Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Saarlandes - 8 F 44/16
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Verweigerung der Vorlage von Bl. 6–29, 51, 62–66, 69–73, 76–79, 85–91 des Verwaltungsvorgangs durch den Beklagten rechtswidrig ist.
Im Übrigen ist die Verweigerung der Aktenvorlage rechtmäßig.
Gründe
I.
Die Klägerin, die ein Seniorenzentrum betreibt, begehrt in dem dem vorliegenden Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO zu Grunde liegenden Hauptsacheverfahren (3 K 1855/13) die Verurteilung des Beklagten, ihr Akteneinsicht in dessen Akte mit dem Aktenzeichen B4-6240-103/13 und der Bezeichnung „anlassbezogene Überprüfung der Einrichtung Seniorenzentrum … vom 26.7.2013“ zu gewähren.
Am 24.7.2013 war bei dem beklagten Ministerium im Referat B4 (Beratungs- und Prüfbehörde nach dem Landesheimgesetz) ein Schreiben eingegangen, in dem gegen die Klägerin und deren Geschäftsführer insbesondere hinsichtlich der Personalführung, aber auch hinsichtlich der Patientenbetreuung Vorwürfe erhoben wurden. Daraufhin brachte der Beklagte der Klägerin dieses Schreiben auszugsweise – anonymisiert – zur Kenntnis und ließ am 26.7.2013 eine Überprüfung der Einrichtung durchführen, die im Ergebnis „keine nennenswerten Beanstandungen“ ergab. Den Antrag der Klägerin vom 15.8.2013 auf Gewährung von Akteneinsicht lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 18.9.2013 ab.
Mit ihrer am 18.10.2013 beim Verwaltungsgericht des Saarlandes erhobenen Klage – Gesch. Nr. 3 K 1855/13 – verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Akteneinsicht weiter. Auf gerichtliche Anforderung legte der Beklagte unter dem 11.1.2016 einen „Auszug der Verwaltungsakte“ vor, bei dem die Blätter 1–29, 33, 49–51, 54–63, 69–73 und 76–91 entnommen waren, „da die Beschwerdeführerin dort namentlich genannt wurde“. Ferner wies er dabei darauf hin, dass die Blätter 80–91 den Bericht zur örtlichen Prüfung der Einrichtung auf die Beschwerde enthielten, der aber in anonymisierter Form als Blätter 80a–86a beigefügt sei. Unter dem 1.2.2016 erklärte der Beklagte auf verwaltungsgerichtliche Anfrage, die Verweigerung der Vorlage von Teilen der Akte werde auf § 99 Abs. 1 Satz 2 „Var. 1“ VwGO gestützt. Daraufhin stellte die Klägerin unter dem 3.2.2016 den Antrag nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
II.
Der Antrag der Klägerin auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung des Beklagten gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
Zunächst ist festzustellen, dass eine förmliche Äußerung des Verwaltungsgerichts zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlage der vollständigen und nicht geschwärzten oder sonst anonymisierten Akten ausnahmsweise entbehrlich war, weil die Entscheidung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren offensichtlich allein von der Frage abhängt, ob die der Klägerin vorenthaltenen Angaben, wie von der Behörde geltend gemacht, geheimhaltungsbedürftig sind(Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 1.12.2015 – 20 F 9. 15 –).
Nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde, die vorliegend mit der zuständigen Behörde im Sinne des § 19 LHeimGS identisch ist, die Vorlage von Akten verweigern, wenn das Bekanntwerden ihres Inhalts dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen. Wird der Auskunftsanspruch vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht, werden die Vorgaben und Entscheidungskriterien nach dem Fachgesetz durch die gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gebotenen Ermessensgesichtspunkte verdrängt. Die oberste Aufsichtsbehörde hat zusätzlich in den Blick zu nehmen, dass das angerufene Gericht auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist, um zu einer sachgerechten Entscheidung zu kommen. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO überlässt der obersten Aufsichtsbehörde die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes Willen absieht. Insofern ist die Vorschrift des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO im Verhältnis zu den fachgesetzlich geregelten Auskunftsansprüchen eine prozessrechtliche Spezialnorm. Dies bedeutet, dass der obersten Aufsichtsbehörde auch in den Fällen Ermessen zugebilligt ist, in denen das Fachgesetz der zuständigen Fachbehörde kein Ermessen einräumt.(BVerwG, Beschlüsse vom 6.4.2011 – 20 F 20/10 – und vom 1.8.2007 -20 F 10/06 -, juris)
Gegenstand der Prüfung im Zwischenverfahren ist die auf der Grundlage von § 99 Abs.1 Satz 2 VwGO abgegebene Sperrerklärung des Beklagten. Der Antrag ist somit darauf gerichtet, die Rechtswidrigkeit der Verweigerung einer vollständigen und nicht anonymisierten Vorlage der streitgegenständlichen Aktenteile festzustellen. Inwieweit der Antrag begründet ist, ist anhand der abgegebenen Sperrerklärung zu prüfen. Dafür muss die oberste Aufsichtsbehörde die Akten aufbereiten und je nach Inhalt der Schriftstücke den behaupteten Weigerungsfall nachvollziehbar darlegen(BVerwG, Beschluss vom 1.12.2015 – 20 F 9. 15 –). Diesen Anforderungen genügt die Sperrerklärung des Beklagten nur teilweise.
Der Beklagte hat in seinem Schriftsatz vom 11.1.2016 die Vorenthaltung der dort genannten Blätter der Original-Verwaltungsakte damit begründet, dass in diesen Teilen der Akte „die Beschwerdeführerin“ namentlich genannt sei. Unter dem 1.2.2016 hat er seine Weigerung auf § 99 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. VwGO gestützt, weil er bei Gewährung von Akteneinsicht in die vollständigen nicht anonymisierten Akten einen Nachteil für das Wohl des Landes befürchte, dessen Behördenaufgaben und Zusammenarbeit mit anderen Behörden schwieriger würden, da sich aus den Akten Rückschlüsse auf die Arbeitsweise und Methodik der Erkenntnisgewinnung ableiten ließen; zudem liege ein Nachteil auch dann vor, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würden. Allerdings hat er dies dann damit begründet, dass es ihm – zum einen zur Erhaltung des Vertrauens von Informanten in die Diskretion der Behörde und damit letztlich zur Sicherung der Aufgabenerfüllung unabdingbarer Informationsquellen und zum anderen zum Schutz vor Übergriffen – um die Nichtidentifizierbarkeit der Person geht, durch deren Schreiben vom 24.7.2013 er die Informationen erhalten hat, die zu der anlassbezogenen Überprüfung der Einrichtung der Klägerin am 26.7.2013 geführt haben. Die Weigerung der Aktenvorlage, die somit primär den Schutz personenbezogener (Informanten-)Daten gewährleisten soll, stützt sich daher der Sache nach auf § 99 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. VwGO.
Personenbezogene Daten sind grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. VwGO. Bei solchen Daten besteht ein privates Interesse an der Geheimhaltung, das grundrechtlich geschützt ist. Sind Behörden bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben (auch) auf Angaben Dritter angewiesen, dürfen sie zum Schutz des Informanten dessen Identität geheim halten. Hinweise Dritter können auch Anlass sein, überhaupt tätig zu werden. Informantenschutz ist weder abhängig von der ausdrücklichen Bitte um vertrauliche Behandlung noch von der begründeten Befürchtung, sich im Fall einer Offenlegung möglichen Repressalien ausgesetzt zu sehen. Geschützt sind nicht nur personenbezogene Daten, die zur Identifikation der Person führen, sondern auch Äußerungen und Angaben zur Sache können geheimhaltungsbedürftig sein, wenn die Mitteilungen Rückschlüsse auf die Person erlauben.(stRspr des BVerwG, vgl. BVerwG, Beschluss vom 1.12.2015 – 20 F 9. 15 –)
Die Aufgabe, auf die die behördlichen Ermittlungen ausgerichtet sind, muss dem Schutz gewichtiger Rechtsgüter dienen. Dies ist vorliegend der Fall, denn die Tätigkeit der Beratungs- und Prüfbehörde nach dem LHeimGS dient letztlich der Verhinderung von Missständen in Einrichtungen für besonders schutzbedürftige Personen und damit der Abwehr von Gefahren für Leib und Leben.
