Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 MB 6/21
Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 12. Kammer, Einzelrichterin – vom 6. April 2021 geändert.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin für den Zeitraum vom 1. November 2020 bis zur Bestandskraft des Bescheids des Finanzamtes ... über die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit vom 27. Oktober 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Finanzministeriums des Landes Schleswig-Holstein vom 28. Dezember 2020 die ihr Ruhegehalt übersteigende Besoldung vorläufig nicht mehr nach § 41 LBG SH einzubehalten und ihr die bisher einbehaltenen Beträge vorläufig zu erstatten.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.140,53 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 6. April 2021 ist begründet.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr für den Zeitraum vom 1. November 2020 bis zur Bestandskraft des Bescheids des Finanzamtes ... vom 27. Oktober 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Finanzministeriums vom 28. Dezember 2020 über die Zurruhesetzung die ihr Ruhegehalt übersteigende Besoldung nicht nach § 41 LBG SH einzubehalten und ihr die bisher einbehaltenen Beträge zu erstatten,
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zu Unrecht abgelehnt.p>
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Der Antrag ist nach §; 123 Abs. 1 VwGO statthaft, weil die Antragstellerin mit einem gemäß § 123 Abs. 5 VwGO vorrangigen Antrag nach § 80 VwGO ihr Rechtsschutzziel – Weiterzahlung der ungekürzten Besoldung – nicht erreichen könnte. Denn der Einbehalt der Besoldung, die das Ruhegehalt übersteigt, tritt kraft Gesetzes ein (§ 41 Abs. 4 Landesbeamtengesetz – LBG –). Die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Hinblick auf die Zurruhesetzungsverfügung ändert daran grundsätzlich nichts (vgl. Beschluss des Senats vom 11. Februar 2019 – 2 MB 23/18 –, juris Rn. 5 zur gleichlautenden Regelung des § 47 Abs. 4 Satz 2 BBG für Bundesbeamte mit Verweis auf Battis, Bundesbeamtengesetz, 5. Auflage 2017, § 47 Rn. 9). Ein Anordnungsanspruch im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Satz 1 VwGO kommt in dem Fall des § 41 Abs. 4 LBG daher mit Blick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Zurruhesetzungsverfügung ersichtlich rechtsmissbräuchlich erfolgt ist und nur dem Zweck dient, die Rechtsfolge der Besoldungskürzung eintreten zu lassen, oder wenn die Annahme der Dienstunfähigkeit aus der Luft gegriffen bzw. offensichtlich rechtswidrig erfolgt ist (vgl. Beschluss des Senats vom 11. Februar 2019 – 2 MB 23/18 –, juris Rn. 5 mwN; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Juli 2019 – 4 S 24.19 –, juris Rn. 6; OVG Münster, Beschluss vom 17. April 2013 – 1 B 1282/12 –, juris Ls 1 und Rn. 5 f. mwN; offengelassen in: OVG Münster, Beschluss vom 28. Dezember 2018 – 6 B 1661/18 –, juris Rn. 7 f. mit Verweis auf OVG Münster, Beschluss vom 22. Dezember 2017 – 6 B 1401/17 –, juris Rn. 3 ff. mwN; VGH München, Beschluss vom 22. Mai 2015 – 3 CE 15.520 –, juris Rn. 26 mwN auch zur gegenteiligen Auffassung, wonach die Rechtsfolge der Einbehaltung eines Teils der Besoldung derart zwingend eintrete, dass ein Hinausschieben mittels einstweiliger Anordnung in jedem Falle ausgeschlossen sei).
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Dies – wenn auch nur hilfsweise – unterstellt hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Antragstellerin einen solchen Ausnahmefall und damit einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht habe. Die Versetzung der Antragstellerin in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit gemäß § 26 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) i. V. m.§ 41 LBG sei bei summarischer Prüfung weder rechtsmissbräuchlich noch aus der Luft gegriffen, sondern als rechtmäßig anzusehen. Die Antragstellerin sei seit dem 2. Dezember 2019 bis zum Erlass der Zurruhesetzung vom 27. Oktober 2020 durchgehend dienstunfähig erkrankt. In ihrem der Zurruhesetzung zugrundeliegenden Gutachten vom 14. September 2020, ergänzt durch eine Stellungnahme vom 6. Oktober 2020, sei die Kreismedizinaldirektorin, Frau …, aufgrund einer eigenen Untersuchung der Antragstellerin am 11. August 2020 und Auswertung mehrerer seit April 2010 vorliegender ärztlicher Befundberichte und Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass kurz- bis mittelfristig nicht mit einer Verminderung der Fehlzeiten der Antragstellerin bzw. innerhalb von sechs Monaten nicht mit der Wiederherstellung der vollen oder zumindest einer begrenzten Dienstfähigkeit zu rechnen sei. Derzeit sei von einem aufgehobenen Leistungsbild auszugehen. Aktuelle ärztliche Stellungnahmen, die die Richtigkeit der von der Amtsärztin getroffenen Feststellungen infrage stellen könnten, habe die Antragstellerin nicht vorgelegt. Da die Amtsärztin bei der Antragstellerin von einem aufgehobenen Leistungsbild ausgegangen sei, sei der Antragsgegner nicht verpflichtet gewesen, nach einer anderweitigen oder begrenzten Verwendung der Antragstellerin zu suchen (unter Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 20. Juli 2020 – 2 B 33.20 –, juris Rn.11).
