Beschluss vom Sächsisches Oberverwaltungsgericht (3. Senat) - 3 L 382/18

Gründe

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I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 5. Kammer - vom 9. August 2018 hat keinen Erfolg.

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1. Die Berufung ist nicht wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG zuzulassen. Die in der Zulassungsschrift hierzu gemachten Ausführungen geben keinen Anlass zu der Annahme, das Gericht habe in der angegriffenen Entscheidung gegen die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs im Sinne des § 138 Nr. 3 VwGO verstoßen.

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Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, damit das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 2018 - 2 BvR 2026/17 -, juris Rn. 14 m. w. N.; im Übrigen auch BVerwG, Beschluss vom 28. März 2011 - 8 B 44.10 -, juris Rn. 17).

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Nach diesen Grundsätzen ist eine Gehörsverletzung vorliegend nicht festzustellen.

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a) Das Verwaltungsgericht hat die Klage des aus der afghanischen Provinz (Maydan) Wardak stammenden Klägers abgewiesen und hierbei hinsichtlich des (hilfsweise) geltend gemachten Anspruchs auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgeführt, dass er nach der Überzeugung des Gerichts im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt sei. Denn die Wahrscheinlichkeit, im Jahr 2017 Opfer eines Anschlages in der Provinz Wardak zu werden, habe bei einer geschätzten Einwohnerzahl von 606.077 bei 0,014 % und folglich noch weit unterhalb der als beachtlich angenommenen Schwelle von 1:800 (entsprechend 0,125 Prozent) pro Jahr gelegen. Für die Verhältnisse in der Provinz Kabul gelte bei einer geschätzten Einwohnerzahl von 9.000.000 nichts anderes (0,020 %).

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Dem Kläger stehe auch der geltend gemachte Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht zu. Es sei davon auszugehen, dass jedenfalls für alleinstehende, arbeitsfähige, männliche afghanische Staatsangehörige ohne Ausbildung, die nicht auf die Hilfe von Verwandten oder Bekannten zurückgreifen könnten, grundsätzlich die Möglichkeit bestehe, als Tagelöhner mit Aushilfsjobs ein Existenzminimum zu erwirtschaften. Diese Ansicht werde von der überwiegenden Zahl der Obergerichte geteilt (BayVGH, Beschluss vom 18. Dezember 2017 - 13a ZB 17.31473 und Beschluss vom 30. September 2015 - 13a ZB 15.30063 -, juris; Urteil vom 12. Februar 2015 - 13a B 14.30309 -, juris; OVG NRW, Urteil vom 3. März 2016 - 13 A 1828/09.A -, juris Rn. 73 m. w. N.; Nds. OVG, Beschluss vom 4. Januar 2018 - 9 LA 160/17 und Urteil vom 20. Juli 2015 - 9 LB 320/14 -, juris; SächsOVG, Beschluss vom 21. Oktober 2015 - 1 A 144/15.A -, juris) und folge aus bestimmten Erkenntnismitteln (Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 31. Mai 2018 sowie vom 28. Juli 2017; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Die aktuelle Sicherheitslage, Update vom 30. September 2016 sowie vom 14. September 2017; UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern, Dezember 2016; UNOCHA, Human Needs Overview 2017, November 2016). Das Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28. März 2018 stehe dieser Einschätzung nicht entgegen.

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Der Kläger - so das Verwaltungsgericht weiter - gehöre der o.g. Gruppe alleinstehender Männer bereits nicht an. Seine noch in Afghanistan lebenden Eltern würden zwar ständig ihren Wohnsitz wechseln. Allerdings habe er vorgetragen, etwa alle zwei Monate Kontakt zu seinen Eltern zu haben. Es sei deshalb davon auszugehen, dass er im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan auf die Unterstützung seiner Verwandten zurückgreifen könne, etwa dergestalt, dass sie ihn zumindest vorübergehend bei sich aufnehmen würden. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass der in der mündlichen Verhandlung „selbstbewusst, tough und bestimmt“ auftretende Kläger über die notwendige Eigeninitiative und Durchsetzungsfähigkeit verfüge, um sich wieder in die afghanische Gesellschaft einzugliedern.

