Beschluss vom Sächsisches Oberverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 M 153/18
Gründe
I.
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Der Antragsteller ist tunesischer Staatsangehöriger. Er reiste am 23.10.2015 mit einem Visum zum Familiennachzug in die Bundesrepublik Deutschland ein, nachdem er zuvor am 04.06.2015 in Tunesien die deutsche Staatsangehörige L. geheiratet hatte. Am 11.11.2015 erteilte ihm der Kreis Rendsburg-Eckernförde gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG eine bis zum 10.11.2016 befristete Aufenthaltserlaubnis, die am 24.10.2016 von der Stadt Kiel bis zum 23.10.2018 verlängert wurde. Seit dem 20.01.2017 lebten die Eheleute getrennt. Seit dem 11.07.2018 ist die Ehe geschieden.
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Am 08.01.2018 verzog der Antragsteller nach A-Stadt zu der Familie D..
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Mit Bescheid vom 21.08.2018 verkürzte der Antragsgegner die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nachträglich auf den Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides. Zur Begründung wurde darauf abgestellt, dass die eheliche Lebensgemeinschaft und auch die Ehe des Antragstellers mit seiner Ehefrau nicht mehr bestehe. Auch ein eheunabhängiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG oder ein Aufenthaltsrecht nach § 18 Abs. 2 AufenthG stehe dem Antragsteller nicht zu. Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 31.08.2018 Widerspruch ein.
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Am 23.10.2018 beantragte der Antragsteller bei dem Antragsgegner die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (BA Bl. 451 ff.). Als Aufenthaltszweck gab er seine Arbeit bei der (E.) an, bei der er einen bis zum 31.05.2019 befristeten Arbeitsvertrag hat. Als weiteren Grund für seinen Aufenthalt gab er an, dass er und Frau D. am (…).02.2019 ein gemeinsames Kind erwarten. In einem ergänzenden Schreiben erklärte Frau D., sie habe wie der Antragsteller eine gescheiterte Ehe hinter sich, die sie gesundheitlich und psychisch sehr mitgenommen habe, was sich durch einen Schlaganfall im April 2017 geäußert habe. Sie habe in dem Antragsteller endlich einen zuverlässigen Partner gefunden und sie hätten sich beide, nach allem, was sie jeweils erlebt hätten, stabilisiert. Gerade im Hinblick auf ihre Erkrankung im letzten Jahr und den täglichen psychischen Stress auf Arbeit (Jobcenter F-Stadt) brauche sie die tägliche Unterstützung des Antragstellers. Sie sei inzwischen im 7. Schwangerschaftsmonat und brauche täglich mehr Hilfe.
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Noch am 23.10.2018 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu dem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis an. Anschließend lehnte er den Antrag des Antragstellers mit Bescheid vom 23.10.2018 (BA Bl. 513 ff.) ab. Die Voraussetzungen des § 31 AufenthG oder des § 18 Abs. 2 AufenthG lägen nicht vor. Auch ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG bestehe nicht, da das Kind von Frau D. noch nicht geboren sei. Die bevorstehende Geburt des Kindes begründe ebenfalls keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, da es bislang an der Anerkennung der Vaterschaft fehle. Der Nachweis der besonderen Hilfsbedürftigkeit der Frau D. sei nicht ärztlich attestiert. Es bedürfe näherer Darlegungen, dass und in welcher Weise Frau D. gerade auf die Hilfe des Antragstellers als Beistand angewiesen sei. Unterstützungs- und Betreuungsleistungen könnten auch durch dritte Personen ersetzt werden, da der Antragsteller nicht mit der Kindesmutter verheiratet sei. Auch ein Duldungsgrund nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestehe nicht. Eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise im Hinblick auf die Schwangerschaft von Frau D. scheide bereits deshalb aus, weil derzeit noch gar nicht feststehe, dass es sich bei dem Antragsteller um den Vater des ungeborenen Kindes handele. Erforderlich sei, dass der ausländische Vater gegenüber den zuständigen Behörden mit Zustimmung der Mutter seine Vaterschaft wirksam anerkannt habe. Zu einer Beurkundung der Vaterschaftsanerkennung durch den Antragsteller sei es bisher nicht gekommen. Somit sei derzeit seine Vaterschaft nicht glaubhaft gemacht. Selbst wenn eine Vaterschaftsanerkennung durch den Antragsteller erfolgen würde, wäre die Abschiebung nicht rechtlich unmöglich. Die vorgeburtliche Stellung als Vater führe nicht automatisch zum Bestehen eines Abschiebehindernisses. Zwar könne die Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit seinem noch nicht geborenen Kind wohl zunächst nur in der Bundesrepublik Deutschland geführt werden, da Frau D. deutsche Staatsangehörige sei. Dies führe jedoch nicht zur Annahme einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Vater-Kind-Verhältnisses, da eine Trennung von Vater und Kind derzeit nicht zu befürchten sei. Der Antragsgegner sei bereit, die Deutsche Botschaft in Tunis über den Sachverhalt der Schwangerschaft, die Vaterschaftsbeurkundung sowie die Eilbedürftigkeit des Visumverfahrens zu informieren. Es sei dem Antragsteller möglich, in den knapp drei verbleibenden Monaten bis zum voraussichtlichen Geburtstermin ein Visumverfahren zum Familiennachzug erfolgreich durchzuführen und in die Bundesrepublik einzureisen.