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Die von der Antragstellerin dagegen zur Begründung der Beschwerde dargelegten Gründe, die allein Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), stellen den angefochtenen Beschluss durchgreifend in Frage und führen zu seiner Änderung.
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Der mit der Beschwerde auch gerügte Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) liegt nicht vor, da dieser Verfahrensfehler auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich durch eine umfassende Prüfung der erstinstanzlichen Entscheidung im Beschwerdeverfahren geheilt wird (vgl. dazu OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 17. September 2018 – 2 ME 486/18 –, Ls 2 und vom 31. Juli 2018 – 2 ME 405/18 –, juris Ls 2 und Rn. 7 ff. mwN); etwaige Gründe, warum dies vorliegend anders sein könnte, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
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Die Antragstellerin hat sowohl den nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO erforderlichen Anordnungsanspruch (1) als auch den Anordnungsgrund (2), der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet wird, gemäß § 920 Abs. 2 i. V. m. § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft gemacht.
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1. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG in der ab dem 7. Dezember 2018 geltenden Fassung vom 29. November 2018 sind Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) sind. Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG werden Beamte nicht in den Ruhestand versetzt, wenn eine anderweitige Verwendung möglich ist (Grundsatz der Weiterverwendung vor Versorgung). Eine anderweitige Verwendung ist möglich, wenn dem Beamten ein anderes Amt derselben oder einer anderen Laufbahn übertragen werden kann (§ 26 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG). In diesen Fällen ist die Übertragung eines anderen Amtes ohne Zustimmung zulässig, wenn das neue Amt zum Bereich desselben Dienstherrn gehört, es mit mindestens demselben Grundgehalt verbunden ist wie das bisherige Amt und wenn zu erwarten ist, dass die gesundheitlichen Anforderungen des neuen Amtes erfüllt werden (§ 26 Abs. 2 Satz 2 BeamtStG). Beamte, die nicht die Befähigung für die andere Laufbahn besitzen, haben an Qualifizierungsmerkmalen für den Erwerb der neuen Befähigung teilzunehmen (§ 26 Abs. 2 Satz 3 BeamtStG).
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Gemessen an diesen gesetzlichen Voraussetzungen ist die auf der Basis der amtsärztlichen Äußerungen zum Gesundheitszustand der Antragstellerin getroffene Feststellung, die Antragstellerin sei aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig und damit dauerhaft dienstunfähig im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG, zwar nicht zu beanstanden (a). Sie ist aber offensichtlich rechtswidrig, weil das Gutachten keine belastbare Grundlage für die Entscheidung des Antragsgegners darstellt, ob die Antragstellerin trotzdem anderweitig verwendbar im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtSt und damit nicht generell dienstunfähig ist (b).
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§ 26 Abs. 1 BeamtStG i. V. m. § 41 Abs. 3 LBG sieht vor, dass die Einschätzung des Dienstherrn auf ein ärztliches Gutachten gestützt sein muss. Dieses muss zu der Frage der dauernden Dienstunfähigkeit für eine vorzeitige Zurruhesetzung die medizinischen Befunde und Schlussfolgerungen so plausibel und nachvollziehbar darlegen, dass die zuständige Behörde auf dieser Grundlage entscheiden kann, ob der Beamte zur Erfüllung der Dienstpflichten seines (abstrakt-funktionellen) Amtes dauernd unfähig ist. Es muss nicht nur das Untersuchungsergebnis mitteilen, sondern auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe enthalten, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die zu treffende Entscheidung erforderlich ist. Es muss darüber hinaus auch in medizinischer Hinsicht die erforderlichen tatsächlichen Grundlagen dafür liefern, dass der Dienstherr darüber entscheiden kann, ob der Beamte anderweitig auf einem anderen (und ggf. wie beschaffenen) Dienstposten verwendbar ist (§ 26 Abs. 1 und 2 BeamtStG; vgl. nur BVerwG, Urteil vom 16. November 2017 – 2 A 5.16 – juris, LS 3 Rn. 23 mwN. zu § 44 Abs. 2 bis 4 BBG). Dabei sind Verweise auf an anderer Stelle erhobene Befunde bzw. formulierte Bewertungen zulässig, wenn deutlich wird, in welchem Umfang sich der Amtsarzt ihnen anschließt. Wie detailliert eine amtsärztliche Stellungnahme danach jeweils sein muss, kann allerdings nicht abstrakt beantwortet werden, sondern richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 2011 – 2 B 2.10 – juris, Rn. 5; Beschluss des Senats vom 26. Juni 2018 – 2 MB 4/18 – mwN. n. v.).
