Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Saarlandes - 2 B 362/14
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 19. September 2014 - 6 L 975/14 - abgeändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Ziffern 2, 6 und 7 des Bescheides des Antragsgegners vom 30.4.2014 angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.250,- Euro festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 19.9.2014 - 6 L 975/14 - hat unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, durch das der Umfang der Prüfung durch den Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO bestimmt wird, insoweit Erfolg, als das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die unter Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides vom 30.4.2014 erfolgte Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis aus anderen Gründen und gegen die in den Ziffern 6 und 7 des Bescheides unter Androhung der Abschiebung nach Indien erfolgte Aufforderung zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland binnen einer Frist von 30 Tagen abgelehnt hat. Hingegen hat die Beschwerde keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die Ablehnung des Antrags auf Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose (Ziffer 3 des Bescheides) und gegen die Anordnung der Verwahrung und Aufforderung zur Vorlage des indischen Reisepasses Nr. H... (Ziffer 4 des Bescheides) richtet.
Die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG ist rechtswidrig. Gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG soll einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegt. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, da das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit bestandskräftigem Bescheid vom 3.9.2010 festgestellt hat, dass im Fall des Antragstellers das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Sri Lanka vorliegt. Entgegen der in dem angefochtenen Bescheid vom Antragsgegner und auch vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung steht § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift wird die Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist. Der Antragsgegner hat die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis vorliegend rechtsfehlerhaft darauf gestützt, dass dem Antragsteller eine Ausreise nach Indien aufgrund seiner - angeblichen - indischen Staatsangehörigkeit möglich und zumutbar sei. Demgegenüber hat der Senat nach Würdigung aller Umstände des Falles keine ernsthaften Zweifel daran, dass der Antragsteller die indische Staatsangehörigkeit nicht besitzt. Der Antragsteller ist am 20.5.1983 in der Bundesrepublik Deutschland als Sohn srilankischer Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit geboren.(Vgl. die Geburtsurkunde (Bl. 873 der Verwaltungsakten) und den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3.9.2010 (Bl. 875 der Verwaltungsakten)) Der als Kopie in den Verwaltungsakten vorhandene(Vgl. Bl. 235 ff. und Bl. 287 der Verwaltungsakten) indische Reisepass mit dem Ausstellungsdatum 15.9.2008, den der Antragsteller benutzt hat, um ein Visum zu Studienzwecken für die Einreise in die Schweiz zu erlangen, enthält nicht den Namen und das Geburtsdatum des Antragstellers, sondern die Personalien N… K... T..., geboren am 7.12.1985 in Madurei, unter denen der Antragsteller offenbar jahrelang in Indien gelebt, dort die Schule besucht und im April 2008 ein Studium mit dem Bachelor of Science Bio-Chemistry erfolgreich abgeschlossen hat. Ausgehend davon spricht, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, vieles dafür, dass es sich bei dem erwähnten indischen Reisepass, dessen Echtheit vom indischen Generalkonsulat in Frankfurt bestätigt wurde,(Vgl. Bl. 364 der Verwaltungsakten) um ein echtes Dokument mit falschem Inhalt handelt. In Übereinstimmung damit hat der Antragsteller nachvollziehbar dargelegt, dass er in Indien eine andere Identität angenommen hat. Auch die Nachforschungen des Antragsgegners haben nicht ergeben, dass der Antragsteller tatsächlich indischer Staatsangehöriger ist. All dies zugrunde legend kann zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht angenommen werden, dass der indische Staat zur Aufnahme des Antragstellers bereit ist und deshalb für diesen eine Ausreise nach Indien möglich und zumutbar ist. Nach der Gesetzesbegründung zu § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist die Ausreise möglich, wenn die betroffene Person in den Drittstaat einreisen und sich - zumindest vorübergehend - dort aufhalten darf. Die Darlegung, in welchen Staat eine Ausreise möglich ist, obliegt der Ausländerbehörde. Sie hat sich dabei an konkreten Anhaltspunkten zu orientieren. Maßgeblich für die Auswahl sind die Beziehung der betroffenen Person zum Drittstaat und die Aufnahmebereitschaft des Drittstaates.(BT-Drs. 15/420 S. 79) Davon, dass der Antragsteller über eine ausreichende Beziehung zu Indien verfügt, ist angesichts dessen, dass er dort mehrere Jahre gelebt hat, er dort zur Schule gegangen ist und studiert hat, sowie in Anbetracht seiner sich dort aufhaltenden Eltern auszugehen. Dagegen kann die Aufnahmebereitschaft des indischen Staates nicht ohne weiteres unterstellt werden. Die Ausreise in einen Drittstaat ist nur dann möglich im Sinne des § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, wenn der Betroffene in den Drittstaat einreisen und er sich dort aufhalten darf. Der Ausschluss des Aufenthaltsrechts in Deutschland ist nur gerechtfertigt, wenn in den Drittstaat die Einreise und ein nicht ganz kurzfristiger, legaler Aufenthalt aufgrund der Aufnahmebereitschaft des Drittstaates gestattet sind.(Vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 26.5.2014 - 11 K 4547/13 -, VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 18.5.2006 - 5 L 519/05 -, jeweils bei juris) Hieraus ergibt sich, dass von dem Antragsteller nicht verlangt werden kann, illegal mit dem erwähnten indischen Reisepass - sofern dieser noch in seinem Besitz ist und nicht wie von ihm behauptet nach der Einreise vernichtet wurde - nach Indien einzureisen und sich dort aufzuhalten. Ebenso wenig ist es ihm zuzumuten, sich unter falschen Personenangaben - etwa unter Vorlage der von ihm für den Hochschulzugang in Deutschland eingereichten Dokumente aus Indien(Vgl. den Anerkennungsvermerk (Bl. 367 der Verwaltungsakten) sowie die von dem Antragsteller vorgelegten Dokumente aus Indien (Bl. 370 ff. der Verwaltungsakten)) - neue Passunterlagen, die zur Einreise nach Indien berechtigen, zu verschaffen. Ob der Antragsteller unter seinen richtigen Personalien, d. h. auf legalem Weg die Einreise nach Indien erlangen und er sich dort aufhalten kann, ist bisher nicht geklärt. Die Darlegungslast trägt insoweit - wie erwähnt - der Antragsgegner.(Vgl. Heilbronner, AuslR, Kommentar, § 25 Rdnr. 66) Der Antragsteller hat in diesem Zusammenhang plausibel vorgetragen(Vgl. Bl. 446 und Bl. 885 der Verwaltungsakten), dass die indische Botschaft ihm kein Reisedokument unter dem richtigen Namen ausstelle, da er nicht in Indien geboren sei und nicht die indische Staatsangehörigkeit besitze. Nach alledem kann von einer Aufnahmebereitschaft Indiens zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht ausgegangen werden, so dass § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG dem Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG jedenfalls derzeit nicht entgegengehalten werden kann. Dem Antragsteller ist daher insoweit vorläufig Abschiebungsschutz zu gewähren.
Soweit der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 30.4.2014 bezüglich dessen Ziffer 3 - der Ablehnung der Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose nach Art. 28 Staatenlosenübereinkommen - beantragt, ist sein Begehren gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass er im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO die Verpflichtung des Antragsgegners erreichen möchte, ihm vorläufig einen Reiseausweis für Staatenlose auszustellen. Dieser Antrag kann bereits deshalb keinen Erfolg haben, weil der Antragsteller hiermit eine - grundsätzlich unzulässige - Vorwegnahme der Hauptsache begehrt. Entsprechend dem Sinn und Zweck des vorläufigen Rechtsschutzes darf das Gericht nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller dabei nicht schon das gewähren, was er im Falle des Obsiegens in der Hauptsache erreichen würde.(Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 19. Auflage, § 123 Rdnr. 13) Allenfalls unter engen - hier nicht vorliegenden - Voraussetzungen können im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG die Wirkungen einer Entscheidung der Hauptsache vorweg genommen werden, wenn der Antragsteller beim Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache sein Rechtsschutzziel nicht mehr erreichen kann, ihm dadurch unzumutbare, irreparable Nachteile entstünden und eine hohe Wahrscheinlichkeit eines Obsiegens in der Hauptsache besteht.(Vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 123 Rdnr. 14 f.) Derartiges ist hier nicht vorgetragen. Allein der - auf Seiten des Antragstellers möglicherweise bestehende - Wunsch, Reisen ins Ausland machen zu können, reicht hierfür nicht aus.
Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung des Widerspruchs gegen die in Ziffer 4 des Bescheides vom 30.4.2014 verfügte Anordnung der Verwahrung des indischen Reisepasses Nr. H... und die Aufforderung, diesen der Ausländerbehörde vorzulegen, bleibt ebenfalls ohne Erfolg. An dem Wahrheitsgehalt seines Vorbringens, er habe den erwähnten Reisepass nach der Einreise im Jahr 2009 vernichtet, bestehen - wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat - erhebliche Zweifel, nachdem die Mutter der früheren Ehefrau des Antragstellers gegenüber dem Antragsgegner mit Schreiben vom 8.10.2012 Lichtbilder des betreffenden indischen Reisepasses vorgelegt und hierzu erklärt hat, der Pass sei von ihrer Tochter erst kurz vor dem im selben Jahr erfolgten Auszug des Antragstellers aus der gemeinsamen Wohnung entdeckt worden.(Vgl. Bl. 233 ff. der Verwaltungsakten) Zwar kann die Glaubhaftigkeit dieser Angaben im vorliegenden Eilverfahren nicht abschließend geklärt werden. Die bei - insoweit - offenen Erfolgsaussichten der Hauptsache vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen fällt jedoch zu Ungunsten des Antragstellers aus, da dieser kein schützenswertes Interesse daran haben kann, im Besitz eines - nach seinen eigenen Angaben mit falschen Personalien versehenen - indischen Reisepasses zu bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat geht dabei in Anwendung des Rechtsgedankens des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO davon aus, dass die Anordnung der Verwahrung des indischen Reisepasses von so geringfügiger Bedeutung ist, dass sie bei der Kostenverteilung nicht ins Gewicht fällt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2, 47 GKG, wobei im vorliegenden Eilverfahren eine Halbierung der in Ansatz zu bringenden Hauptsacheverfahrenswerte - je 5.000,- Euro für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und die Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose sowie 500,- Euro für die Anordnung der Verwahrung des indischen Reisepasses - gerechtfertigt ist.