Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Saarlandes - 2 A 132/19

Tenor

Der Antrag der Klägerinnen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 23. Januar 2019 – 6 K 237/17 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens tragen die Klägerinnen.

Gründe

I.

Die am … 1981 in I... geborene Klägerin zu 1. und ihre 2011, 2013 und 2016 geborenen Töchter, die Klägerinnen zu 2. bis 4., sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Die Klägerinnen reisten am 28.9.2017 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten Asylanträge.

Zur Begründung ihres Asylbegehrens führte die Klägerin zu 1. im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Wesentlichen aus, sie sei katholische Christin und als Kleinkind getauft worden. Wegen Problemen während der Schulzeit sei sie nicht mehr in die Kirche gegangen. Eine Taufurkunde könne sie nicht vorlegen. Ihr Vater sei Mitglied der CHP. Sie selbst sei nicht Mitglied dieser Partei, habe sich aber engagiert. Sie habe beispielsweise im April 2017 gegen das Referendum protestiert. Anschließend hätten sie Schwierigkeiten bekommen. Sie seien bei diesen Protesten verhaftet worden. Sie habe etwas unterschreiben müssen und sei am nächsten Tag wieder freigelassen worden. Am 18.4.2017 hätte sie im Polizeirevier erneut eine Aussage machen müssen, da ihr Mann nach Deutschland ausgereist sei. Die Behörden hätten vermutet, dass ihr Ehemann illegal in die Türkei zurückgekehrt sei. Ihr Mann sei verdächtigt worden, in Ankara in seinem Büro eine christliche Mission zu betreiben. Diese Vorwürfe seien unberechtigt gewesen. Dort habe ihr Ehemann das Büro in Ankara geschlossen und sie seien nach I... gegangen. Daraufhin habe ihr Ehemann eine Vorladung zu einer Gerichtsverhandlung erhalten. Die Polizei habe ihren Mann mit Haftbefehl gesucht. Sie sei wegen ihrer religiösen Minderheitszugehörigkeit nach Deutschland gekommen. Christen hätten in der Türkei Probleme. Ihre älteste Tochter sei in der Schule in der 1. Klasse gezwungen worden, etwas über islamische Religion zu lernen. Das habe sie nicht gewollt. Des Weiteren seien sie gegen Erdogan. Offiziell habe sie Angst gehabt über ihren Glauben zu sprechen. Sie habe sich um ihre Familie gekümmert, daher habe sie keine Zeit gehabt, ihren Glauben auszuleben. Als Christ habe man Nachteile in der Türkei, deshalb habe sie die Eintragungen in dem Familienregister und in ihrem Nüfus, in denen als Religion Islam eingetragen sei, nicht ändern lassen. Sie seien in ihrer Umgebung nicht als Christen bekannt gewesen. Da gegen sie nichts vorliege, habe sie die Türkei legal verlassen können. Bei ihrer Rückkehr habe sie Angst, verhaftet zu werden. Gegen einen Bekannten laufe wegen der Beteiligung an der Demonstration ein Verfahren. Ob gegen sie in der Türkei ein Verfahren anhängig sei, wisse sie nicht. Die Klägerin zu 3. habe nach der Ausreise ihres Vaters psychische Probleme gehabt. Diese hätten sich in Deutschland gebessert.

Mit Bescheid vom 10.11.2017 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Asylanerkennung, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus ab. Zugleich wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Klägerinnen wurden unter Androhung der Abschiebung in die Türkei zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung aufgefordert. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate befristet. Zur Begründung wurde ausgeführt, aus dem Vortrag der Klägerin zu 1. seien keine zur Ausreise zeitnahen Verfolgungshandlungen mit einem flüchtlingsrechtlich relevanten Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Hinreichende Belege für eine individuelle staatliche Verfolgung aufgrund ihrer Religion seien nicht ersichtlich. Die türkische Verfassung garantiere die Religions- und Gewissensfreiheit; die individuelle Glaubensfreiheit sei in der Praxis weitestgehend gewährleistet. In der Regel seien Christen in der Türkei weder durch den Staat noch durch Dritte wegen ihrer Religionszugehörigkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt. Soweit die Klägerin zu 1. geltend gemacht habe, wegen ihrer Teilnahme an einer Demonstration verhaftet worden zu sein, gebe es keine Hinweise darauf, dass sie deswegen eine irgendwie geartete Bedrohung ihrer Person befürchten müsste. Auch der Umstand, dass sie sich nach der Demonstration noch mehrere Monate in der Türkei aufgehalten habe, spreche eher dafür, dass sie schon selbst keine Verfolgungshandlungen befürchtet habe. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus und für Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor.

