Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (4. Senat) - 4 L 18/14
Gründe
I.
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Der Kläger, ein Wasser- und Abwasserzweckverband, wendet sich gegen die Höhe der von ihm zu zahlenden Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 2006.
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Mit Bescheid vom 26. Oktober 2010 setzte der Beklagte die Abwasserabgabe des Klägers für Schmutzwassereinleitungen auf 165.132,50 € und für Kleineinleitungen auf 45.524,89 € fest. Die Abwasserabgabe verrechnete er mit Aufwendungen des Klägers in Höhe von 131.329,03 € für die Errichtung und Erweiterung von Abwasseranlagen, die das Abwasser vorhandener Einleitungen einer Abwasseranlage zuführten, so dass eine Abwasserabgabe in Höhe von 79.328,36 € zu zahlen sei. Durch die Errichtung von Schmutzwasserkanalisationsanlagen in C-Stadt (Inbetriebnahme 8. Dezember 2008) und A-Stadt (Inbetriebnahme 10. September 2009 bzw. 15. Dezember 2008) seien bisher vorhandene Sammelgruben und Kleinkläranlagen außer Betrieb genommen worden. Von einer Minderung der eingeleiteten Gesamtschadstofffracht sei auszugehen. Für die Einleitstelle C-Stadt [im Folgenden: Einleitstelle A] wurde die Abwasserabgabe auf 5.629,77 € festgesetzt und eine Verrechnung anteilig für 76 umgebundene Einwohner in Höhe von 2.473,19 € vorgenommen. Für die Einleitstelle DE N-Str./U-Weg [im Folgenden: Einleitstelle B] wurde die Abwasserabgabe auf 2.850,79 € festgesetzt und eine Verrechnung anteilig für 113 Tage (10. September 2006 bis 31. Dezember 2006) für 66 umgebundene Einwohner in Höhe von 756,49 € vorgenommen. Für die Einleitstelle 2045, RA Z-Straße/Poliklinik A-Stadt [im folgenden: Einleitstelle C] wurde die Abwasserabgabe auf 27.524,90 € festgesetzt und eine Verrechnung anteilig für 314 umgeschlossene Einwohner in Höhe von 11.166,43 € vorgenommen. Vor dem jeweiligen Umschluss waren 173 Einwohner an der Einleitstelle A angeschlossen, 77 Einwohner an der Einleitstelle B und 774 Einwohner an der Einleitstelle C.
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Der Kläger hat am 26. November 2010 Klage beim Verwaltungsgericht Magdeburg erhoben und beantragt, den Bescheid des Beklagten insoweit aufzuheben, als eine Abwasserabgabe von mehr als 57.719,01 € zu zahlen sei. Für die Schmutzwassereinleitung hinsichtlich der Einleitstellen A, B und C seien 21.609,35 € zu Unrecht nicht verrechnet worden. Die von dem Beklagten vorgenommene Einschränkung der verrechenbaren Abwasserabgabe auf die im Rahmen der jeweiligen Investitionsmaßnahme an die Verbandskläranlage angeschlossenen Einwohner finde keinen Rückhalt im Wortlaut des § 10 Abs. 4 AbwAG. Richtig sei zwar, dass bei der Außerbetriebnahme von Bürgermeisterkanälen die Schmutzwassereinleitung nur anteilig entfalle, dieser Anteil reiche aber aus, um insgesamt eine Minderung der Schadstofffracht dieser Einleitstelle herbeizuführen.
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Der Beklagte hat im Wesentlichen ausgeführt, dass eine bauabschnittsweise Betrachtung maßgebend sei, d. h. die Abwasserabgabe - solange noch Einleitungen vorgenommen würden - nicht vollständig verrechenbar sei. Die vorhandene Schmutzwassereinleitung entfalle bei den außer Betrieb genommenen Bürgermeisterkanälen des Klägers je Bauabschnitt immer nur anteilig. Zwar sei mit Bescheid festgestellt worden, dass die entstandene Abgabenschuld des Klägers für die Schmutzwassereinleitung aus den Bürgermeisterkanälen dem Grunde nach in voller Höhe verrechnungsfähig sei, dies bedeute aber nicht, dass diese Abgabenschuld in dieser Höhe auch zur Verrechnung herangezogen werden könne.
