Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Saarlandes - 1 Q 87/03

Tenor

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 22. Oktober 2003 - 10 K 544/02.A - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Antragsverfahrens tragen die Kläger.

Gründe

Der statthafte und auch ansonsten zulässige Antrag der Kläger, Roma aus Südserbien, auf Zulassung der Berufung (§ 78 Abs. 1 AsylVfG) gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 22.10.2003 – 10 K 544/02.A -, mit dem ihre Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung ihrer Asylberechtigung und auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, hilfsweise des § 53 AuslG abgewiesen wurde, muss in der Sache erfolglos bleiben.

Mit Blick auf den uneingeschränkt gestellten Zulassungsantrag ist vorauszuschicken, dass der von den Klägern begehrten Asylanerkennung von vorneherein die sogenannte Drittstaatenregelung (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a AsylVfG) entgegensteht.

Dem den gerichtlichen Prüfungsumfang im Zulassungsverfahren begrenzenden Vorbringen in der Antragsschrift vom 12.12.2003 kann die darin reklamierte grundsätzliche Bedeutung der Sache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) auch darüber hinaus, also mit Blick auf die §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG (Abschiebungsschutz), nicht entnommen werden. Die Kläger werfen darin die – letztlich nur den Kläger zu 1) betreffende - Frage auf, "ob und inwiefern Angehörige der Volksgruppe der Roma in Serbien und Montenegro, die sich im Verlaufe der Auseinandersetzungen um den Kosovo einem Wehrdiensteinsatz entzogen haben, bei einer heutigen Rückkehr ... politisch verfolgt werden". Sie schildern ausführlich die allgemeine Lebenssituation der Roma in Serbien und Montenegro, wobei es sich um "die seit jeher unterprivilegierteste Bevölkerungsgruppe" handele. Deren Angehörige verfügten "vor dem Hintergrund ihrer erbarmungswürdigen Armut über keinen festen Wohnraum" und hätten aufgrund des bestehenden Erfordernisses einer Registrierung, die sich für die Roma zumeist als "unüberbrückbares Hindernis" erweise, nur theoretisch Zugang zu staatlichen Sozialleistungen einschließlich der Krankenversorgung und zu Bildungseinrichtungen. Die gesellschaftliche Wirklichkeit sehe daher so aus, dass die Roma in aller Regel in Slums an und auf Mülldeponien lebten.

Eine politische, das heißt staatliche Gruppenverfolgung aller Angehörigen des Volkes der Roma in Serbien und Montenegro lässt sich aus diesem Vorbringen offensichtlich nicht ableiten. Die Kläger beschreiben vielmehr die in der Tat zu einem großen Teil sehr schlechten Lebensverhältnisse der Roma in ihrer Heimat. Irgendwelche über den Erkenntnisstand des erstinstanzlichen Urteils hinausgehende Belege für gezielte direkte staatliche Verfolgungsmaßnahmen oder eine auch nur mittelbare (generelle) staatliche Verfolgung aller Roma in Serbien und Montenegro lassen sich diesem Sachvortrag jedoch nicht entnehmen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass jedenfalls von staatlicher Seite, was die gesetzliche Ausgangslage anbelangt, eine Verbesserung der Situation der Minderheiten im Vergleich zur Situation unter dem Regime des Slobodan Milosevic angestrebt und teilweise schon erreicht wurde. In dem Urteil wurde ausdrücklich der (neueste) Allgemeine Lagebericht des Auswärtigen Amtes

vgl. den "Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien und Montenegro (ohne Kosovo)" vom 28.7.2003 – 508-516.80/3 SCG - <AL>

in Bezug genommen, nach welchem sich - ungeachtet des Andauerns einer Phase staatlicher und gesellschaftlicher Umstrukturierung in Serbien-Montenegro - jedenfalls feststellen lässt, dass staatliche Repressionen, wie sie unter dem nationalistisch-totalitären Regime des Slobodan Milosevic in der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien an der Tagesordnung waren, nicht mehr stattfinden

vgl. die Ausführungen auf Seite 14 des AL vom 28.7.2003, wonach es seit dem 5.10.2000 (Sturz des Regimes Milosevic) keine Berichte mehr über Verschleppungen und Folter von Gefangenen durch den Staatssicherheitsdienst gibt.