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b) Der Kläger macht demgegenüber unter Punkt A. II. 1. der Zulassungsschrift geltend, das Gericht habe das rechtliche Gehör verletzt, weil es keinerlei Ausführungen dazu gemacht habe, wie er in seine Herkunftsregion gelangen soll. Ankunftsort bei einer möglichen Rückkehr sei Kabul. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass es ihm gefahrlos gelingen werde, von dort in seine Herkunftsregion zu gelangen. Denn ausweislich des Gutachtens von Frau Stahlmann vom 28. März 2018 (S. 165 ff.) seien Landfahrten in Afghanistan gefährlich.

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In welcher Weise das Gericht hierdurch einen Gehörsverstoß im Sinne des § 138 Nr. 3 VwGO begangen haben soll, legt der Kläger nicht nachvollziehbar dar. Soweit er hiermit geltend machen wollte, das angefochtene Urteil sei im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit einer Begründung versehen, ist dem nicht zu folgen. Zwar ist ein Urteil auch dann (im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO) nicht mit Gründen versehen, wenn eine Begründung überhaupt unterblieben oder unverständlich oder verworren ist, wenn sich der Entscheidung die maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen und die sie tragenden rechtlichen Erwägungen nicht - auch nicht kurz und knapp - entnehmen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1993 - 2 C 14.91 -, juris Rn. 29 m. w. N.). Davon kann hier indes ersichtlich nicht gesprochen werden. Der Kläger wendet sich in Wirklichkeit gegen die aus seiner Sicht unzureichende Darstellung der Gründe; daraus lässt sich ein Begründungsmangel im Sinn von § 138 Nr. 6 VwGO aber nicht herleiten.

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Letztlich macht der Kläger mit seinen diesbezüglichen Überlegungen geltend, dass er entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt sei. Hiermit rügt er der Sache nach ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils stellen allerdings nach der gegenüber § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorrangigen und abschließenden Regelung des § 78 Abs. 3 AsylG im Asylklageverfahren keinen Berufungszulassungsgrund dar (vgl. etwa OVG LSA, Beschluss vom 15. Februar 2016 - 3 L 20/16 -; BayVGH, Beschluss vom 21. Dezember 2012 - 13a ZB 12.30423 -, juris).

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Abgesehen davon trifft es zwar zu, dass bei Rückkehrern in ihre Heimat auch gefahrerhöhend im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG zu berücksichtigen ist, ob sie ihre Heimatprovinz nur über (gefährliche) Hauptverkehrsstraßen oder über andere gefährliche Provinzen erreichen können. Allerdings muss der Kläger bei einer Rückkehr von Kabul in seine Heimatprovinz Wardak keine anderen Provinzen queren. Denn die Provinz Wardak grenzt im Nordosten direkt an die Provinz Kabul. Im Übrigen hat der Kläger ausweislich der Niederschrift über seine am 10. Oktober 2016 erfolgte Anhörung beim Bundesamt (Bl. 10 ff. des Verwaltungsvorgangs) angegeben, dass er sich zuletzt in dem Destrikt Jalrez aufgehalten habe. Dieser im Osten der Provinz Wardak gelegene Destrikt ist von Kabul ca. 60 km entfernt. Dass sich auch dieser Teil der von Kabul in die Provinz Wardak führenden Verbindungsstraße als besonders gefährlich erweist, lässt sich den von der Zulassungsschrift zitierten Passagen im Gutachten von Frau Stahlmann, mit denen ganz allgemein die „Risiken des Reisens“ beschrieben werden, nicht entnehmen. Ebenso wenig folgt dies aus der auf Seite 4 der Zulassungsschrift befindlichen Übersicht über Anschläge und Sperrungen auf bestimmten afghanischen Fernstraßen; die Provinz Wardak wird dort nicht erwähnt. Soweit in der Rechtsprechung im Übrigen ausgeführt wird, dass sich insbesondere die Verbindungsstraße über Wardak als unsicher erweise, steht dies im Zusammenhang mit gezielten Angriffen auf Hazara durch regierungsfeindliche Kräfte (vgl. etwa VGH BW, Urteil vom 5. Dezember 2017 - A 11 S 1144/17 -, juris Rn. 148 f. m. w. N. ). Dieser Volksgruppe (der Hazara) gehört der Kläger indes nicht an.