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Mit Urteil vom 30. Oktober 2012 hat das Verwaltungsgericht den streitbefangenen Bescheid aufgehoben, soweit darin eine Abwasserabgabe von mehr als 59.687,23 € erhoben worden ist, und im Übrigen die Klage abgewiesen.
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Die für die jeweilige Baumaßnahme - unbestrittenen und im Bescheid ausgewiesenen - Investitionskosten seien als solche verrechnungsfähig. Vor der Errichtung der jeweiligen Entwässerungskanäle sei das Abwasser der nunmehr an die Verbandskläranlage angeschlossenen Grundstücke nach der Vorbehandlung in Kleinkläranlagen mit vorhandenem Überlauf mittels Bürgermeisterkanäle den Einleitstellen A, B und C zugeführt worden. Der von dort aus erfolgende Zufluss in ein Gewässer stelle jeweils eine Einleitung i. S. d. § 2 Abs. 2 AbwAG dar. Unproblematisch seien die Entwässerungskanäle auch Zuführungsanlagen i. S. d. § 10 Abs. 4 AbwAG. Weiterhin sei bei den jeweiligen Einleitungen insgesamt (also den bisherigen Einleitungen der streitbefangenen Einleitungsstellen) mit einer Verminderung der Schadstofffracht insgesamt zu rechnen, da die Reinigungsleistung einer Kläranlage unstreitig über der von Kleinkläranlagen liege.
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Es dürfe mit der für die Einleitungsstelle insgesamt festgesetzten Abwasserabgabe und nicht nur mit der anteiligen Abwasserabgabe für die „wegfallende“ (Teil-)Einleitung verrechnet werden. Der Teil der Abwasserabgabe, der durch Indirekteinleiter bedingt werde, die noch nicht im Rahmen der jeweiligen Kanalbaumaßnahme umgeschlossen würden, sei als Teil der i. S. d. § 10 Abs. 3 AbwAG insgesamt geschuldeten Abgabe zu begreifen. Der verrechenbare Anteil der streitbefangenen Einleitungsstellen, der im Gegensatz zur Auffassung des Klägers taggenau zu ermitteln sei, betrage 5.629,77 € für die Einleitstelle A, 882,57 € für die Einleitstelle B und 27.524,90 EUR für die Einleitstelle C. Die zur Zahlung angeforderte Abwasserabgabe sei danach um 19.641,13 € überhöht.
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Der Beklagte hat fristgerecht die vom beschließenden Senat zugelassene Berufung eingelegt und trägt vor, die Frage der insgesamt notwendigen Minderung der Schadstofffracht nach § 10 Abs. 4 AbwAG sei anhand der die Einleitung zulassenden Bescheide vor und nach der Inbetriebnahme zu ermitteln. Es komme nicht auf Menge und Beschaffenheit der tatsächlichen Abwassereinleitung an, sondern auf den Umfang der zugelassenen Einleitung. Im zeitlichen Zusammenhang mit der Inbetriebnahme der Investitionsmaßnahmen, für die die Verrechnung begehrt werde, sei es aber zu keiner Änderung der Einleitungsbescheide gekommen und damit zu keiner Minderung der Schadstofffracht. Unerheblich sei, ob er möglicherweise fälschlich eine teilweise Verrechnung gewährt habe. Darüber hinaus sei nach bislang unangefochtener Auffassung der Rechtsprechung nur die erstmalige Zuführung von Abwasser als erforderliche Inbetriebnahme einer Zuführungsanlage aufzufassen.
