beschluss vom 01.10.2009 – 4 BN 34.09 –, Rn. 9, juris; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom 02.12.2015 – 1 KN 21/14 –, Rn. 28, juris).
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Planungsziele waren nach dem Beschluss der Antragsgegnerin über die Aufstellung eines Bebauungsplans vom 24. Februar 2021 die Sicherung einer ortsangepassten Bebauung, die sich harmonisch in die bestehende Situation einfügt, und die Wahrung des Ortsbildes. Weitere Überlegungen ergeben sich aus dem Vorgang zur Aufstellung des Bebauungsplans nicht. Das hat die Antragsgegnerin unter Hinweis darauf, dass zurzeit erst der Vorentwurf erarbeitet werde (E-Mail vom 3. August 2021, Gerichtsakte Bl. 21), ausdrücklich bestätigt. Die vorgenannte Formulierung ist zu allgemein, um der gemäß § 14 Abs. 2 BauGB zuständigen Baugenehmigungsbehörde eine fundierte Entscheidung darüber zu ermöglichen, ob überwiegende öffentliche Belange einer Ausnahme von der Veränderungssperre nicht entgegenstehen. Zwar ist die vorliegend zuständige Bauaufsichtsbehörde ausweislich des Versagungsbescheids vom 20. Juli 2021 gerade davon ausgegangen, dass angesichts der „sehr allgemein formulierten Planungsziele“ und aufgrund des gemeindlichen Einvernehmens keine Bedenken gegen eine Ausnahme bestünden. Gerade diese Formulierung zeigt aber, dass die ausdrücklich formulierten Planungsziele der Genehmigungsbehörde keine eigenständige Entscheidung ermöglichen.
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Aber auch unter Berücksichtigung anderer Akten und der bekannten Vorgeschichte lässt sich nicht ein Mindestmaß dessen erkennen, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll.
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Die Ausführungen der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 6. August 2021 auf die gerichtliche Verfügung vom 13. Juli 2021 genügen als solche nicht, da es auf die Erkennbarkeit zum Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre ankommt. Aus dem Schriftsatz ergeben sich allerdings Anhaltspunkte dafür, dass sich weitere Erkenntnisse aus anderen Akten bzw. einer bekannten Vorgeschichte ergeben könnten. Aber auch diese lassen im Ergebnis nicht erkennen, dass die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Veränderungssperre bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans entwickelt hatte. Aus den Stellungnahmen der Antragsgegnerin zu den Bauvoranfragen vom 28. Juli 2020 und vom 9. Dezember 2020 und den diesen zugrundeliegenden Niederschriften über die jeweiligen Sitzungen des Bau- und Konversionsausschusses ergibt sich, dass die maßgeblichen Gremien der Antragsgegnerin das auf dem Grundstück … errichtete zweigeschossige Wohnhaus als zu groß empfanden. Die ursprüngliche Planung des Antragstellers wurde abgelehnt, weil das Mehrfamilienhaus nach Grundfläche und Höhe noch größer geplant war als das Wohnhaus auf dem Grundstück …; die geänderte Planung (zwei Vierfamilienhäuser) wurde abgelehnt, da die zweigeschossige Bauweise des Wohnhauses auf dem Grundstück … als Ausreißer und die Grundstücksauslastung als sehr hoch angesehen wurde. Irgendwelche positiven Gesichtspunkte, die über den ohnehin schon nach § 34 Abs. 1 BauGB im hier streitgegenständlichen Innenbereich geltenden Gesichtspunkt des Einfügens hinausgehen, folgen daraus nicht.
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Positive Planvorstellungen ergeben sich im vorliegenden Fall auch nicht daraus, dass insoweit als ausreichend angesehen wird, dass die Gemeinde zumindest Vorstellungen über die Art der baulichen Nutzung besitzt, sei es, dass sie einen bestimmten Baugebietstyp nach der Baunutzungsverordnung, sei es, dass sie bestimmte nach den Vorschriften des § 9 Abs. 1 bis 2a BauGB festsetzbare Nutzungen im Blick hat (BVerwG, Urteil vom 19.02.2004 – 4 CN 13.03 –, Rn. 18, juris; Beschluss vom 15.08.2000 – 4 BN 35.00 –, Rn 3, juris; BVerwG, Beschluss vom 25.11.2003 – 4 BN 60.03 – Rn. 12, juris; Schl.-Holst. OVG, Urteil vom 02.12.2015 – 1 KN 21/14 –, Rn. 28, juris). Solche allgemeinen Hinweise mögen bei der erstmaligen Überplanung einer unbebauten Fläche ausreichend sein; vorliegend wird aber eine langjährig bebaute und unstreitig als im Zusammenhang bebauter Ortsteil im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB einzuordnende Fläche erstmals überplant. Die Sorge, es könnten trotz der Anforderungen des § 34 BauGB nach Grundfläche und Höhe zu große Gebäude entstehen und die deshalb angestrebte bloße Wahrung des Bestandes, wie sie in den Formulierungen „Sicherung einer ortsangepassten Bebauung, die sich harmonisch in die bestehende Situation einfügt“ und „Wahrung des Ortsbildes“ zum Ausdruck kommt, bedarf dann keiner Sicherung durch eine Veränderungssperre, weil Bauvorhaben grundsätzlich ohnehin nur in den Grenzen des § 34 Abs. 1 BauGB zulässig sind. Erforderlich sind deshalb schon im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre Planungsziele, die über die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 BauGB hinausgehen. Es genügt nicht, wenn eine Planung erst im Planungsverfahren entwickelt werden soll (BVerwG, Urteil vom 19.02.2004 – 4 CN 16.03 –, Rn. 31, juris).
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Wird nach alledem ein noch zu stellender Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zulässig und voraussichtlich begründet sein, ist dies, wie oben dargelegt, ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug der Satzung über die Veränderungssperre bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. Zudem lässt der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Für den Antragsteller, der, wie aus seinen Vorbescheids- und Genehmigungsanträgen hervorgeht, konkrete Bebauungsabsichten für das Grundstück … hat, denen ausweislich der auf Mehrfamilienhäuser abzielenden Planungen umfassende wirtschaftliche Interessen zugrunde liegen, ist nur durch die Außervollzugsetzung der Satzung gesichert, dass im bauaufsichtlichen Verfahren gestellte Anträge in jedem Fall nach der zurzeit geltenden Rechtslage gemäß § 34 BauGB geprüft werden. Die bloße Möglichkeit, dass seinen Bauvorhaben – wie hier bezüglich des mit Schreiben vom 5. Mai 2021 gestellten Bauantrags – in Vorbescheids- oder Genehmigungsverfahren nicht schon die Veränderungssperre entgegengehalten, sondern in der Sache entschieden wird, lässt diesen Nachteil nicht entfallen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Sie berücksichtigt das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers am Bau von zwei Vierfamilienhäusern, das nach den regelmäßigen Streitwertannahmen des Senats sowohl im Baugenehmigungsverfahren als auch im Rahmen der Beantragung eines Vorbescheids im Hauptsacheverfahren mit 80.000 € und im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit 40.000 € bewertet wird.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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