Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Saarlandes - 3 A 238/12

Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20. Juli 2012 - 3 K 98/11 - wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben; die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Beklagte.

Gründe

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor genannte Urteil hat keinen Erfolg.

Zwar ist das von der Beklagten eingelegte Rechtsmittel entgegen der Auffassung der Klägerin nicht bereits deshalb unzulässig, weil die Beklagte mit Schriftsatz vom 3.8.2012 zunächst „Berufung“ gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 20.7.2012 eingelegt hat, obwohl mangels Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß § 124 a Abs. 4 Satz 1 VwGO allein ein Antrag auf Zulassung der Berufung statthaft war. Denn die Beklagte hat auf entsprechenden Hinweis des Senats mit am 9.8.2012 - somit noch innerhalb der einmonatigen Rechtsmittelfrist - bei Gericht eingegangenem Schriftsatz klargestellt, dass sie die Zulassung der Berufung beantragt. Ob entsprechend dem Begehren der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 9.8.2012 bereits ihr vorangegangener Schriftsatz vom 3.8.2012 in einen Antrag auf Zulassung der Berufung umgedeutet werden kann, bedarf keiner Entscheidung, da jedenfalls in dem innerhalb der Rechtsmittelfrist eingegangenen Schriftsatz der Beklagten vom 9.8.2012 ein statthafter Antrag auf Zulassung der Berufung zu sehen ist, der mit weiterem Schriftsatz vom 20.9.2012, eingegangen am 21.9.2012, auch innerhalb der zweimonatigen Frist des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO begründet wurde.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die von der Beklagten geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor. Das den Prüfungsumfang im Zulassungsverfahren begrenzende Vorbringen der Beklagten in der Antragsbegründung vom 20.9.2012 bietet weder Anlass zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch zu der Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit einer Gerichtsentscheidung sind regelmäßig dann begründet, wenn gegen deren Richtigkeit nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, wie es etwa der Fall ist, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden

vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163, 1164.

Derartige ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen nicht. Das Verwaltungsgericht hat - was die Beklagte in ihrer Zulassungsbegründung der Sache nach allein angegriffen hat - zu Recht festgestellt, dass die Klägerin sich seit September 2009 lediglich zum Zwecke der Ausbildung in Portugal aufhält, ihren ständigen Wohnsitz aber im Inland hat und sich damit die Förderungsfähigkeit ihrer Ausbildung nach § 5 Abs. 2 BAföG richtet.

Der Begriff des ständigen Wohnsitzes des Auszubildenden ist in § 5 Abs. 1 BAföG definiert: Nach dieser Bestimmung ist der ständige Wohnsitz im Sinne des BAföG an dem Ort begründet, der nicht nur vorübergehend Mittelpunkt der Lebensbeziehungen ist, ohne dass es auf den Willen zur ständigen Niederlassung ankommt; wer sich lediglich zum Zwecke der Ausbildung an einem Ort aufhält, hat dort nicht seinen ständigen Wohnsitz begründet. Diese Legaldefinition lehnt sich an den zivilrechtlichen Wohnsitzbegriff der §§ 7 ff. BGB an, so dass in Anwendung von § 11 Satz 1 BGB ein minderjähriger Auszubildender regelmäßig den Wohnsitz der personensorgeberechtigten Eltern teilt

vgl. Rothe/Blanke, BAföG, Stand März 2010, § 5 Rdnr. 6 und § 6 Rdnr. 6.

§ 11 BGB legt für minderjährige Kinder den gesetzlichen Wohnsitz fest. Danach teilen Kinder grundsätzlich den Wohnsitz ihrer Eltern ohne Rücksicht auf ihren tatsächlichen Aufenthalt und einen entsprechenden Wohnsitzwillen, sofern die Eltern personensorgeberechtigt sind. Allerdings kann neben oder anstelle des gesetzlichen Wohnsitzes auch ein gewillkürter Wohnsitz nach den §§ 7, 8 BGB begründet werden, wobei auch insoweit der Wille der/des gesetzlichen Vertreter(s) entscheidend ist

juris PK-BGB, 6. Auflage 2012, § 11 Rdnr. 1, 11.

Ausgehend davon hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die damals 15-jährige Klägerin im Zeitpunkt der Antragstellung im Januar 2010 ihren ständigen Wohnsitz im Sinne des § 5 Abs. 1 BAföG im Inland, nämlich bei ihren Eltern in A-Stadt hatte, wo sie seit dem 9.12.2009 auch gemeldet ist. Zwar hat die Familie der Klägerin zuvor 17 Jahre lang in Portugal gelebt. Im September 2009 ist die Familie jedoch nach Deutschland umgezogen, wo sich seither sowohl die Eltern als auch die drei Schwestern der Klägerin ständig aufhalten. Alle sechs Familienmitglieder sind in Deutschland gemeldet. Angesichts der gesetzlichen Regelung in § 11 BGB ist davon auszugehen, dass die damals 15-jährige Klägerin den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen nach dem Umzug - wie zuvor bereits in Portugal - weiterhin bei ihrer Familie, das heißt jetzt in A-Stadt, hatte. Für die Annahme eines vom gesetzlichen Wohnsitz (§ 11 BGB) abweichenden gewillkürten Wohnsitz der Klägerin fehlt es an hinreichenden tatsächlichen Umständen. Insbesondere lässt sich ein den gesetzlichen Wohnsitz ersetzender gewillkürter Wohnsitz der Klägerin nicht daraus herleiten, dass diese seit September 2009 als Untermieterin ein Zimmer in Lissabon in Portugal bewohnt. Denn dort hält sie sich seither lediglich zum Zwecke der Ausbildung auf, wobei dies nach unbestrittenem Vortrag der Klägerin nur deshalb der Fall ist, weil in Deutschland der von ihr angestrebte Abschluss nur unter Aufwendung eines zusätzlichen Zeitaufwands von zwei weiteren Jahren erreicht werden könnte. Gerade mit Blick auf Letzteres erscheint durchaus plausibel, zum einen warum die Klägerin - anders als ihre Schwestern - ihre Ausbildung zunächst nicht in Deutschland fortsetzt und zum anderen, dass ihr weiterer Aufenthalt in Portugal lediglich Ausbildungszwecken dient. Ein sonstiger Grund für ihren weiteren Aufenthalt in Portugal ist nicht erkennbar.