Die hiergegen am 27.11.2017 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 23.1.2019 – 6 K 2376/17 – abgewiesen. Zur Begründung ist in dem Urteil ausgeführt, den Klägerinnen stehe weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG noch auf Anerkennung als Asylberechtigte im Sinne von Artikel 16a GG zu, noch könnten sie, hilfsweise, die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG oder, weiter hilfsweise, die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG hinsichtlich der Türkei beanspruchen. Es könne nicht festgestellt werden, dass sie die Türkei aus begründeter Furcht vor politischer Verfolgung verlassen haben. Unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Beklagten im Bescheid vom 10.11.2017 wurde ergänzend ausgeführt, der von der Klägerin zu 1. im Klageverfahren erfolgte weitere Sachvortrag führe zu keiner anderen Beurteilung. Die Klägerinnen seien nicht individuell vorverfolgt ausgereist. Die Behauptung der Klägerin zu 1., sie sei wegen ihres christlichen Glaubens gefährdet, sei unglaubhaft. Nach dem schon in der Anhörung beim Bundesamt detailarmen und wenig schlüssigen Vortrag sei das Gericht bei der informatorischen Anhörung der Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass diese nicht der katholischen Glaubensgemeinschaft angehöre und dieser Glauben kein Teil der persönlichen Identität der Klägerin zu 1. sei. Zunächst habe sie, anders noch als in ihrer Anhörung beim Bundesamt, wo sie angegeben habe, als Kleinkind getauft worden zu sein, in der mündlichen Verhandlung ausgeführten, nicht getauft zu sein. Sie sei auch nicht in der Lage gewesen, Unterlagen vorzulegen, die formal die Zugehörigkeit zur katholischen Glaubensgemeinschaft belegen könnten. Sie habe die christlichen Sakramente nicht gekannt, kein einziges katholisches Gebet aufsagen oder auch nur nennen können und habe ferner auf Frage des Gerichts, wie sie ihren katholischen Glauben lebe, ausgeführt, sich nicht „so für Religion“ zu interessieren. Unabhängig davon hätten die Klägerinnen bei Vorliegen einer christlichen Glaubensüberzeugung in der Türkei nicht zu befürchten, dass ihnen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohe. Nach dem Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei sei die individuelle Religionsfreiheit in der Türkei weitgehend gewahrt. Der seitens der Klägerin zu 1. vorgetragene Zwang der ältesten Tochter, in der Schule etwas über den Islam zu lernen, führe zu keiner anderen Beurteilung. Nicht-staatliche Repressionsmaßnahmen kämen nur vereinzelt vor. Eine für die Gewährung eines subsidiären Schutzstatus erforderliche Gefahrendichte für die Mitglieder der katholischen Glaubensgemeinschaft in der Türkei sei bei Berücksichtigung des verfügbaren Erkenntnismaterials nicht erkennbar. Eine ihr geltende individuelle Verfolgung in der westlichen Millionenstadt Ankara und später I... als ihrem Lebensumfeld habe die Klägerin zu 1. auch zu keinem Zeitpunkt behauptet. Eine Vorverfolgung der Klägerin sei auch bezüglich ihrer - niederschwelligen - Unterstützung der CHP, einer legalen, traditionell in der Türkei tätigen und im Parlament vertretenen Partei, nicht ersichtlich. Im Übrigen sei es ihr nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass sie wegen der von ihr als eine ihrer Unterstützungshandlungen für die CHP angeführten Teilnahme an einer Demonstration anlässlich des Referendums am 16.4.2017 in das Blickfeld der türkischen Sicherheitskräfte geraten sei. Es sei auch nach der mündlichen Verhandlung kein Grund ersichtlich, der die Klägerin zu 1. derart in den Fokus türkischer Sicherheitskräfte hätte rücken lassen können. Sie sei kein Mitglied irgendeiner politischen Organisation gewesen. Es habe sich - bei Wahrunterstellung der Angaben, bezüglich der angeführten youtube-Videos seien Fundstellen nicht angegeben worden - um eine Demonstration mit mehr als einhundert Teilnehmern gehandelt, die Klägerin zu 1. sei nicht gezielt aus der Menge heraus verhaftet worden. Die Angaben seien indes bereits als unglaubhaft anzusehen. In den Angaben in der mündlichen Verhandlung zum Ablauf ihrer kurzzeitigen