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Im Übrigen gebe im Falle eines nur teilweisen Umschlusses - entgegen der unausgesprochen vorausgesetzten Annahme im Urteil des Verwaltungsgerichts - keine Vermutung dafür, dass die tatsächliche Schmutzfracht im Vergleich der Einleitungen vor und nach der Inbetriebnahme sinke. In den vorliegenden Fällen könne nicht davon ausgegangen werden, dass das sich aus den Einleitbescheiden ergebende „Verschmutzungskontingent“ tatsächlich unterschritten worden wäre. Anzunehmen sei, dass die vor und nach Inbetriebnahme schwankende Menge des Fremdwassers, das zu der der Abwasserabgabe zu Grunde zu legenden Einleitung gehöre, ausschlaggebend für die tatsächliche Schmutzfracht der zum Vergleich herangezogenen Einleitstellen vor und nach Inbetriebnahme der Zuführungsanlage gewesen sei. Bei Bürgermeisterkanälen falle weit mehr Fremdwasser an als bei einer ordnungsgemäß errichteten Abwasseranlage. Zudem sei der Anschluss weiterer Einleiter und zusätzlicher abflusswirksamer Flächen über das Kanalnetz grundsätzlich zulässig gewesen. So sei es bei der Einleitstelle 2045 zu einer Erhöhung der angeschlossenen Einwohner zwischen 2002 und 2007 von 600 auf 774 gekommen. Auch angesichts dieser zu berücksichtigenden Unsicherheiten sei kein sachlicher Grund ersichtlich, vom Bescheidsystem als „vorrangiger Wahrscheinlichkeitsregel“ abzuweichen. Die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. August 2008 (- 7 C 2.08 -) und 21. November 2013 (- 7 C 12.12 -) bezögen sich jeweils auf Einleitungen, die i. S. d. AbwAG teils dem Niederschlagswasser zuzurechnen seien. Dem Urteil vom 21. November 2013 habe zudem eine bezifferte, nachvollziehbare Prognose über die Minderung der in das bzw. die Einleitgewässer abgegebenen Schmutzfracht zu Grunde gelegen.
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Eine vollständige Verrechnung der Abwasserabgabe für die betreffenden (fortbestehenden) Einleitungen sei nicht vorzunehmen. Dies sei auch mit der zeitmäßigen Bindung der Verrechnung an drei Jahre vor der vorgesehenen Inbetriebnahme unvereinbar. Es stünde sonst im Belieben des Abgabepflichtigen, für dieselbe Einleitstelle (bei weiteren Investitionen) ggfs. mehrfach eine vollständige Verrechnung geltend zu machen und der Anwendungsbereich des § 10 Abs. 3 AbwAG würde in einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Weise ausgedehnt.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 9. Kammer - vom 30. Oktober 2012 abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
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Das Verfahren war mit Beschluss vom 10. Juli 2013 auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten im Hinblick auf das bei dem Bundesverwaltungsgericht anhängige Verfahren - 7 C 12.12 - zum Ruhen gebracht und nach Erlass einer Entscheidung mit Verfügung vom 12. Februar 2014 wieder aufgenommen worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und des beigezogenen Verwaltungsvorganges, der Gegenstand der Beratung gewesen ist, Bezug genommen.
II.
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Der Senat entscheidet über die zulässige Berufung durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO, weil er sie einstimmig für unbegründet und bei geklärtem Sachverhalt keine mündliche Verhandlung für erforderlich hält. Die Beteiligten wurden dazu angehört (§§ 130a Satz 2 i. V. m. 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
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Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist - soweit es im Berufungsverfahren anhängig ist - nicht zu beanstanden. Der Bescheid des Beklagten vom 26. Oktober 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit darin eine Verrechnung gem. § 10 Abs. 4 AbwAG in Höhe von 19.641,13 € abgelehnt und damit die Zahlung einer Abwasserabgabe in Höhe von mehr als 59.687,23 € gefordert wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die vom Beklagten vorgenommene Beschränkung der verrechenbaren Abwasserabgabe hinsichtlich der Einleitstellen A, B und C auf den Anteil der nach der Inbetriebnahme der jeweiligen Zuführungsanlage an die Verbandskläranlage umgebundenen Einwohner steht mit § 10 Abs. 4 AbwAG nicht in Übereinstimmung.