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Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 30.10.2018 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, ihm stehe als zukünftigem Vater eines deutschen Kindes ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu, da dessen Mutter aufgrund gesundheitlicher Vorbelastung Gefahr laufe, einen Schlaganfall zu erleiden.
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Am 30.10.2018 hat der Antragsgegner bei dem Verwaltungsgericht beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 23.10.2018 anzuordnen. Mit eidesstattlicher Versicherung vom 30.01.2018 hat Frau D. erklärt, dass der Antragsteller Vater ihres Kindes sei. Sie benötige während der Schwangerschaft dessen Hilfe und Unterstützung. Sie habe im April 2017 einen Schlaganfall gehabt. Dies sei stressbedingt gewesen und könne jederzeit wieder auftreten. Ihr seien nach dem Schlaganfall Blutverdünner verschrieben worden. Diese dürfe sie jetzt in der Schwangerschaft nicht mehr einnehmen, wodurch sich das Schlaganfallrisiko wieder erhöht habe. Wenn sie im Fall eines neuen Schlaganfalls nicht sofort ins Krankenhaus gebracht werde, bestehe die Gefahr bleibender Schäden bei ihr und ihrem Kind.
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In einer Vorabinformation der Klinik für Neurologie des G-Klinikums Saalekreis vom (…).04.2017 war bei Frau D. eine Amaurosis fugax (plötzliche Sehstörung) links diagnostiziert worden. Frau D. befand sich dort vom (…). bis zum (…).04.2017 in stationärer Behandlung, nachdem sie sich am (…).04.2017 in die Notfallaufnahme begeben hatte. Von dort wurde sie in die "stroke unit" der Klinik für Neurologie aufgenommen. Sie hatte berichtet, am Vorabend auf dem linken Auge nichts mehr gesehen zu haben. Zudem sei ihr linker Arm kalt gewesen. Am Morgen habe sie links noch einen Grauschleier gehabt, der dann verschwunden sei. Ihre Arme hätten sich am Morgen noch schwer angefühlt und sie habe das Gefühl gehabt, dass das Sprechen schwerfalle. Die Schilderung der Sehstörung spreche für eine Amaurosis fugax, deren Genese aktuell unklar bleibe. Zur Sekundärprophylaxe sei eine Thrombozytenaggregationshemmung (Blutgerinnungshemmung) indiziert. Frau D. sei auf Acetylsalicylsäure eingestellt worden. Es müsse eine akute Belastungssituation im Rahmen der Amaurosis fugax erwogen werden.
