Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Saarlandes - 2 A 429/13

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 30. August 2013 – 10 K 851/12 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

Der fristgerecht gestellte und auch ansonsten zulässige Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nach dem den gerichtlichen Prüfungsumfang mit Blick auf das Darlegungserfordernis (§ 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO) begrenzenden Antragsvorbringen nicht vor.

Zur Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung hat der Kläger sich auf seine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80(Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation) berufen und im Wesentlichen vorgetragen, die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für seine Ausweisung lägen nicht vor. Die Straftaten, auf die sich die vom Verwaltungsgericht zitierte strafrechtliche Verurteilung beziehe, stammten aus dem Monat Juli 2010 und lägen mithin knapp dreieinhalb Jahre zurück; seither sei er nicht mehr erneut straffällig geworden. Selbst wenn die verbüßte Haftstrafe in Abzug gebracht werde, verbleibe ein deutlicher Zeitraum, in dem er sich in Freiheit bewährt habe, so dass eine von ihm ausgehende gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr nicht bejaht werden könne. Insbesondere müsse sein Alter und das anzuwendende Jugendstrafrecht Beachtung finden; darauf sei das Gericht zwar eingegangen, habe aber trotzdem rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen einer Ausweisung bejaht. Das erstinstanzliche Gericht spreche selbst davon, dass jugendtypisches Fehlverhalten durch gruppendynamische Prozesse geprägt sei. Die Tatsache, dass er bei den Taten Wortführer gewesen sein solle, lasse aber nicht entfallen, dass es gruppendynamische Prozesse gewesen seien, denn die entscheidenden Taten seien zu dritt begangen worden, mithin in einer Gruppe. Er habe im Klageverfahren ausführlich dargelegt, dass er zwar zu Beginn seiner Haftzeit ein problematisches Vollzugsverhalten gezeigt habe, sich dieses aber im Laufe der Haftzeit deutlich gebessert habe. Das Verwaltungsgericht spreche in seinem Urteil nur die Stellungnahmen der JVA Ottweiler vom 13.3.2012 und 6.7.2012 an, während die überwiegend positive Stellungnahme der Vollzugsplankonferenz vom 20.6.2012 keine Erwähnung gefunden habe. Hierin werde aber gerade bestätigt, dass sich das Vollzugsverhalten weiterhin gebessert und es keine Disziplinierungen mehr gegeben habe; gerade sein vormals problematisches Verhalten zu den Bediensteten habe sich auch gebessert. Die zitierte Stellungnahme der JVA Ottweiler vom 25.10.2011 könne, da sie zu Beginn der Haftzeit und damit vor den Verbesserungen ausgestellt worden sei, keine belastbare Beurteilungsgrundlage bilden. Die im Strafurteil festgestellte schädliche Neigung könne nicht mit der notwendigen tatsächlichen und hinreichend schweren Gefahr gleichgesetzt werden. Die negative Prognose und die schädlichen Neigungen führten zur Verhängung einer Jugendstrafe, aber nicht automatisch zu einer Ausweisung aufgrund tatsächlicher Gefährdung. Wäre dies der Fall, wären Sinn und Zweck gerade des Jugendstrafrechts, nämlich zu erziehen und nicht zu strafen, konterkariert. Es sei auch nicht ausreichend gewichtet worden, dass er, der Kläger, in der Haft einen Schulabschluss erlangt habe und seine persönliche Ausgangssituation damit deutlich habe verbessern können. Insgesamt liege zumindest eine neutrale Prognose vor, so dass insbesondere eine gegenwärtige hinreichend schwere Gefährdung für die Gesellschaft nicht gegeben sei. Diese zumindest neutrale Prognose werde dadurch bestärkt, dass es ihm zwischenzeitlich möglich gewesen sei, wiederum einen Ausbildungsplatz zu erlangen und nicht nur eine reine Aushilfstätigkeit im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses. Dies entspreche der bereits unmittelbar nach der Haftentlassung aufgenommenen Ausbildung, die von seinem Ausbildungsbetrieb wegen einer Sportverletzung und seiner damit einhergehenden Arbeitsunfähigkeit beendet worden sei. Soweit das Verwaltungsgericht hinsichtlich der vermeintlichen Drogenproblematik ausgeführt habe, dass insoweit eine Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe nicht erkennbar sei, werde auf die als Anlage beigefügten Bescheinigungen des AGD verwiesen. Dass er auch integrativen Anschluss suche, werde durch das beigefügte Schreiben des SV O. belegt. Im Übrigen befinde er sich seit seiner Haftentlassung wieder im Schoße seiner Familie und erlebe familiäre Anleitung und einen geordneten Tagesablauf, der zu Zeiten seiner Straffälligkeit vollkommen abhanden gekommen sei.