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Gemäß § 10 Abs. 4 AbwAG gilt für Anlagen, die das Abwasser vorhandener Einleitungen einer Abwasserbehandlungsanlage zuführen, die den Anforderungen des § 60 Abs. 1 WHG - im streitbefangenen Zeitraum noch § 18b WHG - entspricht oder angepasst wird, Absatz 3 mit der Maßgabe entsprechend, dass bei den Einleitungen insgesamt eine Minderung der Schadstofffracht zu erwarten ist. Werden Abwasserbehandlungsanlagen errichtet oder erweitert, deren Betrieb eine Minderung der Fracht einer der bewerteten Schadstoffe und Schadstoffgruppen in einem zu behandelnden Abwasserstrom um mindestens 20 % sowie eine Minderung der Gesamtschadstofffracht beim Einleiten in das Gewässer erwarten lässt, so können nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG die für die Errichtung oder Erweiterung der Anlage entstandenen Aufwendungen mit der für die in den drei Jahren von der vorgesehenen Inbetriebnahme der Anlage insgesamt für diese Einleitung geschuldeten Abgabe verrechnet werden.
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1. Unstreitig führen die streitbefangenen Schmutzwasserkanäle des Klägers Abwasser vorhandener Einleitungen einer Abwasserbehandlungsanlage zu, die den Anforderungen des § 60 Abs. 1 WHG bzw. § 18b WHG entspricht. Vor der Errichtung dieser Entwässerungskanäle wurde das Abwasser der nunmehr an die Verbandskläranlage A-Stadt angeschlossenen Grundstücke nach der Vorbehandlung in Kleinkläranlagen mit vorhandenem Überlauf mittels Bürgermeisterkanälen den Einleitstellen A, B und C zugeführt. Der von dort aus erfolgende Zufluss in ein Gewässer stellte jeweils eine Einleitung i. S. d. § 2 Abs. 2 AbwAG dar. Damit sind die Kanäle Zuführungsanlagen i. S. d. § 10 Abs. 4 AbwAG.
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2. Mit dem Verwaltungsgericht ist die Abwasserabgabe auch dann in Gänze innerhalb der Verrechnung nach § 10 Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 AbwAG zu berücksichtigen, wenn die Einleitstelle - wie hier - nicht vollständig aufgegeben, sondern durch andere Indirekteinleiter weiterhin beansprucht wird.
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Die Verrechnungsvorschrift des § 10 Abs. 3 und 4 AbwAG soll Maßnahmen zur Verringerung der Abwasserschädlichkeit anstoßen. Von der Abwasserabgabe soll eine Anreizwirkung zur Durchführung von Gewässerschutzmaßnahmen ausgehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20. Januar 2004 - 9 C 13.03 -, zit. nach JURIS). § 10 Abs. 4 AbwAG will Investitionen in Baumaßnahmen anstoßen, die durch eine Zuleitung zu einem modernen Klärwerk die Gewässerbelastung verringern (so BVerwG, Urt. v. 26. Juni 2008 - 7 C 2.08 -, zit. nach JURIS). Da die Verrechnungsregelungen infolge der geringer werdenden Möglichkeiten, die Abwasserabgabepflicht unmittelbar zu senken, eine immer größere Bedeutung erlangen, setzt die Verrechnung von Investitionen mit der Abwasserabgabe nach Sinn und Zweck des § 10 Abs. 3 und 4 AbwAG nicht voraus, dass das gesamte Abwasser einer bisher vorhandenen Einleitung oder zumindest ein wesentlicher Teilstrom davon ein Abwasserbehandlungsanlage zugeführt wird (so mit ausführlicher Begründung BVerwG, Urt. v. 21. November 2013 - 7 C 12.12 -, zit. nach JURIS). Ausgehend davon spricht schon nach dem Wortlaut der heranzuziehenden Regelung Überwiegendes für die vom Verwaltungsgericht vertretene Auslegung. Denn nach dem entsprechend anwendbaren § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG können die Aufwendungen mit der „insgesamt für diese Einleitung geschuldeten Abgabe“ verrechnet werden. Darüber hinaus wäre eine Beschränkung der verrechenbaren Abwasserabgabe mit Sinn und Zweck des § 10 Abs. 4 AbwAG nicht vereinbar. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt, hat das Bundesverwaltungsgericht deshalb schon in dem Urteil vom 20. Januar 2004 (a. a. O.) entschieden, dass bei dem Wegfall von Einleitungen eine umfängliche Verrechenbarkeit nach § 10 Abs. 4 AbwAG insbesondere auch mit der Abwasserabgabe für die Einleitung aus der bestehenden Abwasserbehandlungsanlage möglich sei, an die erstmalig zugeführt werde, obwohl die Abgabenlast - offensichtlich - überwiegend aus anderen Schmutzwasserzuleitungen resultiert. Weiterhin hat das Bundesverwaltungsgericht auch mit dem Urteil vom 21. November 2013 (a. a. O.) die Verpflichtung zu einer die gesamte Abwasserabgabe erfassenden Verrechnung bestätigt, obwohl in der zugrunde liegenden Fallgestaltung gerade nicht die vorhandene Einleitungsstelle völlig aufgegeben wurde (vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 8. Dezember 2005 - 12 A 11009/05 -, zit. nach JURIS).