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Am 22.11.2018 hat der Antragsteller anerkannt, der Vater des Kindes zu sein, das Frau D. am (…).02.2019 erwarte. Frau D. hat der Anerkennung der Vaterschaft durch den Antragsteller zugestimmt. Die Erklärungen sind in einer Urkunde des Jugendamtes des Antragsgegners vom 22.11.2018 beurkundet worden. Hierin heißt es, Frau D. sei seit dem 27.11.2017 rechtskräftig nach tunesischem Recht geschieden. Der Antrag auf Anerkennung der Scheidung in Tunesien sei seit dem 08.11.2018 bei dem Oberlandesgericht Naumburg anhängig. Die Vaterschaftsanerkennung mit Zustimmung der Mutter erlange Rechtskraft, sobald die Anerkennung der tunesischen Scheidung rechtskräftig anerkannt worden sei.
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Mit Beschluss vom 07.12.2018 – 1 B 276/18 HAL – hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 23.10.2018 anzuordnen, abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 31 AufenthG sowie des § 18 Abs. 2 AufenthG lägen nicht vor. Auch ein Anspruch aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG bestehe nicht. Der Antragsteller könne sich auch nicht erfolgreich auf den von ihm geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Duldung (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) aufgrund eines deutschen Kindes berufen. Die Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Antragstellers entfalte keine aufenthaltsrechtliche Vorwirkung im Sinne eines Abschiebungsschutzes. Es fehle an der Glaubhaftmachung einer Risikoschwangerschaft, die einer abschiebungsbedingten Trennung entgegenstehen würde. Ausweislich des Mutterschaftspasses ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine Risikoschwangerschaft. Die ärztliche Bescheinigung des Klinikums Saalekreis vom (…).04.2017 sei ebenfalls nicht geeignet, eine Risikoschwangerschaft zu belegen. Es handele sich hierbei nicht um eine aktuelle ärztliche Bescheinigung, die Aufschluss über den jetzigen körperlichen Zustand der Schwangeren zulasse. Auch sei die Diagnose einer Amaurosis fugax links nicht geeignet, eine besondere Unterstützungsbedürftigkeit der werdenden Mutter zu begründen. Der Antragsgegner verweise zutreffend darauf, dass es sich bei dem arteriellen Gefäßverschluss der Netzhaut um einen akuten, reversiblen Zustand handele, der auch als "flüchtige Blindheit" übersetzt werden könne. Der in der aktuellen Bescheinigung dokumentierte Verlauf der Therapie lasse nicht erkennen, inwieweit die werdende Mutter in ihrem Alltag beeinträchtigt sei, so dass sie auf Unterstützung des Antragstellers angewiesen sei. Inwieweit der im Jahr 2017 "stressbedingte" Verschluss der arteriellen Gefäße eine aktuelle Beschwerde darstelle, sei weder mit einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c AufenthG nachgewiesen noch fänden sich Anhaltspunkte im Mutterschaftspass, die auf eine besondere körperliche Behinderung der werdenden Mutter hindeuteten. Zudem ergebe sich aus dem Umstand, dass die Schwangere unter beruflichem Stress stehe, dass sie einer Tätigkeit nachgehe und insofern keiner besonderen Unterstützung bedürfe. Allein die abstrakte Möglichkeit, erneut einen "Schlaganfall" zu erleiden, genüge nicht, weil dieses Risiko nicht in einem fachärztlichen Attest beschrieben werde. Aus den gleichen Gründen sei auch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ausgeschlossen.
II.
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Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts eingelegte Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg. Die innerhalb der Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe gebieten die Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
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Einstweiliger Rechtsschutz zur Sicherung des Aufenthalts des Antragstellers bis zum Ablauf von acht Wochen nach dem Ende der Schwangerschaft seiner Partnerin D. ist ihm im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO und nicht etwa im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren. Sein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in Anwendung von § 88 VwGO dem entsprechend auszulegen bzw. umzudeuten.
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Statthafte Antragsart ist hier ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO. Zwar hat die vorläufige Sicherung des Aufenthaltsrechts während des anhängigen Verwaltungs- und auch Gerichtsverfahrens um die Erteilung eines Aufenthaltstitels in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu erfolgen, wenn der Antrag auf Erteilung dieses Titels zum Entstehen einer Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG geführt hat und diese durch die Verbescheidung des Antrags wieder erloschen ist. In einem solchen Fall ist im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu entscheiden, ob die dem Antragsteller durch die Ablehnung seines Antrags genommene Rechtsposition wieder eingeräumt werden soll. Löste der Behördenantrag eine solche Fiktionswirkung nicht aus oder steht dem Antragsteller ein Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nicht zu, kann nur (ergänzend) in einem Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO eine Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG erstrebt werden.