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a. Diesen Anforderungen entspricht das amtsärztliche Gutachten vom 14. September 2020 in der ergänzten Fassung vom 6. Oktober 2020 (Bl. 12 bis 14, 17 BA A zu 12 A 1/21), sodass die auf dieser Grundlage getroffene Annahme des Antragsgegners, die Antragstellerin sei (inzwischen) aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig, danach berechtigt und nicht – wie die Beschwerde meint – offensichtlich rechtswidrig sein dürfte.
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Die von der Amtsärztin getroffene Diagnose sowie die darauf beruhende Feststellung einer dauernden Dienstunfähigkeit nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG wurden gerade noch nachvollziehbar dargelegt. Insoweit wird für den Antragsgegner durch die Ausführungen in dem amtsärztlichen Gutachten (dort Nr. 3) und die darin ihm bekannten in Bezug genommenen Gutachten (dort Nr. 1) sowie den diesen zugrundeliegenden Zusatzgutachten und ärztlichen Befundberichten (gerade noch) hinreichend deutlich, dass die Antragstellerin an einer rezidivierenden depressiven Störung (F33.9) sowie kombinierten Persönlichkeitsstörung mit ängstlich vermeidenden, zwanghaften und narzisstischen Anteilen (F60.6) leidet und sich ihr psychischer Zustand mutmaßlich wegen der Aufforderung zum Dienstantritt beim Finanzamt ... (vgl. die Ausführungen zu Nr. 1 des amtsärztlichen Gutachtens) erneut destabilisiert hat. Diese Diagnose findet sich nicht nur in den beiden aktuellen dem streitgegenständlichen Gutachten zugrundeliegenden Befundberichten des Dr. … vom 13. Februar 2020 (Anl. As 13e, Bl. 121 GA) und der Diplom-Psychologin … vom 25. August 2020 (Anl. As 13f, Bl. 122 GA), sondern ist Gegenstand sämtlicher amtsärztlicher Gutachten ab dem Jahre 2017 sowie der darin in Bezug genommenen psychiatrischen Zusatzgutachten des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie und zugleich Leiters des Fachdienstes Eingliederungs- und Gesundheitshilfe des Kreises Herzogtum-Lauenburg Dr. … vom 25. Januar 2018 (Bl. 40 BA C zu 12 A 286/18) sowie vom 1. Oktober 2019 (Bl. 109 f. BA C zu 12 A 286/18), des Arztbriefes des … Zentrums für Verhaltensmedizin …, Klinik für Psychosomatik vom 15. April 2019 (dort Seite 1, Bl. 4 R BA D zu 12 A 286/18), der psychiatrischen Befund- und Behandlungsberichte des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie … vom 24. August 2017 sowie vom 30. August 2019 (Anl. As 13b, Bl. 117 GA) und der Diplom-Psychologin … vom 4. Oktober 2017 sowie vom 30. August 2019 (Anl. As 13c, Bl. 118 GA). Ferner hat die untersuchende Amtsärztin unter der Rubrik „Leistungseinschränkungen im derzeitigen Aufgabenbereich und Auswirkungen“ (Nr. 2 des amtsärztlichen Gutachtens) eine Reihe von gesundheitlichen Einschränkungen und Beeinträchtigungen – wie eine eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit, reduzierte Nachtruhe, eine Antriebsstörung sowie eine eingeschränkte Fähigkeit, die Tagesstruktur aufrechtzuerhalten – festgestellt und ist infolgedessen bei der Antragstellerin zu einem aufgehobenen Leistungsbild in Bezug auf ihr (aktuelles) Aufgabenfeld gelangt. Im Weiteren hat sie dann ausgeführt, dass die bisherige fachärztliche sowie ambulante psychotherapeutische Behandlung zum Untersuchungszeitpunkt (11. August 2020) nur geringgradige Verbesserungen in der Symptomatik zeigten, sodass aktuell von einer erneuten Destabilisierung des psychischen Zustandes auszugehen sei (Nr. 3 des amtsärztlichen Gutachtens). Als weitere Maßnahmen werde mittelfristig eine erneute stationäre Aufnahme bei anhaltender Symptomatik als sinnvoll (Nr. 4 des amtsärztlichen Gutachtens) erachtet. Mit einer Verminderung der Fehlzeiten bzw. der Wiederherstellung der vollen oder zumindest begrenzten Dienstfähigkeit sei innerhalb von sechs Monaten nicht zu rechnen (Nr. 5 des amtsärztlichen Gutachtens vom 14. September 2020 i. V. m. mit der Ergänzung vom 6. Oktober 2020). Schließlich hält die Amtsärztin aufgrund des Gesamtverlaufs der Krankheit eine Untersuchung vor Ablauf von zwei Jahren als nicht sinnvoll und erforderlich (Nr. 8 des amtsärztlichen Gutachtens).