Die Antragsbegründung ist nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu begründen, denn sie vermag die Rechtmäßigkeit der auf §§ 55 Abs. 1, 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gestützten Ausweisung des Klägers nicht durchgreifend in Frage zu stellen.

Wie das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung, auf deren Begründung vollinhaltlich Bezug genommen werden kann, ausführlich und zutreffend dargelegt hat, stellt das persönliche Verhalten des Klägers gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 dar. Diesen Ausführungen kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die Straftaten, derentwegen er am 17.9.2010 verurteilt wurde, aus dem Monat Juli 2010 stammten und er seitdem nicht mehr straffällig geworden sei. Zunächst trifft diese Aussage insofern nicht zu, als nach Aktenlage ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger, der bereits seit 2006 strafrechtlich in Erscheinung getreten und am 12.4.2010 vom Beklagten über die Folgen einer neuerlichen Straffälligkeit belehrt worden war, wegen einer am 2.10.2010 – also noch rund zwei Wochen nach der Verurteilung - begangenen gefährlichen Körperverletzung gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt worden ist (22 Js 201/11). Außerdem hat er sogar noch während der bis 27.9.2012 andauernden Haft, nämlich im September 2011 unstreitig einen Mitgefangenen geschlagen. Im Übrigen dürften die begrenzten Besserungstendenzen in seinem Verhalten während der Haft insbesondere auf den Druck des Ausweisungsverfahrens, das bei ihm seit Ende 2011 Besorgnis hervorgerufen hat(Vgl. Stellungnahme des Leiters der JVA vom 13.3.2012, Bl. 169 Gefangenen-Personalakten), zurückzuführen sein. Das erstinstanzliche Gericht hat entgegen der Meinung des Klägers auch sein Alter bei der Begehung der Straftaten berücksichtigt, allerdings bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr die insbesondere von hoher Gewaltbereitschaft geprägten Straftaten des mehrfachen (Straßen-)Raubes und der gefährlichen Körperverletzung nicht als „jugendliches Fehlverhalten“, das naturgemäß durch Spontanität und gruppendynamische Prozesse geprägt sei, gewertet, da der Kläger und seine Mittäter ersichtlich plangeleitet vorgegangen seien. Der Kläger habe die Straftaten zwar unter Beteiligung anderer verwirklicht, er sei aber bei den jeweiligen Raubtaten ausweislich der strafgerichtlichen Feststellungen Wortführer und – was der Kläger in seiner Antragsbegründung verschweigt - Haupttäter gewesen. Dies überzeugt.

Entgegen der Darstellung des Klägers ist es ferner sachgerecht, dass das Verwaltungsgericht mit den Stellungnahmen der JVA vom 25.10.2011, 13.3.2012 und 6.7.2012 die Entwicklung des Klägers während der Haftzeit in den Blick genommen und im Rahmen der zu erstellenden Gefahrenprognose berücksichtigt hat. Insoweit geht die Rüge des Klägers, die überwiegend positive Stellungnahme der Vollzugsplankonferenz vom 20.6.2012 habe keine Erwähnung gefunden, offensichtlich fehl, da diese Stellungnahme als Zitat Eingang in die Stellungnahme des Leiters der JVA vom 6.7.2012 gefunden hat.