Vorliegend besteht auch kein Anlass, den Informantenschutz in Abrede zu stellen. Informantenschutz greift grundsätzlich unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Angaben. Die zuständige Behörde ist aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr verpflichtet, allen vom Ansatz her sachlich begründeten Hinweisen nachzugehen und muss daher die Vertraulichkeit von Angaben Dritter auch dann wahren dürfen, wenn sich die Hinweise nach Abschluss der Ermittlungen als unzutreffend erweisen sollten. Der Vertraulichkeitsschutz entfällt nur, wenn hinreichend aussagekräftige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Informant wider besseres Wissen oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hat.(BVerwG, Beschluss vom 1.8.2011 -20 F 26.10 -, juris) Das Schreiben vom 24.7.2013, in dem insbesondere die Behandlung des Personals durch den Geschäftsführer der Klägerin, aber auch negative Äußerungen dieser Person hinsichtlich des zuständigen Sachbearbeiters des Beklagten, zu wenig Personal, außerdem Pflegemängel wie falsche Medikamentenvergabe und eine hohe Anzahl von „Wunden“ kritisiert wurden, bietet jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Informationen gewissermaßen „aus der Luft gegriffen“ oder böswillig erfolgt wären. Dies ergibt sich bereits aus der vom Beklagten in dem Ablehnungsbescheid vom 18.9.2013 festgestellten Tatsache, dass die Mitarbeiterfluktuation – wegen seelischer Erkrankungen – in der Einrichtung „in der letzten Zeit“ ganz erheblich war; dies wird zudem durch die im Vermerk vom 18.9.2013 über die Überprüfung festgehaltene Aussage eines Bewohner-Angehörigen bestätigt. Auch wurde bei der anlassbezogenen Überprüfung bei einer Bewohnerin eine verordnungswidrig zu geringe Verabreichung von Schmerzmittel festgestellt. Pflegemängel und Personalmangel wurden dagegen bezogen auf diesen Tag (Stichtag) nicht festgestellt. Von rund 19 Vollzeitkräften wurden – nur – drei u. a. zum Arbeitsklima, das aber kein Prüfungsgegenstand der Heimaufsicht ist, befragt; diese äußerten sich positiv.
Die Sperrerklärung wurde daher vom Fachsenat im Rahmen des § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO durch Einsicht in die zurückgehaltenen Aktenteile daraufhin überprüft, ob der von dem Beklagten allein geltend gemachte Informantenschutz die Verweigerung der Akteneinsicht erfordert.
Vorab ist anzumerken, dass es vertretbar erscheint, dass der Beklagte davon abgesehen hat, die entnommenen Blätter in der Akte durch entsprechend nummerierte Leerseiten zu ersetzen, da die Seitenzahlen der zur Einsichtnahme durch die Klägerin zur Verfügung gestellten Akte das Fehlen der zurückgehaltenen Teile offen legen.
Sodann ist festzustellen, dass das Informanten-Schreiben vom 24.7.2013 mit Anlage (Bl. 1–5 der Akte) personenbezogene Daten im oben genannten Sinne enthält, die aus den dargestellten Gründen der Geheimhaltung bedürfen. Soweit Teile des Schreibens dieses Schutzes nicht bedürfen, hat der Beklagte dem durch die anonymisierte Fassung dieses Schreibens, die sich auf Bl. 6–7 befindet und der Klägerin bereits bei der anlassbezogenen Überprüfung am 26.7.2013 ausgehändigt und damit zur Kenntnis gebracht wurde, Rechnung getragen. Angesichts des Umfangs der personenbezogenen Daten bestehen insofern keine durchgreifenden Bedenken dagegen, dass die Anonymisierung nicht durch eine Schwärzung vorgenommen wurde.
Allerdings hat der Beklagte die anonymisierte Fassung auf Bl. 6–7 ebenfalls als geheimhaltungsbedürftig angesehen, weil der handschriftliche Vermerk auf Bl. 7 den Informanten-Namen enthält. Da dieser Name problemlos hätte geschwärzt werden können, ist die Verweigerung der Vorlage beider Blätter nicht gerechtfertigt.