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Soweit die Antragstellerin ohne nähere Ausführungen nur pauschal behauptet, es treffe nicht zu, dass die Amtsärztin sie untersucht habe, hat sie unabhängig von der fehlenden Darlegung nichts gegen die öffentlich beurkundeten Erklärungen bzw. Feststellungen (§ 415 Abs. 1 ZPO) in dem amtsärztlichen Gutachten vom 14. September 2020 zur Glaubhaftmachung (vgl. § 920 Abs. 2 i. V. m. § 294 Abs. 1 ZPO, § 415 Abs. 2 ZPO) beigebracht. Darin – in dem Gutachten – hat die Amtsärztin ausgeführt, dass die Antragstellerin am 11. August 2020 erneut im Fachdienst Gesundheit in ... untersucht worden sei und im Weiteren auch Ausführungen dazu gemacht, was die Antragstellerin ihr im Laufe der Untersuchung berichtet hat (vgl. dort vor Nr. 1 und Nr.1).
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Soweit die Antragstellerin im Weiteren moniert, das Verwaltungsgericht habe nicht bedacht, dass es im vorliegenden Fall nicht um volle Dienstfähigkeit gehe, sondern nur um die Unmöglichkeit des Einsatzes der Antragstellerin beim Finanzamt ... aus gesundheitlichen Gründen, macht sie damit der Sache nach geltend, ihre psychische Beeinträchtigung sei rein behördenbezogen – hier in Bezug auf den Amtsleiter … und die Mitarbeiter des Finanzamtes ... –. Durchdringen kann sie mit diesem Einwand nicht. Insoweit erfolgt bei psychischen oder Verhaltensstörungen eine fachmedizinische Plausibilisierung der behaupteten Beeinträchtigung – wie hier geschehen – regelmäßig unter Rückgriff auf die Kategorien des Kapitels V der Internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsprobleme (ICD). Die Annahme einer Dienstunfähigkeit wegen einer bloßen tätigkeits- oder behördenbezogenen psychischen Beeinträchtigung ("Schülerphobie", "BND-Phobie") – jenseits anerkannter ICD-Klassifikationen – ist rechtlich ausgeschlossen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2017 – 2 A 5.16 –, juris, Ls 2 und Rn. 29 mit Verweis auf BVerwG, Urteil vom 31. August 2017 – 2 A 6.15 – LS 4 und Rn 65).
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b) Hingegen stellt das Gutachten der Amtsärztin vom 14. September 2020/ 6. Oktober 2020 keine taugliche Grundlage für eine Entscheidung über die Zurruhesetzung nach § 41 Abs. 3 Satz 1 LBG dar, soweit der Antragsgegner danach zugleich entscheiden soll, ob die Antragstellerin anderweitig verwendbar ist (sog. Suchpflicht des Dienstherrn; vgl. § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG i. V. m. § 26 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG).
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Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG wird nicht in den Ruhestand versetzt, wer anderweitig verwendbar ist. Die insoweit in Betracht kommenden Möglichkeiten einer anderweitigen Verwendung in einem anderen Amt, auch in einer anderen Laufbahn und auch mit geringerem Endgrundgehalt, oder der Übertragung einer geringerwertigen Tätigkeit sind in § 26 Abs. 2 und 3 BeamtStG geregelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2017 – 2 A 5.16 –, juris Rn. 31 zu den sachgleichen Regelungen des § 44 Abs. 1 Satz 3, § 44 Abs. 2 bis 4 BBG).
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Damit hat der Gesetzgeber dem Dienstherrn die Verpflichtung auferlegt, für dienstunfähige Beamte nach anderweitigen, ihnen gesundheitlich möglichen und zumutbaren Verwendungen zu suchen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 – 2 C 73.08 – BVerwGE 133, 297Rn. 25 ff. zu § 42 Abs. 3 BBG a. F.). Erst wenn feststeht, dass der in seiner Beschäftigungsbehörde dienstunfähige Beamte auch nicht anderweitig von seinem Dienstherrn eingesetzt werden kann, darf er wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig zur Ruhe gesetzt werden. Ohne gesetzliche Suchpflicht könnte die Verwaltung über die Geltung des Grundsatzes "Weiterverwendung vor Versorgung" nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit entscheiden und autonom festlegen, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Kriterien sie sich um eine anderweitige Verwendung bemüht. Das wäre mit Wortlaut und Zweck des Gesetzes unvereinbar (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. März 2009 – 2 C 73.08 – BVerwGE 133, 297Rn. 25 ff. und vom 19. März 2015 – 2 C 37.13 – Buchholz 232.0 § 44 BBG 2009 Nr. 7 Rn. 15 und vom 16. November 2017 – 2 A 5.16 –, juris Rn. 32).