Verhaftung, die, sofern sie stattgefunden haben sollte, vorrangig darauf abgezielt haben dürfte, vor Ort ein Klima der Abschreckung und Einschüchterung gegenüber der Klägerin zu 1. selbst und eventuellen Gefolgsleuten zu erzeugen - die Klägerin zu 1. selbst sei nach ihrer Freilassung und vor ihrer Ausreise davon ausgegangen, dass gegen sie nichts vorläge -, seien unabhängig von inhaltlichen Steigerungen und Abweichungen zu den Angaben beim Bundesamt Realkennzeichen nicht sicher feststellbar gewesen. Vielmehr seien die Schilderungen in der informatorischen Anhörung auch und gerade hinsichtlich ihrer Verhaftung im Juni 2017 und der nachfolgenden Geschehnisse von fehlenden Komplikationen und fehlender individueller Prägung gekennzeichnet, insbesondere die sprachliche Schilderung des Ablaufs vor und nach der Verhaftung betreffend. Gleichzeitig habe sich die Klägerin zu 1. bezüglich der Umstände und des Ablaufs ihrer Freilassung in Widersprüche zu ihrer Schilderung beim Bundesamt gesetzt. Bezüglich der angeblich aus der Demonstrationsteilnahme folgenden, seitens der Klägerin zu 1. vorgelegten Anklageschrift vom 12.10.2017 sei das Gericht, zumal gefälschte und verfälschte türkische Dokumente jeder Art relativ leicht erhältlich seien, davon überzeugt, dass es sich nicht um ein echtes Originaldokument beziehungsweise eine entsprechende Abschrift hiervon handele. Zum einen sei die Klägerin zu 1. bereits nicht in der Lage gewesen, auch nur annähernd nachvollziehbar zu schildern, wie sie - erst im September/Oktober 2018 - in den Besitz der sie betreffenden Anklageschrift, erhoben nur zwei Wochen nach ihrer legalen Ausreise über den Flughafen I..., gekommen sei. Dies zumal sie beim Bundesamt angegeben habe, von einem aus der Demonstrationsteilnahme herrührenden Verfahren einen Bekannten betreffend zu wissen, indes nicht um ein eigenes. Im Übrigen stimme die - auch - die Klägerin zu 1. namentlich erfassende Anklageschrift sowohl im Aktenzeichen des Ermittlungsverfahrens (2017/1657) als auch des Aktenzeichens der Strafsache vor Gericht (2017/605) exakt mit den entsprechenden Aktenzeichen der Anklageschrift vom 26.1.2017 überein, die der Ehemann der Klägerin zu 1. in seinem Verfahren beim VG Stuttgart (A 3 K 10643/17, das VG Stuttgart hat das Dokument für unecht erachtet) vorgelegt habe. Die Kammer halte es für ausgeschlossen, dass die Aktenzeichen trotz verschiedener mit den jeweiligen Verfahren befassten Staatsanwaltschaften und Gerichte und ohne dass die Verfahren zeitliche, personelle oder rechtliche Verflechtungen aufwiesen, in zwei Parametern genau übereinstimmten. Daraus, dass die Klägerin zu 1. eine unechte Anklageschrift vorgelegt habe, folge - unter Beachtung ihres weiteren Aussageverhaltens - im Übrigen ihre fehlende Glaubwürdigkeit und auch hieraus die Unglaubhaftigkeit ihrer Angaben. Eine plausible Erklärung für die vorstehenden, nicht abschließend aufgezählten Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten sei nicht erkennbar. Der Beklagten sei darin beizupflichten, dass der längere unbehelligte Aufenthalt in der Türkei nach ihrer Freilassung und insbesondere die legale Ausreise über den Flughafen I..., für die die Klägerinnen - mehr als fünf Monate nach der angeblichen kurzfristigen Festnahme der Klägerin zu 1. anlässlich ihrer Demonstrationsteilnahme und nur rund zwei Wochen vor der angeblichen Anklageerhebung - die offiziellen Ausreisegrenzkontrollen durchlaufen mussten, deutlich gegen ein staatliches Verfolgungsinteresse sprächen. Insgesamt könne der Klägerin zu 1. damit nicht geglaubt werden, dass sie in der Türkei gesucht worden sei bzw. aktuell werde. Es sei auch nicht erkennbar, dass sie wegen ihrer niederschwelligen Unterstützungsleistungen für die CHP landesweit in das Blickfeld der türkischen Sicherheitsbehörden geraten sein sollte, zumal ihr Vater in der Türkei weiterhin unbehelligt seinen politisch herausgehobeneren Tätigkeiten nachgehe, nach der Klägerin zu 1. aber seitens türkischer Sicherheitskräfte nach ihren eigenen Angaben seit ihrer Ausreise keinerlei Nachfrage bei ihm erfolgt sei. Nachfluchtgründe, die eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr der Klägerinnen in Gestalt einer flüchtlingsrechtlich relevanten Rückkehrergefährdung nach sich ziehen könnten, seien ebenfalls nicht festzustellen. Eine Gefährdung der Klägerinnen aus individuellen Vorfluchtgründen scheide schon im Ansatz aus, nachdem, wie dargelegt, nicht glaubhaft sei, dass sie individuell in das Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraten seien. Eine beachtlich wahrscheinliche Gefahr politischer Verfolgung anlässlich der Rückkehr wegen der - angeblichen - katholischen Religionszugehörigkeit oder wegen der Durchführung eines Asylverfahrens bestehe ebenfalls nicht. Trotz der in den Auskünften zum Teil berichteten Ausweitung der Einreisekontrollen sei nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen eine asylrechtsrelevante bzw. flüchtlingsrechtlich relevante Verschärfung oder Verschlechterung der Behandlung zurückkehrender Asylbewerber nicht festzustellen. Anderes folgt auch nicht in Zusammenschau mit dem Vortrag und Schicksal ihres Ehemannes, den betreffend die Ablehnung von Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz, Gewährung von subsidiärem Schutz und dem Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG rechtskräftig negativ entschieden sei. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerinnen allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden der Gefahr einer landesweiten Gruppenverfolgung unterlegen hätten. Es entspreche der ständigen Rechtsprechung der saarländischen Verwaltungsgerichte, dass Kurden in der Vergangenheit keiner Gefahr einer landesweiten Gruppenverfolgung unterlegen hätten, weil ihnen jedenfalls in den westlichen Landesteilen der Türkei, insbesondere in den dortigen Großstädten, grundsätzlich ein Leben ohne Verfolgung möglich gewesen sei und sie dort regelmäßig eine, wenngleich möglicherweise nur bescheidene, Existenzgrundlage hätten finden können. Die verschärfte Lage in der Türkei reiche für die Annahme nicht aus, dass ethnische Kurden bzw. Kurden aus den überwiegend kurdisch besiedelten südöstlichen Landesteilen nunmehr landesweit Gefahr laufen würden, Opfer asylerheblicher bzw. flüchtlingsrechtlich relevanter Rechtsgutsverletzungen in Anknüpfung an ihre Volkszugehörigkeit zu werden. Unabhängig davon, wie die Situation in den grenznahen, überwiegend kurdisch bewohnten Orten in der Zeit der Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen kurdischen und staatlichen Kräften von Herbst/Winter 2015 bis Frühjahr/Frühsommer 2016, während der es in verschiedenen Orten zur Verhängung von Ausgangssperren gekommen und für die von massiven Menschenrechtsverletzungen seitens der staatlichen Sicherheitskräfte vor Ort berichtet worden sei, rechtlich zu bewerten sei und unabhängig davon, wie sich die Situation derzeit darstelle, nachdem die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischenzeitlich abgeflaut seien, die verhängten Ausgangssperren aufgehoben und mit dem Wiederaufbau zerstörter Bausubstanz begonnen worden sei, verbleibe es dabei, dass Kurden nach wie vor jedenfalls eine Ausweichmöglichkeit in westliche Landesteile der Türkei, insbesondere in die dortigen Großstädte und auch in die Tourismusgebiete an der Küste, in denen sie vor allein an ihre Ethnie anknüpfende Verfolgungsmaßnahmen hinreichend sicher seien, offen stehe. Eine beachtlich wahrscheinliche Gefahr politischer Verfolgung wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit oder wegen der Durchführung eines Asylverfahrens bei der Rückkehr bestehe ebenfalls nicht. Trotz der in den Auskünften zum Teil berichteten Ausweitung der Einreisekontrollen sei nach den vorliegenden Erkenntnissen eine asylrechtsrelevante bzw. flüchtlingsrechtlich relevante Verschärfung oder Verschlechterung der Behandlung zurückkehrender Asylbewerber kurdischer Ethnie nicht festzustellen. Den Klägerinnen stehe auch nicht der von ihnen hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG zu. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines weiter hilfsweise geltend gemachten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG seien ebenfalls nicht erfüllt.