Dass das Verwaltungsgericht, wie der Kläger behauptet, die im Strafurteil bei ihm festgestellte schädliche Neigung „mit der notwendigen tatsächlichen und hinreichend schweren Gefahr gleichgesetzt“ habe, trifft nicht zu. Zwar hat es dargelegt, dass es sich bei solchen schädlichen Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG um erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel handele, die nach der Rechtsprechung des BGH ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründeten. Hiervon ausgehend ist der Schluss auf eine Wiederholungsgefahr also jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn – wie vorliegend im Ergebnis - keine längere erfolgreiche Gesamterziehung folgt; in diesem Zusammenhang ist allerdings darauf hinzuweisen, dass entgegen der Meinung des Klägers die Entscheidung über eine Ausweisung, bei der es um Gefahrenabwehr geht, nicht am Jugendstrafrecht mit seinem vorrangig zu beachtenden Erziehungsgedanken ausgerichtet werden kann.(Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 15.1.2013 – 1 C 10/12 -, juris, zur spezialpräventiven Ausweisung bei vorzeitiger Haftentlassung)

Das Verwaltungsgericht hat vorliegend zudem im Weiteren eingehend geprüft, ob die Wiederholungsgefahr im Falle des Klägers, insbesondere unter Berücksichtigung seiner Entwicklung und problematischen Persönlichkeit sowie der von ihm ergriffenen Maßnahmen weiterhin besteht. Es hat dies letztendlich bejaht, weil nach der Stellungnahme des Leiters der JVA vom 6.7.2012 eine ausreichende Stabilität der defizitären Persönlichkeit des Klägers noch nicht gegeben ist und zudem eine adäquate Aufarbeitung seiner Drogenabhängigkeit fehlt. Das Gericht hat im Ergebnis keine belastbaren Tatsachen für die Annahme gesehen, dass der selbst in der Haft gewaltbereite Kläger sich mit seinen Straftaten ernsthaft auseinandergesetzt hat und aus Schuldeinsicht heraus nunmehr einen straffreien Lebenswandel führen wird. Insoweit hat es zudem darauf hingewiesen, dass der Kläger auch nicht ansatzweise zu belegen vermocht habe, dass er seine Drogenproblematik etwa unter Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe in dauerhaft erfolgversprechender Weise aufgearbeitet hätte. Dass dies nunmehr der Fall wäre, belegen im Übrigen auch nicht die beiden im Zulassungsverfahren vorgelegten Bescheinigungen der AGD vom 6.11.2013 und 13.11.2013 über die Wahrnehmung eines Gesprächstermins in der dortigen Beratungsstelle.

Dass der Kläger die Auffassung vertritt, das Verwaltungsgericht hätte ihm zumal unter Berücksichtigung des in der Haft erlangten Schulabschlusses und der damit verbundenen Verbesserung seiner Ausgangssituation eine zumindest neutrale Gefahrenprognose stellen müssen, mag seiner eigenen abweichenden Bewertung der Situation entsprechen, kann aber die Richtigkeit der Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts und des Beklagten nicht durchgreifend in Abrede stellen.

Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergeben sich auch nicht mit Blick darauf, dass der Kläger bei einem um Integration von Ausländern bemühten Verein Fußball spielt, zwischenzeitlich – möglicherweise durch dessen Vermittlung – am 1.11.2013 erneut eine Ausbildungsstelle erhalten hat und seit der Haftentlassung wieder bei seiner Familie lebt. Zwar weisen diese Tatsachen auf eine positive Entwicklung der Randbedingungen im Leben des Klägers hin, deren Fortbestand – zumal angesichts der Persönlichkeitsstruktur des Klägers - allerdings offen ist. Vor allem aber rechtfertigen sie nicht den Schluss, dass sie mit einer entscheidenden charakterlichen Entwicklung des Klägers, einer Einsicht in seine Fehler und dem festen Entschluss, dauerhaft straffrei zu leben, einhergingen, also nicht im Wesentlichen durch das anhängige Ausweisungsverfahren veranlasst sind.

Der Zulassungsantrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf dem §§ 63 Abs. 2, 47, 52 Abs. 2 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

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