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Die Suche nach einer anderweitigen Verwendung ist auf den gesamten Bereich des Dienstherrn zu erstrecken. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 26 Abs. 2 Satz 2 BeamtStG, der die Übertragung eines neuen Amtes für zulässig erklärt, wenn es zum Bereich desselben Dienstherrn gehört. Die Suche muss sich auf Dienstposten erstrecken, die frei sind oder in absehbarer Zeit voraussichtlich neu zu besetzen sind. Dagegen begründet § 26 Abs. 2 BeamtStG keine Verpflichtung anderer Behörden, personelle oder organisatorische Änderungen vorzunehmen, um eine Weiterverwendung zu ermöglichen (BVerwG, Urteile vom 26. März 2009 – 2 C 73.08 – BVerwGE 133, 297Rn. 29 und vom 19. März 2015 – 2 C 37.13 – Buchholz 232.0 § 44 BBG 2009 Nr. 7 Rn. 17 ff., dort auch zu weiteren Anforderungen aus der Suchpflicht und vom 16. November 2017 – 2 A 5.16 –, juris Rn. 33).
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Die Verpflichtung zur Suche nach einer anderweitigen Verwendung des dienstunfähigen Beamten entfällt allerdings dann, wenn ihr Zweck im konkreten Einzelfall von vornherein nicht erreicht werden kann. Das kann dann der Fall sein, wenn der Beamte auf absehbare Zeit oder auf Dauer keinerlei Dienst leisten kann. Ist der Beamte generell dienstunfähig, ist eine Suche nach in Betracht kommenden anderweitigen Dienstposten oder Tätigkeitsfeldern nicht erforderlich (BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1Rn. 34 m. w. N.). Eine solche generelle Dienstunfähigkeit ist anzunehmen, wenn die Erkrankung des Beamten von solcher Art oder Schwere ist, dass er für sämtliche Dienstposten der betreffenden oder einer anderen Laufbahn, in die er wechseln könnte, ersichtlich gesundheitlich ungeeignet ist (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – 2 C 16.12 – BVerwGE 148, 204Rn. 40) oder wenn bei dem Beamten keinerlei Restleistungsvermögen mehr festzustellen ist (BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1Rn. 27 und vom 16. November 2017 – 2 A 5.16 –, juris Rn. 34).
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Für die Beantwortung der sich danach stellenden Fragen stellt das amtsärztliche Gutachten ersichtlich keine Beurteilungsgrundlage dar. Dies war für den Antragsgegner mit Blick auf die bei der Antragstellerin seit dem Jahre 2009 bestehende (bekannte) Krankengeschichte sowie den jedenfalls seit September 2017 dadurch bestehenden Arbeitsplatzkonflikten innerhalb des Finanzamtes ... auch offensichtlich (vgl. dazu auch den Vermerk der Amtsärztin … vom 22. September 2017 über ein Gespräch mit dem Amtsleiter des Finanzamtes …, Anl. As 6, Bl. 19 GA; dazu unten).
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Eine Entscheidung, ob die Zurruhesetzung der Antragstellerin bei einem Einsatz außerhalb des Finanzamtes ... bzw. außerhalb der Finanzverwaltung bei einer anderen Landesbehörde zu vermeiden wäre, kann der Antragsgegner auf der Grundlage des Gutachtens nicht treffen. Dazu führt die Amtsärztin zwar aus, dass bei der Antragstellerin wegen der eingeschränkten Konzentrationsfähigkeit, der reduzierten Nachtruhe sowie der Antriebsstörung und der eingeschränkten Fähigkeit, die Tagesstruktur aufrechtzuerhalten von einem aufgehobenen Leistungsbild in Bezug auf ihr Aufgabenfeld auszugehen sei (Nr. 2 des amtsärztlichen Gutachtens) und aufgrund des allgemeinen eingeschränkten Leistungsbildes eine anderweitige Verwendung zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu diskutieren sei (Nr. 6 des amtsärztlichen Gutachtens).
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Weil sich aus der Krankengeschichte der Antragstellerin aber ergibt, dass die psychischen Dekompensationen durch ihren dienstlichen Einsatz innerhalb des Finanzamtes ... und den dort zumindest schon seit September 2017 durch ihre Krankheitsausfälle bestehenden bedingten Arbeitsplatzkonflikt ausgelöst worden sind bzw. werden, tragen die Ausführungen der Amtsärztin zum aktuellen psychischen Gesundheitszustand der Antragstellerin die Aussage, sie sei auch nicht anderweitig – hier: außerhalb des Finanzamtes ... oder außerhalb der Finanzverwaltung – verwendungsfähig und damit generell dienstunfähig, nicht.
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Nur vor diesem Hintergrund hat die Amtsärztin die von ihr getroffene Diagnose sowie die darauf beruhende Feststellung einer dauernden Dienstunfähigkeit – wie die Beschwerde auch rügt – nicht nachvollziehbar, sondern nur pauschal dargelegt. Der Senat kann dem Gutachten insbesondere nicht entnehmen, dass sich das psychische Krankheitsbild der Antragstellerin inzwischen soweit verfestigt hat, dass es auch außerhalb der Beschäftigungsbehörde zu denselben Konflikten mit den Vorgesetzen und Mitarbeitern, Fehlzeiten und letztlich ebenfalls zu dauernder Dienstunfähigkeit der Antragstellerin kommen wird.