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Diesem Auslegungsergebnis, das der Beklagte nach Wiederaufnahme des Verfahrens im Übrigen nicht mehr in Frage gestellt hat, steht auch nicht die Bindung der Verrechnung an den dreijährigen Zeitraum vor der vorgesehenen Inbetriebnahme entgegen. Dass der Abgabepflichtige für dieselbe Einleitstelle bei zusätzlichen Investitionen erneut eine vollständige Verrechnung mit der Abwasserabgabe geltend machen kann, entspricht gerade der Zielstellung des Gesetzes, da eine weitere Verringerung der in die Gewässer eingeleiteten Schadstofffracht nur durch zusätzliche Maßnahmen erreicht werden kann.
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3. Die weitere Voraussetzung des § 10 Abs. 4 AbwAG, dass bei den Einleitungen mit einer Verminderung der Schadstofffracht insgesamt zu rechnen war, ist ebenfalls erfüllt.
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a) Im Gegensatz zu der vom Beklagten erstmalig im Berufungszulassungsverfahren vorgebrachten Ansicht ist die zu erwartende Minderung der Schadstofffracht nach § 10 Abs. 4 AbwAG nicht zwingend anhand eines Vergleiches der Einleitwerte der vor und nach der Inbetriebnahme der jeweiligen Investitionsmaßnahme geltenden wasserrechtlichen (Einleit-)Bescheide i. S. d. § 4 Abs. 1 AbwAG zu ermitteln. Vielmehr kommt es - wovon der Beklagte selbst noch im Rahmen des Verwaltungsverfahrens ausgegangen ist - allein darauf an, ob infolge der Inbetriebnahme tatsächlich eine Minderung erfolgen wird. Dazu kann auf einen Vergleich der Bescheidlage zurückgegriffen werden, der erforderliche Nachweis kann aber auch auf jede andere Weise erfolgen, welche die zu erwartende Minderung in vergleichbarer Weise belegt. Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte insoweit auf die zu § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG ergangene Rechtsprechung. Zwar kann es im Rahmen dieser Regelung nur auf solche Konzentrationswerte und Abwassermengen ankommen, die für die Ermittlung und Festsetzung der Abwasserabgabe relevant sind, so dass ausschließlich auf die in dem Bescheid i. S. d. § 4 Abs. 1 AbwAG genannten Werte bzw. auf die in § 6 Abs. 1 AbwAG geregelten Ersatzlösungen abzustellen ist (so BVerwG, Beschl. v. 15. Januar 2004 - 9 B 71.03 -, zit. nach JURIS). Dies ergibt sich aber aus den Besonderheiten der von dieser Regelung erfassten Fallkonstellationen. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG muss durch die Errichtung oder Erweiterung einer Abwasserbehandlungsanlage u. a. eine Minderung der Fracht einer der bewerteten Schadstoffe und Schadstoffgruppen in einem zu behandelnden Abwasserstrom um mindestens 20 % zu erwarten sein. Deshalb ist es zum einen unabdingbar, feste Vergleichswerte aus Zeitpunkten vor und nach der Maßnahme zu ermitteln, und zum anderen muss angesichts der kausalen Verknüpfung zwischen der Investitionsmaßnahme und der Minderung in einem zu behandelnden Abwasserstrom die Nachhaltigkeit der Prognose hinreichend feststehen. Diese Vorgaben können nur durch Werte hinsichtlich der maßgebenden Schadstoffkonzentrationen und Jahresschmutzwassermenge aus Bescheiden nach § 4 Abs. 1 AbwAG oder nach § 6 Abs. 1 AbwAG erfüllt werden. Wenn - wie im Rahmen des § 10 Abs. 4 AbwAG - keine Vorgabe einer Verminderung in einer bestimmten Höhe besteht, sind feste Vergleichswerte jedoch nicht unbedingt notwendig. Zum