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c) Der Kläger trägt unter Punkt A. II. 2. der Zulassungsschrift weiter vor, dass sich das Gericht bei der Frage, ob die Schaffung einer Existenzgrundlage auch ohne externe Unterstützung gelingen könne, ausschließlich mit veralteten Erkenntnissen auseinandergesetzt habe. Denn die vom Verwaltungsgericht zitierten gerichtlichen Entscheidungen nähmen allenfalls Erkenntnisse aus dem Jahr 2017 in Bezug. Der Bericht des USDOS (US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2017, Afghanistan, 20. April 2018) und „der neue Lagebericht des Auswärtigen Amtes“ seien demgegenüber nicht berücksichtigt worden. Gleiches gelte für den aktuellen Sicherheitsreport von EASO aus Mai 2018. Dort werde auf S. 35 davon berichtet, dass sich die humanitäre Lage in Kabul seit 2017 gerade aufgrund des Zustroms von über einer Million Rückkehrern und mehreren Zehntausend Binnenflüchtlingen signifikant verschlechtert habe und dass bei dem Kampf um das Überleben familiäre Netzwerke und Beziehungen eine alles entscheidende Rolle spielten. Die Integrationsfähigkeit der Stadt sei praktisch erschöpft. Alleinstehende Rückkehrer seien akut von Hunger bedroht. Aus diesem Grunde habe der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im September 2018 Beweis erhoben über die Frage, welche Aussagekraft statistische Erhebungen für die Möglichkeit alleinstehender gesunder, junger Männer ohne familiäre oder sonstige Netzwerke zur Sicherung bei einer Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere Kabul, habe.

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Mit diesem Vortrag rügt der Kläger der Sache nach keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern der gerichtlichen Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO. Auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO (hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 8. Mai 1984 - 9 C 141.83 -, juris) kann jedoch im Asylverfahren ein Antrag auf Zulassung der Berufung wegen Verfahrensfehlern nicht gestützt werden, weil dieser Zulassungsgrund in § 138 VwGO, auf den § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG abschließend verweist, nicht genannt ist (vgl. Beschluss des Senates vom 17. Mai 2016 - 3 L 177/15 -, juris Rn. 9 m. w. N.; OVG BB, Beschluss vom 30. Juli 2012 - 10 N 53.12 -, juris Rn. 4 m. w. N.).

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Abgesehen davon legt der Kläger auch nicht dar, welchen „neuen“ Lagebericht des Auswärtigen Amtes das Verwaltungsgericht unberücksichtigt gelassen haben soll. Tatsächlich hat das Gericht den - soweit ersichtlich - aktuellsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31. Mai 2018 in den Blick genommen und bei seiner Entscheidung berücksichtigt (siehe Urteilsabdruck, S. 12). Hinsichtlich des Berichts des US Department of State vom 20. April 2018 legt er zudem nicht dar, was Inhalt dieses Erkenntnismittels sein soll und aus welchen Gründen der Inhalt dieses Berichts geeignet ist, die Feststellungen des Verwaltungsgerichts in Zweifel zu ziehen.

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Aus dem Sicherheitsreport von EASO aus Mai 2018, wonach „familiäre Netzwerke und Beziehungen eine alles entscheidende Rolle“ spielten, vermag der Kläger nichts zu seinen Gunsten abzuleiten. Im Gegenteil: Ausweislich der - mit der Zulassungsschrift nicht weiter angegriffenen - Feststellungen des Verwaltungsgerichts leben seine Eltern noch in Afghanistan. Darüber hinaus lässt sich seinen vorprozessualen Angaben entnehmen, dass jedenfalls während seiner am 10. Oktober 2016 erfolgten Anhörung vor dem Bundesamt noch eine Schwester und zwei jüngere Brüder in Afghanistan gelebt haben (vgl. Bl. 11 des Verwaltungsvorgangs). Der Kläger verfügt mithin über ein familiäres Netzwerk, auf das er bei einer Rückkehr zurückgreifen kann. Im Übrigen hat auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zwischenzeitlich entschieden, dass im Falle leistungsfähiger, erwachsener Männer ohne Unterhaltsverpflichtung und ohne bestehendes familiäres oder soziales Netzwerk bei der Rückkehr aus dem westlichen Ausland in Kabul weder die Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG noch diejenigen nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sind (VGH BW, Urteil vom 12. Oktober 2018 - A 11 S 316/17 -, juris).