Letztlich zielt die allgemeine Beschreibung der Lebensverhältnisse der Roma nicht primär auf die Geltendmachung einer (generellen) politischen Verfolgung dieser Volksgruppe, sondern diese Umstände werden von den Klägern in einen Zusammenhang mit der angegebenen Wehrdienstentziehung des Klägers zu 1) im Jahre 1999 gestellt. Insoweit ist indes, was zunächst mögliche staatliche Reaktionen auf diesen Tatbestand angeht, das am 5.3.2001 in Kraft getretene Amnestiegesetz der – damals noch – Bundesrepublik Jugoslawien (jug. AmnG) zu sehen

Amtsblatt der Bundesrepublik Jugoslawien Nr. 9/01 vom 2.3.2001; vgl. die Übersetzung in der Anlage 4 zum erwähnten AL vom 28.7.2003, Seite 44,

das bestimmte Kategorien politischer Straftäter und – soweit hier von Belang – vor allem Wehrflüchtige bei einer Tatbegehung bis zum 7.10.2000, also dem Umsturz in der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien, amnestiert (AL Seite 6, 2., Art. 1 Abs. 1 jug. AmnG). Dafür, dass unter Nichtbeachtung dieses Gesetzes, das in den Art. 2 ff. jug. AmnG genaue Vorgaben für die Nichteinleitung sowie gegebenenfalls für die Behandlung beziehungsweise den Abschluss von Strafverfahren enthält, staatliche Repressionsmaßnahmen gegen den amnestierten Personenkreis, unter anderem also Wehrdienstverweigerer (Art. 214 jug. StGB) und Deserteure (Art. 217 jug. StGB), ergriffen würden, gibt es keine durchgreifenden Anhaltspunkte

wie hier bereits OVG des Saarlandes, Beschluss vom 22.12.2003 – 1 Q 86/03 -; vgl. aus der Gerichtsdokumentation ferner beispielsweise : Frankfurter Allgemeine Zeitung <FAZ> vom 6.3.2001, Seite 7, "Amnestie in Jugoslawien – Politische Gefangene und Deserteure werden aus der Haft entlassen", Auswärtiges Amt (AA) vom 17.5.2001 – 508-516.80/37 883 -, wonach insbesondere – wie der Kläger zu 1) – ins Ausland geflüchtete Deserteure bei Rückkehr nach Jugoslawien "nicht behelligt" werden, vom 13.6.2001 – 508-516.80/38 017 -, wonach im Rückkehrfall weder strafrechtliche Verfolgung noch Vollstreckung früher – vor der Amnestie - verhängter Strafen droht, vom 5.7.2001 – 508-516.80/37 805 -, wie vor, hier aber auch speziell für Angehörige ethnischer Minderheiten <Ashkali>, vom 4.9.2001 – 508-516.80/37 213 -, wie vor, hier speziell für Roma aus – wie bei den Klägern – Südserbien, vom 13.11.2001 – 508-516.80/34 982 –, wonach bis zu diesem Zeitpunkt lediglich zwei Fälle bekannt geworden sind, in denen Jugoslawen, deren Vergehen unter das Amnestiegesetz fielen, aufgrund "alter" Haftbefehle noch "für ein paar Stunden" in Haft genommen worden waren, sowie – aus jüngerer Vergangenheit – vom 20.2.2003 – 508-516.80/40 800 -, wonach das Amnestiegesetz "weiterhin beachtet" wird, und vom 3.4.2003 – 508-516.80/40 913 -, wonach Fälle einer Nichtanwendung des Amnestiegesetzes in Bezug auf Angehörige ethnischer Minderheiten – aber auch auf sonstige Personen – nicht bekannt geworden sind.

