Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (1. Senat) - 1 O 75/15

Gründe

1

Da es sich bei der Aussetzung des Verfahrens gemäß oder analog § 94 VwGO nicht lediglich um eine prozessleitende Verfügung handelt, ist die Beschwerdemöglichkeit gemäß § 146 Abs. 1 VwGO eröffnet (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 10. Juli 2007 - 1 O 46/07 -, juris [m. w. N.]; Beschluss vom 31. März 2005 - 4 O 97/05 -). Die hiernach statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat indes in der Sache keinen Erfolg.

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Nach § 94 VwGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen ist. Ob bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen ausgesetzt wird, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Überprüfung durch das Beschwerdegericht beschränkt sich insoweit darauf, ob das Gericht die Grenzen des Ermessens eingehalten und von seinem Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat.

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Im Ergebnis geht das Verwaltungsgericht zu Recht von einem vorgreiflichen Rechtsverhältnis im Sinne des § 94 VwGO aus. Dieses besteht allerdings nicht bereits wegen der Anfechtung der auf „Null“ € festgesetzten Bescheide des Finanzamtes S. über den Gewerbesteuermessbetrag für die Jahre 2008 und 2009, sondern in der Frage, ob die Klägerin dem Grunde nach, d. h. in persönlicher und sachlicher Hinsicht gewerbesteuerpflichtig ist. Nur in diesem Falle wird die Klägerin im Sinne von § 2 Abs. 1 IHKG zur Gewerbesteuer veranlagt, worauf es u. a. für die Mitgliedschaft bei der Beklagten und deren Recht zur Beitragserhebung gemäß § 3 Abs. 2 IHKG gegenüber der Klägerin entscheidend ankommt. Da die Klägerin gemäß § 2 Abs. 2 GewStG als Kapitalgesellschaft bereits grundsätzlich wegen ihrer Rechtsform gewerbesteuerpflichtig ist, ist im Hinblick auf die aus dem Zusatz „gGmbH“ sich ergebende Gemeinnützigkeit (vgl. § 4 Satz 2 GmbHG i. V. m. §§ 51 bis 68 AO) entscheidend, ob sie wegen dieser Gemeinnützigkeit ganz oder nur partiell von der Gewerbesteuer befreit ist im Sinne des § 3 Nr. 6 GewStG. Die Befreiungstatbestände des § 3 GewStG betreffen die sachliche oder persönliche Steuerpflicht und damit die Gewerbesteuerpflicht dem Grunde nach. Nur eine vollständige Befreiung der Klägerin ließe ihre Gewerbesteuerpflicht dem Grunde nach und damit ihre Zugehörigkeit zur Beklagten entfallen.

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In der Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrages auf „Null“ liegt grundsätzlich keine positive Feststellung der Gewerbesteuerpflicht, die nach § 2 Abs. 1 IHKG Tatbestandswirkung für die Festsetzung von Beiträgen zur Industrie- und Handelskammer hätte. Dazu wäre die Festsetzung eines positiven Messbetrages erforderlich, weil nur dieser zwangsläufig auf der Annahme einer Steuerpflicht beruht. Lautet ein Messbetragsbescheid dagegen auf „Null“ (sog. Freistellungsbescheid), regelt er nur, dass ein Steuermessbetrag nicht festzusetzen ist. Die „Null“-Festsetzung kann sich daraus ergeben, dass eine Steuerpflicht dem Grunde nach bejaht und der Messbetrag nur in - zutreffender oder fehlerhafter - Anwendung der Freibetragsregelung des § 11 GewStG mit „Null“ beziffert wurde. Sie kann ebenso darauf beruhen, dass die Finanzbehörde annahm, schon die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Steuerpflicht lägen dem Grunde nach nicht vor. Daher enthält die „Null“-Festsetzung auch keine konkludente Feststellung einer Steuerpflicht, der Bindungswirkung zukommen könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Juli 2011 - 8 C 23.10 -, juris, Rdnr. 6).

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Die von der Klägerin vorgelegten Ablichtungen der Gewerbesteuermessbescheide für 2008 und 2009, jeweils vom 12. Dezember 2011, lassen den Grund für die „Null“-Festsetzung nicht erkennen. Auch die den entsprechenden Bescheiden vom 12. Dezember 2011 über Körperschaftssteuer für die Jahre 2008 und 2009 beigefügten Anlage enthält unter Pkt. 1 keinen Hinweis, der über den gesetzlichen Befreiungstatbestand des § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG (der bis auf die Ausnahmeregelung hinsichtlich eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes in Satz 2, 3 mit § 3 Nr. 6 GewStG übereinstimmt) hinausginge. Die entscheidungserhebliche Frage, inwieweit die Klägerin einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhält und dieser eine Steuerfreiheit im Sinne des § 3 Nr. 6 GewStG ausschließt, wird durch die vorgelegten Steuerbescheide und ihre Anlagen nicht beantwortet.

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Steuerbefreiungen im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG, § 3 Nr. 6 GewStG werden von Amts wegen geprüft und es wird hierüber im Veranlagungsverfahren durch Erlass eines Körperschaftssteuer- oder eines Freistellungsbescheides entschieden (vgl. BFH, Urteil vom 13. November 1996 - I R 152/93 -, juris; Blümich, EStG, KStG, GewStG, Nebengesetze, beck-online, § 3 GewStG, Rdnr. 43, § 5 KStG, Rdnr. 108, 6 m. w. N.).