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d) Ohne Erfolg macht der Kläger unter Punkt A. III. der Zulassungsschrift unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. April 2018 (- 2 BVR 2435/17 -, juris) auch geltend, es bestehe wegen der stetigen Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan in den letzten zwei Jahren die Gefahr, dass die Schwelle des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG überschritten sein könnte, weshalb die Gerichte verpflichtet seien, sich laufend über die tatsächlichen Entwicklungen zu unterrichten und nur auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse zu entscheiden. Denn auch insoweit rügt er lediglich eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO.

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Auch der Hinweis auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018, wonach Kabul generell „keine interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative“ biete, hilft in diesem Zusammenhang nicht weiter. Dies gilt schon deshalb, weil das Verwaltungsgericht den geltend gemachten Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht mit der Begründung abgelehnt hat, dem Kläger stehe eine inländische Fluchtalternative in sichere Landesteile (interner Schutz nach § 3e AsylG) zur Verfügung. Es ist vielmehr davon ausgegangen, dass der Kläger im Fall einer Rückkehr in seine Heimatprovinz (bereits) keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt sei. Auf die Frage des Bestehens einer „inländischen Fluchtalternative“ im Sinne des § 3e AsylG kommt es in diesem Fall nicht mehr an. Abgesehen davon enthält die UNHCR-Richtlinie vom 30. August 2018 keine wesentlich neuen Erkenntnisse; auch dort wird hinsichtlich der Opferzahlen lediglich auf die aktuellen UNAMA-Berichte Bezug genommen (hierzu auch Beschluss des Senates vom 24. Oktober 2018 - 3 L 393/18 -, zur Veröffentlichung in juris vorgesehen).

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Hat der Kläger mithin nicht darzulegen vermocht, dass das Gericht in der angegriffenen Entscheidung gegen die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs im Sinne des § 138 Nr. 3 VwGO verstoßen hat, kommt es auf die weiteren Ausführungen unter Punkt A. III. der Zulassungsschrift zur angeblichen Entscheidungserheblichkeit der Frage, ob die Schaffung einer Existenzgrundlage in Kabul auch ohne externe Unterstützung gelingen könne, nicht mehr an. Abgesehen davon fehlt es vorliegend gerade an der „Entscheidungserheblichkeit“ der aufgeworfenen Frage, weil der Kläger ausweislich der Feststellungen des Verwaltungsgerichts auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen kann.

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2. Der Kläger hat auch den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt.

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„Grundsätzliche Bedeutung“ im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Januar 2016 - 4 A 2103/15.A -, juris). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist daher nur dann im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 9. Oktober 2015 - 8 LA 146/15 -, juris).

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Hieran gemessen wird die Zulassungsschrift den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht gerecht.

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Der Antragsschrift wirft unter Punkt B. der Zulassungsschrift die Fragen auf, ob

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„ein afghanischer Rückkehrer aus dem Ausland ohne Vermögen und ohne Hilfe eines familiären Netzwerkes in Afghanistan eine reale Chance hat, nach einer Rückkehr nach Afghanistan das Existenzminimum zu sichern“,

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„die Ermittlung der Gefahrendichte bei Afghanistan im Wesentlichen aufgrund der Opferzahlen ermittelt werden kann“,

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„unter den Begriff ‚Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit‘ gem. § 4 Absatz 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG auch die durch den anhaltenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ausgehende Gefahr der psychischen Erkrankung zu fassen ist, und wenn ja, ob diese in die quantitative Bestimmung des Risikos einfließt, also mit physischen Folgen gleichzusetzen sind“ und ob

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„für die Feststellung des ‚real risk‘ auch die Dauer des Konfliktes und eine Zukunftsprognose einzubeziehen ist“.

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a) Auf die erste Frage kommt es nicht entscheidungserheblich an, weil das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung davon ausgegangen ist, dass der Kläger über ein familiäres Netzwerk - seine Eltern - verfügt. Damit unterscheidet sich seine Situation von der in der Frage beschriebenen Zielgruppe. Mit dieser Besonderheit setzt sich die Zulassungsschrift nicht weiter auseinander.

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b) Auch hinsichtlich der weiteren drei auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG bezogenen Fragestellungen wird die Zulassungsschrift den Darlegungsanforderungen nicht gerecht.

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aa) Das Vorbringen ist hinsichtlich der Frage, welche Anforderungen an die Ermittlung der Gefahrendichte im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG in qualitativer und quantitativer Hinsicht zu stellen sind, schon widersprüchlich und damit (insgesamt) unschlüssig.