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Es ist deshalb – wie die Beschwerde ebenfalls mit Erfolg einwendet – nicht ausreichend, lediglich – wie die Amtsärztin es aber getan hat – auf die oben genannten amtsärztlichen Gutachten, Zusatzgutachten und ärztlichen Befundberichte ohne nähere Auseinandersetzung damit zu verweisen.
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Das Gutachten ist insoweit ergänzungsbedürftig. Es muss sich insbesondere detailliert mit dem noch ein Jahr zuvor die Dienstfähigkeit der Antragstellerin feststellenden amtsärztlichen Gutachten des leitenden Kreismedizinaldirektors (KMD) Dr. … vom 9. Oktober 2019 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 7. November 2019 (Anl. As 13a, Bl. 112 ff. GA) sowie den darin in Bezug genommenen psychiatrischen Zusatzgutachten des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie und zugleich Leiters des Fachdienstes Eingliederungs- und Gesundheitshilfe des Kreises Herzogtum-Lauenburg Dr. … vom 25. Januar 2018 sowie vom 1. Oktober 2019, den psychiatrischen Befund- und Behandlungsberichten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie … vom 30. August 2019 und dem Bericht der Diplom-Psychologin … vom 30. August 2019 auseinandersetzen. Die seinerzeit begutachtenden bzw. behandelnden Ärzte hielten die Antragstellerin für dienstfähig, eine Verwendung im Finanzamt ... wegen zu erwartender (erneuter) Dekompensation ihres psychischen Krankheitsbildes aber für risikobehaftet (Dr. …, Anl. As 13a, Bl. 113 GA) und Dr. … (Bl. 110 BA C zu 12 A 286/18) bzw. nicht zu empfehlen (Dr. …, Anlage As 13b, Bl. 117 GA und Frau …, Anlage As 13c, Bl. 118 GA). Insoweit führt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. … in seinem dem psychiatrischen Zusatzgutachten vom 1. Oktober 2019 vorangegangenen Schreiben vom 25. Januar 2018 an die Amtsärztin bereits aus, dass die bestehende Problematik des Einsatzes am bisherigen Dienstort und die Frage einer Versetzung an einen anderen Dienstort, um den Ruhestand zu vermeiden mit Blick auf in der Vorgeschichte rezidivierender Dekompensationen sowie die Medikation mit Antidepressiva und Schmerzmittel zu diskutieren sei, verweist aber darauf, zunächst das Ergebnis des bevorstehenden Klinikaufenthalts abzuwarten (Bl. 38 BA C zu 12 A 286/18). In dem psychiatrischen Zusatzgutachten zur Frage der Dienstunfähigkeit vom 1. Oktober 2019 bezieht Dr. … sich dann u. a. auf den Arztbrief des … Zentrums für Verhaltensmedizin …, Klinik für Psychosomatik, vom 15. April 2019. Darin wird u. a. ausgeführt, dass die Antragstellerin aktuell nicht mehr in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung sei und sich selbst als gesund und voll leistungsfähig erlebe, sich aber nicht vorstellen könne, noch einmal in ihrer früheren Dienststelle oder überhaupt im Bereich des Finanzamtes tätig zu werden; ihr Erleben sei bestimmt von den in den vergangenen Jahren erlebten massiven Kränkungen und Zurücksetzungen. Weiterhin führt Dr. … aus, dass aktuell keine psychische Beeinträchtigung festzustellen sei, die einer vollumfänglichen Dienstfähigkeit grundsätzlich entgegenstehe. Allerdings sei von einer fortbestehenden Erregbarkeit und emotionalen Irritierbarkeit in Konfliktsituationen, insbesondere mit Vorgesetzten auszugehen. Dieses Risiko bestehe insbesondere bei einer Tätigkeit im Bereich einer Finanzbehörde, da hier die Vorerfahrungen rasch reaktualisiert würden (Bl. 110 BA C zu 12 A 286/18).
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Mit Blick darauf müsste der Antragsgegner die Amtsärztin ggf. um Einholung eines psychiatrischen Zusatzgutachtens ersuchen.
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Soweit die Antragstellerin die offensichtliche Rechtwidrigkeit der Zurruhesetzung auch mit der in dem privatschriftlichen Attest von ihrer Hausärztin Frau Dr. … am 23. April 2021 (Bl. 131 GA) attestierten anderweitigen Verwendungsfähigkeit zu begründen versucht, kann sie damit nicht gehört werden. Insoweit kommt es für die Rechtmäßigkeit einer Versetzung in den Ruhestand auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung – hier am 28. Dezember 2020 – an (stRspr des Bundesverwaltungsgerichts; vgl. nur BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 C 22.13 –, juris Rn. 10 mwN).