anderen regelt § 10 Abs. 4 AbwAG die Verrechnung von Investitionen in das Kanalnetz einschließlich der dazugehörigen Bauwerke, die durch eine Zuführung von Abwasser vorhandener Einleitungen zu einer "modernen" Abwasserbehandlungsanlage bei den Einleitungen, d. h. möglicherweise mehreren, insgesamt eine Minderung der Schadstofffracht erwarten lassen. Auf Grund der leichteren Nachprüfbarkeit der Vornahme von Umleitungen unterscheidet sich die Nachweissituation im Rahmen des § 10 Abs. 4 AbwAG deutlich von der im Rahmen des § 10 Abs. 3 AbwAG, so dass auch deshalb eine differenzierte Betrachtungsweise geboten ist.
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Es kann danach offen bleiben, ob nicht die vom Kläger hinsichtlich der streitbefangenen Einleitstellen für das dem jeweiligen Umschluss folgende Abgabejahr abgegebenen „Abwasserabgabeerklärungen“ dem strengeren Maßstab des Beklagten genügen. Zwar handelte es sich entgegen dem verwendeten Formblatt nicht um Erklärungen i. S. d. § 6 Abs. 1 AbwAG, da die zur Ermittlung der Schadeinheiten erforderlichen Festlegungen in den wasserrechtlichen (Einleit-)Bescheiden enthalten waren. Auch ist eine Auslegung als Heraberklärung i. S. d. § 4 Abs. 5 AbwAG ausgeschlossen. Allerdings stellen diese Erklärungen zumindest eine verbindliche Prognose des Klägers im Rahmen des abwasserabgabenrechtlichen Verfahrens dar.
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Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob nicht zumindest für die Einleitstelle C die mit wasserrechtlichem Bescheid vom 20. Januar 2010 erfolgte Reduzierung der Schmutzwassermenge als Vergleichswert ausreichend wäre.
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b) Soweit der Beklagte nunmehr in der Berufungsbegründung erstmalig behauptet, auch tatsächlich sei bei den Einleitungen insgesamt keine Minderung der Schadstofffracht zu erwarten gewesen, steht dieses Vorbringen schon in Widerspruch zu den zumindest teilweise vorgenommenen Verrechnungen in dem streitbefangenen Bescheid vom 26. Oktober 2010. Dort hat der Beklagte für jede der streitbefangenen Einleitstellen ausdrücklich festgestellt, es sei „von einer Minderung der eingeleiteten Gesamtschadstoffe (Parameter CSB, Phosphor und Stickstoff) … auszugehen“. Diese Einschätzung ist nach wie vor nicht zu beanstanden. Sobald Schmutzwasser - wie hier - nicht mehr nach einer Vorbehandlung in Kleinkläranlagen über sog. Bürgermeisterkanäle in ein Gewässer eingeleitet, sondern in nicht unerheblichem Umfang über Entwässerungskanäle einer zentralen Kläranlage zugeführt wird, ist auch bei unterlassener Berichtigung der die Einleitung gestattenden wasserrechtlichen Bescheide ohne weiteres davon auszugehen, dass insgesamt eine Minderung der Schadstofffracht zu erwarten ist. Die vorliegend gegebene Konstellation - Bau einer Sammelkanalisation, durch die sanierungsbedürftige Einleitungen an eine ordnungsgemäße Abwasserbehandlungsanlage angeschlossen werden - entspricht gerade dem im Gesetzgebungsverfahren angenommenen Beispielfall für eine Anwendung des § 10 Abs. 4 AbwAG (vgl. Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 30. November 1993, BT-Drs 12/6281, Seite 9). Nur bei Vorliegen konkreter entgegenstehender Umstände ist eine solche Prognose verfehlt. Derartige Umstände sind aber weder ersichtlich noch vom Beklagten substanziiert geltend gemacht.