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Der Kläger macht zum einen unter Punkt B. II. (Seite 8 bis 11) der Zulassungsschrift unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. April 2018 (a. a. O.), eine Auskunft von Amnesty International vom 5. Februar 2018 und das Gutachten von Frau Stahlmann vom 28. März 2018 (Seite 175) geltend, dass eine verlässliche Ermittlung der Opferzahlen und Einwohnerzahlen in Afghanistan „unmöglich“ sei, da es aufgrund mangelhafter Auskunftslage sowohl an gesicherten Einwohnerzahlen als auch belastbaren Opferzahlen fehle. Ohne das erforderliche Zahlenmaterial sei eine „wertende Gesamtbetrachtung“ vorzunehmen, wie sie das Verwaltungsgericht Cottbus in seinem Beschluss vom 17. Januar 2018 (- 6 L 322/16.A -, juris) für das Herkunftsland Somalia angestellt habe.

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An anderer Stelle (Seite 11 f. der Zulassungsschrift) fordert er in Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 11. April 2018 (- A 11 S 924/17 -, juris) die Berücksichtigung psychischer Erkrankungen als Folge eines anhaltenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts, und zwar nicht erst - wie vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg angenommen - „im Rahmen der Gesamtbetrachtung“, sondern bereits bei der quantitativen Betrachtung. Unter Punkt B. III. der Zulassungsschrift führt er hierzu aus, es gebe „Methoden der statistischen, d.h. quantitativen Erfassung von psychischen Verletzungen infolge eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes [gebe], die akkurat [seien], selbst wenn es mangels statistischer Erfassungsmöglichkeiten in Afghanistan kein Zahlenmaterial [gebe], mit dem auch Nichtfachleute unter Anwendung eines einfachen Dreisatzes auf ein in Prozent der Bevölkerung lautendes Ergebnis kommen könnten“; die Zahl der psychisch Verletzten stelle eine Größe dar, die nicht in eine qualitative Gesamtbetrachtung einzustellen, sondern „Ausgangsmaterial für die quantitative Berechnung des ‚real risk‘ [sei]“, siehe Zulassungsschrift, S. 14 (erster Absatz). Der Kläger geht mithin davon aus, dass für die Verhältnisse in Afghanistan die Feststellung des Gewaltniveaus (im Sinne einer quantitativen Ermittlung der physisch und psychisch Verletzten und getöteten Zivilpersonen) tatsächlich möglich ist.

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Dieses Vorbringen ist widersprüchlich. Der Kläger kann nicht das Fehlen einer verlässlichen Datenbasis zu den Opfer- und Einwohnerzahlen in Afghanistan bemängeln und deshalb eine „wertende Gesamtbetrachtung“ fordern, um dann wenig später mit Blick auf das Vorhandensein psychischer Verletzungen gleichwohl eine quantitative Berechnung für möglich zu halten. Dieses Vorbringen bleibt auch unverständlich, weil zu den physisch Verletzten Datenmaterial vorhanden ist, während der Kläger konkrete Zahlen psychisch Verletzter - insbesondere für seine Herkunftsregion - nicht zu benennen vermochte.

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Der Kläger hat ungeachtet dessen auch nicht substantiiert dargelegt, um welche „Methoden der statistischen, d.h. quantitativen Erfassung von psychischen Verletzungen infolge eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes“ es sich handeln soll und zu welchen Ergebnissen diese Methoden im konkreten Fall führen. Entsprechend geht der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg nachvollziehbar davon aus, dass die kumulativen Effekte lang andauernder bewaffneter Konflikte, zu denen auch psychische Erkrankungen als Folge der dauerhaften Bedrohungssituation gehören, mangels einer angemessenen statistischen Erfassung nicht bei der quantitativen Betrachtung, sondern allenfalls bei der qualitativen Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen sind (VGH BW, Urteile vom 11. April 2018 sowie vom 12. Oktober 2018, jeweils a. a. O.). Auch Stahlmann stellt in dem vom Kläger zitierten Gutachten vom 28. März 2018 zum Punkt „kriegsbedingt psychisch Erkrankte“ (Seite 184 f. des Gutachtens) ausdrücklich fest, dass eine tatsächliche Erfassung schon an den mangelnden Kapazitäten zur Diagnostik scheitere.