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Vorliegend kam dem Antrag des Antragstellers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis vom 23.10.2018 zwar eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG zu. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat jedoch keinen Erfolg, da dem Antragsteller – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – ein Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (derzeit) nicht zusteht. Im Beschwerdeverfahren erstrebt der Antragsteller demgemäß der Sache nach auch nur noch Abschiebungsschutz nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, der im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO geltend zu machen ist.
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Es ist rechtlich unschädlich, dass der Antragsteller dem Wortlaut nach nur einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt hat. Anträge im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind nach § 88 VwGO sachdienlich auszulegen und gegebenenfalls umzudeuten, um das sich aus dem Antrag zu erkennende Rechtsschutzziel angemessen abzubilden. Dies gilt im ausländerrechtlichen Verfahren um die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis umso mehr, weil hier bereits die Abgrenzung der Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und § 123 VwGO nur rudimentär im Gesetz abgebildet ist und es sich um eine der wenigen Ausnahmen handelt, bei der trotz der in der Hauptsache statthaften Verpflichtungsklage ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO einschlägig sein kann. Hier gebietet die verfassungsrechtlich garantierte Rechtsbehelfsklarheit zur Sicherstellung eines effektiven Rechtsschutzes eine umfassende und großzügige Handhabung von § 88 VwGO. Dies gilt unabhängig davon, ob der Antragsteller anwaltlich vertreten ist oder nicht. Denn die Gerichte sind bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über einstweiligen Rechtsschutz gehalten, der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen und die im Einzelfall gebotene Prüfungsintensität auch unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes zu gewährleisten (vgl. VGH BW, Beschl. v. 20.09.2018 – 11 S 1973/18 –, juris RdNr. 16).
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung). Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
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Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind erfüllt. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht. Es besteht auch ein Anordnungsgrund.
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Die Zuerkennung von Abschiebungsschutz gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG für den ausländischen Vater eines noch nicht geborenen deutschen Kindes kommt dann in Betracht, wenn eine Gefahrenlage für das ungeborene Kind oder die Mutter (Risikoschwangerschaft) besteht und die Unterstützung der Schwangeren durch den Abzuschiebenden glaubhaft gemacht wird; denn die Wahrscheinlichkeit, dass die werdende Mutter unter diesen Umständen durch eine abschiebungsbedingte Trennung Belastungen ausgesetzt ist, die die Leibesfrucht gefährden, ist ungleich höher als bei vorübergehender Trennung während einer normal verlaufenden Schwangerschaft (vgl. Beschl. d. Senats v. 10.12.2014 – 2 M 127/14 –, juris RdNr. 6 m.w.N.). Erforderlich ist, dass eine enge und durch Fürsorge geprägte persönliche Beziehung des Ausländers zur werdenden Mutter besteht. Das setzt in der Regel ein tatsächliches Zusammenleben mit ihr in häuslicher Gemeinschaft voraus. Zudem muss glaubhaft die Bereitschaft bekundet werden, in Zukunft in einer tatsächlich gelebten familiären Verbundenheit elterliche Verantwortung zu übernehmen. Voraussetzung ist ferner, dass der ausländische Vater gegenüber den zuständigen Behörden mit Zustimmung der Mutter seine Vaterschaft anerkannt hat. In diesem Zusammenhang ist nicht entscheidend, ob die vom Antragsteller erklärte Vaterschaftsanerkennung bereits wirksam geworden ist und damit gemäß § 1594 Abs. 1 BGB Rechtswirkungen geltend gemacht werden können. Abzustellen ist – gerade wenn noch nicht über ein endgültiges Aufenthaltsrecht zu befinden ist – vielmehr darauf, ob keine durchgreifenden Zweifel an der künftigen Vaterschaft sowie daran bestehen, dass eine durch Fürsorge geprägte persönliche Beziehung zur Kindesmutter besteht und der Antragsteller die erforderliche Hilfestellung leisten wird (vgl. Beschl. d. Senats v. 15.04.2008 – 2 M 84/08 –, juris RdNr. 4). Soweit der Senat die Auffassung vertreten hat, Voraussetzung für die Zuerkennung von Abschiebungsschutz gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG sei, dass der ausländische Vater gegenüber den zuständigen Behörden mit Zustimmung der Mutter seine Vaterschaft wirksam anerkannt hat (vgl. Beschl. d. Senats v. 10.12.2014 – 2 M 127/14 –, a.a.O. RdNr. 6), hält er hieran nicht mehr fest.