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Für sein sinngemäßes Vorbringen, die Schmutzfracht in den Einleitungen der in Rede stehenden Einleitstellen habe sich nach dem Teilumschluss auf Grund gleichbleibender oder höherer Abwassermengen nicht verringert, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Der bloße Hinweis, der Anschluss weiterer Einleiter und zusätzlicher abflusswirksamer Flächen über das Kanalnetz sei grundsätzlich zulässig gewesen, reicht dazu nicht aus. Es liegt schon kein Anhaltspunkt dafür vor, dass über die streitbefangenen Einleitstellen Einleitungen über neu angeschlossene Kleinkläranlagen erfolgt sind oder drastisch höhere Schmutzwassermengen von den weiter einleitenden Grundstücken zu verzeichnen waren. Auch aus den vom Kläger abgegebenen „Abwasserabgabeerklärungen“ für die dem jeweiligen Umschluss folgenden Jahre ergibt sich nichts anderes. Dass für die Einleitstelle C in einem wasserrechtlichen Bescheid vom 9. Juli 2007 ab 1. Januar 2007 eine um 174 höhere Zahl an erlaubten Einwohnerwerten festgelegt worden ist als in einem Bescheid vom 19. August 2002 - was in dem gerichtlichen Hinweis vom 12. Februar 2014 überhaupt nicht in Abrede gestellt worden ist -, ist von vornherein unbeachtlich. Denn der streitbefangene Umschluss erfolgte für diese Einleitstelle erst am 15. Dezember 2008. Darüber hinaus wurde für diese Einleitstelle durch wasserrechtlichen Bescheid vom 20. Januar 2010 die Einwohnerzahl um 474 reduziert und die Jahresschmutzwassermenge von 28.000 m3 auf 10.850 m3 herabgesetzt; in einem Bescheid vom 25. November 2011 erfolgte eine weitere Herabsetzung der Jahresschmutzwassermenge auf 2710 m3.
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Der umfassend begründete Vortrag des Beklagten, bei Bürgermeisterkanälen falle weit mehr Fremdwasser an als bei einer ordnungsgemäß errichteten Abwasseranlage - was ebenfalls in dem gerichtlichen Hinweis vom 12. Februar 2014 nicht in Zweifel gezogen worden ist - ist für sich genommen für die Frage, ob trotz eines Umschlusses von Schmutzwassereinleitungen die Schmutzfracht nicht abnimmt, nicht aussagekräftig. Eine gleichbleibende oder sogar erhöhte Schmutzfracht wäre angesichts der Verminderung der tatsächlichen Schmutzwassereinleitungen nur dann anzunehmen, wenn sich der Fremdwassereintrag in die Bürgermeisterkanäle nach dem (Teil-)Umschluss erheblich erhöht hätte. Dafür ist nichts ersichtlich, auch nicht durch den pauschalen Hinweis des Beklagten auf die bei der Berechnung des Fremdwasseranteils einzubeziehenden Faktoren. Darüber hinaus wird in den wasserrechtlichen Bescheiden, die den Einleitungen zugrunde liegen, die Menge des Fremdwassers allenfalls mit einem Prozentanteil von der als Schmutzwassermenge unterstellten Trinkwassermenge angenommen. Diesen Ansatz verfolgt der Beklagte ausweislich des von ihm vorgelegten Arbeitsblatts DWA-A 118 ebenfalls. Danach reduziert sich aber mit dem Schmutzwasserabfluss aus den Kleinkläranlagen automatisch auch die Menge des angesetzten Fremdwassers.
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4. Gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Berechnung, die es auf der Grundlage seiner nicht zu beanstandenden Auslegung des § 10 Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 AbwAG vorgenommen hat, sind hinsichtlich des im Berufungsverfahrens streitigen Teil des angefochtenen Bescheides keine Einwände erhoben worden; Fehler sind insoweit auch nicht ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt.
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1 und 3 GKG.
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