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Unsubstantiiert ist auch der Vortrag des Klägers in diesem Zusammenhang, wonach „sehr wohl Zahlen über die im UNOCHA tracking - System erfassten Binnenvertriebenen verfügbar“ seien [Zulassungsschrift, S. 14 [erster Absatz]). Aus welchen Erkenntnismitteln dies folgen soll, legt er nicht dar.

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bb) Die Argumentation des Klägers verkennt im Übrigen, dass die Ermittlung der Gefahrendichte auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich beides erfordert: die Feststellung des Gewaltniveaus (im Sinne einer quantitativen Ermittlung der Verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl) und eine qualitative Betrachtung der generellen Gefahrendichte. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 23 und vom 13. Februar 2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 24; im Übrigen auch OVG LSA, Beschluss vom 23. August 2018 - 3 L 293/18 -, juris Rn. 23 sowie Urteil vom 23. Juli 2014 - 3 L 53/12 -, juris Rn. 24 ff.).

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Der Verweis des Klägers auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 25. April 2018 (a. a. O.) führt zu keiner anderen Betrachtung. Gegenstand des stattgebenden Kammerbeschlusses war die rechtschutzgarantieverletzende Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet, wenn das Asylland (Afghanistan) von einer äußerst volatilen und zudem regional sehr unterschiedlichen Sicherheitslage geprägt ist, so dass die Gefahr besteht, dass dort wegen einer stetigen Verschlechterung der Sicherheitslage die Schwelle des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG überschritten ist. Vorliegend steht eine Offensichtlichkeitsentscheidung nach § 78 Abs. 1 AsylG schon nicht im Raum. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht mit dieser Entscheidung entgegen der scheinbaren Annahme des Klägers auch nicht grundsätzlich in Frage gestellt, dass es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte jedenfalls auch einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos bedarf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. April 2018, a. a. O., Rn. 35, u.a. unter Hinweis auf die „Unzulänglichkeit eines lediglich auf Opferzahlen abstellenden Ansatzes“).

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Dass das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall von einer wertenden Gesamtbetrachtung abgesehen hat, liegt ebenfalls auf der Linie der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, das - bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres - ein Risiko von 1:800 (0,125 %) bzw. 1:1.000 (0,1 %) verletzt oder getötet zu werden, als so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen hat, dass sich das Fehlen einer wertenden Gesamtbetrachtung neben der rein quantitativen Ermittlung nicht auszuwirken vermag (Urteile vom 17. November 2011, 10 C 13.10, juris Rn. 22 und 10 C 11.10, juris Rn. 20).

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Der Hinweis des Klägers darauf, dass in den Statistiken von UNAMA alle Vorfälle unberücksichtigt bleiben, die nicht von drei unabhängigen, überprüfbaren Quellen bestätigt werden, und daher ausgehend von diesem Ansatz eine Untererfassung der tatsächlichen Vorfälle zwingend vorliegen muss, vermag die dargelegten, in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung gefestigten Maßstäbe nicht in Frage zu stellen. Denn bei einem nach den Berechnungen des Verwaltungsgerichts gegebenen Risikofaktor von rund 0,014 % (für die Provinz Wardak) bzw. 0,020 % (für die Provinz Kabul) ist auch bei tatsächlich wesentlich höheren Opferzahlen eine tatsächliche Gefahr bei Weitem zu verneinen (ebenso für die Provinz Kabul [0,042 %]: VGH BW, Urteil vom 12. Oktober 2018 - A 11 S 316/17 -, juris Rn. 133; für die Provinzen Kandahar [0,056 %] und Kabul [0,0416 %]: OVG NRW, Beschluss vom 17. September 2018 - 13 A 2914/18.A -, juris Rn. 15 f. m. w. N.; für die Provinz Kabul [0,07 %]: Beschluss des Senates vom 23. August 2018 - 3 L 293/18 -, juris Rn. 28; für die Provinz Wardak [0,01 %]: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11. April 2018 - A 11 S 1729/17 -, juris Rn. 100).

