Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Saarlandes - 2 B 400/14

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 13. November 2014 – 6 L 1515/14 – wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

Die fristgerecht eingelegte und auch ansonsten zulässige Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 13.11.2014, mit dem ihr Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14.7.2014 (Versagung der Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse, Abschiebungsandrohung) zurückgewiesen wurde, ist nicht begründet.

Zur Begründung ihrer Beschwerde haben die Antragstellerinnen im Wesentlichen vorgetragen, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses bestünden insofern erhebliche Zweifel, als das Gericht einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abgelehnt habe, weil den Schreiben der Diplom-Psychologin und des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie nicht habe entnommen werden können, dass „eine Ausreise oder Abschiebung der Antragstellerin zu 1 in das Heimatland nicht zu verantworten wäre, sie insbesondere auf Dauer nicht reisefähig wäre“. Denn sie, die Antragstellerin zu 1, habe eine fehlende Reisefähigkeit mit Vorlage der in Rede stehenden Bescheinigung und des Attestes glaubhaft gemacht. Der Antragsgegner habe sich zudem zum Vorliegen inlandsbezogener Ausreisehindernisse bislang nicht geäußert bzw. deren Vorliegen nicht bestritten. Falls er Zweifel an ihrer schweren Erkrankung bzw. an der bestehenden Suizidgefahr habe, bestehe zwingend Bedarf an einer weiteren Sachverhaltsaufklärung, die bisher nicht erfolgt sei. Auch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung habe die Abschiebung eines Ausländers einstweilen zu unterbleiben, solange nicht eine amtsärztliche Begutachtung das Fehlen einer Suizidgefahr feststelle. Die vorgelegten Bescheinigungen des behandelnden Arztes bzw. der Psychologin würden jedenfalls im Hauptsacheverfahren als ausreichende Glaubhaftmachung für einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ausreichen. Unter Berücksichtigung der hierzu zitierten Rechtsprechung müsse in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen werden, dass es sogar in hohem Maße unwahrscheinlich sei, dass der Diplom-Psychologin und dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie bei der Ausstellung ihrer Bescheinigung bzw. ihres Attests bewusst gewesen sei, dass die Frage einer Reisefähigkeit bzw. die Dauer einer solchen von besonderer Bedeutung sei bzw. überhaupt bekannt gewesen sei, zu welchem Zweck sie benötigt würden. Sie, die Antragstellerin zu 1, werde selbstverständlich die behandelnden Fachkräfte von der Schweigepflicht entbinden und auch einer amtsärztlichen Begutachtung jederzeit zur Verfügung stehen. Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beschlusses bestünden auch insoweit, als das Gericht ausgeführt habe, dass es keinen Anhalt für die Annahme gebe, dass der Antragsgegner (nicht) unmittelbar vor der Abschiebung die Reisefähigkeit überprüfen und einer etwaigen suizidalen Gefährdung durch entsprechende Schutzmaßnahmen begegnen werde. Eine Begutachtung unmittelbar vor der Abschiebung sei nach einschlägiger Rechtsprechung unzureichend. Auch reiche die bloße Behauptung, die Ausländerbehörde werde Schutzmaßnahmen ergreifen, um die begleitete Abschiebung durchführen zu können, nicht aus. Daher dürfte die bloße Annahme des Gerichts, dass der Antragsgegner derartige Schutzmaßnahmen ergreifen werde, für die ablehnende Begründung unzureichend sein. Auch soweit das Gericht hinsichtlich des geltend gemachten zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses festgestellt habe, dass psychische Erkrankungen in der Russischen Föderation grundsätzlich sowohl medikamentös als auch psychologisch behandelbar seien und dort grundsätzlich ein Anrecht auf kostenlose medizinische Versorgung vorhanden sei, sei die Richtigkeit der Feststellungen zu bezweifeln. Dies ergebe sich aus den Entscheidungen des VG Freiburg vom 29.6.2011 – A 4 K 412/10 – und des VG Hannover vom 3.3.2011 – 12 A 1967/09 –. Im Falle einer zwangsweisen Rückführung müssten sie, die Antragstellerinnen, zunächst eine Wohnung finden, um eine Registrierung zu erhalten. Dies wiederum setze voraus, dass eine Arbeitsstelle gefunden werde, damit die Miete für eine Wohnung bezahlt werden könne. Insbesondere unter Berücksichtigung der Erkrankung der Antragstellerin zu 1 und des Alters der Antragstellerin zu 2 könne aber nicht angenommen werden, dass die Voraussetzungen für die Registrierung als Bedingung für eine grundsätzliche Gesundheitsfürsorge kurzfristig geschaffen werden könnten. Da der Ausgang des Hauptsacheverfahrens zumindest als offen anzusehen sei, sei unter Berücksichtigung von Art. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG und der derzeit bestehenden Gefahr einer zwangsweisen Rückführung einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren. Es drohe eine erhebliche Grundrechtsverletzung, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könne. Demgegenüber seien keine überwiegenden, besonders gewichtigen Gründe ersichtlich, die einem vorläufigen Verbleib der Antragstellerinnen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens entgegenstünden. Die Antragstellerinnen haben ärztliche Atteste der A.- Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie/ Psychosomatik vom 30.1.2015 und vom 5.2.2015 vorgelegt, nach denen sich die Antragstellerin zu 1 nach einem Suizidversuch seit dem 20.1.2015 in stationärer Behandlung befindet.

Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, durch das der Umfang der Prüfung durch den Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO bestimmt wird, hat es bei dem erstinstanzlich gefundenen Ergebnis zu bleiben. Das Verwaltungsgericht, auf dessen Ausführungen vorab Bezug genommen werden kann, hat das Aussetzungsbegehren der Antragstellerinnen zu Recht zurückgewiesen, da die angegriffene Versagung der Verlängerung ihrer jeweiligen Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung rechtmäßig sind.

Zunächst ist festzustellen, dass die Antragstellerin zu 1 die Versagung der Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 2 AufenthG nicht mehr angreift. Auch die mittlerweile volljährige Antragstellerin zu 2 macht nicht mehr geltend, dass ihr ein Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG zustehe.

Das Verwaltungsgericht hat aber zu Recht auch einen Anspruch der Antragstellerin zu 1 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 25 Abs. 5 AufenthG ausgeschlossen. Ein solcher Anspruch setzte nicht nur voraus, dass dem/ der ausreisepflichtigen Ausländer/in eine – auch – freiwillige Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen, die er/ sie nicht zu vertreten hat, objektiv unmöglich ist oder dass sie ihm/ ihr etwa mit Blick auf grundrechtliche Gewährleistungen subjektiv unzumutbar ist, sondern dass das Ausreisehindernis absehbar dauerhaft ist. Vorliegend spricht jedenfalls derzeit nichts dafür, dass die Antragstellerinnen dauerhaft an einer Ausreise gehindert sind.