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Nach diesen Grundsätzen hat die Schwangerschaft der Partnerin des Antragstellers, Frau D., aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen im Sinne eines Abschiebungsschutzes gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG. Der Antragsteller hat eine Gefahrenlage für die werdende Mutter und damit auch für das ungeborene Kind im Sinne einer Risikoschwangerschaft glaubhaft gemacht. Seine Partnerin, Frau D., hat im April 2017 zwar keinen Schlaganfall erlitten, ist aber wegen einer Amaurosis fugax in Behandlung gewesen. Nach den Angaben des Facharztes für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. L. in seiner Stellungnahme vom 11.12.2018 sei dieses Krankheitsbild als Vorstufe eines Schlaganfalls anzusehen, so dass Frau D. als Risikopatientin betrachtet werden müsse. Sie werde lebenslag auf Blutgerinnungshemmer eingestellt und bedürfe regelmäßiger ärztlicher Kontrolle. Es bestehe eindeutig eine Gefahrenlage für das ungeborene Kind, da die Mutter bei einer Abschiebung des Kindesvaters einer unverhältnismäßig hohen Stresssituation ausgesetzt wäre, die durchaus zur Manifestation eines Schlaganfalls führen könne. Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass Frau D. durch ihre eidesstattlichen Versicherungen vom 30.10.2018 und 14.12.2018 glaubhaft gemacht hat, dass sie während ihrer Schwangerschaft den ihr verschriebenen Blutverdünner nicht einnehmen dürfe. Hiernach erscheint das von Dipl.-Med. L. beschriebene Risiko eines Schlaganfalls bei Frau D. infolge einer durch eine Abschiebung des Antragstellers ausgelöste Stresssituation durchaus plausibel, zumal die Geburt ihres Kindes kurz bevorsteht.
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Der Antragsgegner hat das im Fall einer Abschiebung des Antragstellers glaubhaft gemachte Risiko eines Schlaganfalls bei Frau D. in seiner Stellungnahme vom 14.01.2019 nicht wiederlegt. Zwar macht er zu Recht geltend, dass sich eine Risikoschwangerschaft nicht allein aus den eidesstattlichen Versicherungen der Frau D. ergeben kann, dass diese sich also nicht gleichsam selbst eine Risikoschwangerschaft bescheinigen kann. Zu Recht macht er zudem geltend, dass sich auch dem Mutterpass sowie den vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Risikoschwangerschaft entnehmen lassen. Das gilt auch für das Schreiben des Klinikums für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des G-Klinikums Saalekreis vom 17.12.2018, in dem allein von einem Unterbauchschmerz bei Frau D. die Rede ist. Nicht überzeugend ist indessen die Kritik des Antragsgegners an der Stellungnahme des Dipl.-Med. L. vom 11.12.2018. Diese Stellungnahme ist nicht dahin zu verstehen, dass ohne hinreichende gynäkologische Diagnose eine "klassische" Risikoschwangerschaft bei Frau D. behauptet werden soll. Vielmehr leitet Dipl.-Med. L. aus der bei Frau D. festgestellten Amaurosis fugax das Risiko eines Schlaganfalls im Falle einer Abschiebung des Antragstellers ab. Die Ausführungen des Antragsgegners zu den bei einer "klassischen" Risikoschwangerschaft üblichen diagnostischen Maßnahmen liegen daher neben der Sache. Die nach Dipl.-Med. L. "eindeutig" bestehende Gefahrenlage hält der Senat zumindest für hinreichend plausibel.