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Soweit der Kläger im Übrigen auf Seite 15 der Zulassungsschrift unter Hinweis auf eine Entscheidung des französischen Cour nationale du droit d'asile (CNDA) vom 9. März 2018 (N°17045561) vorträgt, auch dieses Gericht sei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine genaue arithmetische Ermittlung des Risikos aufgrund der ungenauen Zahlenbasis nicht möglich sei, trifft dies nicht zu. Ausweislich der Pressemitteilung des österreichischen Onlineportals „Der Standard“ wurde mit dieser Entscheidung zwar einem 27-jährigen Afghanen in zweiter Instanz subsidiärer Schutz mit der Begründung zugesprochen, dass ihm in Kabul „schon aufgrund seiner Anwesenheit im Gebiet dieser Stadt“ schwerwiegende Gefahr drohe. Als Beleg habe das Gericht „blutige Anschläge“ angeführt, die dort im laufenden Jahr zu verzeichnen gewesen seien. Kabul sein ein Ort „hochintensiver blinder Gewalt“ (Pressemitteilung des Onlineportals „Der Standard“ vom 6. April 2018, https://derstandard.at/2000077408047/Kabul-fuer-Abschiebungen-zu-unsicher-urteilt-franzoesisches-Asylgericht). Von einer „ungenauen Zahlenbasis“ wird allerdings weder in dieser Pressemitteilung noch in der in Rede stehenden Entscheidung (zu finden unter www.refworld.org/cases,FRA_CNDA,5ac4ef114.html) berichtet.

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An anderer Stelle bemängelt der Kläger die Berechnungen, die das Verwaltungsgericht zur Ermittlung der Gefahrendichte vorgenommen hat. Die entsprechenden Feststellungen des Gerichts seien „weder umfangreich, noch komplex“, sondern erschöpften sich „in der schlichten Übernahme von Zahlen aus Veröffentlichungen von UNAMA“ und „der schlichten Anwendung des Dreisatzes aufgrund dieser Zahlen“; eine Auseinandersetzung mit dem Erhebungszeitraum der Zahlen habe nicht stattgefunden. Auch erschließe sich nicht, aus welchen Gründen hier sechs Provinzen mit völlig unterschiedlicher Sicherheitslage in die Berechnung einstellt worden seien (Zulassungsschrift, S. 16). Auch dieser Befund genügt für die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht. Der letzte Einwand ist schon nicht nachvollziehbar. Denn tatsächlich hat das Verwaltungsgericht bei der Ermittlung der Gefahrendichte nicht sechs Provinzen, sondern lediglich die verfügbaren Zahlen für die Provinzen Wardak und Kabul in den Blick genommen. Im Übrigen wäre es Sache des Rechtsmittelführers gewesen, unter Auseinandersetzung mit den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln im Einzelnen darzulegen, auf welcher Grundlage bzw. mit welcher Methode eine aussagekräftigere Datengrundlage erlangt werden könnte, um die vom Bundesverwaltungsgericht geforderte quantitative Bewertung vorzunehmen.

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cc) Selbst wenn man vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. April 2018 davon ausgehen wollte, dass ein alleiniges Abstellen auf einen numerischen Schwellenwert den (unionsrechtlichen) Anforderungen an die Bestimmung der Gefahrendichte im Rahmen der Prüfung der Zuerkennung subsidiären Schutzes jedenfalls dann nicht gerecht wird, wenn es an einer eindeutigen und gesicherten Auskunftslage fehlt, hat der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt.

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Hierfür hätte es substantiierter Ausführungen zu der Frage bedurft, in welcher Weise eine „Korrektur“ des berechneten Risikofaktors in diesem Fall erfolgen soll und unter welchen Voraussetzungen ein derart „korrigierter“ Ansatz vorliegend auch geeignet wäre, seiner Klage zum Erfolg zu verhelfen. Ebenso fehlt es an der Darlegung von Maßstäben oder geeigneten Kriterien für die dann erforderliche (und allein mögliche) qualitative Betrachtung der generellen Gefahrendichte. Insoweit werden die Voraussetzungen für die Zulassung des Rechtsmittels in der Antragsschrift nicht - wie es erforderlich gewesen wäre - in der Weise unter Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur sowie unter Angabe der maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Überlegungen erläutert und aufgearbeitet, dass das Berufungsgericht hierdurch in die Lage versetzt würde, anhand der Antragsschrift darüber zu befinden, ob die Zulassung des Rechtsmittels wegen grundsätzlicher Bedeutung gerechtfertigt ist.