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Auf die weiteren Einwendungen aus der Beschwerdeschrift kommt es nicht mehr an.
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Dazu merkt der Senat lediglich ergänzend an:
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Die Fürsorgepflicht des Antragsgegners hätte es geboten, zunächst nach einer Verwendung außerhalb des Finanzamtes ... zu suchen. Er wusste um die dort herrschende Belastungssituation für die Antragstellerin. Dies wird aus einer Gesprächsnotiz der Amtsärztin mit dem Amtsleiter des Finanzamtes ... … vom 22. September 2017 (Anlage As 6, Bl. 19 GA) deutlich. Darin hat die Amtsärztin vermerkt, dass die Antragstellerin inzwischen im gesamten Finanzamt auf keinerlei Akzeptanz mehr stoße. Die Mitarbeiter akzeptierten nicht mehr, dass sie seit nunmehr zehn Jahren ständig lange krank sei, das gleiche Geld erhalte und sie – die Mitarbeiter – die doppelte Arbeit machten. Er – der Amtsleiter … – denke auch, dass die Antragstellerin selbst nicht mehr in dieses Amt zurückwolle. Sie würde nicht einmal mehr die Krankmeldungen persönlich abgeben kommen, sondern schicke diese per Fax. Soweit der leitende KMD Dr. … in dem amtsärztlichen Gutachten vom 9. Oktober 2019 (Anlage As 13a, Bl. 113 GA) und in der dazu ergangenen Stellungnahme vom 7. November 2019 (Anlage As 13a, Bl. 115 GA) auf Nachfrage nur auf eine besonders aufmerksame Personalführung mit Blick auf die Persönlichkeitsstörung der Antragstellerin hinweist, hätte der Antragsgegner diese Erklärung mit Blick auf die diesem Gutachten zugrundeliegenden und bereits oben erwähnten psychiatrischen Zusatzgutachten, psychiatrischen Befundberichte und psychologischen Berichte nicht einfach hinnehmen dürfen, sondern zum Anlass nehmen müssen, bereits zu diesem Zeitpunkt die Sachdienlichkeit einer anderweitigen Verwendung erfragen und im Anschluss daran abwägen müssen. Insoweit stellt das Sachverständigengutachten nur ein Hilfsmittel für den Dienstherrn dar, entbindet ihn bei Widersprüchen – wie hier 211; aber nicht davon, weiter zu ermitteln, um sich die volle Überzeugung der Geeignetheit der Maßnahme zu verschaffen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die der Senat teilt, bedeutet die Einschaltung eines Arztes nicht, dass diesem die Entscheidungsverantwortung für die Beurteilung der (generellen) Dienstfähigkeit übertragen werden darf. Aufgabe des Arztes ist es (lediglich), den Gesundheitszustand des Beamten festzustellen und medizinisch zu bewerten; hieraus die Schlussfolgerungen für die Beurteilung der Dienstfähigkeit zu ziehen, ist dagegen Aufgabe der Behörde und ggf. des Gerichts. Der Arzt wird lediglich als sachverständiger Helfer tätig, um den zuständigen Stellen diejenige Fachkenntnis zu vermitteln, die für deren Entscheidung erforderlich ist. Der Dienstherr muss die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 16. November 2017 – 2 A 5.16 –, juris, Rn. 25 mwN).
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2. Ein Anordnungsgrund steht der Antragstellerin entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts (Beschlussabdruck Seite 5) ebenfalls zur Seite. Sie hat glaubhaft gemacht, dass Ihr durch den Einbehalt des das Ruhegehalt übersteigen Teils der Besoldung ein wesentlicher Nachteil droht.
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Ein Nachteil ist wesentlich, wenn dem Rechtssuchenden trotz späteren Obsiegens in der Hauptsache zwischenzeitlich irreversible und grundrechtsbezogene Folgen drohen und das Anliegen daher vorrangig vor dem anderer Rechtssuchender zu behandeln ist. Der Einbehalt des das Ruhegehalt übersteigen Teils der Besoldung ist zweifelsohne nachteilig für die Antragstellerin. Unter Zugrundelegung der Angaben der Antragstellerin zu ihren finanziellen Verhältnissen sind irreversiblen Folgen erkennbar. Zwar würde die Antragstellerin im Falle des Obsiegens eine Nachzahlung der gekürzten Gehaltsteile erhalten. Allerdings drohen ihr in der Zwischenzeit durch den Einbehalt irreversible Folgen (vgl. dazu den Beschluss des Senats vom 11. Februar 2019 – 2 MB 23/18 –, juris, Rn. 7), die ihr mit Blick auf die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Zurruhesetzung nicht – im Hinblick auf die Offensichtlichkeit auch nicht teilweise – zumutbar sind Die alleinstehende Antragstellerin hat nach Abzug der monatlich zu berücksichtigungspflichtigen Kosten bzw. Aufwendungen nur einen monatlichen Betrag in Höhe 449,67 EUR und damit weniger als den einer bedürftigen Partei nach § 115 Abs. 1 Nr. 2 Buchst a ZPO zustehenden Unterhaltsfreibetrag in Höhe von 491,00 EUR (110 % der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII von 446,00 EUR; vgl. dazu auch Schultzky in: Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 115 ZPO, Rn. 33.1 mwN.) für Lebensmittel, Kleidung, Hygiene, Kultur und Urlaub zur Verfügung.