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Bislang liegen - soweit ersichtlich - entsprechende für die Beklagte und das Verwaltungsgericht rechtsverbindliche Entscheidungen der Finanzbehörden nicht vor, so dass das Verwaltungsgericht grundsätzlich nicht gehindert ist, das Vorliegen des Befreiungstatbestandes des § 3 Nr. 6 GewStG selbst zu prüfen. Allerdings geht aus dem Schreiben der Hansaberatung GmbH an das Finanzamt S. vom 25. Februar 2013 hervor, dass die Klägerin für die noch streitgegenständlichen Jahre 2008 bis 2013, wie bereits für die Vorjahre, die Auffassung vertritt, eine vollständige Steuerbefreiung im Sinne von § 3 Nr. 6 GewStG beanspruchen zu können und dies im Zusammenhang mit der o. g. Anfechtung der Gewerbesteuermessbescheide durch das Finanzamt geklärt werden soll.

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Das Verwaltungsgericht hält sich bislang noch in den Grenzen seines Ermessens, wenn es zur Vermeidung divergierender Entscheidungen das Verfahren aussetzt. Denn der Beklagten kann hinsichtlich des (noch teilweise) streitgegenständlichen Beitragsbescheides vom 7. Februar 2013 nicht darin gefolgt werden, dass die Klägerin aus der Beitragsordnung der Beklagten oder § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO einen Rechtsanspruch gegen die Beklagte auf Abänderung des Beitragsbescheides hätte, wenn dieser in Rechtskraft erwächst bzw. im Nachhinein entsprechende Freistellungsbescheide des Finanzamtes ergingen, die prozessrechtlich im anhängigen Verfahren nicht mehr berücksichtigt werden könnten.

9

Dabei kann dahingestellt bleiben, inwieweit der Rechtsprechung zur Änderung eines Beitragsbescheides der IHK bei Änderung des Gewerbesteuermessbescheides durch das Finanzamt gefolgt werden kann (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. August 2001 - 4 A 4074/00 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. März 2008 - 6 S 2368/06 -, juris; VG Berlin, Urteil vom 17. April 2014 - 4 K 505.13 -, juris), mit der Folge, dass sich - was das Verwaltungsgericht mit seiner Aussetzungsentscheidung gerade erreichen will - ggf. divergierende Entscheidungen in Bezug auf die Gewerbesteuerpflicht und damit Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten vermeiden bzw. im Ergebnis beheben ließen.

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Denn die Beitragsordnungen der Beklagten für die Jahre 2008 und 2009 sehen in § 14 Abs. 4 den Erlass eines berichtigenden Bescheides nach Erteilung des Beitragsbescheides nur bei Änderung der Bemessungsgrundlage vor. Im Hinblick darauf, dass die Beitragsordnung an die IHK-Zugehörigkeit anknüpft, ist nicht ersichtlich, dass auch die Mitgliedschaft bei der Beklagten als solche Bestandteil der in der Beitragsordnung angesprochenen Bemessungsgrundlage ist; die Anwendung der Bemessungsgrundlage setzt eine Mitgliedschaft vielmehr voraus.

11

Auch für eine analoge Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sieht der Senat vorliegend keinen Anhalt; mangels Aussagekraft der streitgegenständlichen Gewerbesteuermessbescheide bezüglich der Gewerbesteuerpflicht der Klägerin dem Grunde nach, stellt sich vorliegend nicht die Frage, ob diese als Grundlagenbescheide und der streitgegenständliche IHK-Beitragsbescheid als Folgebescheid angesehen werden können sowie ob und unter welchen Voraussetzungen sich wegen dieser Akzessorietät ein Rechtsanspruch der Klägerin auf Abänderung des Beitragsbescheides ergäbe.

12

Im Hinblick darauf, dass das Verwaltungsgericht jederzeit von Amt wegen oder auf Antrag eines Beteiligten seinen Aussetzungsbeschluss gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 150 ZPO wieder aufheben kann und weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass der Stillstand des Verfahrens derzeit bei einem der Verfahrensbeteiligten mit der Gefahr der Rechtsvereitelung verbunden ist, erscheint es rechtlich unbedenklich, noch einen angemessenen Zeitraum das Ergehen einer finanzbehördlichen Entscheidung über die Befreiung der Klägerin von der Gewerbesteuerpflicht gemäß § 3 Nr. 6 GewStG abzuwarten. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Beitragsveranlagung für die Jahre 2002 bis 2013 durch den (noch teilweise) streitgegenständlichen Beitragsbescheid vom 7. Februar 2013 zwecks Verhinderung des Verjährungseintritts (vgl. Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 7. Februar 2013) und die Klageerhebung zur Verhinderung des Eintritts der Bestandskraft erfolgt ist, beide Verfahrensbeteiligte sich mithin wegen der noch ausstehenden finanzbehördlichen Entscheidung über die Befreiung der Klägerin von der Gewerbesteuerpflicht zum Handeln veranlasst sahen.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

14

Der Festsetzung eines Streitwertes bedarf es wegen der nach Ziff. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG bestimmten Festgebühr nicht.

15

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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