Die Verweigerung der Vorlage der Aktenteile Bl. 8–24 ist ebenfalls nicht gerechtfertigt, da diese keine personenbezogenen Informanten-Daten enthalten. Ferner ist kein Grund für die Verweigerung der Vorlage der Aktenteile Bl. 25–29 ersichtlich.
Die Verweigerung der Vorlage von Bl. 33 der Akte ist nicht zu beanstanden, da eine Schwärzung der personenbezogenen Informanten-Daten dazu führte, dass eine Seite ohne Informationsgehalt übrig bliebe.(Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.6.2013 - 20 F 10/12 -, juris)
Gleiches gilt auch für die verweigerte Vorlage von Bl. 49–50 der Akte, die umfangreiche Schwärzungen erfordern würden.
Bl. 51 der Akten hingegen enthält keine personenbezogenen Informanten-Daten und lässt daher keinen Grund für die Vorlageverweigerung erkennen.
Die Aktenteile Bl. 54–61 durften zurückgehalten werden. Sie enthalten personenbezogene Informanten-Daten, die teilweise so umfangreiche Schwärzungen erfordern würden, dass kein Informationsgehalt mehr übrig bliebe, zudem enthalten sie zweifach das Schreiben vom 24.7.2013, dessen Anonymisierung, die der Klägerin vorliegt, bereits auf Bl. 6–7 enthalten ist. Insofern kann auf die Ausführungen zu Bl. 1–5 verwiesen werden.
Die Aktenteile Bl. 62–66 wurden entgegen der Mitteilung des Beklagten im Schriftsatz vom 11.1.2016 zwar tatsächlich nicht zurückgehalten; die Sperrerklärung ist insofern unrichtig. Eine die Vorlageverweigerung rechtfertigende Geheimhaltungsbedürftigkeit dieser Aktenteile im Rahmen des Informantenschutzes ist zudem nicht ersichtlich.
Auch die Bl. 69–73 und 76–79 der Akten enthalten keine personenbezogenen Informanten-Daten.
Anders verhält es sich mit den Bl. 80–84 der Akte, die im Wesentlichen das Informanten-Schreiben vom 24.7.2013 mit Anlage wiedergeben und Teile des Berichts über die Überprüfung der Einrichtung (Bl. 80–91) darstellen. Insofern kann auf die obigen Ausführungen zu Bl. 1–5 Akte Bezug genommen werden. Dass der Beklagte insoweit davon abgesehen hat, den Informantenschutz durch umfangreiche Anonymisierung/Schwärzung dieser Seiten durchzuführen, erscheint zumindest vertretbar, zumal sich stattdessen auf den Bl. 80a bis 88a – nicht „86a“, wie im Schreiben des Beklagten vom 11.1.2016 angegeben – der zusammenhängende, das Informanten-Schreiben mit Anlage jedoch – ohne Kenntlichmachung – aussparende Bericht über die Überprüfung der Einrichtung mit der anonymisierten Fassung des Informanten-Schreibens als Anhang (Bl. 88a) befindet. Die Vorlage der Bl. 80–84 der Akte durfte daher verweigert werden.
Anderes gilt hingegen für die Bl. 85–91 der Akte, die keinerlei personenbezogene Informanten-Daten enthalten und – trotz ihrer vom Informationsgehalt her mit Blick auf die Bl. 80a–88a der Akte festzustellenden Entbehrlichkeit – daher nicht der Akte entnommen werden durften.
Das Ergebnis der nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO von der obersten Aufsichtsbehörde geforderten Abwägung war vorliegend hinsichtlich der zu Recht als geheimhaltungsbedürftig eingestuften, personenbezogenen Informanten-Daten enthaltenden Aktenteile rechtlich vorgezeichnet.
Soweit der Senat vorstehend die Geheimhaltungsbedürftigkeit von zurückgehaltenen Aktenteilen unter dem Aspekt des Informantenschutzes verneint hat, steht es dem Beklagten frei, mit auf das jeweilige Dokument bezogener nachvollziehbarer Begründung seiner Geheimhaltungsbedürftigkeit aus anderen Gründen erneut eine Sperrerklärung abzugeben.
Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren vor dem Fachsenat nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht, da es sich im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren um einen unselbständigen Zwischenstreit handelt.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es gleichfalls nicht, weil für dieses Zwischenverfahren eine Gerichtsgebühr nicht anfällt.