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Der Kläger behauptet schlicht, es bestehe wegen der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „neuerlicher Klärungsbedarf“ und verweist hierzu auf bestimmte Kriterien, die das Verwaltungsgericht Dresden in einer (unveröffentlichten und nicht vorgelegten) Entscheidung vom 28. Oktober 2016 (Az: 7 K 302/16.A) aufgestellt habe (Zulassungsschrift, S. 15 f.). Danach könne im Rahmen der Gesamtbetrachtung als Indikator für einen innerhalb eines abgegrenzten Gebietes drohenden ernsthaften Schaden der Umfang etwaiger Flüchtlingsströme und die sonstige - an konkreten Begebenheiten festgemachte - Situation für die Zivilbevölkerung herangezogen werden. In diese Betrachtung könnten der Zustand der Infrastruktur, die wirtschaftliche und humanitäre Lage, auch der Arbeitsmarkt- und die Erwerbsituation mit einfließen. Vor allem aber sei bei der Gesamtbetrachtung in den Blick zu nehmen, ob der staatlichen Ordnung ein derart hoher Einflussbereich zuzusprechen ist, dass willkürliche Gewalttaten - so auch etwaige sicherheitsrelevante Vorfälle - nur als sich eben in einem Staatsgebilde ereignende kriminelle Ereignisse erscheinen, denen der Staat mit den ihm zur Seite stehenden Mitteln bekämpfen kann, oder ob sie wahrgenommen werden, als ein Ereignis, bei dem die staatlichen Institutionen nicht in der Lage sind, die staatliche Ordnung zum Schutze der Zivilbevölkerung zu erhalten. Zutreffend wird insoweit auf die Kontrollierbarkeit der Sicherheitslage und die Bedrohungslage abgestellt. Bereits die Zahl der wie sicherheitsrelevanter Vorfälle gibt Anlass, eine ernsthafte Bedrohung in Betracht zu ziehen.

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Dieser Vortrag genügt den Darlegungsanforderungen schon deshalb nicht, weil es an der „Übertragung“ dieser Kriterien auf die aktuellen Verhältnisse in Afghanistan unter Heranziehung der einschlägigen Erkenntnismittel fehlt. Der Kläger trägt weder bezogen auf Afghanistan insgesamt noch hinsichtlich der Provinzen Wardak oder Kabul zum „Umfang etwaiger Flüchtlingsströme“ vor. Ebenso fehlen Ausführungen zu der „sonstigen Situation für die Zivilbevölkerung“ und zum Einflussbereich der staatlichen Ordnung, zur Kontrollierbarkeit der Sicherheitslage und der Bedrohungslage. Konkrete Zahlen sicherheitsrelevanter Vorfälle benennt der Kläger ebenfalls nicht.

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Im Übrigen gehört zu der wertenden Betrachtung nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - wie bereits dargelegt - jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Hiermit setzt sich der Kläger weder bezogen auf die Provinz Wardak noch bezogen auf die Provinz Kabul auseinander.

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Im Übrigen existiert zur Frage, nach welchen Maßstäben die vom Kläger geforderte qualitative Betrachtung der generellen Gefahrendichte erfolgen kann, einschlägige Literatur (etwa Dietz, Subsidiärer Schutz in bewaffneten Konflikten - Die qualitative Bestimmung der Gefahrendichte bei Art. 15 Buchst. c RL 2011/95/EG und § 4 AsylVfG, NVwZ-Extra 24/2014, der einen Katalog an Konfliktmerkmalen als Grundlage einer wertenden Betrachtung zusammenstellt und erläutert; im Übrigen auch Berlit, Die Bestimmung der „Gefahrendichte“ im Rahmen der Prüfung der Anerkennung als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter, ZAR 2017, 110, sowie Keßler, in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 4 AsylVfG/AsylG Rn. 17, unter Hinweis auf ein Dokument des UNHCR aus Juli 2011: „Safe at Last? Law and Practice in Selected EU Member States with Respect to Asylum-Seekers Fleeing Indiscriminate Violence“, S. 42, abrufbar auf der Internetseite des UNHCR unter der Adresse www.unhcr.org/refworld/docid/4e2ee0022.html). Diese Fundstellen nimmt der Kläger bei seinen Überlegungen ebenfalls nicht in den Blick

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II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG.

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III. Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 78 Abs. 5 Satz 2, 80 AsylG, 152 Abs. 1 VwGO).


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