Hält sich die Klägerin seit September 2009 aber lediglich zum Zwecke der Ausbildung in Portugal auf, so ist ihr dortiger Aufenthaltsort gemäß § 5 Abs. 1 2. Halbsatz BAföG nicht als ihr ständiger Wohnsitz anzusehen.

An dieser Bewertung vermag auch die Bestimmung in Tz 6.0.6. der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum BAföG ( BAföGVwV ) nichts zu ändern. Dort heißt es: „Gemäß § 11 BGB teilt ein minderjähriger Auszubildender grundsätzlich den ständigen Wohnsitz der Eltern, eines Elternteils oder der Person, der er rechtlich oder tatsächlich zugeordnet ist. Hiervon wird für die Anwendung des § 6 abgesehen bei einem minderjährigen Auszubildenden, der bereits einmal in einem ausländischen Staat einen ständigen Wohnsitz begründet hat, wenn die Eltern ihren ständigen Wohnsitz in einen anderen Staat verlegen; für ihn bleibt sein Aufenthaltsort sein ständiger Wohnsitz, bis er durch ihn selbst aufgegeben wird.“

Hierbei handelt es sich jedoch nicht um einen Rechtssatz, sondern eine bloße Verwaltungsvorschrift, die in Zweifelsfällen zur Auslegung des Gesetzes mit herangezogen werden kann, in keinem Fall jedoch eine Auslegung entgegen dem gesetzlichen Wortlaut bzw. dem Sinn und Zweck des Gesetzes zu rechtfertigen vermag. In ihrem rechtlichen Verhältnis zur Klägerin ist die Beklagte nur an die gesetzlichen Regelungen, hier insbesondere in § 5 Abs. 1 2. Halbsatz BAföG sowie in § 11 BGB gebunden

zum Rechtscharakter von Verwaltungsvorschriften vgl. BVerwG, Urteil vom 25.4.2012 - 8 C 18.11 -, juris.

Ausgehend von der eindeutigen gesetzlichen Regelung sowie den konkreten Umständen des vorliegenden Falles ist jedoch - wie dargelegt - für den hier maßgeblichen Bewilligungszeitraum ein ständiger Wohnsitz der Klägerin im Inland anzunehmen.

Demnach vermögen die von der Beklagten im Zulassungsverfahren erhobenen Einwände keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zu begründen.

Der von der Beklagten des Weiteren geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache liegt ebenfalls nicht vor. Die Beklagte hat zur Begründung dieses Zulassungsgrundes lediglich auf den oben bereits dargelegten Wortlaut der Regelung in Tz 6.0.6 BAföGVwV hingewiesen und geltend gemacht, auch vorliegend sei ein solcher Sachverhalt gegeben. Der in Portugal durch ihre Eltern begründete Wohnsitz der Klägerin bleibe auch nach dem Umzug der Eltern nach Deutschland ihr ständiger Wohnsitz.

Es erscheint bereits zweifelhaft, ob dieses Vorbringen den Darlegungserfordernissen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt, wonach es zur Darlegung des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erforderlich ist, dass der Rechtsmittelführer neben der Formulierung einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage sowie Ausführungen zu ihrer Entscheidungserheblichkeit für den Rechtsstreit ihre Bedeutsamkeit über den Einzelfall hinaus und auch ihre allgemeine Klärungsbedürftigkeit darlegt. Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen, da hier in einem nachfolgenden Berufungsverfahren eine grundsätzliche Klärung einer allgemeinen Frage des materiellen Rechts nicht zu erwarten ist.

Wie bereits dargelegt, lässt sich die Frage nach dem ständigen Wohnsitz eines Auszubildenden unmittelbar aus dem Gesetz beantworten. Welches Ergebnis die Anwendung der gesetzlichen Regelung im konkreten Fall zur Folge hat, ist - wie ebenfalls aus den vorangegangenen Ausführungen ersichtlich ist - abhängig von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles und, anders als die von der Beklagten angeführte Verwaltungsvorschrift auf den ersten Blick den Anschein erweckt, einer allgemeinen fallübergreifenden Klärung nicht zugänglich.

Liegen die von der Beklagten geltend gemachten Zulassungsgründe demnach nicht vor, ist der Antrag zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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