Gegen das ihnen am 7.2.2019 zugestellte Urteil haben die Klägerinnen am 7.3.2019 die Zulassung der Berufung beantragt.

II.

Dem nach § 78 Abs. 2 Satz 1 AsylG statthaften Antrag der Klägerinnen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 23.1.2019 – 6 K 2376/17 –, mit dem ihre Verpflichtungsklage auf Anerkennung als Asylberechtigte (Art. 16a GG) und Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes (§ 3 AsylG) beziehungsweise, jeweils hilfsweise, des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) sowie auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG durch die Beklagte abgewiesen wurde, kann nicht entsprochen werden. Das den Prüfungsumfang im Zulassungsverfahren begrenzende Vorbringen der Klägerinnen in der Antragsbegründung (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) vom 7.3.2019 rechtfertigt die begehrte Zulassung des Rechtsmittels nicht.

1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Sache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ergibt sich aus diesen Darlegungen nicht.

Eine Rechtssache hat nur grundsätzliche Bedeutung, wenn sie zumindest eine im angestrebten Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.(vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 2.5.2019 – 2 A 184/19 –, Leitsatz Nr. 14 in der Übersicht „Spruchpraxis“ auf der Homepage des Gerichts, Seite 17, m.z.w.N.)

Die von den Klägerinnen aufgeworfenen Fragen „ob zum Nachweis einer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Glaubensgemeinschaft verlangt werden kann, dass Urkunden vorgelegt werden, aus denen sich diese Zugehörigkeit ergibt“ und „ob die Zugehörigkeit zum Christentum erfordert, dass jemand die christlichen Sakramente kennt und katholische Gebete aufsagen muss“ würden sich in einem zuzulassenden Berufungsverfahren - abgesehen davon, ob sie überhaupt in dieser Allgemeinheit klärungsfähig und klärungsbedürftig wären - schon deshalb nicht stellen, weil sie nicht entscheidungserheblich wären. Das Verwaltungsgericht hat sowohl die Asylanerkennung und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als auch die Gewährung des subsidiären Schutzes sowie das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht ausschließlich deshalb abgelehnt, weil die Klägerin zu 1. nicht in der Lage gewesen ist, Unterlagen vorzulegen, die formal die Zugehörigkeit zur katholischen Glaubensgemeinschaft hätten belegen können und sie darüber hinaus weder christliche Rituale noch Glaubensbekenntnisse hat nennen können. Das erstinstanzliche Gericht hat vielmehr zusätzlich darauf abgestellt, dass den Klägerinnen selbst bei Unterstellung einer christlichen Glaubensüberzeugung in der Türkei keine Verfolgung droht, weil der Auskunftslage zufolge die individuelle Religionsfreiheit in der Türkei weitgehend gewährleistet ist und eine erforderliche Gefahrendichte für die Mitglieder der katholischen Glaubensgemeinschaft in der Türkei bei Berücksichtigung des verfügbaren Erkenntnismaterials nicht erkennbar ist. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist damit insoweit auf zwei selbständig tragende Begründungen gestützt. Infolgedessen kann die Berufung nur dann zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht ist und vorliegt.(vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 27.11.2019 - 2 A 287/19 - Nr. 89 der Leitsatzübersicht für das 2. Halbjahr 2019 auf der Homepage des Gerichts (Aktuelle Meldungen/Spruchpraxis); Bayerischer VGH, Beschluss vom 14.11. 2016 – 9 ZB 16.30 -; OVG Münster, Beschluss vom 23. 1 2019 – 4 A 259/19.A –, juris) Liegt nämlich nur für eine der mehreren selbständig tragenden Begründungen ein Zulassungsgrund vor, dann kann diese Begründung hinweg gedacht werden, ohne dass sich am Entscheidungsergebnis etwas ändert. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen hat jedoch im Hinblick auf die Ausführungen des Gerichts zur fehlenden Verfolgungsgefährdung bei Wahrunterstellung der Zugehörigkeit zum christlichen Glauben keinen Zulassungsgrund dargetan, der den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt. Sie behauptet lediglich, es sei bekannt, dass in der Türkei eine systematische Unterdrückung von Andersgläubigen erfolge, und weist auf einen „Online-Genealogie-Dienst“ hin, den der türkische Staat anbiete, womit die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft festgestellt werden könne. Konkrete Erkenntnisquellen, die die Einschätzung des Verwaltungsgerichts mit Gewicht in Frage stellen könnten, benennt sie aber nicht, sondern stellt nur eine Beweiserhebung durch Einholung einer Stellungnahme des Auswärtigen Amtes in Aussicht. Damit wenden sich die Klägerinnen im Ergebnis gegen die Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht und stellen ihre eigene Auffassung derjenigen des Verwaltungsgerichts gegenüber, womit jedoch kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen wird.

2. Auch der geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) im erstinstanzlichen Verfahren liegt offensichtlich nicht vor. Dem Gebot zur Gewährung rechtlichen Gehörs vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG, §§ 108 Abs. 2, 138 Nr. 3 VwGO, 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) genügt das Verwaltungsgericht regelmäßig, wenn es sich in seinem Urteil mit dem wichtigsten, nach seiner Auffassung für die Entscheidung relevanten Beteiligtenvorbringen auseinandergesetzt hat. Ein Verstoß gegen das Gehörsgebot und damit eine Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften kann erst angenommen werden, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches, für die Entscheidung wesentliches Vorbringen eines Beteiligten vom Gericht entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurde oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist. Ob die Sachverhaltsbeurteilung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis zutreffend ist oder nicht, ist keine Frage des Verfahrensrechts unter dem Aspekt des rechtlichen Gehörs. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht ferner insbesondere nicht, dem Tatsachenvortrag beziehungsweise seiner (abweichenden) Bewertung durch einen Verfahrensbeteiligten zu folgen. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen.(vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris)