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Der Umstand, dass die Stellungnahme von Dipl.-Med. L. vom 11.12.2018 die Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c AufenthG nicht erfüllt, ist ohne Belang. Eine Bescheinigung i.S.d. § 60a Abs. 2c AufenthG ist nur zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung der Reisefähigkeit des abzuschiebenden Ausländers gemäß § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG erforderlich (vgl. Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 60a AufenthG RdNr. 45).
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Der Antragsteller hat auch hinreichend glaubhaft gemacht, dass er seine Partnerin unterstützen wird. Die von ihm und seiner Partnerin D. vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen vom 30.10.2018 und 14.12.2018 lassen erkennen, dass eine enge und durch Fürsorge geprägte persönliche Beziehung des Antragstellers zu seiner Partnerin besteht, mit der er auch zusammen in häuslicher Gemeinschaft lebt. Es bestehen aus der Sicht des Senats derzeit auch keine Zweifel daran, dass der Antragsteller in Zukunft in einer tatsächlich gelebten familiären Verbundenheit elterliche Verantwortung übernehmen wird.
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Ohne Erfolg macht der Antragsgegner unter Hinweis auf die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts (BA S. 7) geltend, dem Antragsteller sei eine (vorübergehende) Ausreise und Durchführung des Visumsverfahrens zum Familiennachzug zum Kind zumutbar, weil nicht nachgewiesen sei, dass die Kindesmutter (offensichtlich) auf dessen Beistand angewiesen sei; vielmehr könnten ihre Eltern, bei denen sie wohne, die erforderliche Hilfe leisten. Dieser Einwand greift nicht durch. Der bloße Hinweis auf die Möglichkeit der Erbringung der erforderlichen Hilfe durch die Eltern der Kindesmutter vernachlässigt die nicht nur für eine bereits bestehende Vater-Kind-Beziehung geltenden aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt es für die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, wenn ein aufenthaltsberechtigtes Familienmitglied auf die Lebenshilfe des anderen Familienmitglieds angewiesen ist und diese Hilfe sich nur in der Bundesrepublik Deutschland erbringen lässt, nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich geleistete Lebenshilfe von anderen Personen erbracht werden kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 01.08.1996 – 2 BvR 1119/96 –, juris RdNr. 5). Für die notwendige und tatsächlich geleistete Unterstützung der Mutter eines ungeborenen Kindes während der Dauer einer mit Risiken (auch) für dieses Kind verbundenen Risikoschwangerschaft ergibt sich nichts anderes (vgl. OVG BB, Beschl. v. 03.09.2012 – OVG 11 S 40.12 –, juris RdNr. 26).
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Der Antragsteller hat auch gegenüber den zuständigen Behörden mit Zustimmung der Mutter seine Vaterschaft anerkannt. Unerheblich ist hierbei, dass die Vaterschaftsanerkennung derzeit noch nicht wirksam sein dürfte, da die Anerkennung der in Tunesien vorgenommenen Scheidung der Partnerin des Antragstellers durch das Oberlandesgericht gemäß § 107 Abs. 1 FamFG noch nicht vorliegt, denn es bestehen keine durchgreifenden Zweifel an dessen künftiger Vaterschaft sowie daran, dass eine durch Fürsorge geprägte persönliche Beziehung zur Kindesmutter besteht und der Antragsteller die erforderliche Hilfestellung leisten wird.
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Der Abschiebungsschutz ist jedoch in Anlehnung an § 3 Abs. 2 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) in der Fassung vom 23.05.2017 (BGBl. I S. 1228) auf den Zeitraum von acht Wochen nach dem Ende der Schwangerschaft der Kindesmutter zu begrenzen (vgl. OVG BB, Beschl. v. 03.09.2012 – OVG 11 S 40.12 –, a.a.O. RdNr. 27; Beschl. d. Senats v. 10.12.2014 – 2 M 127/14 –, a.a.O. RdNr. 10). Durch die Gewährung von Abschiebungsschutz wird nichts darüber ausgesagt, ob der Antragsteller nach Ablauf dieses Zeitraumes nicht doch erst einmal ausreisen muss (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG II, § 60a RdNr. 149).
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Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Es ist davon auszugehen, dass eine Abschiebung des Antragstellers unmittelbar bevorsteht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 8.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31.05./01.06.2012 und am 18.07.2013 beschlossenen Änderungen.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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