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Im Einzelnen: Das Nettogehalt der Antragstellerin beträgt gegenwärtig 2.505,80 EUR (Bezügemitteilung für Mai 2020, Bl. 32 GA). Nach unwidersprochenen Angaben der Antragsgegnerin beläuft sich der zwischenzeitlich von dem Antragsgegner errechnete monatliche Versorgungsbezug der Antragstellerin auf 1.942,45 EUR (brutto). Bei der auch gegenwärtig verwendeten Steuerklasse I verbleiben ihr davon nach Abzug der Lohnsteuer 1.745,45 Euro (Bezügemitteilung für Februar 2021, Bl. 31 GA).
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Bei den Kosten, die davon in Abzug gebracht werden dürfen, hat sich der Senat an der im Prozesskostenhilferecht geltenden Vorschrift des § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO iVm § 115 Abs. 1 Satz 3 ZPO orientiert. Danach sind abzusetzen die monatlichen Beiträge zu Versicherungen und Altersvorsorge (§ 82 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB XII) in Höhe von 384,62 EUR (Kranken und Pflegeversicherung, Bl. 33 GA), in Höhe von 3,50 EUR (Unfallversicherung, Bl. 38 GA), in Höhe von 4,58 EUR (Hausratversicherung, Bl. 38 f. GA), in Höhe von 2,17 EUR (Haushaltsglasversicherung, Bl. 37 GA), in Höhe von 3,91 EUR (Verkehrsrechtsschutzversicherung, Bl. 45 GA), in Höhe von 15,62 EUR (Rechtsschutzversicherung, Bl. 46 GA), in Höhe von 4,33 EUR (private Haftpflichtversicherung, Bl. 40 GA), in Höhe von 27,24 EUR (Kfz- Haftpflichtversicherung, Bl. 41 f. GA) sowie die Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO) in Höhe von 749,98 EUR (Bl. 50, 52 GA). Im Weiteren ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts die Riester-Rente in Höhe von monatlich 99,83 EUR als eine nach § 82 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geförderte Altersvorsorge gemäß § 82 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HS 2 SGB XII abzuziehen, weil sie den Höchstbetrag des § 10a Abs. 1 Nr. 1 EStG in Höhe von 2100 EUR jährlich zuzüglich der ab dem Beitragsjahr 2018 geltenden jährlichen Grundzulage in Höhe von jährlich 175 EUR (§ 84 Satz 1 EStG) nicht übersteigt, vom Einkommen abzuziehen (vgl. zum Ganzen auch: Schultzky in: Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 115 ZPO, Rn. 24 ff. mwN.).
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Setzt man dann die von der Antragstellerin im Weiteren geltend gemachten Positionen – hier lässt der Senat offen, ob diese nicht ohnehin teilweise vom Einkommen abzusetzen wären – (monatliche Kosten für Strom in Höhe von 40,00 EUR, für Telefon/Internet in Höhe von 44,89 EUR, für den Pkw-Stellplatz in Höhe von 50,00 EUR, für Rundfunk ARD, ZDF, Deutschlandradio in Höhe von 17,50 EUR, für die Kfz-Steuer i. H. v. 4,00 EUR, für die Hundesteuer in Höhe von 12,00 EUR, für die Tierhalterhaftpflichtversicherung in Höhe von 5,75 EUR, für die Lebensversicherung in Höhe von 18,97 EUR sowie für die Berufsunfähigkeitsversicherung in Höhe von 51,13 EUR) vom Einkommen ab, stünde der Antragstellerin nur noch ein monatlicher Betrag in Höhe von 205,43 EUR zur Verfügung. Davon den Bedarf für Lebensmittel, Kleidung, Hygiene, Kultur und Urlaub zu decken, ist der Antragstellerin wegen der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Zurruhesetzung nicht zumutbar.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG und errechnet sich aus der dreifachen Differenz des gegenwärtigen Netto-Gehalts und dem von der Antragsgegnerin berechneten Versorgungsbezugs als Netto-Betrag [(1.942,45 Euro – 1.745,45 Euro) x 3 = 2.281,05 Euro]. Wegen der Vorläufigkeit des einstweiligen Rechtsschutzes war von diesem Betrag die Hälfte festzulegen (vgl. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
- § 28 SGB XII 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 123 2x
- § 47 Abs. 4 Satz 2 BBG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 115 Einsatz von Einkommen und Vermögen 2x
- VwGO § 80 1x
- LBG § 41 3x
- § 44 BBG 2x (nicht zugeordnet)