Beschluss vom Sächsisches Oberverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 L 57/18
Gründe
I.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt, soweit das Bundesamt die Asylanträge der Kläger zu Unrecht als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt habe, fehle es an einem rechtlich schützenswerten Interesse der Kläger, den Bescheid des Bundesamtes jedenfalls im Offensichtlichkeitsurteil aufheben zu lassen. An die Ablehnung der Asylanträge der Kläger als "offensichtlich unbegründet" seien im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine über die Ablehnung als solche hinausgehenden nachteiligen Rechtsfolgen geknüpft. Ein Rechtsschutzinteresse an der isolierten Aufhebung des Offensichtlichkeitsurteils bestehe nur dann, wenn das Offensichtlichkeitsurteil auf § 30 Abs. 3 AsylG gestützt werde. Denn in diesem Fall dürfe die Ausländerbehörde nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG – von den in Satz 3 der Vorschrift geregelten Ausnahmen abgesehen – vor der Ausreise keinen Aufenthaltstitel erteilen. Im vorliegenden Fall stütze sich die Ablehnung des Asylbegehrens der Kläger als offensichtlich unbegründet indes tragend auf § 30 Abs. 1 AsylG, so dass die gesetzliche Sperrwirkung für die Erteilung von Aufenthaltstiteln nicht greife.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Die von den Klägern allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor. Die von ihnen gestellte Frage,
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ob ein Rechtsschutzbedürfnis an der isolierten Aufhebung des Offensichtlichkeitsurteils besteht, wenn das Offensichtlichkeitsurteil auf § 30 Abs. 1 AsylG gestützt wird,
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rechtfertigt die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i.S.d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht.
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"Grundsätzliche Bedeutung" im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist daher nur dann im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 07.05.2018 – 3 L 84/18 –, juris RdNr. 3 m.w.N.).
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Gemessen daran hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die von den Klägern aufgeworfene Frage kann sich in zwei verschiedenen Fallgestaltungen stellen. Zum einen stellt sie sich in den Fällen, in denen das Verwaltungsgericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung angeordnet hat, weil es der Beurteilung des Asylantrag durch das Bundesamt als offensichtlich unbegründet nicht gefolgt ist. Zum anderen stellt sie sich in den Fällen, in denen das Verwaltungsgericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes bestätigt hat (vgl. Fuerst, NVwZ 2012, 213 <214 f.>).
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Die Frage, ob ein Rechtsschutzbedürfnis an der isolierten Aufhebung eines auf § 30 Abs. 1 AsylG gestützten Offensichtlichkeitsurteils besteht, wenn das Verwaltungsgericht dieses zuvor im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bestätigt hat, stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht, denn das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 17.07.2017 – 3 B 220/17 MD – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid der Beklagten vom 27.06.2017 enthaltene Abschiebungsandrohung wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylantrags der Kläger als offensichtlich unbegründet angeordnet.
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Soweit sich die von den Klägern aufgeworfene Frage auf die hier vorliegende Fallgestaltung bezieht, in der das Verwaltungsgericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der Beurteilung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet nicht gefolgt ist und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung angeordnet hat, rechtfertigt sie die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht, weil sie sich ohne weiteres im Sinne des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts beantworten lässt.
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Ist das Verwaltungsgericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der Beurteilung des Asylantrags durch das Bundesamt als offensichtlich unbegründet nicht gefolgt und hat es die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung angeordnet, fehlt im Hauptsachverfahren das Rechtsschutzbedürfnis für die isolierte Aufhebung des Offensichtlichkeitsurteils, soweit dieses allein auf § 30 Abs. 1 AsylG und nicht (auch) auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 AsylG gestützt ist (vgl. SaarlOVG, Beschl. v. 03.05.2007 – 1 R 18/06 –, juris RdNr. 23; VG Köln, Urt. v. 04.05.2018 – 19 K 12042/16.A –, juris RdNr. 25; Discher, in: GK-AufenthG, § 10 RdNr. 169.2; Fuerst, a.a.O. S. 215). Die Annahme einer offensichtlichen Unbegründetheit i.S.d. § 30 Abs. 1 AsylG ist mit Blick auf den hiermit allein verfolgten Beschleunigungszweck nur im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes von Bedeutung. Fehlt es – wie hier – an der vom Bundesamt bejahten Offensichtlichkeit der Ablehnungsgründe, wird eine nach § 36 Abs. 1 AsylG fälschlich auf eine Woche festgesetzte Ausreisefrist durch erfolgreiche Inanspruchnahme des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO auf 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens verlängert (§ 37 Abs. 2 AsylG). Im Ergebnis wird damit der Betroffene einem Asylbewerber gleichgestellt, dessen Asylantrag bereits vom Bundesamt als "schlicht" unbegründet eingestuft worden war (vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.02.1986 – 1 B 30.86 –, juris RdNr. 3; VGH BW, Urt. v. 11.11.1997 – A 14 S 412/97 –, juris RdNr. 37). Bei diesem endet im Falle der Klageerhebung die Ausreisepflicht gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 AsylG 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Die mit der Annahme einer offensichtlichen Unbegründetheit gemäß § 30 Abs. 1 AsylG bezweckte Beschleunigung wird damit bereits durch die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gestoppt. Andere belastende Rechtsfolgen knüpfen sich an die Annahme einer offensichtlichen Unbegründetheit i.S.d. § 30 Abs. 1 AsylG nicht, weil die ausländerrechtliche Sanktionswirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nur aus der Annahme einer offensichtlichen Unbegründetheit nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 AsylG folgt (vgl. Fuerst, a.a.O. S. 215).
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Ohne Erfolg machen die Kläger geltend, bei Abweisung der Klage trotz Nichtvorliegens der Voraussetzungen der Offensichtlichkeitsentscheidung werde die besondere Begründungspflicht des § 31 AsylG umgangen. Sie verweisen insoweit auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach der besonderen Begründungpflicht des § 31 AsylG durch eine detaillierte Auseinandersetzung mit den materiellen Kriterien des Offensichtlichkeitsbegriffs anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls Rechnung zu tragen sei (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.02.1989 – 2 BvR 1415/88 –, juris RdNr. 13). Hiermit kann das Rechtsschutzbedürfnis an der isolierten Aufhebung des Offensichtlichkeitsurteils i.S.d. § 30 Abs. 1 AsylG nicht begründet werden. Bei fehlender sachgerechter Begründung der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet unter Verletzung des § 31 AsylG ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO geboten (vgl. VG Frankfurt
, Beschl. v. 23.03.2000 – 4 L 167/00.A –, juris). Auch in diesen Fällen fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für die isolierte Aufhebung des Offensichtlichkeitsurteils i.S.d. § 30 Abs. 1 AsylG im Hauptsachverfahren.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 78 Abs. 5 Satz 2, 80 AsylG, 152 Abs. 1 VwGO).
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Referenzen
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- § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 1415/88 1x (nicht zugeordnet)
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- 3 B 220/17 1x (nicht zugeordnet)
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- 19 K 12042/16 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG 2x (nicht zugeordnet)
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