Die von den Klägern hergestellte Verknüpfung des Minderheitenaspekts mit der Wehrdienstentziehung während des Kosovokonflikts im Jahre 1999 rechtfertigt die begehrte Rechtsmittelzulassung am Maßstab des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG erkennbar auch nicht mit Blick auf eine mittelbare Verfolgung

vgl. in dem Zusammenhang bereits OVG des Saarlandes, Beschluss vom 18.12.2003 – 1 Q 85/03 -.

Die Kläger führen hierzu aus, diese Gruppe der Wehrflüchtigen sei dem "Nationalismus, der Wut und dem Hass der Restbevölkerung ausgesetzt" und habe daher ungeachtet des erwähnten Amnestiegesetzes zu befürchten, "von aufgebrachten Serben belangt" zu werden, ohne dass sie auf staatlichen Schutz rechnen könnten.

Die Kläger vermögen indes offenbar über bloße Verbalbehauptungen hinaus, für deren Richtigkeit sich in der Dokumentation keine Nachweise, was eine "Regelmäßigkeit" solcher Vorfälle angeht, finden, keine Erkenntnisquellen zu benennen, die eine dem Kläger zu 1) drohende mittelbare staatliche Verfolgung unter dem Aspekt belegen oder die zumindest einen Anlass zu weiteren Ermittlungen in diese Richtung im Rahmen des angestrebten Rechtsmittelverfahrens bieten könnten. Auch wenn nicht zu verkennen ist, dass die schon angesprochenen Umstrukturierungen in Serbien und Montenegro in vielen Bereichen – oftmals erschwert durch die nach wie vor prekäre wirtschaftliche Situation – unbefriedigend langsam fortschreiten und dass es in dem Land nach wie vor im Einzelfall zu politisch ("nationalistisch") motivierten Übergriffen von Privatpersonen gegen diesen "missliebige" Dritte kommt, bleibt festzuhalten, dass auch in Serbien-Montenegro – wie in anderen Ländern, etwa auch in der Bundesrepublik Deutschland – ein umfassender staatlicher Schutz gegen derartige (private) Übergriffe realistischer Weise nicht erwartet und dem entsprechend auch im Rahmen des Asylrechts nicht verlangt werden kann. Der Umstand, dass es in einem Land zu solchen Vorfällen (überhaupt) kommt, bietet keinen Grund, allein daraus eine fehlende Schutzbereitschaft der staatlichen Stellen herzuleiten

wie hier bereits OVG des Saarlandes, Beschluss vom 22.12.2003 – 1 Q 86/03 -, ebenso jeweils für die Provinz Kosovo etwa OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 14.3.2003 – 1 Q 26/03 -, SKZ 2003, 232, Leitsatz Nr. 94, vom 20.3.2003 – 1 Q 27/03 -, SKZ 2003, 233, Leitsatz Nr. 97, vom 5.9.2003 – 1 Q 64/03 -, und vom 12.9.2003 – 1 Q 72/03 -, dort speziell zur Lage von ethnischen Minderheiten, wonach aus dem Umstand, dass die gesellschaftliche Situation in einem Land als schwierig beziehungsweise als nicht befriedigend eingestuft werden muss, keine "politische Verfolgung" im asylrechtlichen Verständnis abgeleitet werden kann.

Schließlich sehen es die Kläger in ihrer Antragsschrift vom 12.12.2003 (Seite 7, 2.) mit Blick auf § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG als grundsätzlich klärungsbedürftig an, "ob und inwiefern Angehörigen der Volksgruppe der Roma in Serbien und Montenegro extreme Gefahr für Leib und Leben droht", und beschreiben insoweit, teils wiederholend, erneut die Lebensbedingungen der Angehörigen ihrer Volksgruppe in ihrem Heimatland. In der Rechtsprechung des OVG des Saarlandes ist jedoch zwischenzeitlich geklärt, dass die sicher nicht zu beschönigenden, vielmehr von den Klägern im Wesentlichen zutreffend geschilderten, durch eine nach wie vor sehr prekäre wirtschaftliche Gesamtsituation noch verschärften Lebensbedingungen einer Vielzahl der Roma in Serbien und Montenegro nicht die Annahme einer "Extremgefahr" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