Dies gilt - inlandsbezogen - zunächst mit Blick auf die erstmals im vorliegenden Eilverfahren vorgetragene Erkrankung der Antragstellerin zu 1, die an einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome leidet und am 19.1.2015 einen Selbstmordversuch unternommen hat. Zwar hat ihr die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie/Psychosomatik, in der sie seither stationär behandelt wird, in dem Attest vom 5.2.2015 bescheinigt, dass bei ihr „derzeit und für die Dauer der derzeitigen depressiven Episode eine dringende Reiseunfähigkeit“ bestehe; sie sei „derzeit und auf absehbare Zeit nicht in der Lage, eine Abschiebung nach Russland und die damit verbundene Belastung zu bewältigen“. Dass die Erkrankung der Antragstellerin zu 1 zu einer nicht lediglich vorübergehenden Reiseunfähigkeit geführt hätte, lässt sich dem Attest indes nicht entnehmen. Es ergibt sich aus ihm auch nicht, dass sie auf Dauer den Belastungen einer Abschiebung nicht gewachsen wäre und eine Abschiebung dauerhaft nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ausgeschlossen wäre, weil das ernsthafte Risiko bestünde, dass es durch diese Maßnahme zu einer wesentlichen Verschlechterung ihrer Erkrankung käme. Insofern ist allerdings klarzustellen, dass entgegen der Ansicht der Antragstellerinnen eine bestehende Suizidgefahr einer Abschiebung nicht zwangsläufig entgegensteht(Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 26.2.1998 – 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, 241). Vielmehr darf eine Abschiebung auch in einem solchen Fall – aber nur dann - erfolgen, wenn durch entsprechende Sicherungsvorkehrungen gewährleistet ist, dass sich diese Gefahr während des Abschiebungsvorgangs nicht realisieren kann. Daher hat der Antragsgegner, wie das Verwaltungsgericht dargelegt hat, die nach der ständigen Senatsrechtsprechung(Vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 14.9.2010 – 2 B 210/10 -, NVwZ-RR 2011, 38 LS, und vom 22.10.2009 – 2 B 445/09 -, NVwZ-RR 2010, 290 LS) bei einer Suizidgefährdung erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, also die Überprüfung der Reisefähigkeit durch einen Arzt, eine ärztliche Begleitung während der Abschiebung, die Mitgabe eines Vorrats von erforderlichen Medikamenten und die Inempfangnahme der Kranken am Flughafen des Zielstaates durch einen Arzt sicherzustellen, der über die eventuell erforderliche weitere Behandlung – etwa eine stationäre Aufnahme – entscheidet. Bei Vorliegen eines eine fortbestehende Reiseunfähigkeit i.w.S. der Antragstellerin zu 1 bescheinigenden fachärztlichen Attestes hat der Antragsgegner vor der Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen deren Gesundheitszustand durch den Amtsarzt, der ggf. fachärztlichen Beistand hinzuzuziehen hat, überprüfen zu lassen und eine von diesem zugelassene Aufenthaltsbeendigung nach dessen Vorgaben vorzunehmen. Soweit die Antragstellerinnen bezweifeln, dass der Antragsgegner die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergreifen wird, ist dem entgegenzuhalten, dass dem Senat bislang noch in keinem der durchaus nicht seltenen Fälle einer Selbstmordgefährdung abzuschiebender Ausländer entsprechende Versäumnisse des Antragsgegners bekannt geworden sind; dass die Antragstellerinnen oder ihre Prozessbevollmächtigte Kenntnis von einem solchen Fall erlangt hätten, tragen sie selbst nicht vor.

Davon, dass der Antragstellerin zu 1 eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben bei einer Rückkehr in die Russische Föderation drohte, weil sie eine erforderliche Behandlung ihrer Erkrankung dort nicht erlangen könnte und insoweit ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG bestünde, das zu einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG führte, kann nicht ausgegangen werden. Unabhängig davon, dass der Antragsgegner nach amtsärztlicher Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung der Antragstellerin zu 1 durch Beteiligung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG die von den Antragstellerinnen in Abrede gestellte Realisierbarkeit einer konkret erforderlichen weiteren Behandlung der Antragstellerin zu 1 im Heimatland zu prüfen hat, ist festzustellen, dass sowohl eine medikamentöse als auch eine psychologische Behandlung psychischer Erkrankungen nach den vom Verwaltungsgericht angegebenen aktuellen Erkenntnisquellen in ihrem Heimatland möglich und grundsätzlich kostenlos ist. Dem können die Antragstellerinnen auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die kostenlose medizinische Versorgung an eine Registrierung und damit eine Wohnung geknüpft sei. Es ist angesichts der gesundheitlichen Situation der Antragstellerin zu 1 und des jugendlichen Alters der Antragstellerin zu 2 nach allgemeiner Lebenserfahrung zu erwarten, dass die Antragstellerinnen im Heimatland zumindest vorübergehend bei der Familie der Schwester/ Tante oder der des Vaters/ Großvaters – auch wenn diese selbst sehr beengt wohnen und es in der Vergangenheit zu Streitigkeiten gekommen sein sollte - Aufnahme finden, um eine Registrierung zur Erlangung kostenloser medizinischer Versorgung zu erreichen, zumal wenn beide Antragstellerinnen sich sofort um Arbeitsmöglichkeiten und eine neue Unterkunft bemühen.

Hiervon ausgehend kann auch der Aussetzungsantrag der Antragstellerinnen hinsichtlich der Abschiebungsandrohung keinen Erfolg haben, da derzeit nicht angenommen werden kann, dass ihre Abschiebung in das Zielland Russische Föderation rechtswidrig wäre. Gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG steht dem Erlass der Androhung ohnehin das Vorliegen von Abschiebungsverboten nicht entgegen.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 167 VwGO, 100 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2, 47 GKG, wobei im vorliegenden Eilverfahren eine Halbierung des in Ansatz zu bringenden Hauptsachestreitwerts gerechtfertigt ist.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

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