Die Klägerinnen können einen Gehörsverstoß nicht mit Erfolg darauf stützen, dass das Verwaltungsgericht einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt habe, soweit es eine Vorverfolgung der Klägerin zu 1. wegen ihrer - niederschwelligen - Unterstützung der CHP verneint hat. Sie halten der Feststellung des Gerichts entgegen, die Klägerin zu 1. habe vorgetragen, dass sie gegen die AKP-Regierung und gegen Erdogan sei und deswegen - und nicht wegen der Unterstützung der CHP - an Protestorganisationen teilgenommen habe. Abgesehen davon, dass die Klägerin zu 1. sowohl bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt der Beklagten am 24.10.2017 (vgl. S. 4 des Protokolls) als auch bei ihrer Befragung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht (vgl. S. 5 f. des Protokolls) angegeben hatte, sie sei zwar nicht Mitglied der CHP gewesen, habe sich aber - wie ihre Familie auch - „dort engagiert“ und z.B. am 16.4.2017 an Protesten gegen das Referendum teilgenommen, hat das Verwaltungsgericht sich, wie aus den Urteilgründen ersichtlich (vgl. Urteilsabdruck S.11), umfassend mit den Asyl- bzw. Fluchtgründen der Klägerin zu 1. auf der Grundlage ihres Vortrages auseinander gesetzt und dieses unter allen relevanten Aspekten gewürdigt. Es hat dabei insbesondere auch, die - von der Klägerin zu 1. als eine ihrer Unterstützungshandlungen für die CHP angeführte - Teilnahme an einer Demonstration anlässlich des Referendums am 16.4.2017 gewürdigt, aber letztlich nicht die nach § 108 Abs. 1 VwGO erforderliche Überzeugungsgewissheit gewinnen können, dass sie deswegen in den Fokus türkischer Sicherheitskräfte geraten ist. Die Klägerinnen kritisieren letztlich auch insoweit mit der Zulassungsbegründung die tatrichterliche Sachverhaltswürdigung durch das Verwaltungsgericht. Dies ist aber nach § 78 Abs. 3 AsylG kein Grund für die Zulassung der Berufung.

Die Klägerinnen rügen in der Zulassungsbegründung des Weiteren ohne Erfolg einen Verstoß gegen die Pflicht des Verwaltungsgerichts zur Aufklärung des Sachverhalts, indem sie geltend machen, das Verwaltungsgericht hätte nicht ohne weitere Ermittlungen von der Unechtheit der vorgelegten Anklageschrift ausgehen dürfen, sondern eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes einholen müssen. Der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht im verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist in aller Regel genügt, wenn ein rechtskundig vertretener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung keine konkreten (förmlichen) Beweisanträge zu einem bestimmten Thema gestellt hat. Die Rüge einer unzureichenden Sachaufklärung in einem Berufungszulassungsverfahren stellt kein geeignetes Mittel dar, um von dem die Zulassung des Rechtsmittels begehrenden Beteiligten in erster Instanz nicht gestellte Beweisanträge zu ersetzen.(vgl. Beschluss des Senats vom 7.11. 2019 – 2 A 301/18 –, juris) Den anwaltlich vertretenen Klägerinnen hätte es aber offen gestanden, in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht einen förmlichen Beweisantrag zur Frage der Echtheit der vorgelegten Anklageschrift zu stellen. Tatsächlich hatte der in der mündlichen Verhandlung anwesende Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 23.1.2019 - auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts - aber lediglich einen Schriftsatznachlass beantragt und auch erhalten, wobei in der gesetzten Frist und danach allerdings keine weitere Stellungnahme der Klägerinnen eingegangen ist. Das Eingehen auf die in der Zulassungsbegründung angekündigte Vorlage von angeblich angeforderten „amtlichen Schriftstücken“ erübrigt sich daher. Dem Verwaltungsgericht hätte sich jedenfalls anhand der konkreten Einzelfallumstände (vgl. (S. 11 f. des Urteilsabdruck), aufgrund derer das Gericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass es sich nicht um ein echtes Originaldokument beziehungsweise eine entsprechende Abschrift hiervon handelt, keine weitere Sachverhaltsermittlung in Form einer Beweiserhebung aufdrängen müssen.

Ob die erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts bezogen auf den Einzelfall im Ergebnis richtig ist oder nicht, spielt im Zulassungsverfahren nach dem § 78 AsylG, in dem es anders als in Allgemeinverfahren (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) nicht um Einzelfallgerechtigkeit geht, keine Rolle. Die in dieser Vorschrift gegenüber dem Regelverfahren durch eine abschließende Aufzählung von Gründen für die Zulassung der Berufung in Asylsachen nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 bis Nr. 3 AsylG eingeschränkte Rechtsmittelzulässigkeit verdeutlicht, dass der Gesetzgeber den gerichtlichen Rechtsschutz in Asylverfahren in aller Regel auf eine Instanz beschränkt hat.

Von einer weiteren Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 100 ZPO, 83b AsylG. Der Gegenstandswert des Verfahrens folgt aus dem § 30 Abs. 1 RVG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

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