vgl. eingehend zu den insoweit strengen Anforderungen die zu den Bürgerkriegsfolgen in Afghanistan und Liberia ergangenen Entscheidungen des BVerwG vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 199, und vom 29.3.1996 - 9 C 116.95 -, DVBl. 1996, 1257, wonach eine Einzelfallentscheidung des Bundesamtes nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG mit Blick auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur ausnahmsweise dann zulässig und geboten ist, wenn die obersten Behörden der Bundesländer trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde, von ihrer Ermessensermächtigung aus § 54 AuslG keinen Gebrauch gemacht haben; hierzu auch die Urteile vom 19.11.1996 – 1 C 6.95 –, BVerwGE 102, 249, 258, und vom 27.4.1998 – 9 C 13.97 -, NVwZ 1998, 973; vgl. auch das Urteil vom 24.5.2000 – 9 C 34.99 -, BVerwGE 111, 223, 228 zu Art. 9 EMRK; allgemein zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 54 AuslG BVerfG, Beschluss vom 21.12.1994 – 2 BvL 81, 82/92 -, NVwZ 1995, 781; aus der jüngeren Rechtsprechung etwa BVerwG, Urteil vom 12.7.2001 – 1 C 5.01 -, NVwZ 2002, 101, m.w.N., wonach (nur) eine hohe ("erhöhte") Wahrscheinlichkeit ("sehenden Auges") des Eintritts einer allgemeinen Gefahr für den jeweiligen Ausländer die Grenze markiert, ab der seine Abschiebung in das Heimatland aus verfassungsrechtlichen Gründen unzumutbar erscheint, betreffend den Fall eines knapp fünf Jahre alten Mädchens zu den Verhältnissen in Angola bei einer absoluten Kleinkindersterblichkeitsrate von 30 % aufgrund "desolater hygienischer Verhältnisse, praktisch kaum leistungsfähigem Gesundheitssystem" beziehungsweise "katastrophaler medizinischer Versorgung" und "auch sonst fehlenden Existenzmöglichkeiten" in dem afrikanischen Land; siehe auch das Urteil vom selben Tag – 1 C 2.01 -, NVwZ 2001, 1420, wonach die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art 2 Abs. 2 GG in dem Zusammenhang lediglich einen "menschenrechtlichen Mindeststandard" gewährleisten; zu den sich hieraus bei allgemeinen wirtschaftlichen Mangellagen zusätzlich ergebenden ebenfalls strengen zeitlichen Anforderungen Urteil vom 8.12.1998 – 9 C 4.98 -, NVwZ 1999, 666 <Armenien>, sowie Beschluss vom 26.1.1999 – 9 B 617.98 -, NVwZ 1999, 668 <Afghanistan>,

rechtfertigen. Die Lebensumstände der allein in Serbien Hunderttausende von Menschen umfassenden Bevölkerungsgruppe der Roma gebieten daher keine Zuerkennung von Abschiebungshindernissen im Einzelfall auf der Grundlage des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG unter Außerachtlassung der sich nach dem Willen des Gesetzgebers für sogenannte allgemeine Gefahrenlagen im Herkunftsland aus §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 AuslG ergebenden Sperrwirkung unmittelbar mit Blick auf die Grundrechte der Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG

vgl. dazu im einzelnen OVG des Saarlandes, Urteil vom 26.1.2004 – 1 R 27/03 -, ebenso etwa OVG Schleswig, Beschluss vom 4.12.2003 – 3 LB 51/01 -, Entscheidungsgründe Seite 14, OVG Münster, Beschluss vom 30.10.2002 – 5 A 1485/01.A -.

Von einer weiteren Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b Abs. 1 AsylVfG.

Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83b Abs. 2 AsylVfG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

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